Sohn
Der folgende Artikel ist ein Satire-Artikel. Es kann sein, dass er nicht ganz ernst gemeinte Aussagen enthält. Es kann aber auch sein, dass der Artikel irgendeine tiefgründige Botschaft vermitteln möchte.
Sohn ist eine Berufsbezeichnung für Nachkommen männlichen Geschlechts, die von Eltern gezüchtet wurden oder zu diesen in sonstiger verwandtschaftlicher Beziehung stehen. Die Betätigung als Sohn ist wohl der einzige Broterwerb, bei dem man mangels Leistung auch für die bloße Anwesenheit bezahlt wird. Allerdings wird schon in der Ausbildung die spätere Spezialisierung im Berufsleben eingeleitet.
Oft gegen den Willen und ohne Wissen des Lehrlings.
Inhaltsverzeichnis
Der Beruf Sohn
Nach Vater, Mutter und Fachanwalt für Familienrecht, kann man Sohn als ältestes Gewerbe der Welt bezeichnen. Historische Quellen verlaufen sich in den Analen der Geschichte, daher ist es ein großes Glück das sich das Sohnemannshandwerk auch heute noch einer regen Beliebtheit erfreut.
Sohn wird man nicht, Sohn ist man, und zwar bevor man überhaupt weiß, wie einem geschieht. Andere sogenannte Berufe - die teilweise viel interessanter und lukrativer sind - werden nur zum Nebenerwerb angenommen. Selten aber oft genug, kommt es sogar vor das sich Söhne wirklich einen weniger harten Beruf suchen. Mit medizinischer und psychologischer Hilfe ergreifen sie heute sogar den Beruf der Tochter, ein Laufbahnwechsel, der früher unmöglich gewesen wäre.
Einsatzbereitschaft, die Identifizierung mit dem Unternehmen, ständige Weiterbildung und ein höfliches aber bestimmtes Verhältnis zur Geschäftsleitung sind unerlässlich, wenn man ein guter Sohn werden - und später einmal selbst ausbilden will. Der Sohn erfüllt zahlreiche Aufgaben innerhalb des Familienbetriebes. Er hilft der Geschäftsleitung ihre evtl. Lebenswünsche umsetzen oder er dient als Hoffnungsträger und Anlass für Stolz, den sich die Ausbilder in anderen Lebensbereichen nicht selbst verschaffen können. Gegenüber den männlichen Ausbildern, gehört es zu seinen Aufgaben auch Blitzableiter zu sein oder Konkurrent, wenn die Familienarbeit gerade mal stagniert. Im Beruf des Sohnes arbeitet man tagtäglich am Sozialen Gelingen des Familienunternehmens und seiner Corporate Identity mit, ständig in Fühlung mit der Firmenleitung.
Im Betrieb
Der Familienbetrieb gliedert sich in verschiedene Abteilungen, in denen gleichzeitig gelebt, gelernt und gelehrt wird. Ein festes Zusammenspiel der einzelnen Abteilungen und absolute Sauberkeit an Arbeitsplatz sind essenziell für das Unternehmensklima. Dies ist umso wichtiger, da man im Familienbetrieb praktisch nie Feierabend hat und oft auch die Erholungsphasen miteinander verbringt.
Das Büro:
In einem gut geführten Betrieb erhält der Sohn, bald nach dem Vorstellungsgespräch, sein eigenes Büro. Um Kosten zu sparen und die Effizienz des Sohnes zu steigern, dient dieses auch als Aufenthaltsraum in Ruhephasen. Viele Ausbilder würden es gerne sehen, wenn die nötigen Sanitäranlagen auch gleich integriert wären. Das Büro ist der einzige Raum im Firmengebäude, in dem „Mein Sohn“ eine gewisse Autonomie in Einrichtungsfragen eingeräumt wird.
Es dient in den ersten Lehrjahren noch völlig der spielerischen Einarbeitung in die grundsätzlichen Arbeitsabläufe. In seinem Büro, das nicht selten der Multimedia-Abteilung eines Saturn gleicht, paukt der Sohn die ihm vorgegebenen Theoriebausteine des Sohnemannsberufs.
Die Kantine:
Traditionell ist hier meist eine stinknormale Bedienung als Abteilungsleiterin eingesetzt. Sie dient neben der Nahrungsaufnahme auch als Besprechungsraum, in dem die täglichen Briefings, Nachbesprechungen und Power-Talks mit der Geschäftsleitung abgehalten werden. Hauptsächlich wird hier jedoch „Das gemeinsame Abendessen“ ausgegeben.
Ohne das Genussritual würde sich das Unternehmen bald in eine gefährliche Bande von Sozialdesperados entwickeln - die Kinder in Kühlfächer stecken; in den außerbetrieblichen Ausbildungsstätten Amok laufen und ihren Goethe nicht lesen.
