Zagreus

Das Götterkind Zagreus, mit Stierkopf abgebildet, konnte nach Belieben Tiergestalten annehmen.

Zagreus (altgriechisch ΖαγρεύςZagreús) ist eine Figur der griechischen Mythologie, die primär von den Orphikern angebetet worden ist.

Dem Mythos nach ist er als Sohn des Zeus und der Persephone von Titanen zerteilt und später als Dionysos wiedergeboren worden.[1] Die zeitgenössischen Darstellungen des Zagreus sind sehr vielseitig: So wird Zagreus in frühen Erwähnungen zum einen mit Gaia in Verbindung gebracht[2], während er wiederum in anderen Schilderungen als Hades Sohn oder gar Hades selbst impliziert wird.[3] Manche Forscher nehmen an, dass die Beinamen von Hades (Zeus Katachthonios oder Zeus Chthonios) zu einer Verwechslung in der Benennung der Vaterschaft geführt haben könnten.[4]

Etymologie, Ursprung

Der Name Zagreus leitet sich ab von einem griechischen Begriff für eine Person, die Tiere einfängt.[5] Laut Karl Kerényi gibt es Verbindungen zwischen Zagreus und dionysischen Riten, in denen kleine Tiere roh verspeist worden sind.[6] Auch in Euripides verlorenem Werk die Kreter wird auf solche Riten rekurriert.[7]

Der orphische Zagreus-Mythos

Auch wenn Zagreus in orphischen Quellen selbst nicht namentlich auftritt, wird er doch in diversen anderen Quellen mit dem orphischen Dionysos in Verbindung gesetzt.[8] Jener Dionysos gilt als ein Sohn des Zeus und der Persephone, der im Säuglingsalter von Titanen zerteilt und später durch Zeus und Semele wiedergeboren worden ist.[9]

Tötung

Die Zerteilung des Dionysos/Zagreus wird in der Forschung meistens als der wichtigste Teil des orphischen Mythos angesehen.[10] Zusammengesetzt aus verschiedenen Überlieferungen ergibt sich in etwa folgende Erzählung:

Zeus hat Persephone in der Gestalt einer Schlange verführt und sie geschwängert. Aus dieser Vereinigung entsteht Dionysos/Zagreus. Das Kind wird auf den Berg Ida gebracht, wo es genauso wie sein Vater vor ihm von den Kureten in einer Höhle bewacht wird. Der Säugling, von Zeus als Nachfolger vorgesehen, erregt den Zorn der eifersüchtigen Hera, die die Titanen damit beauftragt, ihn zu töten. Den Titanen gelingt es nach einiger Zeit, Dionysos/Zagreus mit einem Spiegel aus der Höhle zu locken. Von den Titanen wird Dionysos/Zagreus daraufhin zerteilt, gekocht und zum Teil verspeist. Der Göttin Athene gelingt es allerdings, das Herz des Kindes zu retten und es an Zeus zu übergeben. Der Göttervater nutzt das Herz, um seinen Sohn erneut zu zeugen, diesmal mit Semele.[11]

Wiedergeburt

Aus den Überlieferungen ergeben sich primär zwei verschiedene Erzählungen von Dionysos Wiedergeburt:

In der Version von Clemens von Alexandria, die man ähnlich auch bei Proklos und Lykophron aus Chalkis findet, gelingt es Athene, das noch schlagende Herz von Dionysos/Zagreus zu retten. Dieses bringt sie Zeus, woraufhin dieser Dionysos erneut zeugt, diesmal mit der Sterblichen Semele. So erhielt Athene den Autoren zufolge den Beinamen Pallas (von πάλλειν, griech. ‚schlagen‘).[12]

Kallimachos und Euphorion zeichnen eine andere Geschichte: Ihnen zufolge wird der Topf, in dem sich Dionysos gekochte Überreste befinden, Apollon zur Beerdigung überantwortet.[13][14] Euphorion folgend wird Dionysos von Rhea zusammengesetzt und zurück ins Leben gebracht[14] - der Schilderung von Diodor zufolge hingegen ist es Demeter gewesen, die Dionysos wiederbelebt hat.[15] Späteren orphischen Quellen nach ist diese Tat von Apollon selbst begangen worden.[16]

Osiris

Laut Alexandra von Lieven gibt es viele Parallelen zwischen der Geschichte der Zerteilung und Wiederbelebung von Dionysos/Zagreus und der des ägyptischen Gottes Osiris.[17] Dionysos wird oft in der Interpretatio Graeca mit Osiris gleichgesetzt.[18] Ähnliche Parallelen zieht auch Diodor.[19]

