Sexualisierte Gewalt

Sexualisierte Gewalt und sexualisierter Machtmissbrauch beschreiben Handlungen mit sexuellem Bezug ohne Einwilligung beziehungsweise Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen. Sie sind insbesondere Delikten wie zum Beispiel sexuelle Nötigung, Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Kindern übergeordnet. Sexualisierte Gewalt wird dabei der physischen Gewalt (zum Beispiel Körperverletzung und Misshandlung von Schutzbefohlenen) und der psychischen Gewalt nebengeordnet.[1]

Der Ausdruck „Gewalt“ ist mit der Wertung verbunden, dass die Täter nicht Opfer im Sinn von Fehltritten und die Opfer nicht Mittäter im Sinn von Provokateuren sind[2] und dass die jeweiligen Täter vorsätzlich handeln. Die Grenzen zwischen Gewalt und Machtmissbrauch sind hierbei fließend. Zu den Folgen dieser Art von Gewalt zählen seelische Traumata und verschiedene psychosomatische Symptome bei den Opfern. Die fachwissenschaftlichen Definitionen sind oft nicht deckungsgleich mit den Straftatbeständen; viele feministisch orientierte Gruppen und Organisationen beanspruchen z. B. eine Definitionsmacht für Betroffene.[3]

Definition

Dem Begriff liegt keine einheitliche Definition zu Grunde. Einem weiten Verständnis nach ist sexualisierte Gewalt dann gegeben, „wenn ein Mensch an einem anderen Menschen gegen dessen Willen mit sexuellen Handlungen eigene Bedürfnisse befriedigt“.[4] Im deutschsprachigen Raum hat sich die Formulierung sexualisierte Gewalt als Oberbegriff für Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung etabliert.[5] In Abgrenzung zur enger gefassten Bezeichnung sexuelle Gewalt, drückt sexualisierte Gewalt jegliche unerwünschte sexuelle Handlung und Grenzüberschreitungen, bei denen eine Person in ihrer sexuellen Selbstbestimmung und Unversehrtheit beeinträchtigt wird, aus. Diese Form von Gewalt kann sich in verbalen, nonverbalen oder physischen Formen manifestieren und zielt darauf ab, die persönliche Integrität und Autonomie im sexuellen Bereich zu verletzen oder zu missachten. Der Terminus unterstreicht die missbräuchliche Ausnutzung von Macht, die verschiedene Ausdrucksformen im Zusammenhang mit Sexualität annehmen kann. Dabei steht nicht die sexuelle Begierde im Vordergrund, sondern die Befriedigung, die mit der Grenzüberschreitung, sowie der oftmals auferlegten Geheimhaltung der straftätigen Person einhergeht.[6][7]

Bei sexualisierter Gewalt gegenüber Frauen sind 99 Prozent der Täter männlich.[8] Auch bei sexualisierter Gewalt gegenüber Männern[9] werden Männer häufiger als Täter benannt.[1] Es ist allgemein anerkannt, dass es weibliche und männliche Opfer im Kindes-, Jugendlichen- und Erwachsenenleben gibt,[1] sowie männliche und weibliche Täter.

Über die Jahrzehnte verschob sich die gesellschaftliche Bewertung vieler Arten sexuellen Fehlverhaltens. Was früher oft mit einer Täter-Opfer-Umkehr abgewehrt oder als unverschämtes Verhalten des Täters bewertet wurde, wird heute als kriminell angesehen und zur Anzeige gebracht. Dadurch steigt die Anzeigebereitschaft. Außerdem wird ein langsamer Rückgang der Fälle verzeichnet.[10]

Kritik an der Bezeichnung

Kritik gab es an einer ursprünglich vorgesehenen Übernahme der Bezeichnung in das Strafgesetzbuch Deutschlands. Nach übereinstimmend ablehnenden Stellungnahmen der Sachverständigen[11] stoppte der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages eine ursprünglich im Gesetzesentwurf vorgesehene Gesetzesänderung, durch die die Bezeichnung sexueller Missbrauch durch sexualisierte Gewalt ersetzt worden wäre. Nach Ansicht der Sachverständigen, denen sich der Rechtsausschuss anschloss, könnte durch die Bezeichnung sexualisierte Gewalt das Missverständnis entstehen, „dass die Strafbarkeit sexueller Handlungen mit Kindern immer mit einer Gewaltanwendung des Täters einhergehen müsse“. Zudem entspreche die Bezeichnung sexueller Missbrauch der international verwendeten Terminologie. Bei anderen Sexualdelikten gelte Entsprechendes.[12]

