Weichsel-Oder-Operation

Verlauf der Operationen vom 12. Januar bis 30. März 1945

Die Weichsel-Oder-Operation (russisch Висло-Одерская операция, Wislo-Oderskaja operazija) ist die Bezeichnung einer Offensive an der deutsch-sowjetischen Ostfront des Zweiten Weltkrieges. Die Rote Armee begann am 12. Januar 1945 eine neue strategische Operation auf der 1.200 Kilometer breiten Front zwischen der Ostsee und den Karpaten. Sie endete am 3. Februar 1945. Im Laufe dieser Operation entwickelten sich zwei Hauptstoßrichtungen: über Warschau und Posen nach Küstrin und aus dem Sandomierz-Brückenkopf nach Schlesien entlang der Oder.[1]

Lage vor der Offensive aus deutscher Sicht

Der Jahresbeginn 1945 stand im Spannungsfeld dreier Kriegsschauplätze: Im Westen war die Ardennenoffensive im Ausklang, im Südosten war der Kampf um Budapest und das ungarische Öl noch nicht entschieden und an der Ostfront waren die Vorbereitungen der Sowjetarmee erkennbar abgeschlossen.

„Am 9. Januar – einen Tag nachdem Hitler den Oberbefehlshaber West v. Rundstedt ermächtigt hatte, die Westardennen zu räumen, traf Guderian nach einer Besichtigungsfahrt an die Ostfront in Hitlers Hauptquartier bei Frankfurt ein.“[2] Guderian forderte Hitler auf, Italien, Norwegen, den Balkan und das Baltikum [Kurland] aufzugeben und „alle auftreibbaren Reserven zu versammeln, um die Russen aus Deutschland herauszuhalten.“ Die Ostfront war seit dem Herbst 1944 kaum verstärkt worden.[A 1]

An der Front zwischen Ostsee und Karpaten standen 75 der 287 deutschen Divisionen, „und zwar weit schwächere Divisionen als im Westen.“ Nach Angaben Stalins in Jalta hatte er 180 Divisionen versammelt, „die an den Schwerpunkten den Deutschen an Männern und Panzern […] sechsfach überlegen waren.“

Nach einer weiteren Besprechung mit Guderian ordnete Hitler an, die 6. Panzerarmee aus den Ardennen herauszuziehen, sie sollte jedoch zur Verfügung v. Rundstedts bleiben, „damit wir dort die Initiative behalten.“ Die von Guderian geforderte Verstärkung der Ostfront mit der 6. Panzerarmee blieb damit vorerst vakant. Hitler verbot zudem etwaige Rückzüge.[3] Bereits am 12. Januar verlegte Hitler ohne Kenntnis Guderians die 6. Panzerarmee (auch 6. SS-Panzerarmee) nicht an die Ostfront, sondern nach Ungarn. An diesem Tag begann auch die von Hitler geringgeschätzte sowjetische Weichseloffensive. Am 15. Januar sah er sich jedoch veranlasst, sein Hauptquartier im Westen in Ziegenberg/Taunus „endgültig nach Berlin in die Reichskanzlei“ zu verlegen.[4]

Die Luftflotte 6 hatte im Bereich der Heeresgruppe A das VIII. Fliegerkorps stehen, dessen drei Schlacht- und zwei Jagdgruppen Betriebsstoff für drei Großkampftage hatten.[5]

Gliederung der gegnerischen Kräfte

Verlauf

Konews Großoffensive über die Weichsel nach Schlesien

Am 12. Januar 1945 griff die 1. Ukrainische Front unter Marschall Konew in der Sandomierz-Schlesischen Operation aus den Weichsel-Brückenköpfen von Baranow und Sandomierz heraus gegen die Front der deutschen 4. Panzer-Armee unter General Gräser an. Der Abschnitt des XXXXVIII. Panzerkorps östlich von Pinschow wurde ebenso wie der Abschnitt des XXXXII. Armeekorps östlich von Kielce durchbrochen. Das zum Gegenstoß vorgezogene XXIV. Panzerkorps (16. und 17. Panzer-Division) wehrte sich standhaft, wurde aber selbst sofort von den durchgebrochenen Panzerkeilen der sowjetischen 3. Gardepanzer- und 4. Panzerarmee im Raum Kielce eingekesselt. Truppen der sowjetischen 52. Armee besetzten am 17. Januar Tschenstochau, die 3. Gardepanzerarmee am 18. Januar Petrikau.

