Diverses:Stan Fuentes und ein echt beschissener Fall
Der folgende Artikel ist ein Satire-Artikel. Es kann sein, dass er nicht ganz ernst gemeinte Aussagen enthält. Es kann aber auch sein, dass der Artikel irgendeine tiefgründige Botschaft vermitteln möchte.
Achtung: Dieser Artikel ist für Leser unter 16 Jahre auf Grund permanenter Verherrlichung unzüchtigen Verhaltens, zahlreicher sexueller Anspielungen, latenter Frauenfeindlichkeit und durchgängiger Verwendung von Worten aus der Welt der Fäkalsprache- irgendwo steht sogar "Fotze" - nicht geeignet. Kinder unter 16 Jahren sollten daher lieber hier weiterlesen. |
Mein Name ist Stan Fuentes. Woher ich komme? Geht euch nichts an. Ob dies mein richtiger Name ist? Ich weiß es selber nicht mehr. Ob die Butter im Lidl billiger ist als bei Aldi? Überprüft es selbst.
Seit 15 Jahren schlage ich mich als Privatermittler durch und habe seitdem nicht einmal „Wetten, dass..?“ zu Ende gucken können, weil ich immer dermaßen verschissen viel zu tun hatte. In 15 Jahren habe ich 29 entlaufende Katzen gefunden und 24 zurück gebracht – die anderen habe ich verspeist, weil diese Geizhälse meine Spesen nicht bezahlen wollten – 73 Ehen gerettet, 82 zerstört, 19 entlaufende Personen zurück zu ihrem Zuhälter gebracht und vieles mehr. Ich bin stolz auf meinen Job, egal was Mama dazu sagt. Ich hätte auch Tierarzt werden können, aber da es nach meiner Metzgerlehre dabei zu kleineren Verwechslungen kam, habe ich davon abgesehen.
In meinem Beruf habe ich viele Sachen erlebt, bei denen ich mich fühlte wie ein Grieche vor einer gesunden Bank. Ich hatte keine Ahnung, was ich mit dem Scheiß anfangen soll und am Ende waren Ausländer dafür verantwortlich. Doch ein Fall ist mir noch in bester Erinnerung. Einfach, weil er so beschissen war. Ich werde euch von diesem Fall erzählen. Doch ihr haltet beim Lesen gefälligst die Fresse, damit ihr mich nicht unterbrecht. Klar? Klar!
1
Es begann an einem regnerischen Frühjahrstag. Die Vogelgrippe hatte sich gerade in der Mongolei ausgebreitet und die Spatzen keuchten gen Norden. Dies war ungewöhnlich, denn normalerweise fielen Gichtkranke Spatzen immer westwärts vom Baum. Es war 15:00 Uhr morgens. Ich hatte gerade mit einer Flasche Johnny Walker den Tag gestartet, als eine junge, rothaarige Frau den mittleren der drei Pappkartons unter der Kanalbrücke, die ich damals noch mein Büro nannte, bekroch. Als sie mich ansprach, war sie blutberschmiert, denn beim Reinkriechen hatte sie die zerbrochenen Flaschen von gestern Nacht erwischt. Das war mein Plan - Denn etwas Blut gab jedem Fall eine dramatische Note. Zufrieden lächelte ich und stellte sie mir nackt vor. Das tat ich bei jedem meiner Klienten, ob Männlein oder Weiblein. Ich sollte mal zum Psychologen gehen, wenn ich Zeit dafür habe....
„Herr Fuentes, ich brauche ihre Hilfe“, hauchte sie mir ins Ohr. Lauter durfte sie nicht, denn ich hatte einen gewaltigen Kater. Hätte die Schlampe lauter gesprochen, hätte ich ihr eins mit der nächsten Flasche übergezogen.
„Was kann ich für sie tun“
„Der Kopierer in meiner Firma funktioniert nicht mehr.“
„Wieso nicht?“
„Keine Ahnung. Ich habe ihn eingeschaltet und er zeigte mir eine Fehlermeldung auf dem Display an, man solle auf den Ausschaltknopf drücken. Doch er hat sich dann bereits selber ausgeschaltet.. Seitdem tut er nichts mehr. Ich glaube er wurde ermordet.“
„Haben sie es mal bei einem Techniker versucht?“
„Bei vier Technikern. Sie haben alle keine Lösung auf das Problem gefunden. Ich war sogar bei der Techniker-Krankenkasse, aber da war auch nichts zu wollen.“
„Und mit so etwas banalem wie einem defekten Kopierer soll ich mich beschäftigen?“
„Wir haben hier einen Gutschein auf ihre Arbeit.“
„Verdammt. Ich komme sofort.“
2
Ich zog mir zum ersten Mal seit drei Tagen eine Hose an. Seit mein Büro ein Karton war, hatte ich nicht mehr das absolute Bedürfnis, mich an den Dresscode zu halten. Außerdem sah man die Pizza-, Alkohol-, Urin und Spermareste auf der Hose viel weniger deutlich, wenn man gar keine Hose anhatte.
Ich machte mich also auf den Weg zu dieser Firma, wo der Kopierer streikte. Warum zur Hölle hatte ich nur diese Gutscheine verteilt? Sie machten überhaupt keinen Sinn und brachten mir einen gewaltigen Verlust ein. Bald schon würde ich mir den Karton nicht mehr leisten können und mir Aktien der Deutschen Bank kaufen müssen, um mich mit etwas zudecken zu können. Aber dieses extrem geile Foto von mir auf den Gutscheinen sah einfach zu hinreißend aus. Ich MUSSTE diese Gutscheine einfach verteilen.
Angekommen machte ich mich erst mal auf den Weg zur Toilette. Ich konnte doch nicht schon wieder bei einem Kunden auftauchen, ohne mir die Zähne geputzt, die Nasenhaare getrimmt und die Arschfalten glattgebügelt zu haben. Außerdem forderte die verschimmelte Pizza von vorgestern erneut ihren Tribut. Im Büro konnte ich meiner quälenden Gefühle im Dickdarm nicht Herr werden. Die Pappe wäre glatt weggeätzt, hätte ich es getan. So löste ich einen ABC-Alarm aus und die Feuermelder sprangen an. Schon wieder. Dies war mir letztes Mal auch passiert. Ich nutzte den folgenden Feuerwehreinsatz, um Büromaterial zu stehlen.
Nachdem das gröbste Chaos beseitigt war, erblickte ich den Kopierer. Er war über und über mit Löschschaum bedeckt. So konnte das Teil nicht funktionieren. Der Fall war für mich damit gelöst. Leicht verdientes Geld.
Ich dachte gerade darüber nach, ob ich die Anfahrt mitberechnen sollte, als mich von links diese Frau wieder antippte.
„Herr Fuentes! Gut, dass sie hier sind. Haben sie das Problem schon gefunden?“, fragte sie und blickte mich erwartungsvoll an.
„Ja. Der Löschschaum ist das Problem.“
„Das kann nicht sein. Der Kopierer ging schon vorher nicht.“
„Ach? Und woher wollen Sie das so genau wissen?“
„Ich habe es Ihnen selbst schon lange vor dem Feuerwehreinsatz gemeldet.“
„Tja, das passt Ihnen ja sehr gut. Wo waren Sie zur Tatzeit?“
„Ja, ich stand doch am Kopierer, wie gesagt...“
„Ach nee... Welch Zufall. Und Sie glauben, damit kommen Sie durch?“
„Herr Fuentes, warum sollte ich den Kopierer zerstören, mir meine eigene Arbeit dadurch schwieriger machen und anschließend Sie engagieren?“
„Um mich kennen zu lernen. Das war Ihr Plan. Sie sind überführt.“
„Nein. Das ist Blödsinn.“
„Schade. Hätte klappen können!“
3
Die Olle ging mir mittlerweile ziemlich auf die Nerven. Erst holte sie mich und dann wusste sie erst alles besser und dann gar nichts mehr. Ich fand es verdächtig, aber da sie den Gutschein eingelöst hatte und mich bezahlte, musste ich sie automatisch von jeder Schuld befreien. So läuft das mit dem Rechtssystem nun einmal.
Sie stellte sich mir als Jessica Dunham vor und war ihrer Aussage nach eine „Australische Aushilfsfotze.“ Ich ließ mir ihren Arbeitsvertrag zeigen, der dies bestätigte. Ich war erstaunt, was die freie Wirtschaft mittlerweile für Stellen anbot. Ich war erstaunt. Nichtsdestotrotz entfernte ich ihr zur Liebe den Löschschaum vom Kopierer und versuchte vergeblich, ihn zur Funktion zu bringen. Jessica sah mich mit großen Augen an und vermeldete nach meinem dritten vergeblichen Versuch juchzend „Sehen Sie? Es geht nicht.“
Tatsächlich war hier irgendwas faul. Es roch sogar nahezu faulig... Obwohl... Nein, dies war ein anderer Geruch. Es roch vielmehr nach...