Der Jurist und frühere Bundesrichter Thomas Fischer lehnt die Bezeichnungen „sexuelle Gewalt“ und „sexualisierte Gewalt“ im Zusammenhang mit Sexualdelikten gegen Kinder ab, da zu diesen auch Kommunikationsdelikte gezählt werden, die keine Gewalt im allgemein üblichen Sinn enthalten. Er beanstandet begriffliche Unschärfe und fehlende Differenzierung von Missbrauch, Zwang, Gewalt, Drohung, Nötigung oder Übergriff. Darüber hinaus kritisiert er einen dem Framing dienenden Gebrauch als „Aufmerksamkeits- und Empörungsauslöser“.[13]

Formen

Sexuelle Belästigung ist eine der häufigsten Erscheinungsformen von Gewalt gegen Frauen. Zu den Formen sexualisierter Gewalterfahrung in Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter zählen beispielsweise:[1]

  • Sexuelles Belästigen und Bedrängen, dazu zählt ungewolltes Berühren, bestimmte Arten von Küssen oder Auf-den-Schoß-Nehmen
  • Drängen oder Erzwingen von Geschlechtsverkehr oder sexuellen Handlungen
  • Drängen oder Zwingen zum Anschauen von oder Mitwirken in pornografischen Handlungen in Fotografie, Film oder Internetchat
  • Drohungen für den Fall, dass sich das Opfer nicht auf sexuelle Handlungen einlässt
  • Verheiratung minderjähriger Frauen[14]

Schockstarre als Reaktion auf sexuelle Übergriffe

Schockstarre (tonische Immobilität) ist eine Reaktion des vegetativen Nervensystems, die in einer Überwältigungssituation einsetzen kann, wenn Flucht oder Kampf als aussichtslose Optionen erlebt werden.[15] Während der Erstarrung sind die Muskeln kurzzeitig gelähmt und die Wahrnehmung verändert (dissoziativer Stupor). Definiert ist die tonische Immobilität als Zustand völliger Bewegungsunfähigkeit, in dem eine Person nicht mehr ansprechbar ist und sich weder bewegen noch sprechen kann. Bei Tieren ist eine ähnliche Verhaltensweise als Schreckstarre oder Totstellreflex bekannt.[16]

In der modernen Wissenschaft wird immer besser verstanden, wann, wie und warum die Schockstarre eintritt. In einer Studie[17] des schwedischen Karolinska-Instituts gaben 70 % von 298 vergewaltigten Frauen an, während des Übergriffs eine tonische Immobilität erlebt zu haben.[18] Allerdings ist das öffentliche Bewusstsein für die Häufigkeit tonischer Bewegungslosigkeit im Kontext sexualisierter Gewalt begrenzt, was negative Folgen für die Prävention, Bestrafung und Verarbeitung sexueller Gewalt hat. So bleibt vielfach unberücksichtigt, dass sexualisierte Übergriffe auch ohne Gewaltausübung eine Schockstarre auslösen können.[19]

Tonische Immobilität während einer traumatischen Erfahrung ist ein wesentlicher Risikofaktor für eine spätere posttraumatische Belastungsstörung (PTBS).[20]

Sexualisierte Gewalt bei Kriegen und Genoziden

Mehr dazu unter Sexuelle Gewalt als Kriegsmittel.

Für die Historikerin Miriam Gebhardt war die wissenschaftliche Aufarbeitung von kriegsbedingten Vergewaltigungen im Nachkriegsdeutschland „kaum mehr […] als ein organisierter Verdrängungsprozess“.[21] Laut der Regensburger Militärsoziologin Ruth Seifert[22] wurde diese Variante sexualisierter Gewalt in Wissenschaft und internationaler Justiz bis in die 1990er Jahre als „unvermeidlicher Bestandteil von Kriegen“ gesehen und für „nicht weiter problematisierbar“ gehalten. Seit „Wissenschaftlerinnen das Thema auch aus einer feministischen Perspektive betrachten“, wurde ein „ebenfalls stark verdrängter Aspekt“ offenkundig, dass nämlich nicht nur Frauen und Mädchen, sondern „in hohem Maße“ auch Männer und Jungen in Kriegen zu der Gruppe der Vergewaltigungsopfer zählen. Vergewaltigungen werden als „Kriegswaffe“ eingesetzt, nicht nur, um Frauen und Männer zu erniedrigen, sondern auch um „ganze Gemeinschaften zu zerstören“. Doch die Tabuisierung „war allumfassend“, weil, so Ruth Seifert, „die Erklärungsmuster, die angeboten wurden, die Sache sehr stark naturalisierten und marginalisierten“. Sexualisierte Kriegsgewalt schädige auf Dauer. Diese Schäden werden im Wege der transgenerationalen Weitergabe auf nachfolgende Mitglieder einer Gemeinschaft übertragen.[21]

