Diverses:Wie beklaut man einen Dieb
Der folgende Artikel ist ein Satire-Artikel. Es kann sein, dass er nicht ganz ernst gemeinte Aussagen enthält. Es kann aber auch sein, dass der Artikel irgendeine tiefgründige Botschaft vermitteln möchte.
Mein Name ist Harald More und ich bin ein Dieb. Mein Vater war ein Dieb und der Vater meines Vaters war ein Dieb. Vor noch gut 10 Wochen hätte ich stolz behauptet: Eine bessere Familientradition kann es nicht geben. Aber heute scheinen Zweifel in mir zu nagen. Zwar noch ganz sacht, so wie Hausstaubmilben an einem Schnitzel...aber immerhin. Seit zwei Stunden sitze ich in der kleinen Bar und betrachte die Regentropfen an der Scheibe, die sich zu kleinen Rinnsalen vereinen. Ich warte. Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob sie kommen wird.
Eine ehrbare Tradition...
Ihr alle kennt die alten Filme, in denen jemand wartet und sich zurückerinnert... Jedenfalls lief irgendwann in meiner Erinnerung ein ganz ähnlicher Film ab: Ich sah den Großvater mit einem, das mag klischeehaft klingen, Sack abends heimkehren. Großvater hatte eine geheimnisvolle Aura; Grund genug für einen 9 jährigen Jungen, ihm heimlich nachzuspionieren. Ich presste mich ganz still in die kleine Nische neben meinem Fenster und atmete nicht... Aber Großvater drückte ganz langsam und sacht von Außen gegen mein angelehntes Fenster und seine ruhig und leise gesprochenen Worte habe ich noch jetzt, fast 50 Jahre später, im Ohr: "Du ahnst doch sicher, was in dem Sack ist? Warum hättest Du sonst auf mich gewartet? Komm´mit in den Schuppen; spute Dich, die Nacht hat Augen." Und so zeigte Großvater mir, woher die silbernen Bestecke, die Perlenketten und Ringe, die Brieftaschen und das Bargeld, das in unregelmäßigen Abständen in der Truhe unter den abnehmbaren Dielenbrettern im Schuppen lag, stammten. Aus einem schwarzen Sack mit angenähten Lederschlaufen.
Großvater war der traditionelle Dieb. Einbrüche, Taschendiebstähle. Vater hatte sich spezialisiert auf teure Büroeinrichtung, schwerer zu tragen aber geringeres Riskio, wenn man dreist genug war und einen grauen Kittel mit dem Aufdruck "Bürozentrum-Instandhaltung" besaß. Und gute Kontakte zu Abnehmern. Während Großvater seine Beute für 10% des Wertes verschachern musste, kamen die Büromaschinen meines Vaters für fast ein Drittel ihres Wertes zu neuen Besitzern. So stand ich mit 10 Jahren das erste mal Schmiere vor einem Bürogebäude. Selbstverständlich hatte ich keine richtige Funktion. Vater bestand darauf, damit ich das Adrenalin im Körper spüren und zu beherrschen lernen konnte. Mit 12 nahm mich Großvater zum ersten Male mit zum Bruch. Und mit 13 war ich mir sicher, was meine Profession war.
... und ich war gewillt, diese fortzusetzen.
Bald waren die kleinen Diebstähle keine Herausforderung mehr für mich. Ich schrieb mich ein und studierte Jura und BWL und der ein oder andere Bruch brachte mich zwar ins Krankenhaus aber ließ auch mein Bankkonto bescheiden anwachsen. Gerne suchte ich in dieser Zeit Bäder auf und fasste den nackten Männern in die Tasche. Wir erlebten gerade die Geburtsstunde der Bankkarten und so schnell, wie ich eine Karte aus einer Kulturtasche gegen einen verblüffend echt aussehenden, bearbeiteten Rohling getauscht hatte, dauerte kein Aufguss... aufwändiger war da schon das vorherige Auskundschaften der Geheimzahl. Aber zwei Kontenplünderungen pro Monat reichten für ein angenehmes Leben voll und ganz aus.
Das Studium lief nebenbei, nur eine fesselte meine Aufmerksamkeit länger. Sie war nur ein paar Monate älter als ich und Französin. Vater hatte mich immer vor französisch gewarnt. „Als Dieb musst Du auf deine Finger und Deine Zunge acht geben!“ sagte er immer. Letzteres war wohl besonders wichtig, wenn man in fremden Büros häufig nach seinen graubekittelten Aktivitäten befragt wurde.
Aber sie gefiel mir. Und ihr Schicksal als junge Witwe rührte mich irgendwie an. Obwohl sie anscheinend wenig trauerte, tröstete ich sie nach Kräften und half ihr über ihre schwierige Lebenssituationen, allein in einem französischen Bett, gekonnt hinweg. Ihr Name war Louise Valliere. Ihr jetziger Name ist Louise More. Und das ist mein Problem.
