Willem van Genk

Willem van Genk (* 2. April 1927 in Voorburg, Niederlande; † 12. Mai 2005 in Den Haag) war ein schizophrener und autistischer niederländischer Maler und Grafiker. Wegen seiner Vorliebe für Züge, Busse und Bahnhöfe nannte er sich selbst auch König der Bahnhöfe. Er gilt als der bedeutendste niederländische Künstler der Outsider Art.

Leben

Jugend

Wilhelm van Genk wurde 1927 in Voorburg in den Niederlanden geboren. In der Schule kam er nicht mit und zeichnete lieber den ganzen Tag. Als er fünf Jahre alt war, starb seine Mutter, und er blieb bei neun älteren Schwestern und dem Vater zurück, der von seinem Sohn sehr enttäuscht war. 1937 kam er in ein Internat für schwer erziehbare Jungen, hier lernte er jedoch auch nur wenig.

Während des Zweiten Weltkriegs, van Genk ist 17 Jahre, suchte die Gestapo, auf der Suche nach seinem Vater, der Mitglied der niederländischen Widerstandsbewegung war, sein Elternhaus heim. Beim Verhör wurde van Genk misshandelt. Die Gestapomänner in ihren langen Ledermänteln jagten ihm Angst ein, gleichzeitig aber faszinierten sie ihn. Dieses traumatische Erlebnis prägte sein Leben lang seine Zwangsvorstellungen von Macht und Ohnmacht, dies wird auch in seiner Kunst deutlich.

Als sein Vater nach dem Zweiten Weltkrieg wieder heiratete, warf er seinen verwilderten Sohn aus dem Haus. Van Genk zog zu seiner Schwester nach Den Haag und blieb nach ihrem Tod fast für den Rest seines Lebens allein in dieser Wohnung.

Erwachsenenalter

Willem van Genk versuchte sein Glück als Zeichner in einem Werbebüro. Er lieferte zwar qualitativ gute Arbeit ab, wurde aber dennoch entlassen, weil er sich nicht an Aufträge und Termine gebunden fühlte, auch ging er während der Arbeitszeit stundenlang weg, um Züge zu beobachten. Nach seiner Entlassung wurde er gezwungen, in einer Werkstatt für Behinderte zu arbeiten, was wiederum eine erniedrigende Erfahrung war, die seine Minderwertigkeitskomplexe und seine Zwangsvorstellung von Macht verstärkten. Er erhielt wohl in dieser Zeit zum ersten Mal Hilfe bei seinen psychischen Problemen, litt jedoch danach häufig an paranoiden Schüben und hörte Stimmen.

Im Jahr 1958 meldete er sich bei der Königlichen Akademie in Den Haag an. Der Direktor J. Beljon erkannte sofort die Qualität seiner Arbeiten, sah aber auch ein, dass der junge Künstler für die Lektionen der Dozenten unerreichbar war. Auf Anregung von Beljon durfte van Genk an der Akademie seinen eigenen Weg gehen, als Folge blieb er weiterhin Autodidakt.

1964 wurde die erste Einzelausstellung van Genks in Hilversum organisiert. Er genoss damals schon einige Jahre landesweite Bekanntheit. So wurde ihm 1961 eine Fernsehsendung gewidmet, eine Tatsache allerdings, die ihn vor allem beängstigte. In dieser Anfangszeit wurde van Genk eher als brillanter naiver Maler denn als schwachsinniges Genie bezeichnet. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass van Genk sich selbst als dutch moron painter bezeichnete. Erschreckt von dieser Aufmerksamkeit zog sich van Genk Anfang der 1960er-Jahre aus der Öffentlichkeit zurück. Weil er inzwischen für arbeitsunfähig erklärt worden war, konnte er seine ganze Zeit seiner Kunst widmen.

Erst 1976 gab es wieder eine Ausstellung mit seinem Werk, auch wurde er nun durch eine Galerie vertreten. Willem van Genk wurde auch nicht länger zu Unrecht mit den naiven Malern verglichen. Er imitierte zwar die akademische Kunst nicht, war aber auf die Anerkennung durch die Kunstwelt bedacht. Es war auch zu erkennen, dass seine Kunst für sich selbst steht.

Im Jahr 1996 erlitt Willem van Genk einzelne Herzinfarkte, wodurch er nicht mehr malen konnte. Zwei Jahre später wurde er in ein Pflegeheim aufgenommen und seine Wohnung in Den Haag wurde aufgelöst. Am 12. Mai 2005 starb Willem van Genk an den Folgen einer Lungenentzündung.