Sexualisierte Gewalt wird auch genutzt, um ethnisch motivierte Vertreibungen oder Tötungen durchzuführen. Darüber hinaus dient sie als Methode zur politischen Unterdrückung. In der Regel zielt sie darauf ab, den Widerstand des Gegners zu schwächen, ihn emotional zu überwältigen und gegnerische Gruppen zu spalten.[23]

Es kam beispielsweise zu Massenvergewaltigungen beim Genozid in Bangladesch, die Gesamtzahl der Vergewaltigungsdelikte wird nach Angaben von Gendercide Watch auf 200.000 bis 400.000 geschätzt.[24][25] Viele Mädchen und Frauen wurden öffentlich, vor den Augen ihrer Familie vergewaltigt. Viele begingen daraufhin Selbstmord oder wurden nach den Vergewaltigungen von ihren Familien zum Schutz der Familienehre verstoßen.[26] Nach Erringung der Unabhängigkeit richtete die neue Regierung von Bangladesh zusammen mit der International Planned Parenthood Federation in Dhaka und anderen Orten des Landes Rehabilitationszentren ein, in denen die Frauen medizinisch versorgt und Abtreibungen durchgeführt wurden.[27]

Rechtslage in Deutschland

Eine einheitlich rechtliche Definition des Begriffs „sexualisierte Gewalt“ ist im Gesetz nicht verankert.[28]

Der Begriff „sexuelle Belästigung“ wird anders als der Begriff der sexualisierten Gewalt im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in § 3 Abs. 4, sowie auch im Strafgesetzbuch unter § 184i definiert. Die Gesetzesbegründung[29] des § 184i fordert für eine Strafbarkeit, dass der Täter mit seinem eigenen Körper den Körper des Opfers sexuell berührt und dieses dadurch belästigt.

Rechtsgut ist in Deutschland die Sexuelle Selbstbestimmung. Diese wurde im deutschen Strafgesetzbuch im dreizehnten Abschnitt unter Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung niedergeschrieben. Hierbei sind insbesondere zu nennen der § 174 StGB (Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen), die § 176 ff. StGB (Sexueller Missbrauch von Kindern) und der § 177 StGB (Sexueller Übergriff, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung). Die Anpassung und Neubildung des § 177 StGB an die Bestimmungen der Menschenrechte hatte zufolge, dass die Willensbildung der betroffenen Personen in den Mittelpunkt gestellt wurde. Sexuelle Handlungen, die durch eine verbale Kommunikation oder ein Kopfschütteln abgelehnt werden, sind nach § 177 Abs. 1 strafbar. Im Falle sexueller Handlungen, bei denen eine Einschränkung der Willensbildungsfähigkeit der betroffenen Personen vorliegt, ist eine Strafverfolgung gemäß des § 177 Abs. 2 Satz 1 bis 3 vorgesehen. Eine Einschränkung der Willensbildungsfähigkeit liegt im Fall von verabreichten K.-o.-Tropfen, Alkoholkonsum oder einer geistigen Beeinträchtigung der Betroffenen Person vor.[30]

Das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend hat 2004 eine repräsentative Untersuchung veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass knapp die Hälfte (49 %) der Frauen, die angaben schon einmal sexuell belästigt worden zu sein, schon Situationen erlebt hatten, in denen sie sich ernsthaft bedroht fühlten oder Angst um ihre persönliche Sicherheit hatten. Außerdem gaben 9 % der Frauen, die sexuelle Belästigung erlebt hatten, an, dass eine oder mehrere Situationen zu ungewolltem Geschlechtsverkehr oder zu körperlicher Gewalt geführt haben.[31]

Der deutsche Gesetzgeber hat bisher davon abgesehen, den Begriff „Sexualisierte Gewalt“ zu definieren oder als Rechtsbegriff in das Strafgesetzbuch einzuführen.[32]