Alles lief doch gut...
Mit meinem kleinen verstohlenen Startkapital beteiligte ich mich bald an anderen Investitionen und konnte mir schnell einen Namen machen. Die Geschäftsideen waren so zahlreich wie die Schuppen, die auf "meinem" Fischmarkt in Bremerhaven oder in meiner Friseurkette in Frankfurt anfielen. Ich stahl hier eine Geschäftsidee und dort eine Lizenz. Hier entsorgte ich Hunderte von Büromaschinen gegen ein geringes Verschrottungsentgelt und wo anders erzielte ich höchste soziale Anerkennung für die Ausstattung der Verwaltungen mehrerer Krankenhäuser in einem Entwicklungsland zu Selbstkosten. Und natürlich einen namhaften Betrag an Entwicklungshilfe, war ich doch selbst stiller Gesellschafter dieser Häuser. Ja, vor Madagaskar faulte nicht nur das Wasser sondern wuchsen auch meine Profite, die ich relativ problemlos nach Reunion und von dort aus in die Schweiz umleiten konnte.
...oder?
Ob es die Warnung meines Vaters war oder Instinkt… ich kann es nicht sagen. Jedenfalls hielt ich Louise, die ich vor fast 25 Jahren heiratete, nachdem ihr Angetrauter endlich für tot erklärt wurde, aus meinen Geschäften heraus. Und sie mich aus ihren. Unsere gemeinsame Aufmerksamkeit galt dem Leben im Luxus. Seit ungefähr 5 Jahren galt Louises Aufmerksamkeit, wie ich viel zu spät feststellte, auch anderen…“Dingen“.
Ein Dieb wie ich hatte einen Ehevertrag und hat auch einen Notfallplan. Meiner hieß Frank Abagnale. Der Schwager meines Cousins, der grandiose Fälscher John Haberle hatte mir in den 80ern für den Wert einer kleinen Villa im Tessin eine zweite Identität beschafft. Diese Identität zahlte Steuern, Krankenversicherungsbeiträge und erzielte regelmäßig von meinem wahren Ich abgezweigte Einkünfte in einer Größenordnung von ca. 25.000 Euro. Im Monat. Läppisch im Vergleich zum Einkommen des echten Harald More aber als Ruhekissen immer noch weich genug.
Ich war geschockt...
Es war dann auch diese Identität, die mich misstrauisch werden ließ… Frank Abagnale sollte eine Sonderzahlung erhalten, ein Weihnachtsgeld sozusagen. Und entpuppte sich als Überraschung für mich selbst. Die Quelle der Gratifikation, eine meiner Firmen auf Reunion, hatte plötzlich Liquiditätsprobleme. Unverständlich, wo doch alle Überschüsse dieser Firma ausschließlich in mein eigenes Firmengeflecht flossen. Ich ging der Sache zwei Tage später auf den Grund. Mittlerweile war die Firma hoffnungslos überschuldet und die Konten waren gesperrt. Die Zahlungen waren an eine weitere meiner Beteiligungen auf den Cayman Inseln gegangen aber auf diese Firma hatte ich keinen Zugriff mehr. Meine anderen Firmen besaßen alle keine Barvermögen mehr, die Konten waren geplündert bzw. auf die Caymans transferiert. Ich stand vor einem Rätsel. Der zweite Teil des Rätsels war Frank Abagnale. Auch auf die Konten meiner Zweitidentität hatte ich keinen Zugriff mehr. Und, was einerseits noch schlimmer aber andererseits logisch war,… die Plünderungen meiner Firmen und Depots waren von Frank Abagnale veranlasst. Jemand hatte meine Passwörter und elektronischen Sperren überwunden und diese Identität gekapert... und mich blank gemacht.
Kann man einen Dieb mit seinen eigenen Waffen schlagen?
Vor 2 Monaten eröffnete mir Louise, dass sie die Scheidung wolle. Alles sei vorbereitet, wir hätten uns auseinander gelebt. Verblüffend, dass sie das erst kurz nach meinem finanziellen Ruin festgestellt hatte.
Es war mir nicht gelungen, die Transaktionen rückgängig zu machen, alles war formell in Ordnung und gegen meine eigene Scheinidentität konnte ich ja schlecht rechtliche Schritte einleiten. Verblieben war mir lediglich eine kleine Eigentumswohnung in Hamburg, mein alter, selbst restaurierte Mercedes Benz 300 SL aus dem Jahre 1957 und eine Immobilienvermittlung auf Mallorca. Ich suchte Trost bei Johnny Walker und ließ die Dinge auf mich zukommen.
