Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages
Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages (WD) sind eine Einrichtung, die es dem einzelnen Bundestagsabgeordneten ermöglichen soll, sich unabhängig von der Sachkompetenz der Bundesministerien unparteiisch zu bestimmten Themen zu informieren. Sie sollen so dabei helfen, den Wissensvorsprung der Exekutive gegenüber der Legislative zu verringern. Sie bilden als Teil der Abteilung A (Außenbeziehungen, Europa und Analyse) eine Unterabteilung der Verwaltung des Deutschen Bundestages. 2018 hatten die Wissenschaftlichen Dienste rund 100 Mitarbeiter, davon ca. 65 Referenten.[1]
Gliederung
Die Wissenschaftlichen Dienste sind in zehn Fachbereiche[2] gegliedert, die den 25 ständigen Ausschüssen des Parlaments entsprechen; ein Fachbereich ist jeweils für mehrere Ausschüsse tätig.
Fachbereich | Sachgebiete |
---|---|
WD 1 | Geschichte, Zeitgeschichte und Politik[4] |
WD 2 | Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und Humanitäre Hilfe[5] |
WD 3 | Verfassung und Verwaltung[6] |
WD 4 | Haushalt und Finanzen[7] |
WD 5 | Wirtschaft und Verkehr, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz[8] |
WD 6 | Arbeit und Soziales[9] |
WD 7 | Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bau und Stadtentwicklung[10] |
WD 8 | Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung[11] |
WD 9 | Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend[12] |
WD 10 | Kultur, Medien und Sport[13] |
Bis 2013 gab es zusätzlich den Fachbereich Europa (WD 11),[14] dessen Aufgabenbereich an die auf 64 Mitarbeiter verstärkte Unterabteilung Europa (PE) der Abteilung Parlament und Abgeordnete (P) übergegangen ist.[15] Diese wurde im Zuge der Umstrukturierung der Bundestagsverwaltung 2023 als Unterabteilung Europa (EU) ebenso wie die Unterabteilung Wissenschaftliche Dienste (WD) der Abteilung A zugeordnet.
Anfragen
„Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder.“
Aufträge an die Fachbereiche können sowohl von Abgeordneten als auch von Gremien des Deutschen Bundestages erteilt werden. Vorhandenes Material wird ggf. auf Anfrage auch der Bundesregierung, den Landesregierungen, Abgeordneten der Landesparlamente und des Europäischen Parlaments sowie externen (wissenschaftlichen und sonstigen) Institutionen zur Verfügung gestellt.
Auf Gegenseitigkeit innerhalb des Europäischen Zentrums für Parlamentarische Wissenschaft und Dokumentation und nachrangig werden auch Ersuchen anderer Parlamente aus dem Bereich der Europäischen Union, des Europarats sowie aus den Parlamenten Israels, Kanadas, Mexikos und der Vereinigten Staaten bearbeitet.
Die Wissenschaftlichen Dienste erhalten bis zu 4.300 Anfragen im Jahr. Die Anfragen gehen bei einer Hotline W genannten Stabsstelle ein, die zahlreiche Datenbanken abfragen und mehr als die Hälfte der Auskünfte direkt erteilen kann. Ansonsten klärt Hotline W die Zuständigkeit und leitet den Auftrag an den Fachbereich weiter. Werden Anfragen schriftlich beantwortet, kennen die Fachbereiche verschiedene Formen wie Ausarbeitungen, Sachstände, Dokumentationen und Fachbeiträge, die sich in Form und Umfang unterscheiden. Im Ausnahmefall werden Arbeiten auch an externe Wissenschaftler vergeben. Redenentwürfe werden nur für Mitglieder des Bundestagspräsidiums erstellt.