„Riechen Sie das nicht, Miss Dunham?“, fragte ich Jessica.
„Nein. Seitdem mir als ich 16 war ein Känguru ins Gesicht gesprungen ist, habe ich keinen Geruchssinn mehr. Und meine Jungfräulichkeit habe ich an dem Tag auch verloren.“
„Wo ist da der Zusammenhang?“
„Der war schon vorher längst passé.“
Dieser üble Geruch aus dem Kopierer war mir mehr als bekannt. Ich hatte ihn schon zu vielen Gelegenheiten in der Nase gehabt. Ich packte die Klappe und öffnete sie langsam...
„Scheiße!“
„Was?“
„Da! Scheiße! Sehen Sie doch!“
Es war tatsächlich Scheiße. Ein Klumpen in der Form eines Pferdekopfes sah mich mit einem kunstvoll geformten Auge an. Jessica schrie auf.
„Oh, Gott! Ist sowas hier normal?“
Das war es sicherlich nicht. Wer zur Hölle formt einen Pferdekopf aus festem Kot und quetscht ihn dann in einen Kopierer? Wieso hier? Und aus welchem Grund? Und wieso hatte die dumme Aushilfsfotze mir noch keinen angeboten? Ich stöhnte auf. Das Rechnungsschreiben konnte ich mir vorerst schenken. Das konnte hier noch heiter werden...
4
Angesichts des Pferdekopfes aus festem Kot, der vor mir auf dem Kopierer lag und vor sich hindampfte, bekam ich unbeschreiblichen Hunger auf Sauerbraten mit Jägersoße und Pellkartoffeln... Oh ja, das wäre jetzt was. Aber leider musste ich noch so tun, als ob ich arbeiten würde.
Da mir gerade nichts besseres einfiel und wegen der Evakuierung der Firmenräume durch die Feuerwehr ohnehin niemand anderes anwesend war, fragte ich Jessica, ob ihr irgendwas ungewöhnliches aufgefallen war. Sie ging für einen Moment in sich, spielte verlegen mit einem Knopf an ihrem Ausschnitt, senkte kurz den Blick und schleuderte mir dann mit einem Augenaufschlag ihre Antwort entgegen. Welche es war, hatte ich da leider bereits vollkommen vergessen, denn ich musste krampfhaft den Gedanken unterdrücken, sie mit Kaffeesahne zu beschmieren und dann auf dem Bürotisch zu nehmen. Obwohl... Warum unterdrücken? Es war ja kein anderer da... Ich öffnete den obersten Knopf ihrer Bluse und...
„...da habe ich schon nachgesehen, da ist sie nicht...“
„Häh? Was?“
Jetzt erst realisierte ich ihren fragenden Blick.
„Na, die SD-Karte unserer Firmenkamera. Wie ich Ihnen gerade sagte: Sie ist verschwunden und ich habe sie hier den ganzen Morgen schon gesucht, weswegen ich nicht auf den Drucker geachtet hatte. Die hat wohl jemand entwendet und nicht zurückgebracht. Wir haben jetzt eine Fotokapazität von 5 Bildern, was für eine Werbefirma wie uns ziemlich doof ist. Und keiner will es gewesen sein. Wir haben ja eigentlich eine zweite, aber die hat der Chef mit in den Urlaub genommen. Er ist zu geizig, sich eine private 2 GB-Karte zu kaufen, um sich und seine Frau beim gemeinsamen FKK-Urlaub mit seiner Weitwinkelkamera zu fotografieren.“
„Vielen Dank“, dachte ich. Jetzt hatte sie es geschafft mich sowohl abzuturnen, anzuekeln und wieder an diesen beschissenen Job zu erinnern. Ob sie jeden Tag so nervig war?
5
„Ich brauche jetzt dringend etwas zu trinken!“ rief ich aus. Der Geschmack von sich zurückziehendem Ejakulat machte sich in meinem Mund breit. Diese anatomische Besonderheit verfolgte mich schon seit meiner verkorksten Pubertät, die zu nicht unerheblichen Teilen aus billigen Pornoheften und der anregenden Vorstellung von Sailor Moon in Lederstrapsen unter meiner Bettdecke bestanden. Hinzu kam eine mehr als schief verlaufende Polypen-OP im Alter von 5 Jahren, als der betrunkene Chirurg aus Bangladesch meinen Eltern offensichtlich preislich mehr zusagte. Wer weiß, wie mein Leben verlaufen wäre, hätte dieser Typ gewusst, dass Polypen und Samenleiter keine gemeinsamen Komponenten besitzen. Mal abgesehen davon, dass er die OP-Wunde anschließend mit einem gebrauchten Kaugummi abdichtete.
Jessica schloss den obersten Knopf ihrer Bluse wieder und sah mich erneut ungerührt in einer Mischung aus treudoofem Dackel und onanierendem Eichhörnchen an.
„Wir haben Wasser, Kaffeepulver und irgendetwas Undefinierbares. Wenn man daran vorbeigeht, macht es jedenfalls Geräusche. Ich glaube es knurrt einen an.“
„Interessant“
„Ja. Manchmal habe ich das Gefühl, es verfolgt mich. Aber wenn man einen Hühnerknochen in den Flaschenhals steckt, ist es ruhig. Bis der Knochen abgenagt ist... Soll ich Ihnen das mal bringen?“
„Äh... nein. Ich nehme doch lieber das Wasser.“
„Flasche oder Regenrinne?“
„Was?“
„Ja, der Chef sagt, wir müssen sparen. Und es sei ja ohnehin viel weniger schädlich für die Umwelt und so...“
„Das ist ja schlimmer als zu Hause... Ich nehme lieber die Flasche, wenn's sich irgendwie einrichten lässt.“
Als Jessica zurückkehrte war ich konzentriert bei der Arbeit. Mit einem eleganten Schwung stellte sie die Flasche vor mir ab und hielt mir ein volles Glas vor die Nase.
„Hier haben sie ihr Wasser. Tut mir Leid, dass es ein wenig gedauert hat, aber ich musste erst einen toten Molch aus dem Flaschenhals entfernen. Der hatte sich da festgesetzt und ich musste ihn erst mal mühevoll mit dem Stäbchen rauspulen, mit dem ich normalerweise meinem Kater die Ohren reinige. Damit geht das eigentlich ganz gut. Und das Glas erst... Der Hausmeister hat damit wohl am Rasenmäher einen Ölwechsel durchgeführt. Ein Glück, dass die Putzfrau gerade die Klobürste in der Hand hatte... Naja, jetzt ist jedenfalls alles in bester Ordnung. Was machen sie denn da?“
„Ich versuche an Informationen zu kommen und mich mental in den Fall einzuarbeiten.“ antwortete ich, nicht ohne dabei heimlich das Wasser möglichst weit von mir wegzuschieben. Wie war noch einmal das mit der Regenrinne? Jessica trat hinter meinen Bürostuhl, der ja eigentlich ihrer war und legte ihr Kinn auf meine Schulter ab, als sie an mir vorbei auf den Bildschirm guckte.
„Und durch YouPorn gewinnen sie wichtige Erkenntnisse?“
„Definitiv hilft das bei der Fortpflanz...äh...bildung, ja. So spare ich mir die Lehrgänge. Aber ich war ja nicht untätig. Ich habe bereits eindeutige Hinweise auf die Herkunft des Pferdekopfes.“
„Herr Fuentes, wo die Bestandteile des Kopfes herkommen kann ich mir sehr gut denken.“
„Das meine ich nicht. Ich bin mir ziemlich sicher, zu wissen, wer etwas mit diesem Kopf zu tun haben könnte.“
„Und wie? Haben sie ein paar Informanten angerufen? Oder haben sie sogar den Pferdekopf auf bekannte DNA-Spuren untersucht, wie diese coolen Ermittler im Fernsehen? Oh, ich finde das ja so aufregend.“
„Ja, so etwas in der Art habe ich getan.“, brummte ich ihr entgegen und verkniff mir gleichzeitig das, was mir tatsächlich durch den Kopf ging: „Nein, ich hab gegoogelt, du dumme Nuss. In welchem Jahrhundert leben wir denn? Also wirklich!“ Aber ich hatte die Hoffnung auf eine Nummer unter dem Tisch noch nicht aufgegeben, also musste ich nett zu ihr sein.
„Jedenfalls kommt für diese Art von Hinterlassenschaft nur eine einzige Gruppe in Frage.“, sagte ich zu ihr und stand dabei effekthaschend auf. Es fühlt sich ja so verdammt gut an, mit einem vermeintlich brillanten Durchbruch eine billige Büroschlampe zu beeindrucken.
„Ach wirklich? Und die wäre?“ Ihr Blick verriet Bewunderung. Sie hing an meinen Lippen wie ein hungriger Welpe an den Zitzen seiner Mutter. Oder wie Tom Cruise an der Brust von Ron Hubbard.