Folgen und Schäden durch sexualisierter Gewalt

Sexualisierte Gewalt kann vielfältige kurz- und langfristige Folgen und Verletzungen nach sich ziehen. Viele Betroffene bleiben ihr Leben lang von der Missbrauchserfahrung betroffen und belastet. Die meisten Autoren gehen davon aus, dass die Folgen schwerwiegender sind

  • je größer der Altersunterschied zwischen Täter und Opfer, und besonders, wenn es sich um eine Differenz von einer Generation handelt;
  • je größer die verwandtschaftliche Nähe, und besonders bei Autoritäts- und Vaterfiguren;
  • je länger der Missbrauch andauert;
  • je jünger das Kind bei Beginn des Missbrauchs;
  • je mehr Gewalt angedroht oder angewendet wird;
  • je vollständiger die Geheimhaltung;
  • je weniger sonstige schützende Vertrauensbeziehungen, etwa zur Mutter oder einer anderen Person bestehen.[33]

Das Ausmaß der Schädigungen variiert in Abhängigkeit davon, wie sich im Einzelfall die Faktoren wechselseitig verstärken oder abschwächen. Die häufigsten Folgen bei Kindern und Jugendlichen die Sexualisierte Gewalt erleben mussten sind

  • Störungen der Sexualität und Partnerschaftsprobleme
  • Störungen in der Wahrnehmung eigener Gefühle (Verwechselung von Affektivität und Sexualität)
  • Gefühle der Wertlosigkeit, Scham, Schuld, Wut
  • Ablehnung des eigenen Körpers, selbstdestruktives Verhalten, Selbstmord(versuche)
  • Sexualisierung von Beziehungen
  • Störung der Sexualfunktionen
  • emotionaler Rückzug und soziale Isolation, Misstrauen
  • Depression
  • Gefühle, außerhalb des eigenen Körpers zu sein (Dissoziation)
  • Alkohol - und Drogenmissbrauch
  • Angstzustände, Alpträume, angstmachende Tagträume
  • Schlaf- und Essstörungen
  • psychosomatische Beschwerden (vor allem Haut- und Magenerkrankungen)
  • Prostitution.[34]

Die häufigsten Folgen bei Erwachsenen die Sexualisierte Gewalt erleben mussten sind starke Scham- und Schuldgefühle, Bauchbeschwerden, Essstörungen und Migräne, posttraumatische Belastungsstörungen, Gedächtnisfragmente und -lücken, Wahnerlebnisse und Suizidversuche. Ob und in welchem Ausmaß diese Symptome bei den Betroffenen auftreten, hängt zum einen von den „Bedingungen“ des traumatischen Erlebnisses ab – etwa wann, wie, wie oft und von wem die Gewalt ausgeübt wurde.[35]

Prävention

Zentrale Inhalte der Präventionsarbeit an der Grundschule zielt auf Strategien des Widerstands gegen Gewalt auf und Hilfen bei der Aufdeckung von Gewalt. Hierzu gehört insbesondere das Wissen des Kindes mit Bezug auf:[36]

  • das Bestimmungsrecht des Kindes über den eigenen Körper,
  • die Wahrnehmung von Gefühlen/Vertrauen auf die eigene Intuition,
  • die Unterscheidung zwischen „guten“, „schlechten“ und „komischen“ Berührungen,
  • das Recht des Kindes, Nein zu sagen, wenn jemand es auf eine Art berührt, die ihm nicht gefällt,
  • die Existenz „guter“ und „schlechter“ Geheimnisse,
  • Unterstützungsangebote für das Kind,
  • die Sexualerziehung.

Das Thema ist vor allem auch im Bereich des Sports für Kinder und Jugendliche relevant. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) weist auf die Gefahr sexualisierter Übergriffe hin, indem die im Sport entstehende Nähe und Bindung missbraucht wird (siehe auch: Artikel „Sexuelle Belästigung“, Abschnitt „Sexuelle Übergriffe in Schule und Sport“). Der DOSB unterstreicht die Notwendigkeit, „offen und ohne falsche Scheu“ in Sportvereinen und -verbänden über sexualisierte Gewalt zu sprechen und betont: „Der Vorstand einer Sportorganisation muss glaubwürdig vermitteln, dass jede Form sexualisierter Gewalt und Grenzüberschreitung sowie herabwürdigender, sexistischer Äußerungen, Blicke und Handlungen nicht geduldet werden. Ein solches Klima des frühzeitigen, offenen und geregelten Umgangs mit Grenzverletzungen ist im Übrigen auch die beste Prävention vor allen Formen sexualisierter Gewalt.“[37]