Werk

Stil und Technik

Willem van Genk hat seit seiner Kindheit viel gezeichnet. In seiner Jugend malte er nach und nach komplexere Bilder, fantasievolle Stadtpanoramen, gefüllt mit meandrierenden Straßen und geschäftigen Menschenmassen, der Luftraum gefüllt mit großen Zeppelinen und Bombern. Er sollte erst mit Beginn der 1960er-Jahre Reisen in verschiedene europäische Städte machen. Von da an zeichnete er imposante Gebäude, die er auf seinen Reisen gesehen hatte, so den Bahnhof Keleti pályaudvar (Ostbahnhof) in Budapest und den Bahnhof in Ost-Berlin. Diese frühen Werke wurden mit Bleistift und schwarzer Tinte angefertigt – von 1964 an stieg van Genk größtenteils auf Ölfarbe um – versehen mit Titeln und Werbeschriften, Abfallresten, Papierschnitzeln aus Reiseprospekten und Geschichtsbüchern. Die Gemälde, von van Genk selbst Plakate genannt, weisen oft eine deutliche Einteilung auf. Ein stark betontes Zentrum, oft ein Gebäude oder ein Porträt, mit darumlaufenden Bändern mit Zeichnungen und Gemälden.

In späteren Werken werden die Stadtansichten von nahem abgebildet, so als ob der Künstler von oben herab in die Stadt niedergestiegen wäre, zu dem Zweck ein Bombardement an visuellen Eindrücken wie wimmelnde Menschenmassen, Verkehrsströme und dutzende von Reklameschildern. Allmählich entwickelten sich die Gemälde zu einer Kakofonie an Bildern. Im Laufe der Zeit wurden van Genks Werke immer lebhafter und verwickelter in der Komposition, die strenge Komposition wird aufgegeben und die Bilder werden ersetzt durch Texte. Die Bilder haben oftmals einen obsessiven Charakter, es ist eine dicht an dicht gepackte, überwältigende Menge an Bildern zu sehen. Diese Entwicklung in van Genks Werk hängt mit dem Verlauf seiner Schizophrenie zusammen. In den 1990er-Jahren beschränkt er sich bloß noch auf das Bearbeiten von Kopien älterer Werke mit verschiedenfarbigen Kugelschreibern.

Willem van Genk als Outsider

Das Werk Willem van Genks ist Outsider Art im wahrsten Sinne des Wortes. Sein Werk steht außerhalb der offiziellen Kunst und wurde auch nicht von ihr beeinflusst. Dass sein Werk Verwandtschaft zeigt mit anderen Künstlern, z. B. Heinrich Vogeler (Collagentechnik) und August Walla (Thema), kann als Zufall gesehen werden. Auch arbeitete er aus seiner Besessenheit heraus und nicht ausgehend von geplanten Konzepten. Seine Kunst lag auf dem Schnittpunkt seiner Ängste und seiner Bedürfnisse. Sein Werk ist nicht darauf ausgerichtet mit dem Zuschauer zu kommunizieren oder Gefühle bei ihnen auszulösen.

Themen

Das zentrale Thema im Werk Willem van Genks ist Macht. Als Folge von verschiedenen Ereignissen in seinem Leben war der Künstler verletzt durch Macht und Machtlosigkeit. So war er im eigenen Erleben einerseits übermächtig als „König der Bahnhöfe“, andererseits ein Unerwachsener, ein Außenseiter und Machtloser, der von allen Seiten bedrängt wird.

Willem van Genk litt an paranoider Schizophrenie und war außerdem autistisch. Er wurde im Lauf seines Lebens mehrmals in eine psychiatrische Einrichtung aufgenommen. Doch mittels seiner Kunst versuchte er das unvorstellbare Chaos in seinem Kopf zu bewältigen und seine Ängste zu bezwingen. Er versuchte auf diese Weise Kontrolle über die Prozesse zu gewinnen, die sich in der grausigen Außenwelt abspielen, und schirmte sich so gegen vermeintliche Komplotte und Angriffe von außen ab. Seine Kunst diente somit als Verdrängungsmechanismus und es ist daher auch nicht verwunderlich, dass van Genk große Mühe hatte, Abstand von seinem Tun zu nehmen. Lediglich manchmal verkaufte er ein Gemälde und dann auch nur an ein Museum.