„Harald, nimm es nicht so schwer, eine Scheidung ist kein Beinbruch, wir können doch Freunde bleiben,“ säuselte Sie mir gestern nach der Gerichtsverhandlung zu. Sie wusste, dass ich sie umgebracht hätte, wäre ihr neuer, 1,90 m großer und 30 Jahre jüngerer Leibwächter nicht an ihrer Seite gewesen. „Vielleicht laden wir Dich zu unserer Hochzeit ein, nicht wahr, Sergej?“ säuselte Sie mit einem verführerischen Augenaufschlag dem Hünen zu und dann, zu mir gewandt: „Sergej ist Ukrainischer Amateurmeister im Ringen... und Informatiker! Wir schicken Dir jedenfalls eine Karte aus Las Vegas…“ und dann rauschten sie ab. Beim Einstieg in das Taxi rief sie mir noch zu: „Die Hälfte von 14 Millionen ist auch nicht wenig….“
„Stimmt. Aber alles von 14 Millionen ist mehr,“ dachte ich. 14 Millionen Euro, die von einem gewissen Frank Abagnale auf die H.M.-Immobilienvermittlungs-GmbH auf Mallorca transferiert worden waren. Auf eine winzig kleine Firma, die vor 25 Jahren vom Notar übersehen und so versehentlich in der Gütergemeinschaft mit Louise verblieben war und damit zur Hälfte Louise gehörte… Das Miststück hatte vor, mich um 7 Millionen zu erleichtern und es sah so aus, dass ihr kleiner aber wasserdichter Plan aufgehen sollte.
Wie man´s nimmt!
Immer noch klatscht der Regen an die Scheiben der Bar. Aber plötzlich geht in rötlich blondem Glanz die Sonne auf: „Herr More,“ setzte die Sonne an... „Nennen Sie mich Harry,“ fiel ich ihr ins Wort „ich freue mich, dass Sie gekommen sind, Isabella.“ „Hier sind die Papiere, mit einem schönen Gruß von Herrn Haberle," fuhr Isabella fort, "Francoise Vallerie ist am 17.08.2001 in einem Pflegeheim in Madagaskar gestorben. Er hatte bereits 1979 die Madegassische Staatsangehörigkeit angenommen.“ „Dann war meine Ehe mit Louise ungültig?" „Ja, zum Zeitpunkt der Eheschließung war Sie noch mit Francoise verheiratet, und eine Todeserklärung des französischen Staates für einen Madegassen ist sowieso unwirksam.“
„Und der Nachlass von Francoise…?“ „Er besteht, wie sie gewünscht hatten…, nur aus zwei Briefen von Louise, datiert aus den Jahren 1991 und 1994." „Und sie sind sicher, dass damit bewiesen werden kann, dass sie nicht nur der Bigamie sondern auch des Heiratsschwindels schuldig gemacht hat?“ „Eindeutig, Herr More. Und hier ist die Aufstellung der Geschenke, die Sie Louise über die Jahre gemacht haben. Der Wert liegt bei 2 Millionen Euro. Für Sie ist auch die Durchschrift des Schreibens unserer Kanzlei, mit der wir diese Geschenke oder den Gegenwert zurückverlangen.“ In dem Brief an Louise hatten die Advokaten unterschwellig auf die Staatsanwaltschaft hingewiesen. Ich war mir sicher, dass Louise das Risiko eines Gefängnisaufenthaltes scheuen würde. Selbst eine Untersuchungshaft wäre für eine 56jährige Frau, die sich noch ein paar spannende Jahre mit einem Ukrainischen Gigolo ausgemalt hat, nicht akzeptabel. „Zwei Millionen, ist das nicht etwas wenig? Nach meinen letzten Informationen beläuft sich das Privatvermögen meiner äh… Ex… auf über 2,5 Millionen Euro. Und 100.000 Euro sind doch auch eine ganze Menge Geld. Zumindest für Louise... Haben Sie denn den originalrestaurierten Mercedes Benz 300 SL in Ihrer Aufstellung, den ich ihr zum 50sten Geburtstag geschenkt hatte? Fast der Zwilling meines Lieblings..." ich warf einen schnellen Blick durchs Fenster auf den Parkplatz, wo mein Wagen dem Landregen trotzte. "Zufällig habe ich gestern die Rechnung über 400.000 Euro gefunden… Jammerschade, dass Louise dieses Kleinod nur 2 Monate später zu Schrott gefahren hat, wie aus dem angehefteten Polizeibericht und der Abmeldebestätigung eindeutig hervorgeht…“ „Nein, Harry, das muss mir wohl entgangen sein," säuselte Isabella. „Wie kann man so ein Fahrzeug vergessen, Isabella? Das ist fast unentschuldbar, diese alten Schätze haben noch eine Seele... Ich würde Sie gern auf eine Spritztour einladen…“ „Gerne, Harry!“ antwortete Isabella und ich bin mir sicher, dass sie ganz ohne französischen Akzent gesprochen hatte...