Schöpfung der Menschheit

Gemäß den Lehren des Orphismus schließt sich an die Tötung des Dionysos/Zagreus eine Anthropogonie an: Dem Mythos nach erschlägt Zeus, rasend vor Wut über den Mord an seinem Sohn, die Titanen mit Blitzen. Aus der Asche der Titanen wird die Menschheit geschaffen. Demnach besteht die Menschheit zu Teilen aus den göttlichen Überresten des verspeisten Dionysos/Zagreus und aus denen der Titanen. Damit versucht der Orphismus die Dualität von Gut und Böse in der menschlichen Natur zu begründen.[20]

Trivia und Weiteres

Zagreus ist der Protagonist des Computerspiels "Hades", das 2020 vom Publisher "Supergiant Games" veröffentlicht worden ist. In dem Spiel wird Zagreus als Sohn des Hades dargestellt und die Handlung folgt seinem Versuch, aus der Unterwelt auszubrechen und seine Mutter Persephone zu finden.[21]

Seit 2013 ist er Namensgeber für den Zagreus Ridge, einen Gebirgskamm im Grahamland in der Antarktis.

Quellen

  • Aischylos: Fragmente. Aus dem Griechischen von: Herbert Weir Smyth. Band 2, London/New York 1926. (online)
  • Clemens von Alexandria: Protreptikos. Aus dem Griechischen von George William Butterworth. 4. Auflage. London/Cambridge 1960. (online)
  • Diodoros Siculus: Bibliotheke. Band 1-2,34. Aus dem Griechischen von Charles Henry Oldfather (= diodorus of Sicily in twelve volumes. 1). London/Cambridge 1960. (online)
  • Diodoros Siculus: Bibliotheke. Band 2,35–58. Aus dem Griechischen von Charles Henry Oldfather (= diodorus of Sicily in twelve volumes. 2). London/Cambridge 1935. (online)
  • Diodoros Siculus: Bibliotheke. Band 4,59–8. Aus dem Griechischen von Charles Henry Oldfather (= diodorus of Sicily in twelve volumes. 3). London/Cambridge 1993. (online)
  • Nonnos: Dionysiaca. Aus dem Griechischen von: William Henry Denham Rouse. London 1940. (online)
  • Proklos: In Parmenidem. Aus dem Griechischen von Thomas Taylos (= The commentaries of proclus on the Timaues of Plato in five books. 2). London 1820. (online)

Literatur

  • Daniel Ogden: Drakon. Dragon Myth and Serpent Cult in the Greek and Roman Worlds. Oxford 2013, ISBN 9780199557325. (unvollständige Leseprobe)
  • Timothy Gantz: Early Greek Myth. A Guide to Literary and Artistic Sources. Baltimore/London 1993, ISBN 080184410X. (online)
  • Walter Burkert: Homo Necans. Interpretationen altgriechischer Opferriten und Mythen (= Religionsgeschichtliche Versuche. Nr. 32). Berlin/New York 1997, ISBN 9783110150995.(online (erfordert Autorisierung))
  • Robert Parker: Early Orphism. In: Anton Powell (Hg.): The Greek World. London/New York 2003, ISBN 9781134698646, S. 483–510. (unvollständige Leseprobe)
  • Eric Robertson Dodds: The Greeks and the Irrational. Berkeley/Los Angeles/London 2004, ISBN 9780520931275. (unvollständige Leseprobe)
  • Martin Persson Nilsson: Early Orphism and Kindred Religious Movements. In: The Harvard Theological Review. Nr. 3, 1935, S. 181–230. (online (erfordert Autorisierung))
  • Coleman Gailloreto: Does Hades Depict Greek Mythology Authentically? In: www.screenrant.com. 7. August 2020, abgerufen am 10. November 2021.
  • Robin Hard: The Routledge Handbook of Greek Mythology. London 2004, ISBN 9780415186360. (unvollständige Leseprobe)
  • Natale Spineto: Models of the Relationship between God and Human in Paganism. In:Katell Berthelot, Matthias Morgenstern (Hrsg.): The Quest for a Common Humanity. Human Dignity and Otherness in the Religious Traditions of the Mediterranean (= Studies in the history of religions. Nr. 134). Leiden 2011, ISBN 9789004201651, S. 23–40. (unvollständige Leseprobe)
  • William Keith Guthrie: Orpheus and Greek Religion. A Study of the Orphic Movement. Princeton 1993, ISBN 9780691024998. (unvollständige Leseprobe)
  • Alexandra von Lieven: Translating Gods, Interpreting Gods. On the Mechanisms behind the Interpretation Graeca of Egyptian Gods. In: Ian Rutherford (Hg.): Greco-Egyptian Interactions. Literature, Translation, and Culture, 500 BCE - 300 CE. Oxford 2016, ISBN 9780191630118, S. 61–82. (unvollständige Leseprobe)
  • Ivan Mortimer Linfort: The Arts of Orpheus. Berkeley/London 1941. (online)
  • Carl Kerenyi: Dionysos. Archetypal image of Indestructable Life (= Archetypal images in Greek religion. Nr. 2). Princeton 1976, ISBN 9780691029153. (online (erfordert Autorisierung); unvollständige Leseprobe)
  • Megan Farokhmanesh: Hades almost starred its worst chracter. Into the Labyrinth with Theseus. In: www.theverge.com. 5. März 2021, abgerufen am 10. November 2021.
  • Johan Tralau: Cannibalism, Vegetarianism, and the Community of Sacrifice. Rediscovering Euripides' Cretans and the Beginnings od Political Philosophy. In: Classical Philology. Nr. 4, 2017, S. 435–455. (online)
  • Alex Wilthshire: How Hades plays with Greek myths. In: www.rockpapershotgun.com. 17. August 2021, abgerufen am 10. November 2021.
  • Jenny March: Cassell's Dictionary of Classical Mythology. London 2001, ISBN 0-304-35788-X. (online)
  • Radcliffe Edmonds: Tearing Apart the Zagreus Myth. A Few Disparaging Remarks on Orphism and Original Sin. In: Classical Antiquity. Nr. 1, 1999, S. 35–73. (online (erfordert Autorisierung))

