Wilhelm Worringer

Das Grab von Wilhelm und Marta Worringer (linke Bildhälfte) auf dem Nordfriedhof (München)

Wilhelm Worringer (* 13. Januar 1881 in Aachen; † 29. März 1965 in München) war ein deutscher Kunsthistoriker. Er war verheiratet mit der Künstlerin Marta Worringer.[1] Auf ihn geht der Begriff der ‚Abstraktion‘ als Bezeichnung für die Formensprache der Kunst der Moderne zurück.[2]

Methode

Zunächst ein Literaturwissenschaftler, wechselte Worringer bald zur Kunstgeschichte und studierte bei Heinrich Rückert, Georg Simmel und Heinrich Wölfflin. Seine methodische Herangehensweise präsentiert sich in seiner Dissertation Abstraktion und Einfühlung (1907 bei Artur Weese in Bern, 1908 im Piper Verlag veröffentlicht). Darin teilte Worringer die Strömungen in der Kunst allgemein in Abstraktion (als Reaktion des Menschen auf die verwirrende Umwelt und seine verlorene Stellung im Weltganzen) und Einfühlung (die er mit einem Natur-nachahmenden Zug gleichsetzt.) Seine Formel: „Ästhetischer Genuss ist objektivierter Selbstgenuss“ könnte man mit dem Zitat: „Wir genießen in den Formen eines Kunstwerks uns selbst.“ übersetzen. „Wie der Einfühlungsdrang als Voraussetzung des ästhetischen Erlebens seine Befriedigung in der Schönheit des Organischen findet, so findet der Abstraktionsdrang seine Schönheit im lebensverneinenden Anorganischen, im Kristallinischen, allgemein gesprochen, in aller abstrakten Gesetzmäßigkeit und Notwendigkeit.“ (Abstraktion und Einfühlung, S. 36)

Im Anschluss an Alois Riegl legte er damit die Grundlage, die im Entstehen begriffene klassische Moderne und den Expressionismus in die Tradition der europäischen Kunstgeschichte einzubinden. Bernhard Myers (Die Malerei des Expressionismus, 1970) schrieb Worringer zusammen mit Henri Bergsons Schöpferische(r) Entwicklung einen bedeutenden Anteil an der geisteshistorischen Fundierung des deutschen Expressionismus zu. Worringer arbeitete auch früh zum Expressionismus selbst.

Lehrtätigkeit

Nach seiner Habilitation mit der Arbeit Formprobleme der Gotik 1909 in Bern lehrte Worringer ab 1915 als Privatdozent und von 1925 bis 1928 als außerordentlicher Professor am Kunsthistorischen Institut der Universität Bonn. 1928 wurde er Professor an der Universität Königsberg. Hier blieb er von 1933 bis 1945 als einziger deutscher Kunsthistoriker in innerer Emigration, indem er seine Publikationen einstellte. 1945 trat er eine Professur an der Universität Halle an. 1950 verließ er die DDR aus politischen Gründen.

Ehrungen

Seit 1949 war er Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften.[3]

Werke

  • Schriften. Hrsg. v. Hannes Böhringer, Helga Grebing, Beate Söntgen. München 2004, 2 Bde. und 1 CD-ROM, ISBN 3-7705-3641-X.
  • Abstraktion und Einfühlung. Dissertation 1907; Piper, München 1908.
    • Vorwort zum Neudruck: Abstraktion und Einfühlung. Ein Beitrag zur Stilpsychologie. München 1948.
    • Neuausgabe, hrsg. von Helga Grebing. Mit einer Einl. von Claudia Öhlschläger. Wilhelm Fink, Paderborn / München 2007, ISBN 978-3-7705-4434-9.
  • Formprobleme der Gotik. München 1911.
  • Die altdeutsche Buchillustration. Piper, München 1912. (2. Auflage 1919, 3. Auflage 1921)
  • Ägyptische Kunst – Probleme ihrer Wertung. Piper, München 1927.
  • Problematik der Gegenwartskunst. München 1948.
  • Lächelt die Mona Lisa wirklich? In: Thema. Zeitschrift für die Einheit der Kultur. 2/1949, S. 25–29.
  • Jean Fouquet und Piero della Francesca. In: Das Kunstwerk. 3/1949 (1), S. 24–30.

Literatur

  • Norberto Gramaccini und Johannes Rößler (Hrsg.): Hundert Jahre „Abstraktion und Einfühlung“. Konstellationen um Wilhelm Worringer. München 2012. ISBN 978-3-7705-5302-0
  • Frank Büttner: Das Paradigma „Einfühlung“ bei Robert Vischer, Heinrich Wölfflin und Wilhelm Worringer, in: Christian Drude (Hg.): 200 Jahre Kunstgeschichte in München. München 2003, S. 82–93 (Digitalisat)
  • Udo Kultermann: Die Geschichte der Kunstgeschichte. München 1990, S. 192/193
  • Metzler-Kunsthistoriker-Lexikon. Stuttgart/Weimar 1999, S. 493–495
  • Heinrich L. Nickel: Der Wiederbeginn nach dem Zweiten Weltkrieg. Erinnerungen an Wilhelm Worringer und Hans Junecke, in: Wolfgang Schenkluhn (Hrsg.): 100 Jahre Kunstgeschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Halle 2004 (= Hallesche Beiträge zur Kunstgeschichte, 5/6), S. 181–190
  • Wilhelm Worringer. Neue Beiträge deutscher Forschung. Wilhelm Worringer zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Erich Fidder. Königsberg. Kanter. 1943. 233 S.
  • Claudia Öhlschläger: Abstraktionsdrang. Wilhelm Worringer und der Geist der Moderne. Paderborn 2005.
  • Hannes Böhringer und Beate Söntgen (Hrsg.): Wilhelm Worringers Kunstgeschichte. München. 2002
  • Helga Grebing: Die Worringers. Bildungsbürgerlichkeit als Lebenssinn. Wilhelm und Marta Worringer (1881–1965). Parthas, Berlin 2004, ISBN 978-3-936324-23-5
  • Heinrich Dilly: Wilhelm Worringers hallesche Publikationen, in: Wolfgang Schenkluhn (Hg.): 100 Jahre Kunstgeschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Halle 2004 (= Hallesche Beiträge zur Kunstgeschichte, 5/6), S. 163–180

Ikonographie

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Marta Worringer. In: www.fembio.org. Abgerufen am 15. September 2016.
  2. vgl. Broer, W. / Etschmann, W. / Hahne, R. / Tlusty, V.: Kammerlohr. Epochen der Kunst. Bd. 5 Vom Expressionismus zur Postmoderne. München / Wien 1997, S. 73
  3. Mitglieder der SAW: Wilhelm Worringer. Sächsische Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 14. Dezember 2016.
  4. Cornelius Steckner: Charles Crodel. Das graphische Werk. Ketterer, München 1985, Nr. 150; ders.: Das Flächenproblem der Moderne. Worringers Lichtbildervortrag „Künstlerisches Sehen und Schauen mit besonderer Berücksichtigung der Plastik“ und sein Porträt (1922), in: Gramaccini und Rößler (Hrsg.), Hundert Jahre "Abstraktion und Einfühlung". Konstellationen um Wilhelm Worringer. Paderborn 2012, S. 181–196.

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Autor/Urheber: Harvey Kneeslapper, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Das Grab der deutschen Historikerin Helga Grebing im Doppelgrab des Ehepaare Worringer und Sternberg auf dem Nordfriedhof München.