Sporttrainer führen aus, dass Körperkontakt mit Kindern und Jugendlichen in bestimmten Situationen adäquat sein kann, zum Beispiel wenn es darum geht, Hilfestellungen beim Turnen zu geben, die Körperhaltung zu korrigieren oder Trost zu geben.[38] Auch der Landessportbund Berlin (LSB) und die Sportjugend Berlin unterscheiden zwischen normalem und grenzüberschreitendem Körperkontakt.[39]

Um zu verhindern, dass Straftäter und Personen mit unlauteren Absichten über eine Tätigkeit im Sport in die Nähe von Kindern gelangen und deren Vertrauen missbrauchen, rufen der LSB und die Sportjugend Berlin die Sportvereine und Sportverbände zur Beteiligung an einer Kinderschutzerklärung auf, welche u. a. die Selbstverpflichtung enthält, nur fachlich geeignete Personen im Jugendbereich einzusetzen und insbesondere ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis zu verlangen.[40]

In Frankreich installierte der Verein Association Les Papillons ab Frühjahr 2020 Hunderte Kummerkästen mit dem Motte „Schreib, was du nicht sagen kannst“ in Schulen und Sportvereinen. Durch Aufklärungskampagnen wurden Kinder eingeladen, dort anonym oder möglichst namentlich über ihre Sorgen zu berichten. Viele der dort eingegangenen Briefe berichten in Schrift oder Bild von körperlichen Misshandlungen, von Mobbing an der Schule oder von sexualisierter Gewalt. In der Folge interveniert die Polizei, in Zusammenarbeit mit geschulten Pädagogen.[41][42]

Auf Veranstaltungen dienen seit den 2020er Jahren vermehrt Awareness-Teams zur Prävention.[43]

Soziologische und pädagogische Sicht

Als gesellschaftliche Ursachen und Situationen, bei denen es zu sexualisierter Gewalt kommen kann, werden eine autoritäre Erziehung[44][45] und die christlich bzw. katholisch geprägte Pädagogik,[46] genannt.

Bedingungen für die Objektifizierung von Frauen und für sexualisierte Gewalt können auch sozioökonomische Gegebenheiten sein, wie ein zunehmendes Konkurrenzdenken und zunehmende Kommodifizierung verschiedener Lebensbereiche durch die Vormachtstellung des Neoliberalismus, welche ein auf Dominanz und Marginalisierung beruhendes Verhalten begünstigen.[47]