Anmerkungen

  1. Timothy Gantz: Early Greek Myth. A Guide to Literary and Artistic Sources. Baltimore/London 1993, ISBN 080184410X, S. 112f. [1]
  2. Timothy Gantz: Early Greek Myth. A Guide to Literary and Artistic Sources. Baltimore/London 1993, ISBN 080184410X, S. 118.[2]
  3. Aischylos: Fragment 228.[3]
  4. Timothy Gantz: Early Greek Myth. A Guide to Literary and Artistic Sources. Baltimore/London 1993, ISBN 080184410X, S. 119. [4]
  5. Carl Kerenyi: Dionysos. Archetypal image of Indestructable Life (= Archetypal images in Greek religion. Nr. 2). Princeton 1976, ISBN 9780691029153, S. 82.
  6. Carl Kerenyi: Dionysos. Archetypal image of Indestructable Life (= Archetypal images in Greek religion. Nr. 2). Princeton 1976, ISBN 9780691029153, S. 85.
  7. Johan Tralau: Cannibalism, Vegetarianism, and the Community of Sacrifice. Rediscovering Euripides' Cretans and the Beginnings of Political Philosophy. In: Classical Philology. Nr. 4, 2017, S. 435–455, hier S. 437.[5]
  8. Edmonds Radcliffe: Tearing Apart the Zagreus Myth. A Few Disparaging Remarks on Orphism and Original Sin. In: Classical Antiquity. Nr. 1, 1999, S. 35–73, hier S. 36.[6]Johan Tralau: Cannibalism, Vegetarianism, and the Community of Sacrifice. Rediscovering Euripides' Cretans and the Beginnings od Political Philosophy. In: Classical Philology. Nr. 4, 2017, S. 435–455, hier S. 437.[7]
  9. Robin Hard: The Routledge Handbook of Greek Mythology. London 2004, ISBN 9780415186360, S. 35. [8]
  10. William Keith Guthrie: Orpheus and Greek Religion. A Study of the Orphic Movement. Princeton 1993, ISBN 9780691024998, S. 107.[9] Ivan Mortimer Linfort: The Arts of Orpheus. Berkeley/London 1941, S. 307 Martin Persson Nilsson: Early Orphism and Kindred Religious Movements. In: The Harvard Theological Review. Nr. 3, 1935, S. 181–230, hier S. 202.[10] Robert Parker: Early Orphism. In: Anton Powell (Hg.): The Greek World. London/New York 2003, ISBN 9781134698646, S. 483–510, hier S. 495.
  11. Walter Burkert: Homo Necans. Interpretationen altgriechischer Opferriten und Mythen (= Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten. Nr. 32). Berlin/New York 1997, ISBN 9783110150995, S. 140.[11] William Keith Guthrie: Orpheus and Greek Religion. A Study of the Orphic Movement. Princeton 1993, ISBN 9780691024998, S. 82.[12] Robin Hard: The Routledge Handbook of Greek Mythology. London 2004, ISBN 9780415186360, S. 35.[13] Ivan Mortimer Linfort: The Arts of Orpheus. Berkeley/London 1941, S. 307–364.[14] Jenny March: Cassell's Dictionary of Classical Mythology. London 2001, ISBN 0-304-35788-X, S. 788. Daniel Ogden: Drakon. Dragon Myth and Serpent Cult in the Greek and Roman Worlds. Oxford 2013, ISBN 9780199557325, S. 80. Clemens von Alexandria: Protreptikos. Buch 2. Kapitel 15.[15] Diodoros Siculus: Bibliotheke. Buch 3. Kapitel 62. Vers 6ff.[16] Diodoros Siculus: Bibliotheke. Buch 3. Kapitel 64. Vers 1f.[17] Diodoros Siculus: Bibliotheke. Buch 4. Kapitel 4. Vers 1f.[18] Diodoros Siculus: Bibliotheke. Buch 5. Kapitel 75. Vers 4. [19] Nonnos: Dionysiaca. Kapitel 5, Vers 562–570.[20] Nonnos: Dionysiaca. Kapitel 6, Vers 155ff.[21]