Die Produktionsabteilung:
In der Produktionsabteilung wird das eigentliche Produkt des Familienunternehmens, das Familienleben hergestellt, sie ist meistens die sauberste und prachtvollste Abteilung. Hier zeigt die Geschäftsleitung ihre glanzvollen Errungenschaften und man genießt die oft einzigen bequemen Sitzmöglichkeiten im ganzen Gebäude.
In heutigen Produktionsabteilungen wird das Familienleben immer öfter durch teure Maschinen hergestellt, was die allgemeine Qualität des Familienlebens und das Fachwissen der Söhne, in den letzten zwanzig Jahren enorm sinken ließ.
Facility Management:
Neben dem Personalwesen ist die Pflege der Liegenschaften der zweite wichtige Grundbaustein im Familienunternehmen, die Aufgabe des Facility-Managers (FM). Von einem echten Sohn wird natürlich auch die Handhabung von Werkzeugen und die Pflege der Außenanlagen erwartet.
Hierzu findet er Arbeitsmittel und Material in den Räumen des Facility-Managements, wo er unter den strengen Blicken des Vaters zum Vice-Facilty-Manager heranwächst. Wochenendarbeit ist in dieser Phase die Regel und der Sohn lernt einige neue Sohnarbeiten.
Berühmt-berüchtigt sind das mal was halten, mal was holen und das ewige sich dieselbe Arbeitsanweisung fünfmal anhören. In den Räumen des Facility-Managements bewahrt der Manager auch seine heiligen Gegenstände auf: Ratschenkasten, Grill und Akkuschrauber, in die der Sohn eingewiesen wird. Zeitlebens unverständlich bleibt dem Sohn die Systematik einer Sammlung von 27000 gebrauchten Schrauben, Nägeln, Muttern und Spax, worüber ständig Power-Talks mit dem Manager geführt werden müssen.
Ablauf der Ausbildung
Sind die ersten Hürden wie das Vorstellungsgespräch, das Bekanntmachen mit Kollegen und Ausbildern und die Zuweisung des eigenen Büros überstanden, beginnt auch schon die Einbindung in die Betriebsabläufe. Vorm ersten Arbeitstag an sind strikte Offenheit und soziales Engagement essenziell wichtig, um am Arbeitsprozess gewinnbringend teilzunehmen.
Die ersten Monate wird der kleine Sohn traditionsgemäß von der Kantinenchefin in den grundsätzlichen Techniken - Saugen, Singen, Spucken und Laufen (in dieser Reihenfolge) - unterwiesen. Zeitweise übernehmen auch die Azubis aus den oberen Lehrjahren die Aufsicht. Hier ist bei dem Sohn großes soziales Geschick gefragt, um das oft raue Verhalten der Älteren zu umschiffen. Wie überall wird auch im Familienbetrieb in erster Linie dafür gearbeitet, dass man seinen eigenen Job behalten kann - dementsprechend feindselig sind die oberen Lehrjahre dem neuen Sohn gegenüber eingestellt.
Kein Wunder, denn die Kantinenchefin verbringt nun die meiste Zeit mit dem neuen Lehrling, während die anderen die niederen Arbeiten erledigen, wie zum Beispiel Reststoffentsorgung, Materialbeschaffung oder Reinigung der Sanitäranlagen.
Den Facility-Manager, eine sagenumwobene Gestalt, die den ganzen Tag unterwegs ist, um Kapital zu beschaffen, kennt der Kleine nur aus abschreckenden Erzählungen der Älteren, wodurch der FM oft einen undurchdringlichen Nimbus der Überlegenheit erhält. Lässt sich der Sohn in dieser Ausbildungsphase davon beeindrucken, bildet sich oft die spätere Berufskrankheit des Minderwertigkeitskomplexes aus, unter der der Sohn meist ein ganzes Leben lang leidet, und die an sich nur kompensierbar - aber sehr schlecht behandelbar ist. In den meisten Betrieben hat der Azubi durch ständige Betreuung und ein reiches Ausbildungsfeld allerdings das beste Leben.
Ist der Azubi erst mal aus dem Gröbsten raus und kann schon kleine Arbeiten selbst verrichten, wie zum Beispiel Lebenssinn bringen und einfach wunderbar lieb sein, beginnt auch schon der erste mehrjährige Blockunterricht. Hier kommen nun neue Werkstücke wie brav sein; fleißig sein oder still sein, auf den Lehrplan. Danach steht die Zwischenprüfung an, in deren Verlauf der Sohn die wirkliche Härte des Arbeitslebens erfährt. Auf dem Prüfstand stehen vor allem seine bisher erlernten Fähigkeiten, die bis ins kleinste Detail seziert werden. Hier trennt sich das erste Mal die Spreu vom Weizen und dem Sohn wird drastisch eingebläut, wie gut oder schlecht es um seine Karrierechancen im weiteren Arbeitsleben bestellt ist. Leistung ist hier das Schlagwort, das der Sohn in mancher Ausprägung zum Inhalt seines weiteren Handelns machen muss, will er gegen die Konkurrenz - die zu Hause schon in den Startlöchern steht - auch nur eine entfernte Chance haben.