„Es kommt nur eine Gruppe in Frage...“ Ich machte an dieser Stelle eine dramatische Pause und hob einen Zeigefinger bis knapp unter die Decke. Ich hoffte, dass sie von diesem explosiven Gemisch aus purer Spannung und emotionaler einen Orgasmus bekommen würde, aber der Zeitpunkt schien im wahrsten Sinne des Wortes noch nicht gekommen.
„...die kasachische Kackbeutelmafia!“
Es war ein Triumph. Ich wartete auf den Applaus. Stattdessen hörte ich über mir ein schneidendes Geräusch. Der Deckenventilator hatte meinen hoch erhobenen Finger erwischt. Jetzt brauchte ich wohl einen Arzt.
6
„AAH VERDAMMT! MEIN FINGER“
„Immer mit der Ruhe, Herr Fuentes. Ich habe ihn doch gefangen.“ ,sagte Jessica und hielt mir mit einem treuherzigen Blick den Finger vor die Nase.
„Passen sie aber auf, dass sie mir nicht den Teppich vollbluten. Wenn der Chef das sieht dreht er durch. Wissen sie, was so eine Reinigung kostet?"
„ICH HABE GERADE EIN ETWAS ANDERES PROBLEM, MISS DUNHAM!“
„Ach ja! Stimmt! Wir sollten den Finger besser ein wenig kühlen. Ich leg ihn mal in ihr Wasserglas, ja?“ Und genau das tat sie. Ich hätte kotzen können, unterdrückte es aber. Zum einen wegen des Teppichs, zum anderen weil ich nicht wusste, aus welcher Öffnung es rauskommen würde... gerade jetzt, wo ich ja noch eine zusätzliche zur Verfügung hatte. Wie gesagt, meiner Körperanatomie konnte ich schon seit meiner Kindheit nicht mehr trauen.
„Könnten sie mir einen Gefallen tun, und ihn vielleicht woanders reinlegen? Vielleicht will noch wer das Wasser trinken?“
„Oh, gut mitgedacht... Hmm... ich habs! Ich leg ihn erst mal in mein Mittagessen, das kommt frisch aus der Kühltruhe und ich hab's noch nicht erwärmt."
Sie zog eine Tupperdose aus der Tasche und warf den Finger in die Soße.
„So. Da liegt er gut. Ich hoffe er mag Tomatensoße mit Paprika und Zucchini.“
Mir war es mittlerweile ziemlich egal. Meine Gedanken kreisten nur noch um die Frage, ob man einen Flaschenöffner auch mit neun Fingern bedienen kann. Den rasenden Schmerz und das tropfende Blut unterdrückte ich mit dem penetranten Gedanken an frische Vaseline auf Toastbrot, das einzige Grundnahrungsmittel meiner Kindheit. Jessica hatte mittlerweile, ohne dass ich es merkte, meine Hand mit einem improvisierten Druckverband aus Toilettenpapier und drei Rollen buntem Isolierband versehen und schob mich, ihre Tupperdose unter den Arm geklemmt, aus dem Raum.
„Das muss sich mal ein Doktor ansehen.“, sagte sie, als sei es die Erkenntnis des Jahrzehnts und zog mich zu einem Büro, das zwei Stockwerke weiter oben lag.
„Hier arbeitet unser Doktor. Der hat so etwas bestimmt schon 1000 mal gesehen. Er weiß bestimmt einen guten Rat.“ Sie öffnete die Tür, schob mich hinein und knallte dem Doktor die Tupperdose auf den Tisch.
Guter Rat? Tolle Idee. Viel lieber wäre es mir gewesen, wenn er in der Lage wäre, mir den verdammten Finger wieder anzunähen.
„Ja hallihallo! Was kann ich denn für euch tun, Kinder.“ Sagte der Doktor freudestrahlend und hob die Arme in die Luft. „Ich bin Doktor Bibo. Ich komme eigentlich von ganz woanders her und habe hier gar nichts verloren - aber ich habe etwas von „Das sollte mal ein Doktor sehen“ und „Guter Rat“ gehört, da dachte ich mir, spiel doch mal mit in dieser Geschichte!“
Ich sah ihn entsetzt an, hielt ihm meine verbundene Hand entgegen und zeigte mit der anderen auf die Tupperdose. „Das ist das Problem.“
Dr. Bibo öffnete die Dose, warf einen kurzen Blick hinein und meinte: „Da fehlt etwas Curry. Ansonsten finde ich es aber gut.“
"ICH MEINE DEN FINGER!“
„Ach der.“ Dr. Bibo sah noch einmal in die Dose. „Tja, der liegt da etwas ungünstig. Also wenn ihr mich fragt, an der Hand würde er mehr Sinn machen, aber ihr habt euch ja offenbar anders entschieden. Hat sonst noch jemand eine Frage?“
Ich wurde wütend. Ich packte den Doktor am Kragen, schüttelte ihn ein wenig und brüllte ihn an, er möge sich gefälligst dazu durchringen, den Finger wieder an die richtige Position zu bringen. Er blickte mich weiter freundlich lächelnd ab, mahnte zur Ruhe und bat mich höflich, einen halben Meter zurückzutreten. Ich tat wie befohlen. Dr. Bibo richtete sich seinen Kragen wieder zurecht und bat mich dann, die Hand auf den Tisch zu legen und die Augen zu schließen. Ich spürte mehrere kurze Stiche und der Finger war wieder an Ort und Stelle.
„Wie haben sie das gemacht?“ Ich war ehrlich verblüfft... Dr. Bibo lächelte mich an und zog einen Tacker unter dem Tisch hervor.
„Natürlich hätte es noch andere Möglichkeiten gegeben, aber warum kompliziert, wenn es auch einfach geht?“ Mit einem breiten Grinsen sah er mich an. Er stellte den Tacker wieder zurück und winkte mir zum Abschied.
„Ich muss wieder los. In Castrop-Rauxel möchte ein Grundschulkind wissen, wie man seinen toten Goldfisch mumifiziert. Bis zum nächsten Mal.“ Dr. Bibo nahm seinen Hut und verließ den Raum. Übrig blieben ich und Jessica, die von einem Bein aufs andere trappelte und mich nervös anblickte.
„Heißt das, ich kann nun wieder die Tupperdose an mich nehmen? Ich möchte mir das jetzt endlich aufwärmen.“
7
Der angetackerte Finger pochte noch immer schmerzhaft vor sich hin, als Jessica und ich einige Stunden später ein schwer heruntergekommenes Viertel der Stadt betraten. Graue Häuser mit abgeblätterten Resten einer Zeit, die längst Geschichte war, türmten sich zwischen ihnen fast ebenbürtigen Müllbergen auf. Ich hatte gehört, dass es in dieser Gegend Ratten geben würde, die in Zirkussen als Reitpony für übergewichtige Kinder verwendet wurden. Aber auf Gerüchte hatte ich noch nie etwas gegeben. Tatsache war, dass irgendwo in diesem Wust aus Unrat und städtebaulicher Unzulänglichkeit die Schaltzentrale der Kasachischen Kackbeutelmafia lag.
Ich hatte schon oft mit ihr zu tun gehabt. Die Kasachische Kackbeutelmafia kontrollierte weite Teile des Plastikbeutelgeschäfts in der Stadt. Es war ein schmutziges, umweltschädliches Geschäft, aber immerhin – und da waren die Kasachen pragmatisch – ein auf lange Sicht ausgelegtes Projekt. Es dauert schließlich Jahrtausende, bis das Plastik sich zersetzt. Und so landete jeder Hundehaufen, der in einem Plastikbeutel entsorgt in den Mülltonnen der Stadt endete, irgendwann in den Fängen eines kriminellen Haufens, der abartigste Dinge mit Haufen anfing.
„Warum genau sind wir jetzt hier?“ fragte Jessica schmatzend, während sie in ihrer Tupperdose herumlöffelte. Sie hatte sich inzwischen dazu entschlossen, das Zeug einfach kalt zu essen.
„Wenn man klare Informationen haben möchte, muss man sich dafür stets in die Höhle des Löwen begeben.“, sagte ich. „Außer, man möchte Informationen von einem Löwen. Dann ist es dämlich. Löwen reden nicht.“
„Ach so. Dann ist ja gut.“
„...Wenn wir also Informationen von der Kasachischen Kackbeutelmafia brauchen, müssen wir eben zur Kasachischen Kackbeutelmafia gehen.“
„Gibt es die wirklich? Ich meine... Warum gibt es für Kackbeutel eine Mafia?“
„Es gibt für ALLES irgendeine Mafia. Und da die großen Staaten bereits ihre jeweilige Mafia in diversen Geschäftszweigen installiert haben, blieb für die Kasachen halt nichts vernünftiges mehr übrig – vor allem nichts, womit sich eine lustige Alliteration machen lässt. Stellen sie sich mal vor „Kasachische Aktenvernichtungsmafia“ oder „Kasachische Waffeleisenschmuggelmafia“ - Das klingt einfach nicht schmissig genug.“
Wir schwiegen für den Rest des Weges. Es war kaltes, sexuell umspieltes Schweigen. Die Ruhe vor dem Rudelfick, wie ich sie in meiner Jugend in einer schwach aufgeklärten Gemeinde am Rande des Nichts oft erleben musste oder mir zumindest oft einbildete.