  12. Clemens von Alexandria: Protreptikos. Buch 2. Kapitel 15.[22] Ivan Mortimer Linfort: The Arts of Orpheus. Berkeley/London 1941, S. 311.[23] Proklos: In Parmenidem. kapitel 35a.[24]
  13. Walter Burkert: Homo Necans. Interpretationen altgriechischer Opferriten und Mythen (= Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten. Nr. 32). Berlin/New York 1997, ISBN 978-3-11-015099-5, S. 140.
  14. a b Ivan Mortimer Linfort: The Arts of Orpheus., Berkeley/London 1941, S. 311 f.
  15. Diodoros Siculus: Bibliotheke. Buch 3. Kapitel 62. Vers 6.[25]
  16. Ivan Mortimer Linfort: The Arts of Orpheus., Berkeley/London 1941, S. 315 f.
  17. Alexandra von Lieven: Translating Gods, Interpreting Gods. On the Mechanisms behind the Interpretation Graeca of Egyptian Gods. In: Ian Rutherford (Hg.): Greco-Egyptian Interactions. Literature, Translation, and Culture, 500 BCE - 300 CE. Oxford 2016, ISBN 9780191630118, S. 61–82, hier S. 69.
  18. Alexandra von Lieven: Translating Gods, Interpreting Gods. On the Mechanisms behind the Interpretation Graeca of Egyptian Gods. In: Ian Rutherford (Hg.): Greco-Egyptian Interactions. Literature, Translation, and Culture, 500 BCE - 300 CE. Oxford 2016, ISBN 9780191630118, S. 61–82, hier S. 67
  19. Diodoros Siculus: Bibliotheke. Buch 1. Kapitel 21. Vers 1 ff.[26] Diodoros Siculus: Bibliotheke. Buch 4. Kapitel 6. Vers 3.[27]
  20. Eric Robertson Dodds: The Greeks and the Irrational. Berkeley/Los Angeles/London 2004, ISBN 9780520931275, S. 155 f. William Keith Guthrie: Orpheus and Greek Religion. A Study of the Orphic Movement. Princeton 1993, ISBN 9780691024998, S. 83. Ivan Mortimer Linfort: The Arts of Orpheus. Berkeley/London 1941, S. 307 f. Jenny March: Cassell's Dictionary of Classical Mythology. London 2001, ISBN 0-304-35788-X, S. 788. Robert Parker: Early Orphism. In: Anton Powell (Hg.): The Greek World. London/New York 2003, ISBN 9781134698646, S. 483–510, hier S. 495 f. Natale Spineto: Models of the Relationship between God and Human in Paganism. In:Katell Berthelot, Matthias Morgenstern (Hrsg.): The Quest for a Common Humanity. Human Dignity and Otherness in the Religious Traditions of the Mediterranean (= Studies in the history of religions. Nr. 134). Leiden 2011, ISBN 9789004201651, S. 23–40, hier S. 34.
  21. Megan Farokhmanesh: Hades almost starred its worst chracter. Into the Labyrinth with Theseus. In: www.theverge.com. 5. März 2021, abgerufen am 10. November 2021. Coleman Gailloreto: Does Hades Depict Greek Mythology Authentically? In: www.screenrant.com. 7. August 2020, abgerufen am 10. November 2021. Alex Wilthshire: How Hades plays with Greek myths. In: www.rockpapershotgun.com. 17. August 2021, abgerufen am 10. November 2021.

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