Bis zum 18. Januar waren die sowjetischen Truppen gegenüber der Heeresgruppe A auf 300 km Breite bis zu 150 km tief eingebrochen und hatten die Hauptkräfte der deutschen Verteidigung überrannt. Abgeschnittene deutsche Truppen versuchten nach Kämpfen mit sowjetischen Armeetruppen und polnischen Partisanen die Verbindung mit der inzwischen weit nach Westen abgedrängten deutschen Front wiederherzustellen. Das XXXXII. Armeekorps wurde dabei bis zum 23. Januar zum größten Teil vernichtet, der Kommandierende General Recknagel wurde zwischen Petrikau und Tomaszów von Partisanen erschossen. In einem „wandernden Kessel“[8] zog sich die deutsche Korpsgruppe Nehring (Gen. Kdo. XXIV. Panzerkorps) unter schweren Verlusten in mehrtägigen Kämpfen über die Warthe zur Oder im Raum Glogau zurück.

Am 19. Januar überquerten die ersten sowjetischen Truppen die Grenzen des Deutschen Reiches; danach begann der Kampf um das Schlesische Industriegebiet, das von der deutschen 17. Armee verteidigt wurde. Sowjetische Bomber griffen Breslau an. Krakau wurde am gleichen Tag von der sowjetischen 59. Armee freigekämpft. Am 27. Januar 1945 befreiten Einheiten der sowjetischen 60. Armee die Überlebenden der Konzentrationslager Auschwitz und Birkenau.[9] Die 100. Schützen-Division setzte dabei von Norden her über die Weichsel und deckte die Flanke der von Süden anrückenden 107., 148. und 322. Schützen-Division.

Nebenoffensiven gegen Ostpreußen

Am 13. Januar traten an der nördlichen Ostfront auch die 3. Weißrussische Front unter General Tschernjachowski aus dem Raum Pilkallen gegen die Front der deutschen 3. Panzer-Armee an der östlichen Grenze von Ostpreußen mit dem Ziel an, nach Königsberg durchzubrechen. Am 14. Januar folgte die Offensive der 2. Weißrussischen Front unter General Rokossowski aus den Brückenköpfen bei Serok und Rozan über den Narew mit dem Ziel die Provinz Ostpreußen auch von Süden her zu überrennen und bei Elbing zur Ostsee durchzubrechen. Die deutsche 3. Panzerarmee unter Generaloberst Raus wurde über die Memel bis auf den Pregel und die Angerapp zurückgedrängt. Die Front der deutschen 2. Armee unter General Weiß am Narew war ebenfalls durchbrochen und bis 21. Januar über die südliche Grenze Ostpreußens bis Osterode zurückgeworfen. Die noch intakte Front der deutschen 4. Armee unter General der Infanterie Hoßbach zwischen Augustow und Lomscha am Bobr musste eiligst abgebaut werden, um nicht abgeschnitten zu werden. Die sowjetischen Truppen drängten von 19. und 24. Januar auf breiter Front zwischen SoldauNeidenburgWillenberg bis Goldap über die ostpreußische Grenze.