Die Wissenschaftlichen Dienste forschen in der Regel nicht selbst, sondern stellen den Stand der Forschung, Gesetzgebung und Rechtsprechung verständlich und übersichtlich dar. Die Arbeiten der WD sind der politischen Neutralität verpflichtet. Die Arbeit steht dem Auftraggeber in der Regel vier Wochen exklusiv zur Verfügung. Nach dieser Zeit veröffentlicht der Bundestag seit 2016 die Arbeit auf seiner Webseite, „so dem nicht eng gefasste Ausschlussgründe entgegenstehen“.[17]
Abgeordnete dürfen die Wissenschaftlichen Dienste grundsätzlich nur im Rahmen ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit nutzen.[18]
Den rechtlichen Ausarbeitungen der Wissenschaftlichen Dienste wird ein „zweifelsohne hoher juristischer Sachverstand“ sowie ein „de facto stets hohes Gewicht im parlamentarischen Geschehen“ beigemessen.[19]
Archiv
Die Wissenschaftlichen Dienste können auf die mit rund 1,4 Millionen Exemplaren[20] drittgrößte Parlamentsbibliothek der Welt, die Bibliothek des Deutschen Bundestages, zurückgreifen. Daneben werten sie auch das Archiv des Deutschen Bundestages aus.
Weitere Aufgabenbereiche
Weniger bekannte Aufgaben der Wissenschaftlichen Dienste sind die Vorbereitung dreier Preisvergaben, des Medienpreises des Deutschen Bundestages, des Wissenschaftspreises sowie des Deutsch-französischen Parlamentspreises. Auch die Dauerausstellung zum Parlamentarismus im Berliner Deutschen Dom Wege – Irrwege – Umwege wird von den Wissenschaftlichen Diensten (Fachbereich WD 1) fortentwickelt.
Die Wissenschaftlichen Dienste werden auch von sich aus tätig: Zu „Aktuellen Begriffen“ stellen sie zweiseitige Informationen zusammen, die allen Abgeordneten zugänglich gemacht werden. Auf der Website gibt es auch Ausarbeitungen für die breite Öffentlichkeit.
Sonstiges
Rechtsstreit um Gutachten zu außerirdischem Leben
Auf Anfrage der Abgeordneten Gitta Connemann erstellte der Fachbereich 8 der Wissenschaftlichen Dienste (WD 8) im Jahr 2009 zwei Studien mit den Titeln Die Suche nach außerirdischem Leben und die Umsetzung der VN-Resolution A/33/426 zur Beobachtung unidentifizierter Flugobjekte und extraterrestischen Lebensformen (WD8-3000-104/2009) und Die Europäische Union und ihr Umgang mit dem Thema „unidentifizierte fliegende Objekte“ (WD11-148/09). Die Ausarbeitungen befassen sich mit der möglichen Existenz extraterrestrischen Lebens, unidentifizierter fliegender Objekte und eventuell stattfindender Untersuchungen darüber. Da die Ausarbeitungen nicht veröffentlicht worden waren, versuchte ein Kläger 2011 aufgrund des Informationsfreiheitsgesetzes vor dem Verwaltungsgericht Berlin Einsicht in die Studien zu bekommen.[21][22][23][24] Der Kläger reichte zudem bei dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Beschwerde ein.[25][26] Die 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin entschied erstinstanzlich am 1. Dezember 2011 (Az.: VG 2 K 91.11): „Der Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) gilt auch für Ausarbeitungen des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages.“[27][28][29][30] Der Deutsche Bundestag legte gegen das Urteil Berufung ein.[31] Im November 2013 gab das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg der Berufung vollumfänglich statt. Es entschied, dass das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) auf Unterlagen der wissenschaftlichen Dienste, die für Abgeordnete erstellt werden, keine Anwendung findet, sofern diese Unterlagen nicht in Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben erstellt worden seien, sondern dem Bereich parlamentarischer Tätigkeit zuzurechnen seien und der unmittelbaren Unterstützung der Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit dienen.[32][33] Im Juni 2015 entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass die Ausarbeitung herausgegeben werden muss: „Der Deutsche Bundestag ist, soweit es um Gutachten und sonstige Zuarbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geht, eine informationspflichtige Behörde“.[34][35]
Nachdem die Organisationen FragDenStaat.de und Abgeordnetenwatch.de im Rahmen ihrer Kampagne „FragDenBundestag“ die Liste von 3.800 Bundestagsgutachten veröffentlicht hatten und mehr als 2.000 Gutachten von Nutzern unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz angefragt wurden, entschied der Ältestenrat des deutschen Bundestages am 18. Februar 2016, alle angefragten Gutachten sowie künftig auch alle neuen Gutachten auf der Website des Bundestages zu veröffentlichen.[36][37]
Plagiatsaffäre Guttenberg
Im Februar 2011 wurde bekannt, dass der damalige Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg Inhalte aus mehreren Expertisen des WD in seiner Doktorarbeit verwendet hatte, ohne die Quellen kenntlich zu machen.[38] Nachdem die Universität Bayreuth Guttenberg im Zuge der Plagiatsaffäre um seine Dissertation den Doktorgrad im Februar 2011 aberkannt hatte,[39] legte er Anfang März 2011 sämtliche politischen Ämter nieder.