Zielsicher steuerten wir eines der verfallenen Häuser in einer Seitenstraße an. Die Eingangstür stand weit offen und machte den Weg frei auf einen Hausflur, dessen Geräuschpegel hinter mancher Wohnungstür eine durch die Drogenfahndung nahezu herausforderte. Im zweiten Stock angekommen vollzog ich mein fest manifestiertes Begrüßungsritual – Ich trat mit Schwung die Wohnungstür ein, stellte mich breitbeinig in den Türrahmen und schrie „ILJIA!“
„DER WOHNT GEGENÜBER, DU VOLLIDIOT“ schrie mir eine feiste Hausfrau in den 50ern entgegen, die vermutlich eigentlich erst in den 30ern war. Der Rest war Crystal Meth. Upps. Immer noch breitbeinig ging ich wie in Zeitlupe einen Schritt nach dem anderen zurück, bis ich wieder draußen auf dem Flur stand. Ich hing die Tür wieder in die Reste ihrer Scharniere zurück, drehte mich um und wiederholte mein fest manifestiertes Begrüßungsritual – Ich trat mit Schwung die andere Wohnungstür ein, stellte mich breitbeinig in den Türrahmen und schrie „ILJIA!“
„Stan Fuentes.“ antwortete eine tiefe Stimme mit osteuropäischen Akzent auf der anderen Seite des Raumes. Ein bulliger, kahlköpfiger Mann drehte sich quietschend in seinem Stuhl zu mir um. Er trug nur Unterwäsche und hielt eine halb leer gegessene Dose in der Hand. „Ich habe dich ganz offensichtlich nicht erwartet.“ sagte Iljia und klappte, ohne den Augenkontakt zu mir abreißen zu lassen, seinen Laptop herunter, auf dem er sich offenbar gerade eine Folge „My Little Pony“ angesehen hatte. Das war er nun also – Der Kopf der Kasachischen Kackbeutelmafia.
„Stan Fuentes... Na sowas - Und ich habe gehört, sie hätten dich damals in über den Haufen geschossen.“
„Wird man über den Haufen geschossen, kann man dahinter in Deckung gehen, Iljia. Manchmal denkt die Unterwelt nicht weit genug.“ Wir tauschten einen vielsagenden Blick aus. „Genug davon“, sagte Iljia und lächelte, bevor sich seine Miene wieder ruckartig verfinsterte.
„Was willst du?“ fragte er barsch und knallte die Raviolidose auf seinen Schreibtisch.
„Jemand hat meiner Klientin“ - Ich wies mit dem Finger auf Jessica, die geringfügig verschüchtert im Türrahmen stand - „einen Pferdekopf aus Kacke im Drucker hinterlassen. Kannst du da eventuell deiner Fantasie freien Lauf lassen und mir ein paar Takte dazu erklären? Das riecht doch ganz nach deinen Jungs.“
„Pferdekopf, ja?“ murmelte Iljia und faltete seine Hände zu einem Zelt, auf dessen Spitze er seine breite Nase ablegte. Er ging in sich. Für endlose Momente, in denen ich mir nicht sicher war, ob Iljia nicht gerade einem spontanen Schlaganfall erlegen war, verharrte er in dieser Position. Dann plötzlich schreckte er auf, schlug mit der Faust auf den Tisch, wobei die Raviolidose im hohen Bogen durchs Zimmer flog und rief: „Wir müssen sofort einen Anwalt anrufen! Irgendwer hat unseren Signature Move geklaut!“
„Du willst mir doch nicht ernsthaft sagen, dass ihr damit nichts zu tun habt? Wer macht denn sonst so eine Scheiße?“ fragte ich ungehalten.
„Wir machen ÜBERHAUPT keine Scheiße mehr, Stan! Das ist es ja gerade!“ Er wirkte absolut entsetzt. „Wir haben kürzlich alles in Kosovarische Komposthaufen gesetzt. Jedes Gramm, jedes Würstchen, jeden Satz von Donald Trump. Alles! Für das lokale Kerngeschäft nehmen wir nur noch Synthetik-Scheiße. Wie die Musikindustrie es seit den 80er auch schon tut. Verstehst du, Stan, wir haben hier wohl einen gottverdammten Nachahmer in der Stadt!“ Er fiel auf seinem Stuhl in sich zusammen und vergrub den Kopf zwischen seinen Händen.
„Verdammt und ich wollte doch in den Urlaub fahren. Jetzt muss ich stattdessen irgendeinen Penner jagen und abknallen. So ein Mist. Ich will doch nur einmal im Leben nach Kalifornien fahren und dort Cher treffen! Stattdessen nur immer diese Massaker“ jammerte er und fing leise an zu schluchzen. Jessica und ich tauschten einen Blick aus. In ihren Augen war klar zu lesen, dass sie sich einen Mafiaboss definitiv anders vorgestellt hatte. Ich wusste es besser. Die Unterwelt war nur deshalb die Unterwelt, weil diese Leute in die Keller gingen, um dort ungestört weinen zu können. Die meisten ihrer Bosse aßen Senf nur mittelscharf und benutzen Zewa als Sandpapier. Der Capo der Sizilianer, den alle nur „Salvatore, den Schweiger“ nannten, schwieg auch nur aus einem Grund: Er konnte sich nur in Vokalen äußern, weil ihm Konsonanten zu hart waren. So waren sie, die angeblich so furchtlosen Unterweltgrößen – Und Iljia machte da keine Ausnahme.
Eine Weile betrachteten wir Iljia, der mittlerweile hemmungslos vor sich herumheulte. Ab und an fingen wir Wortfetzen wie „Copyright-Richtlinen“, „Unterlassungsklagen“ und „...immer dieses widerliche Blutaufwischen, es ist doch so unfassbar zeitintensiv...“ auf. Stumm beschlossen wir schließlich, Iljia mit seinem Schmerz allein zu lassen und verließen die traurige Szenerie.
8
Jessica begleitete mich auf dem Weg zurück in mein Büro. Wir sprachen noch immer nicht viel. Nicht, dass ich mit ihr hätte sprechen wollen. Seit dem Besuch bei Iljia kreisten meine Gedanken nur noch um ein einziges Thema – Womit sollte ich mich heute Abend zuschütten um den Anblick eines weinenden Mafioso vergessen zu können?! Ich dachte über Gin Tonic, gemischt mit einem Schuss Ad Blue und Dieselkraftstoff von der Billigtanke nebenan nach. Ich würde es „Toxic Tonic“ nennen und Millionen scheffeln. Was für ein Plan! Wenn ich jetzt noch einen Investor finden würde, könnte ich... „Ich habe nachgedacht...“
Jessicas Stimme riss mich unangenehmerweise aus meinen lukrativen Zukunftsplänen. Eigentlich hätte ich sie dafür vor den Bus stoßen sollen. Es fuhr aber blöderweise keiner.
„Ich habe nachgedacht!“, setzte Jessica erneut an. Dadurch wurde es mir aber auch nicht weniger egal. Es konnten sich schon ganz andere Frauen nichts vom nachdenken kaufen. „Ist es nicht eine erstaunliche Ironie, dass jemand die Kasachische Kackbeutelmafia ausgerechnet in einem Kopierer kopiert? Als ob uns jemand etwas damit sagen möchte!“
Was sollte uns jemand damit sagen wollen? „Oh, schau her, ich kann Symbolik, vietes Semester, Baumschule, fünfter Ast?“ Die Erfahrung hatte mich gelehrt, dass Menschen, die Kacke auf Kopierern hinterlassen, mit großer Wahrscheinlichkeit nicht über eine oder überhaupt irgendwas nachgedacht haben. Warum sollte es hier anders sein? Ich war ein viel zu guter Ermittler, um mich mit solchen Sachen zu beschäftigen. Doch ich hatte es noch nicht aufgegeben, den Abend mit einem australischen Feuerwerk enden lassen zu können, also antwortete ich mit einem kryptischen, artikulationslosen Murmeln, auf das Salvatore, der Schweiger, sicherlich einen Lambrusco gekippt hätte.
„Vielleicht sollten wir zurück in die Agentur gehen und nach weiteren Zeichen suchen?!“ rief Jessica begeistert. Natürlich. Zusätzliche Zeit am Arbeitsplatz verbringen – Wie konnte man dabei keine offensichtliche Freude empfinden?
