Willgerodt-Reaktion

Die Willgerodt-Reaktion ist eine Namensreaktion der Organischen Chemie, die von dem deutschen Chemiker Conrad Willgerodt (1841–1930) entwickelt wurde.[1][2] 1923 verbesserte Karl Kindler (1891–1967)[3] das Verfahren,[4] und so wurde die Reaktion als Willgerodt-Kindler-Reaktion bekannt.

Übersichtsreaktion

Die Willgerodt-Reaktion beschreibt die Synthese einer Carbonsäure aus einem Alkylarylketon. Im einfachsten Fall wird Acetophenon zu Phenylessigsäure oxidiert:

Reaktionsschema Willgerodt-Reaktion
Reaktionsschema Willgerodt-Reaktion

In der Willgerodt-Reaktion wird wässrige Ammoniumpolysulfid-Lösung als Oxidationsmittel benutzt; im Allgemeinen wird unter Druck gearbeitet.[5] Dabei bleibt die Anzahl der Kohlenstoffatome unverändert. Die Carbonylgruppe des Reaktionsproduktes ist stets am Ende der Akylkette positioniert. Beispielsweise entsteht aus dem Phenylethylketon Ph–CO–CH2–CH3 die Carbonsäure Ph–CH2–CH2–COOH. Analog bildet sich aus Phenylketon Ph–CO–CH2–CH2–CH3 die Carbonsäure Ph–CH2–CH2–CH2–COOH.[6]

Bei der von Kindler beschriebenen Variante (Willgerodt-Kindler-Reaktion) wird statt der Ammoniumpolysulfid-Lösung ein Gemisch aus elementarem Schwefel und einem sekundären Amin eingesetzt.[7] Das sekundäre Amin kann auch durch ein primäres Amin oder durch Ammoniak ersetzt werden.[6] Durch Kindlers Verbesserung des Verfahrens kann drucklos gearbeitet werden.

Carbonsäure-Derivate als Reaktionsprodukte

Je nach Reaktionsführung kann man statt der Carbonsäuren auch Carbonsäureamide (X = O, Willgerodt-Reaktion) oder Carbonsäurethioamide (X = S, Willgerodt-Kindler-Reaktion) herstellen:[8]

Reaktionsschema Bildung von Amiden bzw. Thionamiden
Reaktionsschema Bildung von Amiden bzw. Thionamiden

Der Rest R am Stickstoffatom steht meist für eine Organylgruppe (z. B. Alkylgruppe).

Mechanismus

Der Mechanismus der Reaktion ist noch nicht vollständig bekannt.[9] Da die Willgerodt-Kindler-Reaktion nur eine Modifikation der Willgerodt-Reaktion ist, lassen sich beide Methoden mit dem gleichen Mechanismus beschreiben. Dieser soll am Beispiel der Phenylessigsäure (5) aus Acetophenon (1) diskutiert werden: Zuerst reagiert das Keton 1 mit einem sekundären Amin zu einem Enamin 2. Durch einen elektrophilen Angriff seitens des Schwefels lagert sich der Schwefel am Enamin an. Nach mehreren Umlagerungen von Elektronenpaarbindungen sowie intramolekularen Wanderungen der sauren Wasserstoffatome entsteht ein Thioamid 3, das über das Säureamid 4 zur Carbonsäure 5 hydrolysiert.[5][9]

Mechanismus der Willgerodt-Kindler-Reaktion
Mechanismus der Willgerodt-Kindler-Reaktion

Dieser Mechanismus erklärt aber nur den möglichen Verlauf der Reaktion im Falle von Arylmethylketonen. Die Bildung von endständigen Carbonsäuren aus Ketonen mit höheren Alkylgruppen lässt sich so nicht erklären.

Ähnliche Reaktionen

Bei der Dreikomponentenreaktion von primären Aminen, aromatischen Aldehyden und Schwefel bilden sich Thioamide von aromatischen Carbonsäuren.[10]

Einzelnachweise

  1. Conrad Willgerodt: Ueber die Einwirkung von gelbem Schwefelammonium auf Ketone und Chinone. In: Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft. Band 20, Nr. 2, 1887, S. 2467–2470, doi:10.1002/cber.18870200278.
  2. Conrad Willgerodt: Ueberführung von Ketonen und Aldehyden in Säuren und Säureamide mittelst gelben Schwefelammoniums. In: Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft. Band 21, Nr. 1, 1888, S. 534–536, doi:10.1002/cber.18880210195.
  3. F. W. Euler, H. Jaeger, H. Jäger-Suhstenau, H. Körner, F. Menges, M. Otto, H. J. Rieckenberg, F. Wagner, H. Walter: Neue deutsche Biographie. Band 11. Duncker & Humblot, Berlin 1977, S. 619–620.
  4. Karl Kindler: Studien über den Mechanismus chemischer Reaktionen. Erste Abhandlung. Reduktion von Amiden und Oxydation von Aminen. In: Justus Liebigs Annalen der Chemie. Band 431, Nr. 1, 1923, S. 187–230, doi:10.1002/jlac.19234310111.
  5. a b Heinz G. O. Becker, Werner Berger, Günter Domschke, Egon Fanghänel, Jürgen Faust, Mechthild Fischer, Fritjof Gentz, Karl Gewald, Reiner Gluch, Roland Mayer, Klaus Müller, Dietrich Pavel, Hermann Schmidt, Karl Schollberg, Klaus Schwetlick, Erika Seiler, Günter Zeppenfeld, Rainer Beckert, Wolf D. Habicher, Hans-Joachim Knölker und Peter Metz: Organikum, 23. Auflage, Wiley-VCH Verlag, 2009, ISBN 978-3-527-32292-3, S. 431–434.
  6. a b Jerry March: Advanced Organic Chemistry, 3. Auflage, John Wiley & Sons, New York, 1985, ISBN 0-471-88841-9, S. 1566–1567.
  7. T. Laue und A. Plagens: Namens- und Schlagwort-Reaktionen der Organischen Chemie, 5. Auflage, Teubner Studienbücher Chemie, 2006, ISBN 978-3-8351-0091-6, S. 342–344.
  8. T. Laue und A. Plagens: Namens- und Schlagwort-Reaktionen der Organischen Chemie, 5. Auflage, Teubner Studienbücher Chemie, 2006, ISBN 978-3-8351-0091-6, S. 343.
  9. a b Hans Beyer und Wolfgang Walter: Organische Chemie, S. Hirzel Verlag, Stuttgart 1984, ISBN 3-7776-0406-2, S. 546.
  10. Hualong Xu, Hang Deng, Zhengkai Li, Haifeng Xiang, Xiangge Zhou: Synthesis of Thioamides by Catalyst-Free Three-Component Reactions in Water, Eur. J. Org. Chem. 2013, S. 7054–7057, doi:10.1002/ejoc.201301148.

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