Siehe auch

Literatur

  • Monika Gerstendörfer: Der verlorene Kampf um die Wörter. Opferfeindliche Sprache bei sexualisierter Gewalt. Ein Plädoyer für eine angemessenere Sprachführung. Junfermannsche Verlagsbuchhandlung, 2007, ISBN 978-3-87387-641-5.
  • Francisca Loetz: Sexualisierte Gewalt 1500-1850: Plädoyer für eine historische Gewaltforschung. (Campus Historische Studien, Bd. 68) Campus, Frankfurt am Main 2012, ISBN 978-3-593-39720-7.
  • Anke Spies: „Wer war ich eigentlich“ – Erinnerung und Verarbeitung sexueller Gewalt. Campus-Verlag 1999, zugleich Dissertation.
  • Alexandra Retkowski, Angelika Treibel, Elisabeth Tuider (Hrsg.): Handbuch sexualisierte Gewalt und pädagogische Kontexte. Theorie, Forschung, Praxis. 1. Auflage. Beltz, Weinheim 2018, ISBN 978-3-7799-3131-7, S. 1026.
  • Fritjof von Franquö: Was ist sexuelle Gewalt? Ein Differenzierungsversuch vor dem Hintergrund nativer Theoriebildung. In: Peer Briken (Hrsg.): Perspektiven der Sexualforschung (= Beiträge zur Sexualforschung. Band 108). Psychosozial-Verlag, Gießen 2019, ISBN 978-3-8379-2918-8, S. 403–430.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d Gewalt gegen Männer in Deutschland. Pilotstudie, Juli 2004 (PDF; 7,4 MB) S. 20, 62, 113 und 153.
  2. Über „Definitionsmacht“. Blog des Antisexismusbündnisses, 14. März 2008 (online)
  3. Christa Oppenheimer: Was hat die Arbeit gegen sexuelle Gewalt mit Feminismus zu tun? (Memento vom 14. Juli 2014 im Internet Archive) (PDF; 167 kB), S. 9.
  4. Heike Rabe: Sexualisierte Gewalt im reformierten Strafrecht. Ein Wertewandel – zumindest im Gesetz. 20. Januar 2017, abgerufen am 11. Juli 2023.
  5. Eva Tov: Leben mit der Vergewaltigung.: Narrative Identitätskonstruktionen bei Frauen mit sexualisierter Gewalterfahrung. 1. Auflage. Verlag Barbara Budrich, 2009, ISBN 978-3-86649-724-5, S. 43, doi:10.2307/j.ctvdf01vt.1.
  6. Tina Spies: Aktuelle Debatten um sexualisierte Gewalt: Hegemoniale Vorstellungen und ›Othering‹. In: Eva Labouvie (Hrsg.): Geschlecht, Gewalt und Gesellschaft. transcript Verlag, 2023, ISBN 978-3-8394-6495-3, S. 125.
  7. Werner Thole, Meike Baader, Werner Helsper, Manfred Kappeler, Marianne Leuzinger-Bohleber, Sabine Reh, Uwe Sielert, Christiane Thompson: Sexualisierte Gewalt, Macht und Pädagogik. Verlag Barbara Budrich, 2012, ISBN 978-3-86649-510-4 (google.de [abgerufen am 12. Dezember 2023]).
  8. Ursula Müller, Monika Schöttle: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. Hrsg.: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. (bmfsfj.de [PDF]).
  9. Vgl. auch Amalendu Misra: The Landscape of Silence. Sexual Violence against Men in War. 2015.
  10. Michael Tonry: Why Crime Rates Are Falling Throughout the Western World. In: Crime & Justice. Band 43, Nr. 1, 2014, S. 8, doi:10.1086/678181 (englisch, alternativer Volltextzugriff: scholarship.law.umn.edu).
  11. Recht : Entwurf zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder kritisiert. Deutscher Bundestag, 7. Dezember 2020, abgerufen am 11. Juli 2023.
  12. BT-Drs. 19/27928 S. 23 f.
  13. Thomas Fischer: Sexualstrafrecht: Endlich was tun! In: Der Spiegel. 10. Juni 2022, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 11. Juli 2023]).
  14. medica mondiale: Sexualisierte Gewalt: Ursachen und Folgen. Abgerufen am 14. April 2023.
  15. Miray Caliskan: Vergewaltigung: Wenn der Körper zum Tatort wird. In: Berliner Zeitung. 25. November 2021, abgerufen am 18. April 2023.
  16. Vergewaltigungsopfer in der Schockstarre. In: Deutsche Hebammen Zeitschrift. 13. Juni 2017, abgerufen am 18. April 2023.
  17. Anna Möller, Hans Peter Söndergaard, Lotti Helström: Tonic immobility during sexual assault – a common reaction predicting posttraumatic stress disorder and severe depression. In: Acta Obstetricia et Gynecologica Scandinavica. 22. Juni 2017, doi:10.1111/aogs.13174 (englisch).
  18. Rebecca Kamm: Vergewaltigungsopfer können sich nicht "einfach wehren". In: Vice. 14. Juni 2017, abgerufen am 18. April 2023.
  19. Annika Bangerter: Während einer Vergewaltigung sind viele Frauen wie gelähmt – 3 Betroffene berichten. In: watson.ch. 2. März 2020, abgerufen am 18. April 2023.
