Meinung
Der folgende Artikel ist ein Satire-Artikel. Es kann sein, dass er nicht ganz ernst gemeinte Aussagen enthält. Es kann aber auch sein, dass der Artikel irgendeine tiefgründige Botschaft vermitteln möchte.
Die Meinung, insbesondere natürlich die eigene, ist ein im Tierreich einzigartiges Produkt des menschlichen Kopfes. Sollte also irgendwann endgültig bewiesen werden, dass die Delfine doch intelligenter sind als der Mensch, dass Affen bessere Flugzeuge bauen können und sogar primitive Weichtiere realistischere Vorhersagen treffen, dann wird wenigstens die eigene Meinung den Menschen vor einer tiefen Identitätskrise bewahren. Denn Kühe, Spinnen und Seeanemonen haben eine solche nicht. Na gut, zumindest ist das nach gängiger Lehrmeinung so – es gibt allerdings auch Gruppierungen, die sich insbesondere für die Respektierung seegürkischer, plattwürmischer und schwammiger Ansichten einsetzen.
Inhaltsverzeichnis
Definition und Abgrenzung
Nö, so ja schon mal gar nicht! Die eigene Meinung lässt sich nicht in Kategorien zwängen, verweigert sich der Einordnung in tradierte Rollenbilder und hat es auch nicht nötig, sich hier überhaupt zu rechtfertigen. So weit kommt’s noch!
Geschichte
Kurz nach Erfindung des Menschen kamen auch schon die ersten von ihnen auf die Idee, eine Meinung zu entwickeln. Damit hatten sie es allerdings zunächst nicht ganz einfach.
- Schon in der Steinzeit gab es geteilte Ansichten darüber, ob es ethisch rechtfertigbar sei, etwa einen wütenden Bären aus rein egoistischen Motiven zu töten. Allerdings gab es auch Bären, die auf recht eindeutige Art und Weise ausgerechnet der Seite ihrer Beschützer einen eklatanten Mangel an Vernunft nachwiesen. Eine vernünftige Diskussionskultur konnte sich zu jener Zeit noch nicht so recht entfalten.
- Als die Bewaffnung besser und die Bären weniger wurden, wurde die Religion erfunden, um die Stimmung im Volk weiterhin homogen zu halten. Jetzt konnte man zum Beispiel der Auffassung sein, dass es die Götter gar nicht gäbe und der Priester nur ein Schwätzer sei. Ob das klug war, sei einmal dahingestellt; auf jeden Fall wurden die Urheber entsprechender Meinungen zügig geköpft, aufgeschlitzt und verbrannt, sodass auch hier kaum Potential für länger anhaltende Meinungsverschiedenheiten bestand.
- Erst in der Zeit der Aufklärung wurden die Weichen für eine ausgeprägte Meinungskultur gestellt. Philosophen erfanden das Denken und benutzten es schier unermüdlich, um auf ein paar ausgewählte Fragen ein paar richtig gute Antworten zu finden. Diese wurden sauber und ordentlich niedergeschrieben und von anderen Philosophen ausgiebig diskutiert, angefochten oder bestätigt, es entwickelten sich unterschiedliche geistige Strömungen und Weltanschauungen. Allerdings blieb ein Großteil der Bevölkerung aufgrund von Analphabetismus und mangelnder Freizeit vom Diskurs ausgeschlossen. Sowieso war die Meinungsproduktion noch erschreckend ineffizient: Manch ein Denker dachte sein Leben lang, ohne auch nur zu einer einzigen eindeutigen Ansicht zu gelangen. Hier bestand noch Verbesserungsbedarf.
Heutige Situation
Inzwischen gibt es in der westlichen Überflussgesellschaft nur noch wenige Analphabeten und man wird auch kaum noch geköpft, selbst wenn man die Regierenden kritisiert. Die Aufklärung ist abgeschlossen, aus „ich denke, also bin ich“ entwickelte sich „nö, das seh ich jetzt aber irgendwie ganz anders, ehrlich, also bin ich“ und der gebildete Mensch von heute geht ohne Meinung gar nicht mehr auf die Straße, da man jederzeit von einem wildfremden Menschen mit Mikrofon und Kamera ausgefragt werden könnte, was man von diesem und jenem denn so halte. Und wie sähe das denn aus, wenn man da keine Antworten hätte?
- „Oh, Atomkraft, schwierig. Ich muss ganz ehrlich zugeben, ich weiß nicht einmal, wie so ein Kraftwerk überhaupt genau funktioniert. Der Müll kommt in alte Salzbergwerke, richtig? Gut, da hätte ich jetzt sowieso nicht unbedingt rein gewollt. Weiß ich doch nicht, ob das Zeug da wieder rauskommt. Warum fragen Sie nicht jemanden, der sich auskennt?“
- „Oh, Islam, ganz schwierig. Ganz ehrlich: den Koran hab ich nie gelesen, kann ich nicht viel zu sagen. Sind denn die Terroristen jetzt eigentlich richtige Moslems gewesen? Und steht das mit der Vernichtung der Ungläubigen nun wirklich im Koran oder nicht? Könnten Sie da nicht einfach mal nachlesen oder einen Moslem fragen? Ich weiß ja nicht einmal, ob der Weihnachtsmann jetzt aus der Bibel kommt oder von Coca Cola.“
Damit solche peinlichen Monologe vor laufender Kamera nicht mehr notwendig sind, gibt es hier jetzt auch Meinungen to go:
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Begründungen sind im Allgemeinen vollkommen unnötig und sogar fehl am Platze. Wer widerspricht, kann das ja ruhig tun, das ist dann eben seine Meinung. Wer widerspricht und meint, bestimmte andere Meinungen seien naiv, menschenverachtend, albern oder gar komplett falsch, der missachtet das Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung und ist mindestens ein Nazi, wenn nicht sogar Technokrat, Satanist oder ein Außerirdischer. Nazi reicht aber meistens auch schon.
Da die menschliche Stimme nur begrenzte Lautstärken erreicht, kann es bei akutem Meinungsüberdruck notwendig werden, sich höchstpersönlich der Massenmedien zu bedienen, um ein ausreichendes Publikum zu erreichen. Insbesondere das Internet steht jederzeit kostenlos und geduldig zur Verfügung. Besonders qualifizierte Meinungsäußerungen erkennt man hier sehr leicht am Passus „Ich hab zwar jetzt nicht alles gelesen, aber“, im Idealfall enden sie auch noch mit dem apodiktischen Nachsatz „meine Meinung“.
Fazit
Inzwischen stehen die Bären unter Artenschutz.