Zeitgeschichtliche Forschungsstelle Ingolstadt

Die Zeitgeschichtliche Forschungsstelle Ingolstadt e. V. (kurz: ZFI, auch als Institut für Zeitgeschichtsforschung Ingolstadt bezeichnet) ist ein geschichtsrevisionistischer Verein in Ingolstadt. Auf ihren Veranstaltungen wurden oder werden vor allem die Kriegsverbrechen der Deutschen im Zweiten Weltkrieg heruntergespielt, die Anzahl der ermordeten Juden im Holocaust in Abrede gestellt und Kontakte zu rechtsextremen Gruppierungen gepflegt.

Geschichte

Die ZFI wurde am 21. November 1981 maßgeblich von Alfred Schickel (1933–2015), Hellmut Diwald (1924–1993) und Alfred Seidl (1911–1993) als Gegenstück zum Institut für Zeitgeschichte in München gegründet.[1] Sie hatte 2005 etwa 500 bis 600 Mitglieder, veranstaltet zweimal im Jahr größere Tagungen und gibt die Zeitgeschichtliche Bibliothek und die ZFI-Informationen heraus.[2]

Die SPD und andere kritisierten, dass Alfred Lehmann (CSU), von 1. Mai 2002 bis 30. April 2014 Oberbürgermeister von Ingolstadt, mehrmals an ZFI-Tagungen teilgenommen hat und dass Horst Seehofer (CSU), damaliger Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz im Jahr 2006 lobende Grußworte zur Eröffnung der Veranstaltung sandte.[3]

In einer Anfrage vor dem Bayerischen Landtag wurde 2007 durch das Innenministerium bestätigt: „Dagegen propagieren einschlägige rechtsextremistische Publikationen unter Berufung auf die Person des Leiters der ZFI und seine Artikel vereinzelt auch ein mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbares Gedankengut.“[4]

Nach dem Tod von Alfred Schickel 2015 wählte die ZFI im Juni 2016 als neuen Vorsitzenden Gernot Facius.

Im November 2019 kündigte die Stadt Ingolstadt dem ZFI „aus wichtigem Grund“ den Mietvertrag für Veranstaltungen in den Räumen der örtlichen Volkshochschule. Die Stadt berief sich hier auf eine Stellungnahme des bayerischen Verfassungsschutzes, dass der Verein „verfassungswidriges oder gesetzeswidriges Gedankengut“ fördere.[5]

Seit 2018 wird der ZFI vom bayerischen Verfassungsschutz beobachtet. Eine Erwähnung in dessen Bericht 2019 wurde durch eine Klage des ZFI verhindert. Davon unbenommen darf die Behörde den Verein weiterhin beobachten.[6] Im Oktober 2021 wählten die Mitglieder den Historiker Stefan Scheil (AfD) zum neuen Vorsitzenden.[7]

Inhaltliches Profil und Einordnung

Laut Satzung des ZFI dient der Verein „ausschließlich der Förderung der Erziehungs-, Volks- und Berufsbildung“ und widmet sich „zugleich der Förderung internationaler Gesinnung, der Toleranz auf allen Gebieten der Kultur und des Völkerverständigungsgedankens“. Diese Aufgaben würden „insbesondere durch Förderung wissenschaftlicher Arbeiten zur Zeitgeschichte, von öffentlichen Vorträgen und Seminarveranstaltungen und durch die Anfertigung von Gutachten“ erfüllt.[8]

Für den Rechtsextremismus-Experten Bernd Wagner ist das ZFI in Deutschland ein „geistiges Zentrum rechtsextremer Kreise für historische Forschung“.[9] Auf Tagungen und Veranstaltungen werde eine systematische Verharmlosung des Nationalsozialismus und die Leugnung der Kriegsschuld betrieben. Dabei bestehe eine enge Zusammenarbeit mit Zeitungen und Zeitschriften wie Junge Freiheit, Europa Vorn, Nation und Europa und Deutschland in Geschichte und Gegenwart, die ähnliche Ziele verfolgen.[9] Auch den Publikationen des ZFI wird das Ziel attestiert, die deutsche Wehrmacht sowie das dritte Reich von jeglicher Schuld freizusprechen.[10] Über den langjährigen Leiter des ZFI urteilte Wolfgang Wippermann: „Schickels Geschichtsrevisionismus geht in einen politischen, auf die Veränderung des status quo abzielenden Revisionismus über.“[11]

Gemäß dem Lexikon der ‚Vergangenheitsbewältigung‘ in Deutschland ist das ZFI Teil der Strategie eines „selbstreferentiellen Systems“, in dem die Verharmlosung und Leugnung des Holocaust betrieben wird.[12] Schickel schrieb beispielsweise 1980, dass die Zahl von sechs Millionen ermordeter Juden „heute in der zeitgeschichtlichen Wissenschaft nicht mehr ernsthaft vertreten“ werde.[13] Die verstorbenen Gründer der ZFI arbeiteten mit rechtsextremen und geschichtsrevisionistischen Organisationen zusammen.[14]