"Miss Dunham, glauben Sie wirklich, dass das so zielführend ist?“
„Was denn sonst? Bis jetzt haben wir Ihnen nur einen Finger abgehackt, zwei Türen zerstört und einen Verbrecher zum Weinen gebracht? Soll der Tag so enden?“
Ich war ein Gewohnheitstier und mir daher ziemlich sicher, wie mein Tag zu enden hatte – Mit zwei Flaschen Johnny Walker und einem Herrenmagazin. Daher war ich nicht besonders begeistert, den Abend in einem dunklen, verlassenen Büro, gemeinsam mit einer naiven, leicht bekleideten Praktikantin..... Moment mal....
„Sie haben recht. Lassen Sie uns gehen.“
9
Es war bereits tiefste Nacht, als wir wieder an der Agentur ankamen. Der Vollmond stand kalkweiß am dunklen Himmel und die Werwölfe – sollte es sie geben - heulten sich ihre Lungen aus dem Leib, entsetzt darüber, was Hollywood in den vergangenden Jahren aus ihnen gemacht hatte. Jessica war im Begriff, sich an der Tür zu schaffen zu machen, doch ich stieß sie sanft von der Eingangspforte weg, sodass sie die die drei Stufen, die dorthin führten, mit einem mittellauten Gepolter hinunterfiel und am Fuße der Treppe mit ihrem Gesicht bremste. Nun lag sie mir zu Füßen. So hatte ich Frauen am liebsten.
Während ich mich mit dem Schraubenzieher, den ich standardmäßig in meiner Unterhose versteckt hielt, um einen größeren Penis zu suggerieren, versuchte, das Schloss auszuhebeln, dabei mehrmals abrutschte und mir die Spitze des Werkzeugs in den Handrücken rammte, hatte sich Jessica wieder aufgerappelt. Neugierig beobachtete sie mich bei meinen vergeblichen Versuchen, die Tür zu öffen, ohne mich selbst zur Schlachtung freizugeben. Meine Würde keinesfalls verlierend warf ich alsbald den Schraubenzieher zu Boden, trampelte wild darauf herum und beleidigte lautstark seine Mutter. Die daraufhin aktiv werdenden Nachbarn beleidigte ich ebenfalls und bat sie anschließend um Diskretion. So einen kann man nicht durchführen, wenn es in der Nachbarschaft so laut vor sich geht. Diese ahnungslosen Banausen!
Jessica hatte abgewartet, bis ich die Situation und mich selbst wieder in den Griff bekommen hatte, bis sie mich letztendlich aus großen Kulleraugen ansah und fragte, ob wir uns vielleicht einige Mühen ersparen würden, wenn sie die Tür einfach mit ihrem Schlüssel aufschließen würde.
„Sie haben einen Schlüssel?“
„Natürlich.“
„Diese Agentur gibt der Praktikantin den Firmenschlüssel?“
„Nein, aber ich bin Kleptomanin.“
„Ach so.“
10
In der Nacht wirkte die Agentur recht trostlos. Obwohl wir den Lichtschalter hätten betätigen können, beschlossen wir, lieber das gängige Klischee zu erfüllen und uns mit schlechten Taschenlampen durch die Dunkelheit zu tasten. Das erfordete die Berufsehre. Außerdem bemerkte Jessica so nicht, wenn ich ihr im Lampenschein genüsslich auf den Arsch glotzte.
Wir wussten nicht wirklich, wonach wir suchen sollten. Ich hatte auch keine wirkliche Lust, mir darüber Gedanken zu machen. Also durchsuchte ich alle Schubladen standardgemäß nach Wertsachen und steckte sie mir in die Hosentaschen, um sie als mögliche Beweise fachgerecht zu konfiszieren. Ich durchwühlte gerade die Schublade eines kleinen Beistellschreibtisches, als Jessica tat, was ich auf jeden Fall vermeiden wollte – Sie begann ein Gespräch.
„Haben Sie schon was gefunden?“
Ich murmelte etwas unverständliches und schob eine Tube , die ich in der Schublade aufgelesen hatte hin und her. Dann gab ich mir einen Ruck. Es konnte ja nicht sein, dass ich hier die ganze Nacht im Müll von Leuten wühlen sollte, die ich überhaupt nicht kenne. Sowas machte ich in meiner Freizeit, aber doch nicht während der Arbeitszeit. Ich war Privatdetektiv, verdammt!
„Wer arbeitet hier eigentlich noch alles?“ fragte sich Jessica, die mit dem Oberkörper unter einem Schreibtisch verschwunden war und mit der Taschenlampe in die Ecken leuchtete.
„Der Chef, zwei Angestellte, die Sekretärin und ich...“
„Hätte irgendwer von denen ein Motiv, den Drucker... naja, Sie wissen schon?“
„Nein. Wieso auch?“
„Wie ist das Arbeitsklima hier normalerweise? Wie eine Traumfabrik sieht es hier ja nun wirklich nicht aus...“
„Der Chef hält uns an der kurzen Leine, ist cholerisch und... naja... Kennen Sie diese Dementoren aus Harry Potter? Etwa so ist er. Entsprechend herrschte hier die letzten Tage, wo er im Urlaub weilte, eine nahezu ausgelassene Stimmung. Stellen Sie sich mal vor, gestern Nachmittag haben wir hier eine Pizzaparty gefeiert, Selfies geschossen und auf den Tischen getanzt. Hätten uns diese lästigen Kunden nicht dauernd dabei unterbrochen, wäre es der perfekte Arbeitstag gewesen.“
„Und die anderen Angestellten haben alle dabei mitgemacht?“
„Also, Irina – die Sekretärin – und ich haben die Fotos gemacht und herumgealbert. Herbert hing betrunken über seinem Tisch, wie jeden Morgen, ließ sich aber durch die Pizza wecken, damit er nackt auf dem Tisch posieren konnte und Philipp hat zwischendurch tatsächlich versucht, zu arbeiten. Darauf kam ich ja gar nicht klar. Er hat bei den Fotos mit Herbert zwar gelächelt, aber das wirkte irgendwie verkrampft.“
„Unglaublich.“ Unglaublich langweilig. Hier war also alles seine geregelten Bahnen gegangen. Hier kamen wir nicht weiter.
„Ich glaube, ich habe hier vorerst alles aufgenommen, was ich für die weiteren Ermittlungen brauche.“, sagte ich zu Jessica, während ich eine Flasche Scotch aus einem Tisch – mutmaßlich dem von Herbert - in mein Hosenbein stopfte. Es klimperte leicht, als ich aufstand. Vielleicht hätte ich das Besteck aus der Küche in der Spüle lassen sollen.
„Ach, Mensch, die SD-Karte ist noch immer nicht aufgetaucht. Und ich hatte so gehofft, dass sie irgendwo in einer Ritze gelandet ist.“, sagte Jessicas Stimme aus den Untiefen der Büroeinrichtung heraus.
Ich verkniff mir die günstige Gelegenheit, über andere Dinge zu sinnieren, die hier meiner Meinung nach in irgendwelchen Ritzen landen sollten, als sie so rücklings vor mir lag. Schließlich stieß sie sich mit den Armen von den Tischbeinen ab und kam wieder vollständig zum Vorschein.
„Wir sollten an dieser Stelle aufhören und nach Hause gehen.“, sagte ich.
„Okay.“
„Soll ich Sie noch nach Hause fahren?“
„Wir sind ohne Auto gekommen.“
„Ich hätte auch keinen Bock gehabt, Sie zu fahren.“
„Sie wissen auch nicht, wo ich wohne.“
„Ist mir auch völlig egal.“
„Gut. Gute Nacht.“
„Gute Nacht.“
11
Am nächsten Morgen wachte ich deutlich früher auf, als es sonst meine Art war. Es war höchstens 13:30, als ich mich aus meinem Wohnkarton schälte und meine Morgentoilette erledigte, indem ich gemütlich in den Kanal kotzte. Ein paar Minuten später hatte ich einem Obdachlosen die Tageszeitung abgenommen und mich zur Lektüre vor meine Wohnung gesetzt.
Es stand wieder einmal nichts wichtiges drin - Ein paar Terroranschläge in einem Land, von dem ich noch nie etwas gehört hatte und dessen Diktator einen Namen hatte, der nach Magerquark klang; Ein Skandal-Politiker, der sein mögliches Comeback vorbereitete; Die tägliche Meldung über eine Trainerentlassung beim HSV und eine Lokalmeldung über irgendeinen Penner und eine Ische, die für eine nächtliche Ruhestörung in der Innenstadt gesorgt hatten und nach denen jetzt wegen Beleidigungen und versuchten Einbruch in eine Werbeagentur gefahndet wurde. Es war also alles so wie immer.
Als ich Jessicas Stimme hörte, fiel ich fast rückwärts in den Karton zurück. Ein lautes Organ am frühen Morgen ist wie ein Verkehrsunfall im Feierabendverkehr – Das letzte, was dein Wohlbefinden gebrauchen kann.
