Wolfgang Clemen

Wolfgang Clemen (* 29. März 1909 in Bonn; † 16. März 1990 in Endorf in Oberbayern) war ein bedeutender deutscher Literaturwissenschaftler, Anglist und Shakespeareforscher. Sein Vater war der Kunsthistoriker Paul Clemen.

Leben

Nach seiner Schulzeit mit Abitur in Bonn studierte Clemen von 1928 bis 1934 an den Universitäten in Heidelberg, Freiburg, Berlin, München, Bonn und Cambridge. Er wurde 1936 mit einer Arbeit über Shakespeares Bilder promoviert und habilitierte sich 1938 mit einer Studie über den Jungen Chaucer. Zu seinen akademischen Lehrern zählten Ernst Robert Curtius, Karl Jaspers, Karl Vossler und Hugo Friedrich.

Clemen beantragte am 12. Juni 1937 die Aufnahme in die NSDAP und wurde rückwirkend zum 1. Mai desselben Jahres aufgenommen (Mitgliedsnummer 4.387.988).[1][2] Allerdings war er darum bemüht, seine moralische Integrität zu bewahren, und distanzierte sich von der offiziellen nationalsozialistischen Weltanschauung. Um dem wachsenden politischen Druck des Regimes auf die Lehrenden an den Universitäten zu entgehen, meldete er sich schließlich zum Wehrdienst. Im Rahmen der Entnazifizierung wurde er 1946 als „Mitläufer“ eingestuft.[3]

Nach seiner Habilitation war Clemen zunächst Dozent für Literaturgeschichte an der Universität Köln, übernahm aber noch im gleichen Jahr (1938) eine Lehrstuhlvertretung in Kiel, wo er 1943 eine Ordentliche Professur erhielt. 1946 folgte er einem Ruf der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) auf den anglistischen Lehrstuhl für historische Sprachwissenschaft, den er bis zu seiner Emeritierung 1964 innehatte. Als Gastprofessor lehrte er an der Columbia University, New York (1953), an der Johns Hopkins University, Baltimore, an der University of Bristol, England (1964) und an der University of Cambridge, England. Er erhielt zahlreiche Rufe an amerikanische, englische und deutsche Universitäten. Im Shakespeare-Jahr 1964 wurde er zum Präsidenten der Modern Humanities Research Association gewählt. Er ist Gründer (1963) der Shakespeare-Forschungsbibliothek am Seminar für Anglistik (heute: Institut für Englische Philologie) der LMU München, wo er hochbetagt noch bis 1990 arbeitete.

Familie

1943 heiratete er Ursula Gauhe (1910–1993), Übersetzerin englischsprachiger Gedichte und Märchen, die 1936 in Bonn mit einer Arbeit zu „Jean Pauls Traumdichtungen“ zur Dr. phil. promoviert wurde.[4][5] Der Sohn Harald Clemen wurde Theaterregisseur.

Ehrungen

Wolfgang Clemen war Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften sowie Korrespondierendes Mitglied der British Academy for the Promotion of Historical, Philosophical and Philological Studies. Er erhielt Ehrendoktorate der Universitäten Birmingham (1964), Rouen (1967) und Uppsala (1977). Im gleichen Jahr wurde er zum Kurator auf Lebenszeit des Shakespeare Birthplace Trust ernannt. 1981 wurde er in den Orden Pour le Mérite für Wissenschaft und Künste gewählt. Clemen war Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes mit Stern, des Bayerischen Verdienstordens und des Bayerischen Maximiliansordens. 1972 wurde Clemen zum Commander of the Order of the British Empire ernannt.

Werke (Auswahl)

  • Shakespeares Bilder: Ihre Entwicklung und ihre Funktionen im dramatischen Werk. Mit e. Ausblick auf Bild u. Gleichnis im Elisabethanischen Zeitalter (Bonner Studien zur engl. Philologie. H. 27). Hanstein, Bonn 1936. [leicht geänderte u. erweiterte Phil. Diss. Bonn]
  • The Development of Shakespeare’s Imagery. Routledge, London 1977, ISBN 0-415-61220-9.
  • Der junge Chaucer: Grundlagen und Entwicklung seiner Dichtung (Kölner anglistische Arbeiten Bd. 33). Pöppinghaus, Bochum-Langendreer 1938 [Phil. Habil. Köln].
  • Chaucers frühe Dichtung. (erweiterte Neufassung von Der junge Chaucer. Bochum 1938). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1963.
  • Die Tragödie vor Shakespeare: Ihre Entwicklung im Spiegel der dramatischen Rede (Schriftenreihe der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft; N.F. Bd. 5). Quelle & Meyer, Heidelberg 1955.
  • Kommentar zu Shakespeares Richard III : Interpretation eines Dramas. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1957; 2. durchges. u. erg. Aufl. 1969; englisch: A Commentary on Shakespeare’s Richard III. Methuen, London 1968.
  • Chaucers frühe Dichtung. (erweiterte Neufassung von Der junge Chaucer. Bochum 1938). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1963.
  • Idee und Wirklichkeit auf der Universität (Schriften des Hofgeismarer Kreises Nr. 3). Quelle & Meyer, Heidelberg 1963.
  • Originalität und Tradition in der englischen Dichtungsgeschichte. Verlag der Bayer. Akad. d. Wiss., München 1978.
  • Shakespeares Monologe. Piper, München 1985.
  • Shakespeare’s soliloquies. Methuen, London 1987.
  • Interpretationen zur englischen Literatur. Münster 1991.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Bundesarchiv R 9361-VIII KARTEI/5220653
  2. Ina Schabert (Hg.): Wolfgang Clemen im Kontext seiner Zeit. Heidelberg 2009. S. 6
  3. Siehe Uwe Meier: Wolfgang Clemen im Kontext seiner Zeit: Ein Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte vor und nach dem Zweiten Weltkrieg, ed. Ina Schabert, unter Mitarbeit von Andreas Höfele und Manfred Pfister — Besprechung. In: Anglia, Band 129, Heft 1—2, S. 177. Vgl. ferner die Rezension von Ina Schabert (Hg.): Wolfgang Clemen im Kontext seiner Zeit: Ein Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte vor und nach dem zweiten Weltkrieg. In: English and American Studies in German. Band 2009, Heft 2010, S. 66.
  4. Jean Pauls Traumdichtungen. Ursula Gauhe. Verlag Gebr. Scheur (Bonner Universitäts-buchdruckerei), 1936
  5. Ursula Clemen im Lexikon Westfälischer Autorinnen und Autoren