Wilma Montesi

Wilma Montesi

Wilma Montesi (* 2. Februar 1932 in Rom; † 9. April 1953 in Torvaianica (Ortsteil von Pomezia) bei Rom) war ein italienisches Modemodell. Ihr Tod war Ausgangspunkt einer Affäre, die unter anderem zum Rücktritt des italienischen Außenministers Attilio Piccioni und eines Polizeichefs führte. Der Sohn Piccionis, Piero, galt jahrelang als Hauptverdächtiger, wurde jedoch 1957 ebenso wie ein weiterer Verdächtiger, Marchese Montagna, freigesprochen. Der Fall ist bis heute ungeklärt.

Das Schicksal von Wilma Montesi ist eng verknüpft mit dem nachfolgenden Skandal im römischen Dolce-Vita-Milieu („Il caso Montesi“). Die Affäre um Korruption, Drogen und sexuelle Verstrickungen unter Politikern, Adeligen, Prominenten und einem mutmaßlichen Mordopfer sollte die italienische Öffentlichkeit in den 1950er Jahren sehr beschäftigen und inspirierte Federico Fellini 1959 zu seinem Film La dolce vita („Das süße Leben“).[1]

Chronologie

Leichenfund und erste Untersuchung

Wilma Montesi war die Tochter eines Schreiners und verlobt mit einem Polizeibeamten. Am Nachmittag des 9. April 1953 hatte sie die elterliche Wohnung in Rom verlassen. Ihre Leiche wurde morgens am 11. April 1953 am Strand von Torvaianica südlich von Rom aufgefunden. Der behördlichen Theorie, sie habe Selbstmord begangen oder sei nach einem Ohnmachtsanfall ertrunken, wurde in der Öffentlichkeit wenig Glauben geschenkt. Verschiedene Indizien sprachen dagegen, darunter, dass die Leiche halbbekleidet gefunden wurde, ihre restlichen Kleider jedoch nicht. Weiterführende Ermittlungen wurden jedoch zunächst eingestellt.

In der Folgezeit entstand in der städtischen Gerüchteküche ein Verdacht anderer Art: In der Nähe des Strandes liegt der Landbesitz Capocotta, ehemals ein königliches Jagdrevier, der für einen exklusiven Club verwaltet wurde. Es hieß, dort würden von prominenten Besuchern Orgien veranstaltet und Drogen konsumiert. Dort sei Wilma Montesi in Begleitung des Jazzmusikers Piero Piccioni, dem Sohn des damaligen italienischen Außenministers Attilio Piccioni, sowie dem wohlhabenden Marchese Montagna gesehen worden. Die Annahme, sie sei in diesem Club durch Rauschgiftkonsum ums Leben gekommen und zwecks Vertuschung am Strand abgelegt worden, wurde in der Öffentlichkeit bereitwillig aufgenommen, dennoch geriet die Angelegenheit zunächst weitgehend in Vergessenheit.

Beginn der Affäre

Der Journalist und Herausgeber Silvano Muto veröffentlichte im Oktober 1953 in seiner eigenen, kleinen Zeitschrift Attualità einen auf Hörensagen beruhenden Artikel über den Fall, in dem er – ohne Namen zu nennen – die Gerüchte um eine Beteiligung der oben genannten Prominenten und anderer Mitglieder der römischen High Society aufgriff und weiterspann. Die einzigen konkreten Aussagen, auf die sich Muto berief, gingen auf das „leichte Mädchen“ Adriana Bisaccia zurück, die Muto in einer einschlägigen Bar getroffen und die sich – so der spätere Verdacht der Ermittlungsbehörden – nur aufspielen wollte.