„Huhu!“, flötete sie. „Ich habe Ihnen die Personalakten unserer Mitarbeiter mitgebracht. Vielleicht helfen die Ihnen ja weiter.“
„Miss Dunham, was fällt Ihnen eigentlich ein, mich an meiner Privatadresse aufzusuchen?“
„Ihre Privatadresse? Aber hier war gestern doch noch ihr Büro? Sie sitzen doch direkt davor?“
„Nein! Mein Büro ist der MITTLERE Karton. Ich sitze aber vor dem RECHTEN Karton und DER ist meine Privatadresse.“
„Und der linke?“
„Der ist mein Schrebergarten. Da haben sie auch nichts zu suchen. Da züchte ich Kohlraben.“
„Diese schwarzen Vögel?“
„So ungefähr.“
„Faszinierend.“
„Jetzt geben Sie die Akten her. Wo haben Sie die eigentlich her? Als wir gestern Nacht aus der Agentur gekommen sind, hatten Sie sie nicht mitgenommen.“
„Ach, die waren auch nicht in der Agentur. Die hatte ich eh schon bei mir daheim liegen. Ich dachte, ich könnte sie vielleicht irgendwann mal gebrauchen – und damit hatte ich ja offenbar recht!“
„Ich würde sagen, Sie treten, was immer Sie auch sonst tun mögen, erstmal ein paar Schritte von meinem Eigentum zurück.“ Sie tippelte ein paar Schritte rückwärts, während ich die dünnen Personalakten durchblätterte. Neben „Jessica Dunham“ waren sie betitelt mit „Herbert Kannweber“, „Philipp Freiherr“ und „Irina Krimakova“. Zu meinem Bedauern enthielten die Akten keine Aktbilder, obwohl ich fest damit gerechnet hatte. Ich erinnerte mich an meine Zeit als Undercover-Ermittler in einem Bordell in Caracas. Dort waren entsprechende Aufnahmen in Bewerbungen und Personalakten noch unumgänglich.... Schade.
Ich blätterte weiter. Wie es bei Personalakten normal ist, enthielten auch diese nichts als belanglosen Bullshit über Herkunft, Ausbildung und Kontaktdaten der Mitarbeiter. Dinge, mit denen visuelle Instinktermittler wie ich niemals etwas anfangen könnten. Ich guckte nur auf die Fotos. Das reichte auch – Denn auf einmal fiel es mir wie von den Augen.
„Miss Dunham... Sie sagten, sie hätten vorgestern in der Firma Fotos gemacht. Mit welcher Kamera?“
„Mit der Firmenkamera. Sie lag da so einladend herum...“
„Also mit DER Kamera, deren SD-Karte jetzt verschwunden ist?“
"Ja. Wieso...“
„Alles klar. Der Fall ist gelöst. Ich hätte dann gern mein Geld.“ sagte ich und hielt eine Hand auf.
„Würden Sie mir die Lösung denn auch verraten?“
„Sie haben vielleicht Ansprüche! Soll ich jetzt am besten noch jemanden festnehmen oder was?“
„Das wäre wirklich sehr liebenswürdig, ja.“
„Boah, Sie sind sowas von lästig...“
Genervt, heute schon wieder arbeiten zu müssen, stand ich auf und ging an meiner verdutzt auf der Stelle stehenden Klientin vorbei. Als ich mich nach etwa 20 Metern umdrehte, stand sie noch immer vor meinen Kartons. „Jetzt kommen Sie schon, oder wollen Sie Wurzeln schlagen?“ rief ich ihr zu. Irritiert setzte Jessica sich in Bewegung. Ich bereute meine Entscheidung jetzt schon.
12
Eine Stunde später befanden wir uns in einem überraschend sauberen, gesittet wirkenden Viertel der Stadt. Kleine Zweifamilienhäuser bestimmten das Straßenbild und die Rasenflächen der kleinen Vorgärten waren allesamt sorgfältig gestutzt. Ein Ort, an dem niemand morgens in seinem Erbrochenem aufwachte. Das richtige Haus war schnell gefunden, sofern die Adresse in der Personalakte stimmte.
Die Häuser hier hatten zwei Eingänge, die jeweils zu einer der beiden Haushälften führten. Zielsicher lief ich auf den rechten Eingang zu, vollzog mein fest manifestiertes Begrüßungsritual, stellte mich breitbeinig in den Türrahmen und schrie „PHILIPP FREIHERR!“
„DER WOHNT NEBENAN, DU VOLLIDIOT!“, schreie mich eine Rentnerin an, die in der Küche stand und den Tisch abwischte. Ach, verdammt. Schon wieder. Meine Trefferquote war momentan wirklich die des greisen Mario Gomez vor dem letzten Anpfiff seines traurigen Lebens. Immer noch breitbeinig ging ich wie in Zeitlupe einen Schritt nach dem anderen zurück, bis ich wieder draußen im Vorgarten stand. Ich hing die Tür wieder in die Reste ihrer Scharniere zurück, drehte mich um, ging zur linken Wohnungstür und wiederholte mein fest manifestiertes Begrüßungsritual – Ich trat mit Schwung die andere Wohnungstür ein, stellte mich breitbeinig in den Türrahmen und schrie „PHILIPP FREIHERR!“
„Was wollen Sie?“ Ein verängstigt dreinblickender Mann in den 40ern streckte seinen Kopf aus einem Raum zu meiner linken hervor. Er war relativ groß, ca 1,85m. Seine dunklen Haare waren mit Massen von Haargel an den Hinterkopf geklatscht und auf der Nase saß eine modische Brille. Er trug legere, aber geschmackvolle Freizeitkleidung, doch in einem halb offenstehenden Kleiderschrank nahe der Treppe, die zum Obergeschoss führte, waren zahlreiche, teure zu sehen. Einen endlosen Moment trafen sich unsere Blicke, bis Philipp Freiherr den Blick den Bruchteil einer Sekunde abwandte. Ich hatte keinen Zweifel mehr, wer dieser Mann vor mir wirklich war.
„Philipp Freiherr“, sagte ich und stieg über die Reste seiner Haustür hinweg in den Hausflur. „..oder sollte ich lieber sagen „Freiherr von und zu Guttenberg?““ Er zog einen Stuhl heran und ließ sich darauf fallen.
„Wie haben Sie mich gefunden?“
„Wo soll ich anfangen? Sie haben sich ja keinerlei Mühe gegeben.“
„Was hat das alles zu bedeuten?“, fragte Jessica, die mir mittlerweile ins Haus gefolgt war.
„Ihr geschätzter Kollege hat die SD-Karte verschwinden lassen. Und ich nehme an, die Sache mit dem Drucker ist er auch gewesen, richtig?“
„Ja.“ antwortete Guttenberg kleinlaut. „Was hätte ich denn machen sollen?“
„Am besten, Sie fangen jetzt mal ganz von vorn an.“, sagte ich. „So kann ich meinen Triumph am ausführlichsten auskosten.“
13
„Alles begann mit der Plagiatsaffäre“, murmelte Guttenberg. Wir saßen inzwischen alle um seinen Küchentisch herum und bedienten uns aus seinem Kühlschrank. Gefragt hatten wir ihn freilich nicht, aber so als Freiherr sollte es für ihn keine Probleme darstellen, sich neue Lebensmittel zu kaufen. Falls er in den kommenden Zeit überhaupt noch welche kaufen musste.
„Nach dieser unglücklichen Sache mit der Doktorarbeit musste ich untertauchen. Ich sagte den Leuten, ich würde nach Nordamerika emigrieren und dort Beratertätigkeiten für amerikanische und kanadische Firmen aufnehmen. Aber niemand wollte mich dort engagieren. Also musste ich mir einen anderen Job suchen. Unter Verwendung meines Pseudonyms „Philipp Freiherr“ - Philipp ist tatsächlich mein..." er zählte kurz durch "...siebter Vorname – bekam ich diesen schlecht bezahlten Job bei der Werbeagentur...“
„Aber wenn du doch mal Minister warst, Philipp.... Warum haben dich die Kollegen nicht erkannt? Ich komme nicht aus Deutschland, ich kenne die Politik hier nicht - Ich kenne nicht mal die Politik in Australien – Aber man hätte dich doch erkennen müssen, wenn du hier so ein bekannter Mann warst?“, fragte Jessica, der das Erstaunen ins Gesicht geschrieben war.
„Das kann ich erklären“, sagte ich. „Als wir gestern Nacht die Agentur durchsucht haben, habe ich eine Tube Haargel in Ihrem Schreibtisch gefunden. Sie war voll. Aufgeschraubt, aber unbenutzt. Sie haben in der Agentur niemals Haargel getragen - und ohne diese feuchte Pampe auf Ihrem Kopf war es unmöglich, Sie zu erkennen. Sie haben die Tube nur im Schreibtisch gehabt, um zwischendurch daran zu riechen.“
„Ja, verdammt. Ich bin süchtig nach dem Zeug.“ Guttenberg vergrub das Gesicht in den Händen und wandte sich ab.
