Wir sind noch einmal davongekommen
Wir sind noch einmal davongekommen (Originaltitel The Skin of Our Teeth) ist ein Schauspiel in drei Akten von Thornton Wilder, das durch den Zweiten Weltkrieg geprägt ist, wie ihn die Amerikaner erlebt haben. Das Theaterstück wurde weltberühmt, es gewann 1943 den Pulitzer-Preis und wurde in zahlreichen Theaterhäusern gespielt.
Aufführungen
Die Uraufführung unter dem Titel The Skin of Our Teeth fand am 15. Oktober 1942 im Shubert Theatre in New Haven, Connecticut statt. Die deutschsprachige Erstaufführung folgte am 16. März 1944 in der Schweiz im Schauspielhaus Zürich. Nach 1945 übernahmen zahlreiche deutsche Theater das Schauspiel, so dass Wilder hier sehr populär wurde.[1]
Inhalt
Das Schauspiel Wir sind noch einmal davongekommen umfasst alle Formen des Bühnenspiels –, vom Kabarettulk bis zum Mysterium. Im Kern ist es ein Familienstück[1], das in der Vorgeschichte (Eiszeit, Sintflut) und in der damaligen Gegenwart (Krieg) spielt. In den drei Akten greifen die historische Zeit und die gegenwärtige moderne Zeit ständig ineinander.
Das ganze Stück hindurch findet man nebeneinander Kain, Mose, Homer, Musen, eine Wahrsagerin und viele mehr. Auch ein Theaterdirektor ist dabei, denn das Schauspiel um Apokalypsen, Krieg, Literatur, Generationenzwist und Lebensphilosophie ist in die Rahmenhandlung einer Theaterprobe eingebettet, bei der die Schauspieler die Geschichte nebenher kommentieren und interpretieren. Dabei bringen die Schauspieler Selbsterkenntnisse, Selbstzweifel und Probleme vor sowie hinter der Bühne ans Licht.
Aufbau und Handlung
Wir sind noch einmal davongekommen ist die Geschichte von Mr. und Mrs. Antrobus, ihrer Kinder Henry und Gladys und ihres Hausmädchens Sabina. Sie spielen eine typisch amerikanische Familie in den 1930er/1940er Jahren und sind gleichzeitig synonyme Charaktere für Adam, Eva, Lilith und Kain. Die Familie durchlebt, stellvertretend für die gesamte Menschheit, essenzielle Katastrophen der Menschheitsgeschichte in drei Akten (Eiszeit, Flut, Krieg). Zusammen bauen sie ihr Leben immer wieder auf und bewegen sich durch die oft von der Realität unterbrochene Welt Thornton Wilders.
1. Akt: Familie Antrobus rüstet sich gegen die Eiszeit. Die Bretter vor den Köpfen werden verfeuert, der Dinosaurier nach draußen geschickt. Sabina, das Hausmädchen, versteht die Welt nicht mehr. Eigentlich muss sie nicht viel mehr tun als zu kochen oder das Einmaleins zu inspirieren, das Herr Antrobus täglich im Büro weiter ausbaut.
2. Akt: Präsident Antrobus und seine Gemahlin eröffnen einen Kongress, der in der Sintflut endet. Die Kinder wachsen zu nervigen Teenagern heran. Eine Wahrsagerin deutet die Zukunft.
3. Akt: Der Krieg ist vorbei, das Leben sucht sich seinen Weg durch Windeln, das Böse kehrt in den Schoß der Familie zurück, Vater Antrobus will den Frieden sichern. Sabina landet wieder in der Küche. Am Ende des dritten Aktes startet das Dienstmädchen der Familie Antrobus wieder mit der Eingangsszene, wartet mit Dinosaurier und Mammut als Haustieren auf den Familienvorstand, der sich vor der nahenden Eiszeit und mit vielen Asylanten ins Haus flüchtet.
Interpretation
Das Stück bedient sich vieler Techniken von Rundfunk, Film und Musical. Es führt vor Augen, dass das Böse und das Gute ewige Bestandteile des Lebens sind, und dessen Sinn liegt im Lebendigsein selbst. Das Schicksal der gesamten Menschheit wird am Beispiel einer typischen Durchschnittsfamilie des vorigen Jahrhunderts gezeigt. Die moderne Allegorie bringt zum Ausdruck, dass der Lebenswille des Menschen alle Katastrophen überdauert. Ob Eiszeit, Sintflut oder Krieg, es gibt kein Ende. Die Hauptpersonen sind die Mitglieder der Familie Antrobus, in denen sich laut Wilder »das Schicksal der ganzen Menschheit, durch ein Teleskop aus tausend Meilen Entfernung gesehen« spiegelt. Durch die Anachronismen will der Autor das »ewig Gleiche«, das in einzelnen Phasen auswechselbare Geschick des Menschengeschlechts symbolisieren. Die Existenz erscheint sinnlos und gleichförmig als Tanz um Katastrophen, denen jeder zu entgehen versucht.