Viele Söhne aus schlecht geführten Betrieben unterliegen schon in dieser Phase, dem erbarmungslosen Ausleseprinzip . Im Betrieb nimmt das Arbeitspensum zeitgleich stetig zu und die Tätigkeiten erscheinen dem Sohn immer unsinniger. Hat der Sohn das Sprechen erst mal gelernt, fordert man von ihm plötzlich, dass er völlig den Mund halten soll (zum Beispiel wenn sich Erwachsene unterhalten) oder man betraut ihn mit Zuhöhrarbeiten. („... was dem Konzept eines Familienbetriebs völlig entgegensetzt ist.“ - A. S. Neil)
Für den Unterricht muss natürlich auch mehr und mehr Zeit veranschlagt werden, sodass der Sohn sich die Arbeit sogar schon mit nach Hause nehmen muss. Im Betrieb bekommt er dann wichtige Regeln zum sicheren Verhalten am Arbeitsplatz beigebracht, zum Beispiel, dass er ja nur für sich selbst arbeitet und nicht etwa für die Ausbilder, Umfang und Inhalt der Arbeit wird ihm allerdings vorgegeben, was meistens zu einer schleichenden Renitenz gegen Ausbilder und Lehrer führt. Stress pur - zumindest für die Stifte im ersten Lehrjahr und das zufällig anwesende Firmen-Maskottchen.
Etwa im Alter von 11 Jahren werden dann oftmals die letzten Weichen gestellt und entschieden, ob der Sohn den Rest des Lebens im Facility Management verbringt oder sich mehr geistige Sitztätigkeiten verrichtet. Hierbei ist an sich nicht von Belang, wie gut die Leistungen sind, sondern vielmehr ob das Familienunternehmen gut genug aufgestellt ist, die nötigen Investitionen in die Innovationskraft und Selbstschätzung des Azubis sicherzustellen.
Zum Glück erhält der Sohn inzwischen seinen ersten Lohn, mit dem er sich das Leben etwas angenehmer gestalten kann. Je nach Einsatzbereitschaft des Azubis kann der Sohn, laut den Ausbildern, angeblich von nun an frei wählen, wie er seinen Beruf in Zukunft ausüben will.
Weniger ambitionierte Söhne sind vom Betrieb meist schon so entfremdet, dass sie gar nicht mehr am Blockunterricht teilnehmen und lieber anderweitig tätig werden, zum Beispiel als freiberuflicher Distributionsmanager, Umwelttechniker oder als äußerst flexible Allroundtalente. Der Zwang zum Nebenberuf lässt den Sohn zweifeln, ob sich die ganze Mühe der Ausbildung überhaupt gelohnt hat.
Die Söhne, die den Blockunterricht aber wirklich bis zum Ende durchhalten, werden nach der Abschlussprüfung meistens mit einer eigenen Filiale und weiteren Power-Tutorials belohnt. Leider werden viele von ihnen auf diesem Weg etwas snobistisch, obwohl sie eigentlich nicht so richtig was geleistet haben, während ihre Kollegen aus umsatzschwächeren Betrieben ihr karges Brot auf der Straße verdienen müssen.
Weiterführende Ausbildungsgänge
Wer hat es noch nicht erlebt, vielleicht sogar am eigenen Leibe, wie es ist, wenn der Vater - der Halbgott im Leisure-Suit - so richtig enttäuscht ist. Hätte man beim Eishockeytraining doch nur nicht immer so schwul geheult.
Auch die Aktion mit dem eigenmächtig geleasten, rostfreien 633 CSI, als eigenen Firmenwagen (den man dann vom Taschengeld abgezogen bekam), war nicht so schick. Klar. Dass der Alte sich aber dermaßen echauffierte, weil man sich dann einen Job gesucht, das Taschengeld fort an abgelehnt hat und die Betriebsleitung auf den 18.000 Mark alleine sitzen geblieben ist, konnte man vorher ja nicht wissen.
Gemeinhin führen solche Zerwürfnisse eigentlich zu ein bisschen mehr Ruhe im Betrieb, was ja zu begrüßen wäre. Für den Sohn sind sie aber meist sehr hinderlich. Wie es ist - wenn man einmal auf der anderen Seite des Tresens steht - merkt man meist erst, wenn man selbst ein eigenes Geschäft eröffnet. Dann ist es jedoch zu spät, um noch was zu kitten. Den eigentlichen Grund für das patrimoniale Abgefucktsein erfährt man dann auf dem Tröster des Alten, hier kommt meist eine stille Teilhaberin des Unternehmens auf den ehemaligen Traumsohn zu. Bei diesem Anlass kommen dann auch endlich gewisse Altlasten zum Vorschein. Und natürlich die Leichenberge, die der FM hinter einer geheimen Zwischenwand angehäuft hat.