Schukows Hauptangriff über Lodz auf Posen

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Panzer der 1. Weißrussischen Front auf dem Vormarsch

Am 13. Januar erfolgte aus den Brückenkopf von Magnuszew (Warka)[10] und am 14. aus dem von Pulawy[11], in der Frontmitte im Raum beiderseits und südlich von Warschau der Angriff der 1. Weißrussischen Front unter Marschall Schukow gegen die deutsche 9. Armee (General von Lüttwitz). Zusammen mit den Truppen von Konews Front befanden sich damit aus den drei bereits im September 1944 eroberten Brückenköpfen von Baranow, Pulawy und Magnuszew (Warka) insgesamt 163 Schützen-Divisionen und Panzerbrigaden mit 7042 Panzern und Sturmgeschützen in der Offensive.[12]

Die sowjetische Planung legte Wert auf eine hohe Geschwindigkeit. Diese sollte, zusammen mit den eingeplanten Flüchtlingsströmen, den deutschen Truppen die Möglichkeit zum Halten neuer Verteidigungslinien nehmen.[13]

Die sowjetische 47. Armee und die polnische 1. Armee umfassten Warschau, das sie bis zum Abend des 17. Januar eroberten. Die 8. Gardearmee unter General Tschuikow, welche zusammen mit der 5. Stoßarmee aus dem Brückenkopf von Magnuszew antrat, durchbrach die Front des VIII. Armeekorps beiderseits der Pilica und stieß auf Tomaszow durch. Dabei wurde die 6. Volksgrenadierdivision aufgerieben. Die 19. Panzerdivision konnte in ihrem Bereich den gegnerischen Angriff zum Stehen bringen. Der hinausgezögerte Gegenangriff der 25. Panzer-Division stieß auf durchgebrochene sowjetische Panzer und blieb erfolglos. Mit diesen beiden Angriffen waren die operativen Reserven der 9. Armee aufgebraucht. Am nächsten Tag beschleunigte sich der Zusammenbruch der Weichselverteidigung, als die sowj. 8. Gardearmee sowie Spitzen der 1. Gardepanzerarmee die taktische Verteidigungszone durchbrach. Um nicht von der Roten Armee eingekesselt zu werden, setzte sich die Division in unorganisch zusammengesetzten Kolonnen ohne jegliche Führung durch die Armee oder Heeresgruppe nach Westen ab.[14] Der Angriff der sowjetischen 33. Armee aus dem Brückenkopf von Pulawy zielte auf die Stadt Radom, die bis 16. Januar zusammen mit der südlicher vorgehenden 69. Armee umschlossen und erobert wurde. Die 1. und 2. Garde-Panzer-Armee führten nach dem Einbruch an der Front des deutschen XXXXVI. Panzerkorps den operativen Durchbruch in Richtung auf Kutno und Lodz, in der zweiten Phase nördlich der Warthe über Posen bis zur Oder.

Die katastrophale Lage im Generalgouvernement zwang das Oberkommando der Wehrmacht zur Freigabe des in Ostpreußen dringend benötigten Panzerkorps „Großdeutschland“, ab 15. Januar wurden dabei die Fallschirmdivision Hermann Göring und die Panzergrenadierdivision Brandenburg nach Kalisz verlegt.

Die Stadt Lodz wurde am 19. Januar im Zusammenwirken des 29. Garde-Schützenkorps der 8. Gardearmee mit dem von Süden herangekommenen 9. mechanischen Korps befreit. Ab 25. Januar 1945 wurden die rund 30.000 bis 63.000 Verteidiger der zur „Festung“ erklärten Stadt Posen eingeschlossen. Der nun folgende Kampf um Posen bis zur Kapitulation der letzten Verteidiger dauerte bis zum 23. Februar 1945.

Der sowjetische Vormarsch in Ostpreußen und westlich der Weichsel erfolgte in der Hälfte der vom sowjetischen Oberkommando veranschlagten Zeit. Ihre Spitzen erreichten am 2. Februar (Beginn der Konferenz in Yalta) die Oder.