„So geht es mir mit Fischsuppe. Deshalb hab ich seit Wochen immer eine Schüssel davon in meinem Ablagefach liegen...“ warf Jessica ein. Wir ignorierten es.
„Wissen Sie eigentlich, wie frustrierend es ist, in einem Billiglohnjob zu versauern, wenn man mal die Weltpolitik erlebt hat?“, rief Guttenberg und stampfte mit den Füßen auf den Boden.
„Und deswegen planten Sie ein Comeback. Das habe ich heute in der Zeitung gelesen. Aber dafür waren diese Fotos, die Sie in einem tristen Job unter falscher Identität und mit betrunkenen, nackten Arbeitskollegen zeigen, mehr als hinderlich. Deshalb ließen Sie sie verschwinden, indem Sie die SD-Karte haben mitgehen lassen.“
„Ich konnte doch nicht direkt den nächsten Skandal riskieren!“, jammerte Guttenberg. „Was hätte die Presse wohl gesagt, wenn diese Dinge an die Öffentlichkeit gekommen wären?“
„Tja. Das werden wir wohl bald erfahren.“, sagte ich. „Aber eine Sache müssen Sie mir noch erklären – Was sollte die Sache mit dem Pferdekopf im Drucker?“
„Das würde mich auch interessieren.“ sagte eine tiefe Stimme hinter unserem Rücken. Wir wandten uns um. Iljia, begleitet von zwei Typen der Größenordnung Tiefkühlzelle, stand in der Tür, die Waffe im Anschlag.
14
„Wie kommst denn du jetzt hier her?“ fragte ich Iljia, der sich, seiner augezeichneten Position in diesem Possenspiel bewusst, lässig an den Türrahmen lehnte, ohne dabei die Waffe von Guttenbergs Gesicht abzusenken.
„Mit der Straßenbahn. Wie denn sonst? Mein Auto habe ich verkauft, als ich gehört habe, dass sich da nachts Marder einnisten können. Marder ängstigen mich zu Tode. Die haben so böse Augen.“
„Nein, Iljia, ich meine... Wie hast du uns hier gefunden?“
„Keshiringis, Stan. Ich habe dich seit deinem kleinen Besuch bei mir beobachten lassen. Ich habe gehofft, du führst mich zu diesem Penner, der unsere Erkennungszeichen kopiert. Wie wir alle sehen, hat das ja hervorragend funktioniert.“
Er ging ein paar Schritte in den Raum, direkt auf Guttenberg zu. Die Tiefkühlzellen folgten Iljia und flankierten ihn zu beiden Seiten. Zu dritt nebeneinander passten die Kasachen kaum in die Küche. „Und nun zu dir.“, sagte Iljia zu Guttenberg, die Stimme erfüllt mit einer Kälte, die den kasachischen Winter perfekt hätte präsentieren können. „Ich werde dich lehren, die Symbolik einer ehrbaren Organisation dreist nachzuahmen.“
„Das müssen Sie ihm nicht lehren! Das kann er schon ganz gut!“, rief Jessica. Die anderen fünf im Raum befindlichen Personen schlugen sich zeitgleich eine Hand gegen die Stirn. Iljia rang einen Moment um Fassung, bevor er wieder ansetzte.
„Also – Bevor du gleich sterben wirst, beantwortest du mir noch eine Frage. Ach nein, halt – Es sind zwei; Erstens: Wo hast du die Putzmittel? Nach dem Mord die ganze Wohnung nach einem Putzeimer zu durchsuchen, halte ich für einen unhöflich schweren Eingriff in die Privatsphäre. Und zweitens: Was hast du dir dabei gedacht, dir dein eigenes Grab zu schaufeln und mit Scheiße zu spielen, die du nicht kontrollieren solltest? Antworte schnell, ich habe noch einen Termin bei der Fußpflege.“
„Ich brauchte einfach ein Ablenkungsmanöver, um die Bilder verschwinden lassen zu können.“, keuchte Guttenberg verängstigt. Er klammerte sich hektisch an den Stuhllehnen fest. Sein Gesicht war bleich wie Draculas Großmutter. Amerikanische Polizisten hätten so niemals auf ihn geschossen. Zu schade, dass nur wenige kasachische Mafiabosse bei der amerikanischen Polizei arbeiten.
„...und da dachtest du, du formst einfach Kot zu einem Pferdekopf und verstopfst damit den Drucker?“ zischte Iljia und fuchtelte mit der Pistole immer näher vor Guttenbergs Gesicht herum. Angsterfüllt wich dieser ein wenig weiter zurück.
„Das war einfach das Naheliegendste! Was hätten Sie denn gemacht?“ winselte Guttenberg. Iljia hielt inne. Er schien wirklich einen Moment darüber nachzudenken.
„Vermutlich genau das.“ sagte Iljia, zuckte mit den Schultern und wirkte erstmals etwas unkonzentrierter. Für einen Moment schaute er in die Luft und ließ die Waffe locker zur Seite hängen. Ich hätte mich in diesem Moment mit einem heldenhaften Sprung über den Küchentisch auf den Mafiosi stürzen und die Situation beenden können. Immerhin waren die beiden Tiefkühlzellen zwar massig, aber offenbar entweder unbewaffnet oder zu dämlich, daran zu denken, ebenfalls eine Waffe zu ziehen. Ihrem Blick nach war es letzteres. Aber wer war ich denn? So, wie sie jetzt war, fand ich die Szene deutlich spannender und vor allem entspannter für meine eigene Person. Also lehnte ich mich zurück und naschte das Popcorn, welches ich im Schrank hinter mir gefunden hatte, während Iljia seine kurze Unkonzentration wieder verlor.
„Ja, ich hätte genau wie du gehandelt. Aber ich darf das. Es ist ja auch mein Job, verdammt. Nicht deiner. Sonst würden wir hier nicht stehen! Hättest du noch einen Stuhl mehr, würde ich eh nicht stehen. Das ist nämlich echt lästig für meinen Ischias. Kannst du dir die Qualen vorstellen? Kannst du das? Kannst du nicht! Niemand versteht mich! Ich hasse mein Leben! Ich...“
„Iljia?“ Ich unterbrach seinen Anfall von Selbstmitleid, bevor er sich vor seinem potentiellen Mordopfer noch unglaubwürdig machte. „Könntest du den Teil überspringen und zurück zum Schurkenmonolog kommen?“
„Äh..“ Iljia wirkte auf dem Fuß erwischt. „Ich war dann eigentlich durch so weit. Also von mir aus könnten wir dann zum Rachemord kommen. Will vorher noch wer aufs Klo oder hat noch eine Frage? Bitte, wir sind für alles offen.“ Guttenberg hob die Hand. „Du nicht!“, sagte Iljia genervt. „Ist das deine erste Ermordung oder was?“ Guttenberg nickte schüchtern. „Na sowas. Naja, dann wollen wir dich mal von dem Stress erlösen.“ Er hob die Waffe wieder.
„Halt!“, rief ich. „Ich habe noch eine Frage. Wo hatte er denn die ganze Scheiße her?“
„Oh. Das ist eine gute Frage.“ sagte Iljia. Er wandte sich an Guttenberg. „Beantworte sie.“
„Ich bin CSU-Politiker.“, antwortete Guttenberg hektisch. „CSU-Stammtische sind wie ein Affenkäfig im Zoo. Jeder brüllt rum und wirft mit Fäkalien durch die Gegend. Immer. Wer am schmutzigsten um sich wirft, steigt am höchsten auf. Wie sonst erklären sich Gestalten wie Söder und auf den Führungsebenen? Von Seehofer ganz zu schweigen. Jeder CSU-Politiker sammelt über die Jahre hinweg seinen Kot, um ihn zum richtigen Zeitpunkt zu werfen. Ich musste die letzten Jahre nichts mehr werfen, aber habe doch fleißig gesammelt. Ich dachte, irgendwann würde es von Nützen sein. Also habe ich einen Teil davon eingesetzt, als es um das Ablenkungsmanöver ging.“
„...und ihr Ego ließ Sie dafür dann ausgerechnet den Kopierer benutzen, um auf sich hinzuweisen. Schließlich assoziiert Sie jeder mit dem Kopieren von Dingen.“
„Ja. Da kam es über mich. Ich kann nun einmal nichts anderes als Dinge zu fälschen und mein Ego zu befriedigen...“ Er brach in Tränen aus. Iljia nickte einem der Tiefkühlzellen zu, der daraufhin einen rosanen Taschentuchspender aus der Innentasche seines gewaltigen Jacketts zog und vor Guttenberg auf den Tisch knallte. Guttenberg griff sich ein Taschentuch und schnäuzte sich geräuschvoll.