Wissenschaftliche Dienste der Landesparlamente
Alle Landesparlamente in Deutschland bis auf den saarländischen Landtag und die Hamburgische Bürgerschaft unterhalten eigene wissenschaftliche Dienste. Ihre Gutachten werden beim Parlamentarischen Beratungs- und Gutachterdienst des Landtags Nordrhein-Westfalen gesammelt.[40] Nach Klagen von FragDenStaat veröffentlichen inzwischen auch Landesparlamente in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz ihre Gutachten. Der schleswig-holsteinische Landtag änderte das Informationszugangsgesetz, sodass er Gutachten seines wissenschaftlichen Dienstes nicht herausgeben muss.[41]
Literatur
- Rupert Schick, Gerhard Hahn: Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages. 5. Auflage, Deutscher Bundestag, Referat Öffentlichkeitsarbeit, Berlin 2000, ISBN 3-89372-013-5.
- Thomas von Winter: Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages. In: Svenja Falk u. a.: Handbuch Politikberatung. VS Verlag, Wiesbaden 2006, ISBN 3-531-14250-X, S. 198–214.
Weblinks
- Wissenschaftliche Dienste beim Deutschen Bundestag
- Analysen und Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste
- Ausarbeitungen der Wissenschaftlichen Dienste
- Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes auf fragdenstaat.de; unvollständige Liste der Gutachten von 2005 bis 2015.
- Stefanie Heiß: Politikberatung aus der zweiten Reihe (Interview mit einem Mitarbeiter der WD), Süddeutsche Zeitung vom 22. Februar 2011
Einzelnachweise
- ↑ Wissenschaftliche Dienste: Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages. Funktion, Struktur und Arbeitsweise. WD 1 – 3000 – 026/18. Deutscher Bundestag, 4. Juli 2018, S. 5, abgerufen am 21. September 2023.
- ↑ Die Unterabteilung Wissenschaftliche Dienste (WD)
- ↑ Organisationsplan des Deutschen Bundestags. 28. August 2023, abgerufen am 22. September 2023.
- ↑ WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik ( vom 4. Januar 2013 im Internet Archive)
- ↑ WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ( vom 4. Januar 2013 im Internet Archive)
- ↑ WD 3: Verfassung und Verwaltung ( vom 4. Januar 2013 im Internet Archive)
- ↑ WD 4: Haushalt und Finanzen ( vom 4. Januar 2013 im Internet Archive)
- ↑ WD 5: Wirtschaft und Technologie, Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Tourismus ( vom 4. Januar 2013 im Internet Archive); die Seite beschreibt den Aufgabenbereich bis 2013.
- ↑ WD 6: Arbeit und Soziales ( vom 26. April 2011 im Internet Archive)
- ↑ WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ( vom 4. Januar 2013 im Internet Archive)
- ↑ WD 8: Umwelt, Naturschutz, Reaktorsicherheit, Bildung und Forschung ( vom 4. Januar 2013 im Internet Archive)
- ↑ WD 9: Gesundheit, Familie, Senioren, Frauen und Jugend ( vom 4. Januar 2013 im Internet Archive)
- ↑ WD 10: Kultur, Medien und Sport ( vom 23. Oktober 2011 im Internet Archive)
- ↑ WD 11: Europa ( vom 4. Januar 2013 im Internet Archive)
- ↑ Der Bundestag stärkt seine Europa-Expertise. 5. Dezember 2013, abgerufen am 15. Juni 2018.
