Wohnprojekt

Als ein Wohnprojekt verstehen sich Wohngemeinschaften, die ein oder mehrere Häuser gemeinsam entwickeln, bewohnen und verwalten. Bewusst gemeinschaftlich organisierte Wohnformen verbreiten sich seit den 1980er Jahren vor allem in Europa und Nordamerika. Als Intentionale Gemeinschaften (englisch intentional community) sind sie eine moderne Variante des Zusammenlebens und eine Antwort auf das Altern der Gesellschaft, die Knappheit bezahlbaren Wohnraums und ein Beitrag zur Ausbreitung bedürfnisgerechter Lebensformen.

Wohnprojekte sind häufig mit Phasen des gemeinschaftlichen Bauens gekoppelt, um Wohnraum zu schaffen, der zur angestrebten Wohnform passt.

Geschichte

Ihre Wurzeln haben viele Wohnprojekte bei den Hausbesetzungen, in emanzipatorischen Bewegungen und im politisch linken oder alternativen Spektrum. Anders als Eigentümergemeinschaften versuchen Wohnprojekte, Beteiligten die Chance zu eröffnen, auch ohne viel Eigenkapital selbstbestimmt zu leben, oft als Alternative zum isolierten Leben in der Singlewohnung oder im Altenheim. Soziologisch geht damit einher, dass die Kleinfamilie mit Alleinverdiener schwindet und Patchwork- sowie Wahlfamilien zunehmen.

Erscheinungsformen

Charakteristisch für Wohnprojekte sind Selbstverwaltung und basisdemokratische Arbeitsweisen; die Spekulation mit Wohneigentum als Kapitalanlage wird in der Regel abgelehnt. So kommen nicht-kommerzielle Beteiligungsformen und genossenschaftliche Strukturen den Idealen vieler Wohnprojekt-Aktiven weitaus näher als Erwerbermodelle. Häufiger als der Neubau ist die Ressourcen schonende Umnutzung von Kasernen oder Fabrikgebäuden und anderer Altbauten, deren Abriss oder Verfall droht. Wichtig für Wohnprojekte ist die organisierte Gruppenselbsthilfe als Eigenkapitalersatz. In vielen Fällen wird auch darauf Wert gelegt, Barrieren gegen Kinder und alte Menschen abzubauen und Menschen mit Migrationshintergrund ausdrücklich einzubeziehen. Einzelne Projekte machen sich interkulturelles Wohnen auch zum zentralen Anliegen.[1]

Verwandte Lebensformen waren oder sind z. B. Siedlungsgenossenschaft, Ökosiedlung, Kibbuz und Landkommune. Auch Autofreies Wohnen, Mehrgenerationenhäuser, Wagenburgen oder (Bau-)Wagenplätze, autonome Zentren, Gewerbehöfe und von Frauen bewohnte Beginenhöfe zeigen Überschneidungen zu Wohnprojekten. Die Grenzen zum reinen Marketing-Namen sind allerdings fließend; so werden auch neue Immobilienobjekte mitunter verkaufsfördernd als Wohnprojekt angeboten, wenn sie z. B. in irgendeiner Weise generationenübergreifend konzipiert sind.

Projekte

Deutschland

In Deutschland gibt es viele dem Ansatz nach „alternative“ Wohnprojekte, etwa die Schellingstraße in Tübingen, die WiG - Wohnen in Gemeinschaft in Herne, die MiKa in Karlsruhe, SUSI und Grether in Freiburg, den Aegidienhof in Lübeck, Wohnsinn[2] und Agora[3] in Darmstadt, Wagnis in München, die ALLMEIND[4] in Regensburg/Burgweinting, die ehemalige Yorck59, die Rigaer 94 und die Köpi in Berlin oder die Hafenstraße in Hamburg. Hamburg ist mit über 120 genossenschaftlich organisierten Wohnprojekten eine Hochburg. Besonders in Baden-Württemberg gibt es viele Initiativen, die als selbstverwaltete GmbHs ihre Projekthäuser über eine Minderheiten-Beteiligung des Mietshäuser Syndikats dem Kapital- und Immobilienmarkt entzogen haben. Die Finanzierung der Wohnprojekte erfolgt über Direktkredite und häufig über Darlehen der GLS-Gemeinschaftsbank.

Seit den 1990er Jahren veranstaltet man lokale Wohnprojekte-Tage.

Österreich / Schweiz

Überregional bekannt sind die Sargfabrik im Westen Wiens mit einem großen Kulturzentrum und KraftWerk in Zürich mit Raum für gemeinschaftliches Wohnen und Arbeiten. Beide haben inzwischen Ableger gebildet.

Weltweit

In Dänemark (allen voran die Freistadt Christiania in Kopenhagen), dann auch in anderen Ländern Skandinaviens, in den Niederlanden und in den USA sind vielfältige Cohousing-Projekte entstanden, die mit Planung durch die Bewohner sowie Elementen von Selbstverwaltung arbeiten und damit Parallelen zu Wohnprojekten in Deutschland aufweisen.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Interkulturelles Wohnen. Schader Stiftung, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 17. Dezember 2007; abgerufen am 20. September 2009.
  2. Wohnsinn
  3. Agora
  4. Bewohnerverein ALLMEIND e.V. (abgerufen 25. Februar 2013)

Literatur

  • Dorette Deutsch: Schöne Aussichten fürs Alter. Wie ein italienisches Dorf unser Leben verändern kann. Piper Verlag, München 2005, ISBN 3-492-04873-0 (Piper Taschenbuch 2007).
  • Dorette Deutsch: Lebensträume kennen kein Alter. Neue Ideen für das Zusammenwohnen in der Zukunft. Krüger Verlag, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-901811-56-2.
  • Micha Fedrowitz, Ludger Gailing: Zusammen wohnen. Dortmunder Beiträge zur Raumplanung, Bd. 112. Dortmund 2003. ISBN 3-88211-141-0 Download.
  • Dietmar Walberg: Leitfaden für Gruppenwohnprojekte, Hrsg. v.d. Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V. Kiel 2015. ISBN 978-3-939268-22-2.
  • Axel Janitzki, Walter Burkart (Hrsg.): Alternativen zu Mietwohnung und Eigenheim – gemeinsam finanzieren, selbst verwalten. Freies Geistesleben, Stuttgart 1992. ISBN 3-7725-0951-7.
  • Christine Philippsen: Soziale Netzwerke in gemeinschaftlichen Wohnprojekten. Eine empirische Analyse von Freundschaften und sozialer Unterstützung. Budrich UniPress, Opladen 2014, ISBN 978-3-86388-086-6.
  • STATTBAU HAMBURG (Hrsg.): Wohnprojekte, Baugemeinschaften, Soziale Stadtentwicklung – das Stattbau-Buch. Hamburg 2002. ISBN 3-9808222-0-6.

Weblinks