Bruno Jasieński

Bruno Jasienski

Bruno Jasieński (eigentlich Wiktor Zysman; * 17. Juli 1901 in Klimontów bei Sandomierz (damaliges Kongresspolen); † 17. Dezember 1938 in Moskau) war ein polnischer Dichter der futuristischen Bewegung, Zeitungsredakteur und Theaterautor. Er war Kommunist und gehörte zu diversen literarischen Avantgarde-Zirkeln, bevor er sich der Politik und dem sozialistischen Realismus verschrieb. 1938 wurde er Opfer des Großen Terrors in der stalinistischen Sowjetunion, dessen Notwendigkeit er anfangs selbst gerechtfertigt hatte. Im Laufe seines Lebens lebte und arbeitete er in Polen, Frankreich, Deutschland und der Sowjetunion.

Leben

Seine Familie väterlicherseits war jüdischer Abstammung. Jakub Zysman war ein lokaler Arzt und seine Frau Eufemia Maria gehörte zu einer Adelsfamilie. Zusammen hatten sie zwei weitere Kinder. Während des Zweiten Weltkrieges zog die Familie nach Russland um, wo er 1918 seinen Schulabschluss machte. Mit Studienbeginn an der Krakauer Jagiellonen-Universität, schloss er sich künstlerischen und politischen Avantgarde-Kreisen an. 1919 gründete er einen Futuristischen Klub, u. a. Stanisław Młodożeniec. Er veröffentlichte in den linken Zeitungen Trybuna Robotnicza, Nowa Kultura und Zwrotnica.

Im Jahr der Heirat mit Klara Arem, 1923, wurde Jasieński Zeuge eines Arbeiteraufstandes, was ihn bewog, sich den polnischen Kommunisten anzuschließen. In der Partei war er für Agitation und Unterricht über das Werk von Karl Marx zuständig. 1925 wurde er angeklagt und zog mit seiner Frau nach Frankreich, wo er zusammen mit Zygmunt Modzelewski ein Theater für polnische Arbeiter gründete und Mitglied der französischen Kommunistischen Partei wurde. Daneben war er weiter als Autor tätig – so schrieb er Gedichte, Essays und Bücher. Durch den Roman Pest in Paris erlangte er literarische wie politische Berühmtheit. Die sozialkritische Auseinandersetzung mit der fiktiven Pest, dem Aufschwung des Kommunismus in China und Europa und der Aufbau einer neuen Pariser Kommune durch die Arbeiter von Paris (und ein angekündigter Abdruck in L'Humanité) waren Grund für Zensurmaßnahmen durch die französischen Behörden und resultierten in der Ausweisung Jasieńskis. Für einige Monate wohnt Jasieński nun in Frankfurt/Main. Durch eine Falschinformation kehrt er 1929 nach Frankreich zurück, um dort festgenommen und endgültig ausgewiesen zu werden. Über Deutschland reiste in die Sowjetunion, wo er sich in Leningrad niederließt und die sowjetische Staatsbürgerschaft annahm. Jasieński schrieb seine literarischen Werke und politischen Schriften fortan nur noch auf Russisch und sah sich als sowjetischen Autor.[1]

Im gleichen Jahr wurde sein Sohn geboren und die russische Edition seines Buches erschien. Ein Jahr später trennte er sich von seiner Frau Klara Jasieńska und heiratete Anna Berzin, mit der er eine Tochter hatte. 1932 trat er der Kommunistischen Partei bei. Er wurde ein aktives Mitglied und war als linientreuer Schriftsteller mit guten Beziehungen zu politischen Persönlichkeiten hochangesehen. So war er Mitglied im Vorstand des Sowjetischen Schriftstellerverbands und in der Redaktion mehrerer Zeitschriften[1]: „Aus dem abgerissenen Flüchtling und Kämpfer für die Rechte der Erniedrigten und Beleidigten wird ein hoher Literaturfunktionär mit Limousine und Salär. Und aus dem begabten Futuristen wird ein linientreuer sozialistischer Realist.“[2]

