Der Residuensatz ist ein wichtiger Satz der Funktionentheorie, eines Teilgebietes der Mathematik. Er stellt eine Verallgemeinerung des cauchyschen Integralsatzes und der cauchyschen Integralformel dar. Seine Bedeutung liegt nicht nur in den weitreichenden Folgen innerhalb der Funktionentheorie, sondern auch in der Berechnung von Integralen über reelle Funktionen.
Er besagt, dass das Kurvenintegral längs einer geschlossenen Kurve über eine bis auf isolierte Singularitätenholomorphe Funktion lediglich vom Residuum in den Singularitäten im Innern der Kurve und der Umlaufzahl der Kurve um diese Singularitäten abhängt. Anstelle eines Kurvenintegrals muss man also nur Residuen und Umlaufzahlen berechnen, was in vielen Fällen einfacher ist.
Die Summe auf der rechten Seite ist stets endlich, denn das von umschlossene (einfach zusammenhängende) Gebiet ist relativ kompakt in und somit beschränkt. Weil in keine Häufungspunkte hat, ist endlich, und nur dies sind die Punkte, die zu der Summe beitragen, denn für alle anderen verschwindet die Windungszahl oder das Residuum.
Handelt es sich bei den Punkten in um hebbare Singularitäten, verschwindet das Residuum in diesen Punkten, dann erhält man den Integralsatz von Cauchy
.
Ist auf holomorph und , hat einen Pol erster Ordnung in mit Residuum dann erhält man die Integralformel von Cauchy
Null- und Polstellen zählendes Integral
Ist auf meromorph mit der Nullstellenmenge, der Polstellenmenge und , dann folgt mit dem Residuensatz:
Dabei bezeichnet
die Null- bzw. Polstellenordnung von in . Mit der Rechenregel des Residuums für die logarithmische Ableitung gilt
.
Anwendungsbeispiele
Mit dem Residuensatz kann man reelle Integrale mit unendlichen Integrationsgrenzen berechnen. Dazu führt man in der komplexen Ebene eine geschlossene Kurve ein, die die reellen Integrationsgrenzen überdeckt; das Integral über den übrigen Teil der Kurve ist meist so konstruiert, dass es nach dem Grenzübergang verschwindet. Die komplexe Ebene wird dabei durch einen Punkt im Unendlichen ergänzt (Riemannsche Zahlenkugel). Dieses Berechnungsverfahren für uneigentliche reelle Integrale wird in der theoretischen Physik oft als „Methode der Residuen“ bezeichnet.
Gebrochenrationale Funktionen
Ist Quotient zweier Polynome mit und für alle , ist
,
wobei die obere Halbebene ist, denn man kann mit , für ein großes , über den geschlossenen Halbkreis integrieren und den Grenzübergang vollziehen. Wegen für großes und Konstanten folgt mit der Standardabschätzung für Kurvenintegrale
,
also gilt und wegen der obigen Abschätzung existiert letzteres Integral auch. Mit dem Residuensatz folgt die Berechnungsformel.
Beispiel: Sei , mit Polen 1. Ordnung in . Dann ist , und damit .
Gebrochenrationale Funktionen mit Exponentialfunktion
und seien Polynome mit , das Polynom besitze keine reellen Nullstellen und die Nullstellen in der oberen komplexen Halbebene. Dann gilt für jedes
mit . Wie oben definiert man auch hier einen geschlossenen Weg , der aus dem geradlinigen Weg von nach besteht, aber statt des Halbkreises verwendet man das darüber errichtete Rechteck mit Höhe , das gegen den Uhrzeigersinn durchlaufen wird. Die Funktion kann nach Voraussetzung gegen eine Konstante mal abgeschätzt werden. Die Integrale über den vertikalen Strecken sind dann mittels Standardabschätzung , was gegen Null geht. Für die obere horizontale Seite ist und damit . Das Integral über diese Rechtecksseite ist dann mittels Standardabschätzung . Damit folgt, dass das Integral über den gesamten oberen Teil des Rechtecks für gegen Null konvergiert und man erhält die Behauptung.
Beispiel: Betrachte die Funktion . Sie erfüllt alle oben genannten Bedingungen: Das Polynom im Nenner hat als Nullstellen nur und damit keine auf der reellen Achse. Demnach gilt:
Gebrochenrationale Funktion mit einem nichtganzzahligen Term
Sind und Polynome, für die gilt, wobei gilt, habe keine Nullstellen in und keine Nullstelle in der Null. Dann gilt
Beispiel: Ist , so ist , die Funktion besitzt die Pole und alle weiteren Anforderungen sind auch erfüllt. Es ist demnach . Somit gilt
Trigonometrische Funktionen
Ist Quotient zweier Polynome mit für alle mit . Dann gilt
wobei die Einheitskreisscheibe ist. Denn die Windungszahl der Einheitskreislinie ist im Innern des Einheitskreises , und nach Voraussetzung liegen keine Singularitäten auf der Einheitskreislinie. Theoretisch lassen sich solche Integrale auch mittels der Weierstraß-Substitution lösen, diese ist aber meist aufwendiger. Sind die Intervallgrenzen des zu berechnenden Integrals nicht genau und , so lässt sich dies mittels einer linearen Substitution oder durch Symmetrieargumente erreichen.
Beispiel: Es gilt
,
denn hat in Pole 1. Ordnung, aber nur der Pol bei liegt in , und dort hat das Residuum .
Fourier-Transformierte
Gegeben sei eine Funktion . Ferner gebe es Punkte mit , wobei sei. Gibt es dann zwei Zahlen mit für große , so gilt für alle die Formel
Die gleiche Formel gilt für . Mit Hilfe dieser Methode können komplizierte Fourier-Integrale berechnet werden. Der Beweis erfolgt wie oben durch Zerlegung des Integrationswegs in den Teil auf der reellen Achse und den Teil in der oberen Halbebene. Danach wird wieder der Grenzwert betrachtet und das Integral über die Kurve in der oberen Halbebene verschwindet aufgrund des Lemmas von Jordan.
Der Residuensatz für Riemannsche Flächen
Der Residuensatz lässt sich auf kompakteriemannsche Flächen verallgemeinern. Für eine meromorphe 1-Form auf einer solchen Fläche gilt, dass die Summe der Residuen gleich null ist.
Kurt Endl, Wolfgang Luh: Analysis. Band 3: Funktionentheorie, Differentialgleichungen. 6. überarbeitete Auflage. Aula-Verlag, Wiesbaden 1987, ISBN 3-89104-456-9, S. 229.
Wolfgang Fischer, Ingo Lieb: Funktionentheorie. 7. verbesserte Auflage. Vieweg, Braunschweig u. a. 1994, ISBN 3-528-67247-1, S. 145, Satz 4.1.
A. P. Yuzhakov: Residue of an analytic function. In: Michiel Hazewinkel (Hrsg.): Encyclopedia of Mathematics. Springer-Verlag und EMS Press, Berlin 2002, ISBN 1-55608-010-7 (englisch, encyclopediaofmath.org).