Reaktion auf deutscher Seite

Nachdem die sowjetische Offensive erfolgreich vorangekommen war, befahl Generalstabschef Heinz Guderian am 16. Januar, in allen 20 Wehrkreisen des Reiches, die bislang noch nicht unmittelbar von Kampfhandlungen am Boden betroffen waren, jeweils ein Bataillon auszuheben. Innerhalb einer Woche sollten diese in das sogenannte Wartheland, einen zuvor annektierten Teil Polens, verlegt werden, um dort die sowjetische Offensive mit aufzuhalten. Am 20. Januar erklärte Hitler Posen, die Hauptstadt des Warthelands, zum Festen Platz. Am 22. Januar wurde im angrenzenden Wehrkreis III das Ersatzheer mobilisiert, um ebenfalls im Wartheland eingesetzt zu werden.[15] Wilmot: „Am 22. Januar endlich genehmigte Hitler, der nun verzweifelt Reserven aufzutreiben suchte, die Räumung Memels, doch weigerte er sich noch immer, Kurland aufzugeben.“[A 2]

Sowjettruppen auf dem Weg zur Oder

Die sofortige Überführung der 6. Panzerarmee vom Westen nach dem Osten wurde angeordnet. Aus der Pfalz und dem Elsaß wurden die 21. Panzer- und die 25. Panzergrenadier-Division herausgelöst und an die bedrohte Oderfront verlegt. Hitler erkannte, dass er den Vorteil der inneren Linie verloren hatte: „Es hat gar keinen Sinn, dass man sich in etwas hineinhypnotisiert und sagt: Ich brauche es hier, folglich muß es auch so kommen. Letzten Endes muss ich mit den Dingen rechnen, wie sie sind. Der Aufmarsch einer wirklich beachtlichen Kraft vom Westen ist einmal vor 6 bis 8 Wochen nicht denkbar.“[16]

Auch die Reserveeinheiten konnten in der Kürze der Zeit kaum sinnvoll eingesetzt werden. Das Ersatzheer aus dem Wehrkreis III erreichte das angewiesene Ziel Posen nur in Teilen. Einige Einheiten fuhren mit Eisenbahnwaggons direkt in die vorstoßenden sowjetischen Truppen hinein. Die Volkssturmverbände wurden allesamt vor Überschreiten der Grenze des „Altreichs“ umgeleitet und in die am 24. Januar formierte Heeresgruppe Weichsel eingegliedert. Die Heeresgruppe sollte die sowjetische Offensive nordwestlich von Posen auf der Linie Glogau–Elbing aufhalten, was jedoch misslang. Ihre Einheiten wurden noch im Rahmen der Weichsel-Oder-Operation auf die Festungsfront Oder-Warthe-Bogen und die Oderstellung zurückgedrängt und teilweise durchbrochen. Am 26. Januar wurde Küstrin zur Festung erklärt.[17]

Am 28. Januar erfolgte der erste Befehl zur Räumung von Gebieten in der Mark Brandenburg: Emil Stürtz, Leiter des gleichnamigen NSDAP-Gaus, wurde beauftragt, einen rund 15 Kilometer tiefen Bereich westlich der Festungsanlage Tirschtiegel-Riegel zu evakuieren. Frauen und Kinder sowie männliche polnische Zwangsarbeiter sollten nach Westen geschafft werden. Ebenso wurden Gefängnisse und verschiedene Lager geräumt. Am gleichen Tag wurde jedoch Einwohnern des frontnahen Landkreises Landkreis Züllichau-Schwiebus eine Flucht untersagt.[18]

Nach dem anhaltenden Misserfolg der Verteidigung wurde am 29. Januar befohlen, im Raum zwischen der Oder und Berlin Sperranlagen zu bauen. Als am folgenden Tag ersten sowjetischen Einheiten der Übergang über die Oder gelang und diese bald größere Brückenköpfe bildeten, verfügte die deutsche Führung in diesem Raum praktisch über keine strukturierten Bodeneinheiten. Der erfolglose Versuch der Zerschlagung der Brückenköpfe wurde zunächst ausschließlich mit den wenigen noch vorhandenen Flugzeugen der Luftwaffe unternommen, die allerdings zunächst auf praktisch keine Flugabwehrwaffen der sowjetischen Truppen trafen. Am 31. Januar wurde sämtliches SS-Personal im Großraum Berlin-Brandenburg alarmiert. Dieses Personal ging allerdings nicht gegen die sowjetischen Brückenköpfe vor, sondern sollte die Fläche gegen mögliche Luftlandeversuche sichern.[19]