Es waren vor allem zwei Reaktionen auf den Artikel, die den Fall wieder aufwärmten und schließlich zu einem Skandal werden ließen. Die römische Polizei ließ Muto vorladen und bedrängte ihn, von seinen Mutmaßungen Abstand zu nehmen, was dieser zunächst bereitwillig tat. Ob die Beamten aus eigenem Antrieb heraus handelten oder von höherer Stelle dazu gedrängt wurden, blieb unklar. Jedenfalls schien die Maßnahme unverhältnismäßig zu sein, was den Verdacht nährte, dass etwas vertuscht werden sollte. Die zweite maßgebliche Reaktion auf den Artikel war die einer neuen Zeugin in dem Fall, Anna Maria Moneta Caglio, die Tochter einer angesehenen italienischen Familie, die zu der Tatzeit eine Gespielin des verdächtigen Marchese Montagna gewesen war. Sie hatte nach eigener Aussage die Tote auf dem im Artikel veröffentlichten Foto wiedererkannt. Caglio belastete nicht nur Montagna durch die Aussage, sie habe ihn zusammen mit Wilma Montesi einige Zeit vor ihrem Tod gesehen, sondern auch Piero Piccioni, da sie aussagte, Montagna habe Piccioni ein falsches Alibi gegeben und habe erfolgreich bei Ermittlungsbehörden gegen eine Untersuchung interveniert. Caglio, die eine schillernde Persönlichkeit war und deren Motivation und Beteiligung an dem Fall ebenfalls zahlreiche Gerüchte produzierte, darunter vor allem, ihre Aussagen seien schlicht Rache für die fehlende Treue ihres damaligen Liebhabers, erhielt im Rahmen der Affäre den Spitznamen "Tochter des Jahrhunderts". Bestärkt von der unerwarteten Unterstützung, legte auch Muto seine Zurückhaltung ab und behauptete, man habe ihn zur Distanzierung von seinem Artikel genötigt. Muto änderte jedoch im weiteren Verlauf noch einige Male seine Aussagen, weshalb er später als vollkommen unglaubwürdig galt und nur daran interessiert gewesen sei, sich selbst im Gespräch zu halten.

Die einsetzende Pressekampagne nahm alsbald nahezu hysterische Züge an. Es kam zu wilden Spekulationen. Falsche Augenzeugen, die ihre erfundenen Geschichten der Presse verkauften, traten auf. Neben dem Clubbetreiber des Cappocota geriet zeitweilig auch Prinz Moritz von Hessen, Enkel des abgedankten italienischen Königs Viktor Emanuel III., in Verdacht, weil er am fraglichen Abend in Capocotta gesehen worden sein soll. Das Geschehen führte zum Rücktritt von Außenminister Attilio Piccioni und auch der zuständige Polizeichef verlor sein Amt. In den Fall wurde ferner die Filmschauspielerin Alida Valli, insbesondere bekannt durch ihre Rolle in dem Film Der dritte Mann, hineingezogen. Auch sie hatte Piero Piccioni, mit dem sie befreundet war, ein fragwürdiges Alibi für die Tatzeit gegeben. Dies löste weitere Spekulationen aus.

Neuerliche Ermittlungen und Prozess

Die weitere Ermittlung wurde zur Farce, da sie mehrfach für kurze Zeit wiederaufgenommen, aber immer wieder niedergeschlagen wurde. Dabei intervenierten zwischenzeitlich hochrangige italienische Politiker wie der damalige Innenminister und spätere Ministerpräsident Mario Scelba zugunsten einer Beendigung der Ermittlungen, während sich ein politischer Konkurrent Scelbas, Amintore Fanfani, für eine Fortsetzung starkmachte. Eine der Zeuginnen, Adriana Bisaccia, fiel während der Affäre um und behauptete, alle ihre Aussagen frei erfunden zu haben. Dieser Sinneswandel soll der bis dahin mehr oder weniger mittellosen Bisaccia beträchtliche Geldsummen eingebracht haben. Calgio hingegen beharrte auf ihrer Version, was ihr halb bewundernde, halb spöttische Charakterisierungen wie „die Jungfrau von Orleans ohne Jungfernschaft“ einbrachte.

Vor allem aufgrund der gegen vermeintliche oder tatsächliche Vertuschung und Korruption sturmlaufenden römischen Bevölkerung kam es schließlich doch zu einem Prozess gegen Piccioni und Montagna, der vom Richter Raffaele Sepe geleitet wurde, und der die beiden verhaften ließ. Vor allem die Verhaftung des gut protegierten Montagna galt als Machtprobe des Gerichts mit dem römischen Establishment. Während des Prozesses, der vor allem für den Marchese Montagna unvorteilhaft verlief, da im Fahrwasser der auf den Fall bezogenen Ermittlungen diverse zumindest halbseidene und moralisch fragwürdige Aktivitäten, aber auch konkrete Gesetzesverstöße in puncto Korruption (vor allem im Zusammenspiel mit der Democrazia Cristiana), Drogenhandel und Prostitution aufgedeckt wurden, bildeten sich in der Öffentlichkeit und in den Medien zwei Gruppen, die Gegner und Verteidiger Piccionis und Montagnas, die sich in einer teilweise grotesken Schlammschlacht bis aufs Blut bekämpften.

