Verachtung

Verachtung ist eine starke Geringschätzung, basierend auf der bewussten oder unbewussten Überzeugung des Unwertes der von ihr betroffenen Personen (auch Personengruppen) oder Institutionen. Nach Meyers Enzyklopädie von 1905 ist Verachtung „das Gefühl, das der Voraussetzung persönlichen Unwertes bei sich selbst (Selbstverachtung) oder bei anderen (Verachtung anderer) entstammt“.[1] Das Wort verachten stammt vom mittelhochdeutschen verahten.

Ihr Gegenteil ist die Achtung.

Entstehung

Verachtung entsteht durch die Bewertung einer anderen Person als minderwertig. In streng hierarchischen Kulturen entsteht Verachtung somit durch den sozialen Rang oder das Prestige, das eine Person innehat, und verläuft „nach unten“. In egalitären Kulturen entsteht Verachtung durch die Überzeugung, dass eine Person ihren sozialen Rang und das entsprechende Prestige nicht verdiene.[2] Verachtung kann sich dann also auch „von unten nach oben“ richten.

Auswirkungen

Wirkungen von Verachtung sind die Entwürdigung der Person oder Entwertung einer Institution unter Umständen einer damit einhergehenden Nicht-Beachtung der entsprechenden Person oder sozialen Gruppe,[3] sowie Pein, Distanzierung, Stress, Wut, Zorn, Aggressivität bei der verachteten Person und in dessen Folge Leid und Krankheit – auch mit volkswirtschaftlichen Schäden.[4]

Innere Kündigung, aber auch Missachtung der Regeln der peinigenden Gruppe, Institution oder Missachtung der Verträge mit der peinigenden Person sind „spiegelnde Auswirkungen“ (Reaktionen) von Verachtung.[5]

Soziologische Aspekte

Soziologisch betrachtet ist Verachtung anderer Personen als Haltung und soziale Sanktion ein zentraler Bestandteil von Schamkulturen. Als scharfe Form der Exklusion spricht Verachtung dem Verachteten Geltung, Ehre und Ansehen ab, er „verliert sein Gesicht“ (siehe auch Demütigung). Auch im heutigen Mitteleuropa spielen Verachtung und Achtung in einigen Subkulturen eine auffällige Rolle, dies reicht von den peer groups von Jugendlichen über das organisierte Verbrechen, die Politik bis in den Wissenschaftsbetrieb der Universitäten. Verachtung von Eheleuten untereinander ist ein häufiges Frühzeichen einer späteren Trennung.[6]

In Schuldkulturen hingegen tritt die Signalisierung von Achtung und Verachtung in der sozialen Interaktion[7] – aber nicht notwendig in ihrer Bedeutung – zurück. In diesen Kulturen geht es nicht darum, dass ein Verachteter erneut Ehre gewinnt, sondern darum, dass ein „Sünder“ seine Schuld sühnt.

Die ehemalige Verachtung der „unehrlichen Berufe“ ist ein Exklusionsmerkmal der Ständegesellschaft. Bis heute trägt es zur Geringschätzung von Berufen bei, wenn deren Vertreter in Ausübung ihrer Tätigkeiten von anderen Anwesenden habituell oft behandelt werden, als ob „sie Luft seien“, z. B. Lakaien, Reinigungspersonal u. a. m.[8]

Emotionspsychologische Aspekte

In der Emotionspsychologie wird Verachtung entweder als spezielle Form des Ekels[9] oder von Ärger (speziell Wut)[10] oder als eine Mischung aus beiden Emotionen[11] betrachtet.

Nach der Ansicht einiger Emotionsforscher (z. B. Paul Ekmans) gehört Verachtung zu den menschlichen Basisemotionen, deren mimischer Ausdruck angeboren ist. Er ist in allen Kulturen gleich und wird kulturübergreifend entsprechend decodiert bzw. erkannt.[12] Nach Anderen (z. B. Robert Plutchik) ist Verachtung keine Basisemotion, da sie aus anderen Basisemotionen (Ekel und Ärger) zusammengesetzt sei.[13]

Im Rahmen der modernen psychoanalytischen Neurosenlehre wird Verachtung als narzisstisch-aggressiver Affekt aufgefasst.[14] Bei Untersuchungen der Affektregulation bei Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung fand sich eine Häufung der Affekte Ekel und Verachtung.[15]

Belletristik

Literarisch wurde die „Verachtung“ vielfach behandelt, etwa in Schillers Handschuh.