Schlussphase der Offensive

Abordnung deutscher Offiziere während der Verhandlungen über die Kapitulation der Festung Breslau

Ende Januar erreichte Rokossowskis 2. Weißrussische Front die Danziger Bucht und schnitt die 25 in Ostpreußen stehenden Divisionen ab. Konews 1. Ukrainische Front eroberte nach Krakau das oberschlesische Industriegebiet[A 3] und kesselte Breslau ein. Schukows Panzer (1. Weißrussische Front) rollten durch Mittelpolen, drängten die Heeresgruppe Weichsel auf die Bunker des Oder-Warthe-Bogens zurück und durchbrachen diesen am 1. Februar. Dabei überschritten sie die deutsche Grenze in der Neumark. Die 4. Ukrainische Front unter Generaloberst Iwan Petrow eroberte Südpolen und die Nordtschechoslowakei (die heutige nördliche Slowakei). Abseits des Festungsriegels an der Oder kam es zur teils unkontrollierten Flucht der deutschen Einheiten, die meist Küstrin zu erreichen versuchten. Auch in den weiteren Regionen bis zur Oder blieb eine organisierte Verteidigung weitgehend aus. Vielmehr versuchten die meisten deutschen Truppen die Oder zu erreichen.[20]

Nach den vom 26. bis 29. Januar tobenden Schneestürmen schoben sich General Tschuikows Einheiten bis zur Oder vor. Dabei profitierten sie von den Wetterbedingungen, weil Abwehrgräben durch Schneeverwehungen passierbar wurden und der Frost Sumpfgebiete und Gewässer befahrbar machte.[21] Der vorentscheidende Erfolg der Offensive gelang im Zentrum der Operation beiderseits Küstrin. Am 1. Februar erreichten Vorausabteilungen der 8. Gardearmee den noch zugefrorenen Strom. Am 2. Februar bildete das 4. Garde-Schützenkorps (Generalmajor Glasunow) am westlichen Ufer bei Neu Manschnow einen kleinen Brückenkopf. Nordwestlich von Küstrin erreichte Bersarins 5. Stoßarmee die Oder. Das 1. mechanische Korps unter Generalleutnant Kriwoschein errichtete einen weiteren kleinen Brückenkopf nahe Genschmar an der Kalenziger Bunst. Am gleichen Tag erreichten auch das 8. mechanische Gardekorps (Generalmajor Dremow) und das 11. Garde-Panzerkorps (Oberst Babadschanjan) die Oder. Die übergesetzten Einheiten bildeten südlich und nördlich von Küstrin bei Güstebiese und Kienitz erste starke Brückenköpfe.[22] Erich Kuby: „Abgesehen davon, dass ein vereister Strom kein natürliches Hindernis bildete, schien er dort, wo er bei Frankfurt und Küstrin Berlin am nächsten ist, überhaupt nicht mehr verteidigt zu werden.“[23] Der Höhenrand des Oderbruchs blieb aber im Wesentlichen unter deutscher Kontrolle.

In den ersten Februartagen begann westlich der Oder eine wirkungsvolle deutschen Verteidigung. Eine weitgehend ungestörter Oderübergang gelang der Roten Armee letztmals am 3. Februar mit drei Divisionen. Am 4. Februar befahl Stalin, an der Oder stehen zu bleiben, lediglich noch das umfasste Küstrin zu nehmen und im Übrigen eine Verteidigung in Richtung Norden gegen die deutsche Heeresgruppe Weichsel aufzubauen.[24]

Lage zum Abschluss der Offensive

Am 4. Februar 1945 waren die Kämpfe im nördlichen Bereich von Königsberg bis zu den Karpaten weitgehend zur Ruhe gekommen. Es bildeten sich neue Fronten: zwei Kessel in Ostpreußen an der Ostsee, der nördliche Teil Kurlands konnte sich halten, in Schlesien bis Küstrin verlief die Abwehrlinie um oder entlang der Oder, von Küstrin durch den Süden Pommerns bis Danzig.