- ↑ Auszug aus der Legende zu einer Ausarbeitung, zum Beispiel bei: WD 3 -3000 -288/20, Stand 2020
- ↑ Bundestag stellt seine Gutachten ins Netz. Zeit Online, 19. Februar 2016, abgerufen am 22. Februar 2016.
- ↑ Umstrittene Doktorarbeit. Guttenberg kopierte auch von Bundestagsdienst. Spiegel Online, 19. Februar 2011, abgerufen am 20. Februar 2011.
- ↑ Henrik Eibenstein: Interview Heise Online. 29. August 2021, abgerufen am 3. Februar 2022.
- ↑ Angaben auf der Seite der Bibliothek, abgerufen am 12. Januar 2016
- ↑ Hält der Bundestag Ufo-Akten unter Verschluss?, Welt Online, 25. November 2011.
- ↑ Terminshinweis für den 1. Dezember 2011: Auskunft zu UFOs und Außerirdischen ( vom 28. November 2011 im Internet Archive), berlin.de
- ↑ Besteht ein Informationsrecht über Ufos?, strafrechtundarbeitsrecht.wordpress.com
- ↑ Klage um Freigabe von Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages zum Thema UFOs und Außerirdische, abgerufen am 28. November 2011.
- ↑ Keine Starterlaubnis für Ufos im Bundestag? ( vom 31. Januar 2012 im Internet Archive) bfdi.bund.de, abgerufen am 2. April 2012.
- ↑ Informationsfreiheit 3Sat Kulturzeit, 3sat.de, 20. März 2012.
- ↑ Bundestag muss Einsicht in „UFO-Unterlagen“ gestatten (Nr. 46/2011) ( vom 4. Dezember 2011 im Internet Archive) In: www.berlin.de, abgerufen am 9. März 2012.
- ↑ Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin, VG 2 K 91.11 ( vom 31. Januar 2012 im Internet Archive) (PDF; 63 kB), abgerufen am 22. Dezember 2011
- ↑ UFO-Kläger gewinnt vor Gericht n-tv.de
- ↑ Urteil: Bundestag muss Ufo-Akten offenlegen welt.de, abgerufen am 2. Dezember 2011.
- ↑ Informationsfreiheit. Bundestag klagt gegen Transparenz, tagesspiegel.de, 25. Januar 2012, abgerufen am 1. Februar 2012.
- ↑ Bundestag muss „UFO-Unterlagen“ und „Guttenberg-Unterlagen“ nicht offenlegen – 26/13 ( vom 25. November 2013 im Internet Archive) berlin.de
- ↑ UFO-Studie des Bundestages bleibt geheim n-tv.de
- ↑ Bundestag muss Zugang zu Guttenberg-Dokumenten gewähren. Zeit Online, 25. Juni 2015, abgerufen am 25. Juni 2015.
- ↑ Guttenberg und Ufos für alle – Bundestag muss Dokumente freigeben. tagesschau.de, 25. Juni 2015, abgerufen am 25. Juni 2015.
- ↑ FragDenBundestag erfolgreich: Bundestag öffnet seine Aktenschränke netzpolitik.org
- ↑ Gutachten ab sofort im Internet zugänglich bundestag.de
- ↑ Guttenberg bediente sich bei sechs Bundestags-Expertisen.
- ↑ Guttenberg und der „rechtswidrige Verwaltungsakt“. Süddeutsche Zeitung, 25. Februar 2011, abgerufen am 3. Oktober 2011.
- ↑ [ https://www.landtag.nrw.de/home/dokumente/gutachten/gutachterdienst.html Parlamentarischer Beratungs- und Gutachterdienst des Landtags Nordrhein-Westfalen]
- ↑ Arne Semsrott: Endgültiger Beschluss: Landtag Rheinland-Pfalz muss Gutachten herausgeben (Update). In: netzpolitik.org. Abgerufen am 6. April 2019.