Zigeunertonleiter
Zigeunertonleiter ist der fachsprachliche Überbegriff für heptatonische Tonleitern in folkloristischer und klassischer Musik, die durch zwei übermäßige Sekundschritte gekennzeichnet sind. Analog zu den Tongeschlechtern Dur und Moll unterscheidet man Zigeuner-Dur und Zigeuner-Moll.
Der Begriff leitet sich davon ab, dass diese Tonleitern unter anderem in der Musik der Roma und Sinti verwendet werden. In der westlichen Musik wurden sie besonders durch Franz Liszt (Ungarische Rhapsodien) bekannt gemacht. Sie finden sich auch im spanischen Flamenco. Die Problematik der Benennung besteht darin, dass die Zigeunertonleitern zum einen kein ausschließliches Merkmal der Musik der Roma und Sinti sind, zum anderen stellen sie kein verbindendes Element der Musik dieser Volksgruppe dar, deren Kultur immer von den regionalen Traditionen des Lebensumfeldes geprägt ist. Zudem verschwinden Wortkonstruktionen, die den diskriminierenden Begriff Zigeuner enthalten, zunehmend aus dem Sprachgebrauch.[1][2]
Zigeuner-Moll
Die Zigeuner-Moll-Tonleiter, auch ungarische Tonleiter genannt, ist eine Variante der Molltonleiter und entspricht dem harmonischen Moll mit erhöhter vierter Stufe. Dadurch entsteht ein zweiter Hiatus (übermäßige Sekunde) zwischen der dritten und vierten Stufe, der – ähnlich wie beim harmonischen Moll – einen besonderen orientalischen Anklang erzeugt.
Georges Bizet verwendet sowohl das Zigeuner-Moll als auch das Zigeuner-Dur für das „Schicksalsmotiv“ in seiner Oper Carmen, die das Schicksal einer Zigeunerin schildert.
Zigeuner-Dur
Die Zigeuner-Dur-Tonleiter, auch arabische Tonleiter genannt, lehnt sich ebenfalls an orientalische Klangcharakteristika an.
Das Zigeuner-Dur kann als plagale Form des Zigeuner-Molls (beginnend auf der 5. Stufe) aufgefasst werden.
Sie ist symmetrisch aufgebaut und besitzt eine Durterz.
Die Tonleiter kann gebildet werden, indem man die siebente Stufe der phrygisch-dominanten Tonleiter um einen Halbton erhöht. Damit entsteht wie bei der klassischen Dur-Tonleiter ein Leitton.
Eine andere Art zur Bildung von Zigeuner-Dur ist, die zweite und die sechste Stufe der Dur-Tonleiter um einen Halbton zu vermindern.
Aufbau aus Tetrachorden
Franz Liszt, der sich auch intensiv mit der Musiktheorie im antiken Griechenland auseinandergesetzt hatte, leitet die Zigeunertonarten „… aus dem altgriechischen ‚chromatischen Tetrachord‘ ab. Dieser letztere besteht nämlich aus einem kleinen Terzschritt und zwei aufeinanderfolgenden Halbtonschritten. Die kleine Terz stimmt aber im Klang mit der übermäßigen Sekunde überein, mit einem Tonintervall, das die westeuropäische Theorie nur deshalb benötigt, weil in der Fiktion der Skala (d. h. Tonleiter) keine Stufe übersprungen werden darf.“[3] Setzt man die kleine Terz mit der übermäßigen Sekunde (Hiatus) gleich, so lässt sich der Bau der Zigeunertonleitern mithilfe von Tetrachorden der Struktur Halbton-Hiatus-Halbton erklären:
- Das C-Zigeuner-Dur besteht aus den beiden unverbundenen (= durch einen Ganzton getrennten) Tetrachorden c-des-e-f und g-as-h-c.
- Das c-Zigeuner-Moll besteht aus den beiden (durch einen gemeinsamen Ton) verbundenen Tetrachorden d-es-fis-g und g-as-h-c, wobei die Tonleiter durch ein unten angefügtes c vervollständigt wird.
Hörbeispiele
Literatur
- Ulrich Michels: dtv-Atlas zur Musik. Band 1. dtv, München 1977, ISBN 3-423-03022-4.
- Christoph Hempel: Neue allgemeine Musiklehre. Schott, Mainz 1997, ISBN 3-254-08200-1.
- Wieland Ziegenrücker: ABC Musik. Allgemeine Musiklehre. Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 1997, ISBN 3-7651-0309-8.
- Kurt Johnen: Allgemeine Musiklehre. RUB 7352. 19., durchgesehene Auflage. Reclam, Stuttgart 2002, ISBN 3-15-007352-9.
Weblinks
- Tonleitern aus Osteuropa – Klezmer – Musik der Sinti und Roma (in Notenschrift und als MIDI zum Anhören)
Einzelnachweise
- ↑ DWDS – Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache. Abgerufen am 19. Januar 2022.
- ↑ Martin Losert, Karen Schlimp: Klangwege: Improvisation anregen - lernen - unterrichten. LIT Verlag Münster, 2019, ISBN 978-3-643-50908-6 (google.de [abgerufen am 19. Januar 2022]).
- ↑ István Szelényi: Der unbekannte Liszt. In: Klara Hamburger (Hrsg.): Franz Liszt – Beiträge von ungarischen Autoren. Reclam, Leipzig 1978, ISBN 963-13-0088-9, S. 276.