In Ungarn hingegen gingen die Kämpfe nach der Verlegung der 6. SS-Pz.-Armee aus den Ardennen in den Südosten unvermindert weiter. Am 13. Februar 1945 fiel Budapest.

Die Offensiven bis Mai 1945

In der Lagebesprechung vom 27. Januar 1945 mit Göring und Jodl äußerte Hitler die Hoffnung, „dass mit jedem Schritt der Russen näher an Berlin heran die Westmächte einen Schritt näher zu einem Kompromiss gebracht würden.“ Als Sofortmaßnahme wurde der Berliner Volkssturm an die Ostfront verlegt und Heinrich Himmler zum Oberbefehlshaber einer Heeresgruppe Weichsel[A 4] ernannt, um an der Oder die neue Front zu festigen. Von der Westfront wurde dazu mehr als die Hälfte der Panzerdivisionen abgezogen.

Hitler gab nun der Ostfront den Vorrang: Im Februar 1945 gingen „1.675 neue oder reparierte Panzer und Sturmgeschütze nach dem Osten, an die Westfront hingegen in derselben Zeit nur 67. […] Durch diese drastische Neuverteilung hoffte Hitler, die Ostfront zu stabilisieren, ehe die britisch-amerikanischen Armeen ihre Offensive zum Rhein erneuern könnten.“[A 5]

Im März 1945 versuchte die Wehrmacht im Kampf um Küstrin vergeblich, die Brückenköpfe, zwischen denen die Versorgungslinie zur Stadt verlief, zu beseitigen. Am 22. März gelang den sowjetischen Truppen die Vereinigung der beiden Brückenköpfe. Die 1. Weißrussische Front konsolidierte schließlich bis Anfang April den Oder-Brückenkopf auf 44 km Breite und 7–10 km Tiefe, der sich von Lebus im Süden bis nördlich Kienitz erstreckte.

Auswirkungen

Die sowjetischen Truppen waren nach der Offensive erschöpft und nahmen auch keine Gelegenheit wahr, weiter auf Berlin vorzustoßen. Sie konnten „solange nicht zum Durchbruch [auf Berlin] antreten […], wie sie den Nachschubverkehr durch das verwüstete Polen nicht organisiert hatten.“ (Wilmot, 740) In den nächsten Wochen bereinigten die sowjetischen Fronten ihren Rückraum: In der Schlacht um Ostpommern (10. Februar bis 4. April 1945) drangen sie an die Ostsee vor, die Ostpreußische Operation wurde am 9. April 1945 mit der Eroberung von Königsberg weitgehend abgeschlossen, Danzig wurde Ende März 1945 besetzt und in der Niederschlesischen Operation und der Westkarpatischen Operation wurden die deutschen Truppen auf die Tschechoslowakei zurückgedrängt. Trotz des militärischen Erfolgs der Sowjetfronten kehrte sich die Gesamtlage jedoch gleichsam um: Vorläufig hatten die deutschen Armeen an Oder und Neiße eine neue Abwehrlinie errichten können, während nun – ab Anfang Februar 1945 – die westalliierten Heere nach Deutschland einbrachen.

Mit der Schlacht um die Seelower Höhen begann die Sowjetarmee am 16. April 1945 ihren Angriff auf Berlin, der bis Anfang Mai zur Besetzung der deutschen Hauptstadt führte.