„Verächtliche Gebärde“ ist eine in vielen europäischen Sprachen benützte Metapher, zum Beispiel im Französischen „un geste de mépris“ (dt. „eine verächtliche Geste“) bei Honoré de Balzac und Émile Zola; in deutschsprachigen Texten heißt es: „mit verächtlicher Gebärde“ zum Beispiel bei Willi Bredel, Max von der Grün, Carlo Mierendorff, Otto Stoessl und Ernst Wiechert.

Redewendung

Die Redewendung „jemanden mit Verachtung strafen“ besagt, dass man jemanden bewusst ignoriert, ihn absichtlich nicht beachtet.

Weblinks

Wiktionary: Verachtung – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Achtung. In: Meyers Großes Konversations-Lexikon. Ein Nachschlagwerk des allgemeinen Wissens. Band 1: A bis Astigmatismus. Neuer Abdruck. Bibliographisches Institut, Leipzig u. a. 1905, S. 83.
  2. William Ian Miller: The Anatomy of Disgust. Harvard University Press, Cambridge MA u. a. 1997, ISBN 0-674-03154-7.
  3. Keith Oatley, Philip N. Johnson-Laird: The Communicative Theory of Emotions: Empirical tests, Mental Models, and Implications for Social Interaction. In: Leonard Martin, Abraham Tesser (Hrsg.): Striving and Feeling. Interactions among Goals, Affect, and Emotion. L. Erlbaum Associates, Hillsdale NJ 1995, ISBN 0-8058-1629-1, S. ?–?, hier S. ??.
  4. Volkswirtschaftliche Schäden aufgrund chronischer Erkrankungen von Arbeitnehmern nach Krankheiten im Jahr 2010 (in Milliarden Euro). In: Statista – das Statistik-Portal. 2019, abgerufen am 21. April 2019.
  5. Susanna Lange: Mangelnde Mitarbeitermotivation: Wirtschaftlicher Schaden durch innere Kündigung. In: Management-praxis.de. 4. Juni 2009, abgerufen am 21. April 2019.
  6. Vgl. Bas Kast: Die Liebe und wie sich Leidenschaft erklärt. Fischer, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-10-038301-X. Kast zitiert den Psychologen und Mathematiker John Gottmann und nennt die fünf Vorboten einer Trennung – Kritik, Verteidigung, Verachtung, Rückzug und Machtdemonstration – „die apokalyptischen Reiter“.
  7. Vgl. H. Ty, R. L.: Achtung. In: Werner Fuchs-Heinritz u. a. (Hrsg.): Lexikon zur Soziologie. 4., grundlegend überarbeitete Auflage. VS – Verlag für Sozialwissenschaften, Opladen 2007, ISBN 978-3-531-15573-9, S. 12 f.
  8. vgl. Erving Goffman: Interaction Ritual. Essays on Face-to-face Behavior. Doubleday, Garden City NY 1967.
  9. Paul Ekman, Wallace V. Friesen: Unmasking the Face. A Guide to Recognizing Emotions from Facial Clues. Prentice-Hall, Englewood Cliffs NJ (1975), ISBN 0-13-938183-X.
  10. Robert Plutchik: Emotion. A Psychoevolutionary Synthesis. Harper & Row, New York NY 1980, ISBN 0-06-045235-8.
  11. Robert Plutchik: Emotions and Life. Perspectives from Psychology, Biology, and Evolution.Revised and updated edition. American Psychological Association, Washington, DC 2002, ISBN 1-55798-949-4.
  12. z. B. Paul Ekman: Gefühle lesen. Wie Sie Emotionen erkennen und richtig interpretieren. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2004, ISBN 3-8274-1494-6; Rezension.
  13. Vgl. z. B. Robert Plutchik: Emotions and Life. Perspectives from Psychology, Biology, and Evolution.Revised and updated edition. American Psychological Association, Washington, DC 2002, ISBN 1-55798-949-4; s. auch Plutchik: The Nature of Emotions.
  14. vgl. Seminarplan Tilman Habermas (SS 2007, Uni Frankfurt): Verachtung – Zur Psychoanalyse einer narzisstischen Emotion. (Memento des Originals vom 9. Januar 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.psychoanalyse.uni-frankfurt.de Mit zahlreichen Literaturangaben. (PDF; 35 kB).
  15. vgl. Cord Benecke, Gerhard Dammann: Nonverbales Verhalten von Patientinnen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung. In: Matthias Hermer, Hans Gerhard Klinzing (Hrsg.): Nonverbale Prozesse in der Psychotherapie. Dgvt-Verlag, Tübingen 2004, ISBN 3-87159-047-9, S. 261–272, (PDF; 615 kB).