Das Werk von Willem van Genk hat eine große symbolische Bedeutung. Vielfach vorkommende Machtsymbole sind riesige Gebäude, Bahnhöfe und Züge, die er Lokomotiven nennt, Oberleitungsbusse, Zeppeline und Flugzeuge. Andere Motive, die in seinem Werk wiederkehren, sind klassische Musik, Friseursalons und mächtige Männer. Willem van Genk stellt in seinen Werken oft auch Ideologien und Religionen dar, um die Angst, die sie ihm machen, zu überwinden. Seine Kunst beruht auf einer alles umfassenden Philosophie, die von Angst bestimmt ist. Kommunismus, Faschismus, Katholizismus, Kapitalismus, die internationale Friedensbewegung und die Provocultuur, in seinen Augen sind sie alle gewaltige Ausformungen von Macht in einer großen, bedrängenden Welt. Alle gleich abgefeimt und gefährlich, die man nur in einem Arbeitslager stoppen kann, von wo aus sie ihn nicht mehr verfolgen können.

Werkgruppen

Im Werk von Willem van Genk sind vier Werkgruppen zu unterscheiden:

  • ungefähr 100 Zeichnungen und Gemälde
  • seine Sammlung von Regenmänteln
  • seine Installation Bahnhof Arnheim und seine Sammlung selbstgefertigter Trolleybusse
  • die Einrichtung seiner Wohnung (nach seinem Tod leergeräumt)

Zeichnungen und Gemälde

Im zweidimensionalen Werk von Willem van Genk werden oft städtische Landschaften wiedergegeben. Die Gemälde sind durch eine große Detailfreudigkeit gekennzeichnet. Es sind oft Collagen in denen ein zentrales Bild von mehreren kleineren Bildern umgeben ist. Der Zusammenhang zwischen den abgebildeten Objekten ist oft sehr assoziativ. Das Resultat ist ein reiches, überwältigendes und intensives Gesamtbild. In den Collagen verwendet er oft Texte. Überschriften und Schlagzeilen werden als Kommentar im gesamten Bild gebraucht. Dadurch scheint es als ob der Künstler eine beinah allmächtige Übersicht über die Stadt und all ihre ökonomischen, sozialen und politischen Prozesse hat, die in ihr ablaufen und wiedergegeben sind als ober- und unterirdische Aktivitäten des städtischen Transportwesens.

Regenmäntel

Willem van Genks Faszination durch lange, lederne Mäntel ist direkt auf die traumatische Erfahrung aus seiner Jugend, in der er durch die Gestapo misshandelt wurde. Dieses Ereignis begründete nicht nur seine lebenslange Auseinandersetzung mit Macht und Ohnmacht, sondern führte auch dazu, dass der Künstler anfing lange Regenmäntel zu sammeln. In seiner Wohnung waren hunderte dergleichen Jacken zu finden, sie wurden nicht weggegeben. Van Genk versah die Mäntel persönlich mit Druckknöpfen, um sie funktional zu machen. Eine Handlung, die von ihm selbst mit künstlerischer Unzucht beschrieben wurde. Ähnlich seinem zweidimensionalen Werk galten die langen Jacken als Möglichkeit, sich Macht anzueignen. Wenn er gekleidet in solch einen Mantel, den er oft nur einmal trug, die Straße entlang ging, fühlte er sich mächtig und es hatte zugleich eine starke erotisierende Auswirkung auf ihn. Daher tauchen Abbildungen von langen Regenmänteln auch in seinen Gemälden auf.

Installation Busbahnhof Arnheim

Bei Auflösung der Wohnung van Genks wurde eine große selbstgebaute Installation aufgefunden. Bei dieser handelte es sich um den Busbahnhof von Arnheim. Die Gebäude und zahllosen Trolleybusse sind aus Milchtüten, Bonbonpapier und Spielzeug gefertigt, wiederum versehen mit einer großen Anzahl von (Reklame)texten und Werbesprüchen.

Wohnungseinrichtung

Willem van Genks Wohnung in Den Haag war vollgestopft mit Büchern, Regenmänteln und großen Mengen sorgfältig geordneter gehamsterter Kleider. Die Wände waren umgewandelt in große Collagen ähnlich seinen Gemälden. Seine Wohnung diente als sichere Festung, in der er sich verschanzte, und hatte damit dieselbe beschützende Funktion wie Gemälde und Regenmäntel. Das Verändern der Wohnung und das Weggeben von Kleidern waren demnach ebenfalls undenkbar. Willem van Genks Wohnung stand in der Tradition von Gesamtkunstwerken wie Tressa Prisbreys „Bottle Village“ und Helen Martins Owl House. Die Wohnung wurde 1998 entrümpelt.

Literatur

  • Ans van Berkum: Willem van Genk: a marked man and his world. Museum de Stadshof, Zwolle 1998.
  • Allgemeines Künstlerlexikon, Band 51. München: Saur, 2006, S. 330.
  • Jan Keja: Ver van huis. Fernsehdokumentation, IKON 2001/ VPRO 2005.
  • Dick Walda: Koning der Stations. Uitgeverij de Schalm, Amsterdam 1997.

Weblinks