Mitte der 30er war er ein Unterstützer des Geheimdienstchefs Genrich Jagoda. Jagoda fiel jedoch 1937 bei Stalin in Ungnade und wurde verhaftet, worauf Jasieński ebenfalls viele Unterstützer verlor. Es wird seiner ersten Frau Klara nachgesagt, sie hätte eine Affäre mit Jagoda gehabt, woraufhin sie verhaftet und zum Tode verurteilt wurde. Ihr gemeinsamer Sohn kam in eine Waisenhaus, ohne von seiner leiblichen Familie zu erfahren. Jasieński selbst wurde aus der Partei ausgeschlossen und zu 15 Jahren Straflager im sibirischen Kolyma verurteilt. Trotz der Lagerstrafe wurde er 1938 hingerichtet. Das genau Datum ist umstritten. Laut dem polnischen Autor Piotr Mitzner sollen Unterlagen des NKWD den 17. September 1938 angeben.[1] 1955, zwei Jahre nach Stalins Tod, wurde Jasieński durch die Sowjetunion rehabilitiert.

In Deutschland sind seine Werke erst spät veröffentlicht worden; erst durch die Neuveröffentlichung des Wiener Verlags bahoe books sind sie auch wieder einem jüngeren Publikum zugänglich, wie auch der Deutschlandfunk bemerkte: „Bruno Jasieński glaubte an die Zukunft und hielt eine bessere Welt nicht nur für wünschenswert, sondern für möglich.“[2]

Literarische Motive

An „Pest über Paris“ (im frz. Original: Je brûle Paris, wörtlich: „Ich zünde Paris an“ – vgl. die polnische Ausgabe „Palę Paryż“) lassen sich viele der Motive und Genres, die Jasieńskis Werk durchziehen, verdeutlichen. Zum einen steht der Roman in der Tradition der politischen Bücher der Zeit, in der soziale Spannungen und die Polarisierung der Klassen im Klassenkampf gezeigt werden. Gleichzeitig aber auch die Verschränkung von kapitalistischer Ausbeutung und Rassismus kritisch thematisiert werden. Hier vertritt der Autor einen kommunistischen, an Marx geschulten Klassenstandpunkt.

„Die weißen Menschen lieben das Geld. Um Geld zu haben, muss man arbeiten. Die weißen Menschen arbeiten nicht gern. Sie haben es lieber, wenn andere für sie arbeiten. Dort bei ihnen arbeiten die Maschinen und ihre eigenen weißen Arbeiter für sie. Aber die weißen Menschen haben immer noch zu wenig Geld. Deshalb sind die nach China gekommen und haben alle Chinesen eingespannt, damit diese für sie arbeiten. Der Kaiser und die Mandarinen sind den weißen Menschen dabei behilflich. Deshalb ist das chinesische Volk in solcher Armut, weil es für die Mandarine arbeiten muss, für den Kaiser und vor allem für den weißen Menschen, die viel, viel Geld brauchen; deshalb bleibt dem chinesischen Volk nichts für sich selbst übrig.“ (Pest über Paris, S. 76–77)

„Der springende Punkt ist nicht die Hautfarbe und nicht die senkrechte Schnittlinie der Staatsgrenzen, sondern die waagerechte Schnittlinie der Klassen, die trotz aller Unterschiede in Sprachen und Sitten durch die Gemeinsamkeit der Interessen und Ziele zusammengeschweißt werden. Die Arbeitenden und Ausgebeuteten der ganzen Welt, das ist eine große Familie. Weiße und Gelbe leiden und kämpfen für dasselbe. Ähnlich ist es mit der Bourgeoisie. Nicht umsonst wirken die reichen Chinesen Hand in Hand mit den weißen Eindringlingen.“ (Pest über Paris, S. 95)

Jasieński macht zudem auf die Verbindung von europäischem Imperialismus und Kolonialismus, gegen das sich der Kommunismus wenden sollte. Auch die damalige Stellung der Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft wird kritisiert.