Dabei setzten auch die Gegner Piccionis und Montagnas höchst fragwürdige Methoden ein und griffen begierlich jeden noch so abwegigen Verdacht gegen einzelne Personen des Umfelds von Piccioni und Montagna auf, was in teilweise erheblichem Maße gegen die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen verstieß. Die Verteidiger der beiden wiederum präsentierten verschiedene andere Verdächtige, was die Untersuchungen immer wieder verlangsamte. Keine der Verdächtigungen hielt jedoch einer genaueren Begutachtung stand. Sepe ließ vermeintliche Zeugen beider Seiten, deren Aussagen offensichtlich abwegig waren, solange wegen Falschaussage einsperren, bis sie freiwillig zugaben, ihre Geschichten erfunden zu haben. Zeugen, denen Sepe große Bedeutung zumaß, ließ er ohne Ansehen ihres Standes den Pass entziehen, um einer möglichen Flucht vorzubeugen.

Trotz der strengen Prozessführung beförderte Sepe vor allem politische und gesellschaftliche Abgründe in Rom und ganz Italien zu Tage, weniger konkrete Fortschritte im verhandelten Fall. Ein angesehener Gerichtsmediziner hatte in einem vom Gericht beantragten Gutachten zumindest festgestellt, dass Montesi aller Wahrscheinlichkeit nach einem sexuell motivierten Verbrechen zum Opfer gefallen sein musste und dass bei der ersten Untersuchung der Leiche zahlreiche Sachverhalte übersehen worden seien, darunter der Nachweis von Kokain im Körper, Spuren einer zumindest versuchten Vergewaltigung und Hinweise, dass Montesi nicht ertrunken, sondern ertränkt worden sei. Zudem gelang es Sepe, verschiedenen Beamten wie dem damaligen Polizeipräsidenten Roms, Saverio Polito, mutwillige Verschleierung und Beweisverschleppung nachzuweisen. Je nach aktuellem Prozessverlauf wurde Sepe, dem später von unabhängiger Seite eine bemerkenswerte Objektivität und Unbestechlichkeit bescheinigt wurde, als Kommunist, Faschist oder Angehöriger der Mafia diffamiert.

Der Prozess endete 1957 mit dem Freispruch der Angeklagten „wegen erwiesener Unschuld“. Einige, jedoch längst nicht alle der Alibis hatten sich nach intensiven Nachforschungen und der Einschätzung Sepes zufolge als ausreichend erwiesen, zudem hätten unter dem Strich bestenfalls schwammige Indizien und keine handfesten Beweise für eine Schuld oder Mittäterschaft der Verdächtigen vorgelegen. Die Umstände des Todes von Wilma Montesi sind bis heute ungeklärt.

Rezeption

Schon zeitgenössische Medienberichte gegen Ende des Prozesses, wie später auch zahlreiche, rückblickende Reportagen über die Affäre, stellten fest, dass sich die gesamte Auseinandersetzung weniger um den tatsächlichen Tathergang des mutmaßlichen Mordes oder Totschlags drehte, sondern um eine in weiten Bevölkerungsteilen aufgestaute und in der Affäre herausbrechende Wut über eine dekadente und korrupte Führungsschicht. Dabei gilt es heute als Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet ein vermutlich falscher Verdacht zu zahlreichen Enthüllungen führte, die die Vorwürfe aus dem Volksmund gegenüber den Eliten des Landes weitestgehend zu bestätigen schienen, eben nur mit Ausnahme des Falls Montesi. Der unsouveräne Umgang mit dem Fall durch die von hochrangigen Politikern und honorigen Bürgern beeinflussten Behörden wird zudem als ein wesentlicher Mitgrund der entstandenen Affäre betrachtet.

Auf dem Gipfel der Affäre befanden verschiedene italienische, vor allem römische Zeitungen, dass die Demokratie im Land in akuter Gefahr sei, da sich jedes Vertrauen in demokratischen Diskurs und Rechtsstaatlichkeit durch die öffentliche Schlammschlacht aufzulösen drohe. Vor allem wurde in konservativen Medien vor der Gefahr des Kommunismus gewarnt und befürchtet, die kommunistischen Parteien könnten aus dem Unmut der Massen bei etwaigene Neuwahlen Profit schlagen. Später wurde dies als überzogen dargestellt. Tatsächlich hatten viele Italiener vor allem in anderen Teilen des Landes die Affäre, insbesondere die mediale Schlammschlacht, eher amüsiert als „großstädtische Provinzposse“ wahrgenommen. Vielfach positiv hervorgehoben wurde die Prozessführung Raffaele Sepes, der nach Ansicht vieler Kommentatoren das Vertrauen der Italiener in überparteiliche Rechtsstaatlichkeit wiederhergestellt habe.

Literatur

  • Hans Magnus Enzensberger: Wilma Montesi. Ein Leben nach dem Tode. In: Ders.: Politik und Verbrechen – Neun Beiträge. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1978, ISBN 978-3-518-36942-5.

Weblinks

Commons: Wilma Montesi – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Michael Althen: Die Tote am Strand. In: FAZ. 27. April 2006, abgerufen am 30. März 2022.

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