Sozialethisch desorientierte Söhne kommen sehr oft aus Betrieben, in denen ein schlechtes Klima herrscht. Als Beispiel, der deutsche Liedermacher Bushido: Von den männlichen Ausbildern schon im ersten Lehrjahr mit Missachtung bestraft, weil er beim Frühstück holen Bildding und Binding nicht auseinander halten konnte, wurde er schnell „Zu den Weibern“ (Betriebsjargon) gesteckt, wo er den Damen viel ungeliebte Extra-Arbeit bescherte, obwohl die ihn immer in Schutz nahmen. Danach brach dann auch noch der Betrieb zusammen und Bushido musste ohne Abschluss sehen, wo er blieb. In seinem weiteren Leben entwickelte er sich zu einem maliziös-verstockten Spieler im sozialen Akt, dem es gekonnt gelang seine Inkompetenz hinter großen Gesten zu verstecken. Seine Desorientierung brachte ihn sogar dazu seine „Ausbildung“ in seiner Musik schamlos auszuschlachten, wofür er sich fürstlich bezahlen ließ (während andere Söhne keine Mühen scheuen und sich ständig weiterbilden, nur um dann doch auf der Stelle zu treten).
Sein materieller Erfolg und sein, in jahrelanger autodidaktischer Selbstverwurstung erschaffener Irrglaube an sich selbst, machen heute seine überzeugende, ja schon fast (ohne richtige Ausbildung leider unerreichbare) kleinbürgerliche Strahlkraft aus. Mit solch einem Störungsbild gehen leider oft Gewalttätigkeiten in Haltung und Gebaren einher, die oft in verzweifelt-dilettantischen Körperverletzungsversuchen kompensiert werden. Früher oft kriminell, enden Söhne mit SdS heute als sehr reiche, einsame Menschen, denen nichts mehr bleibt als das Eigenheim, die Heckenschere und - wie in diesem Fall - billiger Anisschnaps und der WoW-Lifetime-Account.
Radko hat seine ganze Ausbildung in dem Moment an die Wand gefahren, als er seine Eltern mal beim Geschlechtsverkehr überraschte. Das mit den flachen Hierarchien war wohl keine gute Idee. Bei der nächsten Überprüfung des Berichtshefts konnte der Ausbildungsleiter nur einen einzigen Satz entziffern: „Meine Mutter hat gefickt!“ Nachdem die älteren Azubis noch heimlich „Setzen. Sex.“ in die - ohnehin voll gekritzelte - Kladde geschmiert hatten, ließ Radko seine Wut an den sündhaft teuren Produktionsmaschinen aus. Dies zog natürlich die fristlose Kündigung nach sich, aber Radko konnte auf diese Art gleich zwei weiterführende Ausbildungen auf einmal abschließen und das noch mit Power-Coaching.
Kurze Zeit später wurde Radko für arbeitsunfähig erklärt und ging in Frührente. Da er nicht weiß was er mit seiner Zeit anfangen soll, macht er heute die Straßen unsicher, wo er versucht eine Schwarzarbeit zu ergattern. Es reicht schon ein harmloses "Wie geht es deiner Mutter..." und Radko schäumt auf die Oma vom Bahnhofskiosk - bevor er mit ihr die Straße wischt.
Traumatisierte Söhne bringen nicht selten große Werke der Kultur und Wissenschaft hervor oder werden mächtige Staatenlenker.
Damit kompensieren sie nicht nur ablehnende Bewertungen bei Vorstellungsgespräch und Zwischenprüfung, sondern versuchen auch noch den verpassten Stoff aus der Lehrzeit nachzuholen, wozu sie oft ein ganzes Leben lang brauchen.
Als Beispiel Golo Mann ein Sohn von Thomas Mann. Nachdem der Vater ihm beim Vorstellungsgespräch eröffnete, dass er bei der Abschlussprüfung „...gnadenlos untergehen...“ werde, konnte der Sohn nicht mehr seinen Namen Angelus Gottfried Thomas aussprechen und nannte sich von nun an Golo. Um seine Behinderung zu verdrängen, schrieb er später den Klassiker Wallenstein - Sein Leben umständlich erzählt von Golo Mann, in dem er versuchte den Sprachstil aus der Frühzeit des Vaters nachzuahmen.
Durch mangelndes Lob und fehlende außerbetriebliche Aktivitäten wurde hier eine Karriere im Sohnemannshandwerk, von der Geschäftsleitung ruiniert, die den Azubi ihrerseits nur als Billigkraft sah.