„Eure Wissenschaft, auf die ihr so stolz seid und die zu studieren wir herkommen, ist kein System von Werkzeugen des Menschen über die Natur, sondern ein System von Werkzeugen zur Herrschaft Europas über Nicht-Europa, ein System von Werkzeugen zur Ausbeutung der schwächeren Kontinente“ (Pest über Paris, S. 120)

„Sklavinnen, Weibchen, mehr nicht. Darin spiegelten sich Jahrhunderte der Zurücksetzung, das Erbe von Generationen. Das Wort 'Frau' war ein Schimpfwort“ (Pest über Paris, S. 100)

Auch in dem expliziten Revolutionsroman „Pest über Paris“ zeigen sich die apokalyptisch-katastrophischen Bilder des Noch-Futuristen Jasieński. Entscheidend sind hier der Bruch mit den Konventionen, der sich auch formal und stilistisch in seiner variablen Prosa, den vielen Perspektiven und der Vielzahl an Hauptcharakteren (in Teil 1 der arbeitslose Pierre, in Teil 2 der kommunistische Aktivist P'an sowie in Teil 3 einige herausgestellte Charaktere der neuen Pariser Kommune und Regierungsbeamte) zeigt und der geforderte gesellschaftliche Umbruch mit den Mitteln der Literatur: Seine Literatur, so Jasieński, sollte ein „Werkzeug für die Revolution“ sein, wie Alexander Emanuely im Nachwort der deutschen Neuausgabe von 2020 herausstellt. Auch die futuristische Verschmelzung von Mensch und Maschine und die Anthromorphisierung der technischen Umwelt spielen in der bildgewaltigen Beschreibung der Stadt Paris als Metropole eine Rolle. Auffallend ist hier seine seit den ersten futuristischen Gedichten und Kurzgeschichten Anfang der 1920er kontinuierliche Verwendung hyperbolischer Wendungen und exzentrischer, bildreicher Sprache.[1]

Werke (Auswahl)

  • Nuż w bżuhu (Messer im Bauch) (1921)
  • Pieśń o głodzie (Lied des Hungers) (1922)
  • Śpiew maszynistów (Das Lied der Maschinisten) (1922)
  • Morze (Meer)
  • Ziemia na lewo (Links der Erde) (1924)
  • Słowo o Jakubie Szeli (Wort über Jakub Szela) (1928)
  • Ball der Puppen
  • Pest über Paris. Roman. Mit einem Nachwort von Alexander Emanuely, aus dem Polnischen von Klaus Staemmler. Bahoe Books, Wien 2020. ISBN 978-3-903290-36-5
  • Die Nase. Novelle. Mit einem Nachwort von Vladimir Vertlib, aus dem Russischen von Elisabeth Namdar. Bahoe Books, Wien 2021. ISBN 978-3-903290-48-8
  • Ein Mensch wechselt seine Haut. Roman. Aus dem Russischen von Elisabeth Namdar. Bahoe Books, Wien 2022. ISBN 978-3-903290-60-0

Literatur

  • Alexander Emanuely: Die letzte Pariser Kommune (Nachwort), in: Bruno Jasieński, Pest über Paris, Wien 2020

Weblinks

Commons: Bruno Jasieński – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c d Bruno Jasieński. Abgerufen am 15. August 2022 (englisch).
  2. a b Uli Hufen: Bruno Jasieński: "Pest über Paris" - Klassenkampf und Seuche. deutschlandfunk.de, 9. März 2021, abgerufen am 15. August 2022.

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Bruno Jasieński, 1901 – 1938 (Бруно Ясенский, real name Wiktor Zysman, poet and writer from Poland)