  20. Jan Gysi: Tonische Immobilität und peritraumatische Dissoziation als wesentliche Risikofaktoren für eine spätere PTBS. (PDF) Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP / SSPP). In: Leading Opinions, Neurologie & Psychiatrie. 2021, abgerufen am 23. April 2023.
  21. a b Andreas Baum: Gedemütigt, erniedrigt, beschämt. Podcast. In: Deutschlandfunk Kultur. 14. Februar 2018, abgerufen am 15. April 2023.
  22. Ruth Seifert: Krieg und Vergewaltigung. Ansätze zu einer Analyse. In: Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (Hrsg.): SOWI-Arbeitspapier. Nr. 76. München 1993, urn:nbn:de:kobv:po79-opus4-3325 (Steht online zum Download zur Verfügung).
  23. medica mondiale: Sexualisierte Kriegsgewalt. Abgerufen am 14. April 2023.
  24. Gendercide Watch: Genocide in Bangladesh, 1971. In: gendercide.org. 22. Februar 1971, abgerufen am 19. Januar 2015.
  25. Gerhard Klas: Die blutige Geburt Bangladeschs. vom 25. März 2011, SWR2.
  26. Samuel Totten, William Spencer Parsons: Centuries of Genocide. Routledge, 2013, ISBN 978-0-415-87191-4, S. 257.
  27. Erinnerung und Gegenwart: 40 Jahre Unabhängigkeit Bangladeschs (PDF) In: Netz – Bangladesch Zeitschrift Nr. 1, 33. Jahrgang, vom 28. Februar 2011.
  28. Anke Lipinsky: Geschlechtsbezogene und sexualisierte Gewalt in der Wissenschaft. In: gesis.org. CEWS Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung, abgerufen am 15. November 2023.
  29. BT-Drs. 18/9097 S. 30.
  30. Heike Rabe: Sexualisierte Gewalt im reformierten Strafrecht. Ein Wertewandel – zumindest im Gesetz. In: APuz Aus Politik und Zeitgeschichte. Bundeszentrale für politische Bildung, 20. Januar 2017, abgerufen am 6. Dezember 2023.
  31. BMFSFJ - Sexuelle Belästigung. Abgerufen am 23. November 2017.
  32. Geschlechtsbezogene und sexualisierte Gewalt in der Wissenschaft: Rechtliche Situation in Deutschland. In: Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung. GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften, abgerufen am 13. Juni 2022: „Während der Begriff ‚sexuelle Belästigung‘ sowohl im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) als auch im Strafgesetzbuch (StGB) verwendet wird, ist ‚sexualisierte Gewalt‘ kein formaler Rechtsbegriff.“
  33. Anke Seifert Folgen sexuellen Missbrauchs (2001), traumatherapie.de, abgerufen am 8. Dezember 2023
  34. Folgen und Schäden durch sexuellen Missbrauch, lichtweg.de, abgerufen am 8. Dezember 2023
  35. Unter welchen Folgen leiden die Opfer? - Alter und Trauma - Unerhörtem Raum geben. Abgerufen am 8. November 2023.
  36. Abschnitt „Prävention in der Schule“ im Kapitel „Sexualisierte Gewalt“. In: Online-Handbuch Gewaltprävention für die Grundschulen. „Wir stärken Dich e.V.“ und „Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V.“ (Kooperationsprojekt), abgerufen am 14. September 2015.
  37. Für Respekt und Wertschätzung – gegen sexualisierte Gewalt im Sport. Deutscher Olympischer Sportbund (DOSB), 27. November 2013, abgerufen am 14. September 2015.
  38. Iris Röll: Dürfen Lehrer Kinder noch trösten? Seite 6: Sporttrainer: „Ohne Körperkontakt geht’s nicht“. Focus, 12. Mai 2010, abgerufen am 14. September 2015.
  39. Körperkontakt im Sport ist normal!? – Grenzüberschreitungen. Landessportbund Berlin und Sportjugend Berlin, abgerufen am 14. September 2015.
  40. Zusammenarbeit für den Kinderschutz. Landessportbund Berlin und Sportjugend Berlin, abgerufen am 14. September 2015.
  41. Michaela Haas: „Schreib, was du nicht sagen kannst“. In: sz-magazin.sueddeutsche.de. 30. Januar 2023, abgerufen am 5. Februar 2023.
  42. Association Les Papillons. Aidez-nous à déployer nos ailes. In: associationlespapillons.org. Abgerufen am 5. Februar 2023 (französisch).
  43. Sexuelle Übergriffe: Festivals setzen auf Schutzkonzepte. 5. September 2022, abgerufen am 8. Februar 2023.
  44. Anke Spies, 1999, Seite 41 ff.
  45. Anke Spies, 1999, Seite 141 ff.
  46. Anke Spies, 1999, Seite 95 ff.
  47. Alison Phipps, Isabel Young: Neoliberalization and ‘Lad Cultures’ in Higher Education. In: Sociology. Band 49, Nr. 2, April 2015, ISSN 0038-0385, S. 305–322, doi:10.1177/0038038514542120.