„So,“ sagte Iljia. „Jetzt ist aber wirklich mal Zeit zu Sterben. Wir wollen doch heute alle noch einen schönen Abend genießen! Also, fast alle.“ Er hob die Waffe wieder.
„Tun Sie doch was!“ rief Jessica mir panisch zu. „Sie können hier doch nicht einfach zusehen, wie Philipp - oder wie immer er auch heißt - einfach ermordet wird.“
„Was soll ich denn machen?“ antwortete ich genervt. „Sie haben mich bezahlt, um diesen Fall zu lösen. Das habe ich getan. Der Rest ist jetzt ein Kollateralschaden und nicht mein Problem.“
„Aber...“
„Kein „aber“! Wenn ich jeden dämlichen Politiker, der sich durch irgendeinen Schwachsinn von der Mafia beseitigen lässt, retten wollen würde, würde ich jetzt in Kalabrien am Strand sitzen und Ramazzotti saufen. Und Ramazzotti hören. Oder bereits gevierteilt unterm Brandungssand liegen – Was mir besser gefallen würde, denn ich HASSE Ramazzotti!“
„Wie einst im Marrakesch. Du hast dich kein bisschen verändert, Stan Fuentes.“ sagte Iljia und beide mussten wir lachen. Jessica lachte nicht mit. Wütend griff sie sich, was immer sie in die Finger bekommen konnte und warf damit auf Iljia. Dieser wich nur knapp einem Toaster aus, duckte sich elegant vor einer Blumenvase in Sicherheit und wurde dann von einer Tetrapackung H-Milch im Gesicht getroffen.
„Das geht aber jetzt echt zu weit!“ rief Iljia. „Ich bin Laktoseintolerant! Lady, Sie können gern mit einer Waffe auf mich schießen oder mich mit einer Machete attakieren. Damit kann ich umgehen und das bin ich gewöhnt. Aber eine Milchpackung ist echt nicht fair!“ Er hob die Hände in die Luft. Jessica reagierte darauf nicht und warf einfach weiter. Als ich versuchte, sie aufzuhalten, erwischte sie meinen offenbar wohl nur sehr halbherzig angetackerten Finger, der einen der Tiefkühlzellen im linken Auge traf. Als sie Iljia schließlich eine Tüte Erdnussflips gegen die Nase warf, warf dieser sich zu Boden legte die Hände über den Kopf.
„Verdammt! Ich bin allergisch gegen Erdnüsse! Macht, dass sie aufhört!“
Als die Tiefkühlzellen, ihrer offenkundigen Begriffstuzigkeit zum Trotz im Begriff waren, sich auf Jessica zu stürzen, war es mir dann doch zu dumm. Ich sprang auf, hob die Arme und rief so laut ich konnte „Auszeit“. Alle hielten kurz inne. „Ich denke, wir könnten uns jetzt alle beruhigen und uns einer Lösung zuwenden, mit der wir alle leben können.“
15
„Warum kann ich nicht einfach mal ungestört erschießen, wen ich erschießen möchte?“ rief Iljia verärgert und durchsuchte jede Tasche und jede seiner Körperöffnung nach Spuren von Erdnüssen. Ich ersparte es mir, ihn darauf aufmerksam zu machen, dass die Tüte mit den Erdnussflips geschlossen und unbeschädigt am Boden neben ihm lag.
„Was ist denn so schwer zu verstehen an der Rollenverteilung? Häh?“
„Komm mal runter, Iljia.“ beschwichtigte ich ihn. „Jetzt sei mal ehrlich – Deine Geschäfte laufen doch momentan echt beschissen, weil sie nicht beschissen genug laufen, oder? Da würde ich mich an deiner Stelle um besseres kümmern als um Rachemorde an irgendwelchen Schnieptröten wie ihm hier.“
„Stan, was soll ich denn sonst machen? Der Kodex verlangt nach Rache. Guck dir die Gewerkschaftsbestimmungen doch mal an! Da sind Rachemorde als Standardprozedur festgelegt!“ Er hob meinen Finger vom Boden auf, tunkte ihn auf Guttenbergs Kopf ein und klebte ihn mir an die Hand.
"Gewerksschaftsbestimmungen? Das ist doch nicht dein Ernst?! Du muss mal unkonventioneller denken! Mein Gott, Iljia! Du leitest die kasachische Kackbeutelmafia und nicht irgendeine Feierabendtruppe wie den Hamburger SV oder die Polizei von Sachsen! Da musst du anders an die Sache herangehen!“
„Ja, du hast leicht reden, Stan! Baust du Mist, bist du nur selber dran, aber ich? Ich habe eine ganze Familie zu ernähren! Eine, mit der ich zum Großteil nicht einmal verwandt bin, verstehst du? Du hast nicht diesen Druck!“ Er brach in Tränen aus. Ich legte einen Arm um ihn, damit er sich an meiner Schulter ausweinen konnte. Guttenberg reichte ihm den rosanen Taschentuchspender. Es dauerte einige Minuten, bis Iljia sich wieder beruhigt hatte.
„Ich denke, es gibt eine Lösung, mit der alle Beteiligten leben können.“, sagte ich schließlich. „Iljia, du brauchst doch neue Geschäftsquellen – Orte, wo es vor Kacke nur so dampft. Die CSU ist perfekt dafür. Allein der geistige Dünnpfiff des kommenden Wahlkampfes könnte dir Millionen Tonnen bringen. Alles was du brauchst, ist ein Türöffner. Jemand, der dir Zugang zu den Fäkalvorräten der Partei verschaffen kann. Und der sitzt vor dir. Wenn du...“ ich zeigte auf Guttenberg „..ihn zu deinem Mann in der CSU machst und ihm bei seinem politischen Comeback unter die Arme greifst, dann könnt ihr demnächst wieder ganz natürlich, statt schmälich sythetisch drohen. Sie wiederum...“ Ich drehte mich zu Guttenberg um „Bleiben am Leben und zweigen regelmäßig Material an seine Organisation ab. Ist das ein Deal?“
„Was bleibt mir denn anderes übrig?“, stammelte Guttenberg perplex. Ich wandte mich wieder zu Iljia um. In seinem Oberstübchen wurde sichtlich gerechnet. „Gut. Ich würde sagen, es klingt nach einem Plan. Scheiß auf die Morderei.“ Er steckte die Waffe ein. Guttenberg atmete erleichtert auf und sank in seinem Stuhl ein Stück nach unten.
„Da bleibt nur noch eine Sache.“ sagte Guttenberg, den Blick erleichtert zur Decke gewandt. „Was ist mit den korrumpierenden Fotos.“
„Die kann man doch löschen.“, sagte Jessica. „Wenn du den neuen Drucker bezahlst, können wir darüber reden.“
„Gut. Das machen wir so.“, antwortete Guttenberg. „Dann hätte sich ja alles zum guten gewendet.“
Es wurden Hände geschüttelt, Nummern ausgetauscht und Vereinbarungen unterschrieben. Als die Gruppe sich im Auflösen befand, war es an mir, mich ein letztes Mal zu Wort zu melden; „Augenblick mal! Eine Sache ist noch nicht geklärt.“ rief ich und alle blickten mich an.
„Was bekomme ich, damit ich „vergesse“, was ich hier heute gesehen und gehört habe?“
Epilog
Ein paar Wochen später saß ich wieder vor meinem Wohnungskarton. Ich war immer noch stolz darauf, den Fall in dieser mir eigenen Souveränität gelöst zu haben. Wieder einmal hatte ich bewiesen, dass niemand in dieser Stadt mir irgendetwas vormachen konnte. Ich hatte gut an diesem Fall verdient. Iljia und Guttenberg zahlten mir ein neues Ferienhaus. Der Karton steht nun ganz rechts neben den anderen. Dort, wo morgens das erste Licht die Brücke zum Erstrahlen bringt. Zweifellos bin ich der beste Verhandler unter der Sonne.
Auch bei Jessica Dunham war ich gelandet. Mein heldenhaftes Verhindern, sowie Aufklären einer Straftat unter Verwendung möglichst weniger anderer Straftaten und in die Wege leiten weiterer Straftaten, hatte mir einen fünfminütigen Verlegenheitsquickie eingebracht, an den SIE bestimmt noch ewig zurückdenken wird. Gott, was war ich großartig.
Ob das Comeback von Karl-Theodor zu Guttenberg erfolgreich sein wird, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt allerdings auch nicht sagen. Das wird die Zukunft zeigen. Mir ist es ehrlich gesagt auch völlig egal. Aber sollte es tatsächlich irgendwann passieren, dass dieser Mann wieder in ein politisches Amt gewählt oder bestimmt wird, dann weiß ich ganz genau, dass ich meinen Teil dazu beigetragen habe. Und, dass Scheiße sich am Ende auszahlt. Mal ehrlich, wer hätte das gedacht? Ich nicht. Aber man kann ja nun wirklich nicht alles wissen.