Das Stück ist nicht einsträngig und hat absurde Züge. Die Theaterillusion wird immer wieder mit der Schauspielgegenwart zerstört. Schauspieler verlieren den Faden, protestieren gegen ihre Rolle, Ersatzleute springen ein und müssen noch proben. Nicht nur ein- oder zweimal kommt es vor, dass die Darsteller sich weigern, Szenen zu spielen, dass sie das Publikum anbrüllen oder unangenehm aus ihrer Rolle fallen. Eine direkte Verbindung zum Publikum wird aufgebaut, das Stück wird in sich selbst kritisiert und ausgewertet.
Charaktere
Mr. Antrobus, Synonym für Adam, verkörpert als ewiger Adam den Mut zum Neuanfang, holt sich Rat bei Homer, Platon oder Aristoteles, bei Spinoza, aus dem Alten wie Neuen Testament und rettet so seine tugendhafte Frau, den rebellischen Sohn, die vorbildliche Tochter samt verführerischem Dienstmädchen aus der Eiszeit, vor der Sintflut und aus dem letzten großen Krieg.
Mrs. Antrobus, Synonym für Eva, ist die typische Hausfrau und Mutter und versucht die Familie zusammenzuhalten.
Henry Antrobus, Synonym für Kain, der Sohn der beiden, tötete seinen Bruder mit einem Stein und hat seitdem eine Narbe auf der Stirn. Er verkörpert das Böse.
Gladys Antrobus, Synonym für Lilith, versucht, dem Vater durch Schminke, rote Strumpfhose etc. zu gefallen, stößt jedoch immer wieder auf entsetzte Ablehnung.
Hausmädchen Sabina verkörpert den Typus des Weibchens. In schlechten Zeiten ist sie das Dienstmädchen und in guten die Schönheitskönigin mit der festen Absicht, Herrn Antrobus zu verführen.
Außerdem spielen: Ansager #1, Ansager #2, Mrs. Fitzpatrick, Drache, Dino, Eisbär-Baby, Wahrsagerin, Telegraphensänger, Homer, Richter Mose, Miss E. Muse, Miss T. Muse, Rundfunksprecherin, Präsidentschaftsanwärter, Mrs. Bailey, Hester, Ivy, Mrs. Tremayne
Zitate
„Das ist alles was wir tun – immer wieder von vorn anfangen! Warum machen wir uns immer wieder etwas vor? Eines Tages wird die Erde eh erkalten und bis dahin werden all diese Sachen immer wieder geschehen: Noch mehr Kriege, und noch mehr Sintfluten und Erdbeben.“ (Sabina, 3. Akt)
Eine Erkenntnis, die sich manch Zuschauer zu Herzen genommen haben mag, nachdem er sich Thornton Wilders Theaterstück Anfang der 40er Jahre angesehen hatte.
„Sie können nach Hause gehen, wir werden ewig weiterspielen!“ Dies ist eine optimistische Botschaft des Stückes. Die Geschichte der Menschheit beginnt immer wieder von vorn, ihr Lebenswille überdauert alle Katastrophen und der Sinn des Lebens liegt im Lebendigsein und in der Menschlichkeit.
Hörspiele
- 1965: Wir sind noch einmal davongekommen. Regie: Gustav Burmester. Sprecher: Hans-Christian Blech, Charlotte Witthauer, Elfriede Irrall, Almut Eggert, Ralf Schermuly, Elsa Wagner, Harry Wüstenhagen, Klaus Miedel, Konrad Wagner, Manfred Schuster, Hans-Georg Panczak. Produktion: WDR, 93 Minuten (Mono).
- 1967: Wir sind noch einmal davongekommen. Regie: Ludwig Cremer. Sprecher wie im Hörspiel 1965. Produktion: RIAS, 106 Minuten (Mono).
Veröffentlichungen
- The Skin of Our Teeth. Harper and Brothers Publishers, New York 1942.
- Wir sind noch einmal davongekommen. Schauspiel in drei Akten. (= Schriftenreihe des Schauspielhauses, Nr. 4). Deutsche Erstausgabe. Oprecht, Zürich 1944.
- Wir sind noch einmal davongekommen. Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Hans Sahl. Fischer, Frankfurt am Main 1955.
Literatur
- Karl Heinz Ruppel: Wir sind noch einmal davongekommen. In: Siegfried Kienzle, Otto C. A. zur Nedden (Hrsg.): Reclams Schauspielführer. Achtzehnte Auflage. Philipp Reclam jun., Stuttgart 1990, S. 754–756.
- Siegfried Melchinger: Nachwort. In: Amerikanisches Theater. 4 Theaterstücke. Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main 1963, S. 416–424.
Weblinks
- Andrea Klasen: 16.03.1944 - "Wir sind noch einmal davon gekommen". WDR ZeitZeichen vom 16. März 2014 (Podcast).