Finanzierung

Die Finanzierung der ZFI erfolgt hauptsächlich durch Spenden und Beiträge der zirka 750 Fördermitglieder. Die Stadt Ingolstadt förderte das ZFI in den 1990er Jahren mit jährlich 2.000 Euro.[10]

Dr.-Walter-Eckhardt-Ehrengabe für Zeitgeschichtsforschung

Das Institut vergibt auch die Dr.-Walter-Eckhardt-Ehrengabe für Zeitgeschichtsforschung. Bisherige Preisträger waren unter anderem:

Publikationen

Literatur

  • Andreas Angerstorfer, Annemarie Dengg: Rechte Strukturen in Bayern. Eine Dokumentation mit Schwerpunkt Oberbayern, Oberpfalz und Niederbayern. 2. aktualisierte Auflage. Bayernforum, München 2005, ISBN 3-89892-416-5.
  • Anton Maegerle: „Club der Revisionisten“. Seit nunmehr 25 Jahren ist die „Zeitgeschichtliche Forschungsstelle Ingolstadt“ damit beschäftigt, historische Fakten zu verdrehen. In: Blick nach Rechts. Nr. 25, 11. Dezember 2006.
  • Bernd Wagner: Handbuch Rechtsextremismus. Netzwerke, Parteien, Organisationen, Ideologiezentren, Medien. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1994, ISBN 3-499-13425-X (rororo 13425).

Einzelnachweise

  1. Anton Maegerle: Politischer und publizistischer Werdegang von Autoren der „Jungen Freiheit“. In: Stephan Braun, Ute Vogt (Hrsg.): Die Wochenzeitung „Junge Freiheit“. Kritische Analysen zu Programmatik, Inhalten, Autoren und Kunden. VS-Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2007, S. 193–216 (hier: S. 206).
  2. Andreas Angerstorfer, Annemarie Dengg: Rechte Strukturen in Bayern. Eine Dokumentation mit Schwerpunkt Oberbayern, Oberpfalz und Niederbayern. 2., aktualisierte Auflage. München 2005, S. 131.
  3. SPD-Rechtspolitiker Florian Ritter sieht Zeitgeschichtliche Forschungsstelle Ingolstadt (ZFI) im Zwielicht. SPD-Pressestelle, 22. Dezember 2006.
  4. Bayerischer Landtag (Hrsg.): Drucksache 15/7335 (PDF; 22 kB) vom 22. Februar 2007: Antwort auf eine schriftliche Anfrage des Abgeordneten Florian Ritter, SPD.
  5. Johann Osel: Mietvertrag gekündigt – Ingolstadt schließt umstrittenen Verein aus VHS-Räumen aus. In: Süddeutsche Zeitung, 6. November 2019, abgerufen am 11. Februar 2021.
  6. Matthias Köpf: Gericht erklärt aktuellen Verfassungsschutzbericht in Bayern für unzulässig. In: Süddeutsche Zeitung, 22. Juli 2020, abgerufen am 11. Februar 2021.
  7. ZFI Ingolstadt. Abgerufen am 21. April 2022.
  8. Timo Frasch: Bayerns Verfassungsschutzbericht darf nicht mehr verbreitet werden. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. Juli 2020, abgerufen am 11. Februar 2021.
  9. a b Bernd Wagner: Handbuch Rechtsextremismus. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1994, S. 164.
  10. a b Katja Eddel: Die Zeitschrift MUT – ein demokratisches Meinungsforum? Analyse und Einordnung einer politisch gewandelten Zeitschrift. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2011, S. 232.
  11. Wolfgang Wippermann: Verdiente Revisionisten. Alfred Schickel und die Zeitgeschichtliche Forschungsstelle Ingolstadt (ZFI). In: Johannes Klotz, Ulrich Schneider (Hrsg.): Die selbstbewußte Nation und ihr Geschichtsbild. Geschichtslegenden der Neuen Rechten. Papyrossa, Köln 1997, S. 87.
  12. Torben Fischer, Matthias N. Lorenz (Hrsg.): Lexikon der »Vergangenheitsbewältigung« in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945. transcript Verlag, Bielefeld 2007, S. 87.
  13. redok zitiert hier einen Satz aus dem Artikel Die umstrittenste Zahl der Zeitgeschichte. Das ungeklärte Ausmaß der jüdischen Opfer von Alfred Schickel, erschienen in der rechtsextremen Zeitschrift Deutschland in Geschichte und Gegenwart (DGG) 28(1), 1980, S. 10.
  14. Geschichtsrevisionistischer Verein. (Memento vom 19. Juli 2011 im Internet Archive) redok, 14. Dezember 2006.

Weblinks

Homepage des ZFI