Die Kämpfe waren für beide Kriegsparteien sehr verlustreich. Die Rote Armee verlor nach eigenen Angaben 193.125 Soldaten (davon 43.251 Tote und Vermisste sowie 149.874 Verwundete), 1.267 Panzer, 374 Geschütze und 343 Flugzeuge.[25]

Anmerkungen

  1. Im November und Dezember waren nach Meldungen des OKH v. Rundstedt 2.299 neue oder wiederhergestellte Panzer und Sturmgeschütze zugeteilt worden, aber Guderian nur 921 für die Ostfront. Die Hälfte der Panzer Guderians „stand am Südflügel, das Erdöl und den Bauxit Ungarns deckend und die Straße nach Wien sperrend.“ (Wilmot, 666 f.).
  2. Er begründete dies mit der Kontrolle über die Ostsee und wies „auf die entscheidende Bedeutung der Danziger Bucht für die Aufrechterhaltung des Seekrieges (einzige U-Boot-Übungsgebiete)“ hin. (Führer-Marine-Konferenzen 21. Januar 1945, Wilmot, 670.)
  3. Es war das einzige von Luftangriffen verschonte Industriezentrum und hatte noch im Dezember 1944 60 % der Kohlenförderung geliefert. Speer erklärte, er könne nun „nur ein Viertel der Kohle und ein Sechstel des Stahls zur Verfügung stellen, die im Januar 1944 produziert worden seien.“ (Bericht Speers an Hitler, 30. Januar 1945. Es handelte sich im Februar 1945 noch um 7 Millionen Tonnen Kohle und um 0,5 Millionen Tonnen Stahl, ein Fünftel der Menge des Sommers 1944. Quelle: Speer-Akten. Wilmot, 671 und 710). Verloren gingen auch drei neue Raffinerien für synthetischen Treibstoff, die soeben die Produktion aufgenommen hatten.
  4. Hitler benannte den Verband nicht nach seinem gegenwärtigen Operationsraum, sondern nach der Linie, die er in Zukunft erobern sollte: die gerade verloren gegangene Weichsel-Front.
  5. (Wilmot, 714.)

Literatur

  • Erich Kuby: Die Russen in Berlin 1945, Scherz Verlag, München 1965.
  • Chester Wilmot: Der Kampf um Europa, Büchergilde Gutenberg, Zürich 1955.
  • Heinz Magenheimer: Abwehrschlacht an der Weichsel 1945. Vorbereitung, Ablauf, Erfahrungen (= Einzelschriften zur militärischen Geschichte des Zweiten Weltkrieges, Band 20). Rombach Verlag, Freiburg im Breisgau 1976, ISBN 3-7930-0179-2.
  • Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg – Band 10/1: Der Zusammenbruch des Deutschen Reiches 1945 und die Folgen des Zweiten Weltkrieges – Teilbd. 1: Die militärische Niederwerfung der Wehrmacht. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 2008, 947 S., ISBN 3-421-06237-4

Weblinks

Commons: Weichsel-Oder-Operation – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. http://wwii-soldat.narod.ru/OPER/ARTICLES/034-visla.htm
  2. Chester Wilmot: Der Kampf um Europa, Büchergilde Gutenberg, Zürich 1955, S. 666.
  3. Führer-Lagebesprechungen, Bruchstück 33, 10. Januar 1945 (Wilmot, S. 668.)
  4. Rüdiger Bolz: Synchronopse des Zweiten Weltkriegs, ECON Verlag, Düsseldorf 1983, ISBN 3-612-10005-X, S. 233.
  5. Horst Boog, Richard Lakowski, Werner Rahn, Manfred Zeidler, John Zimmermann: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Band 10/1 - Die militärische Niederwerfung der Wehrmacht. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2008, ISBN 978-3-421-06237-6, S. 507.
  6. W.I. Festjkow / K.A. Kalaschnikow: Красная Армия в победах и поражениях 1941-1945, Moskwa 2003, S. 150–160.
  7. OKW-Kriegstagebuch Band IV, S. 1886. Anmerkung: Die Armeegruppe Heinrici wurde am 12. Januar nicht vom sowjetischen Angriff erfasst, ist aber wegen der Vollständigkeit hier mitaufgenommen.
  8. Skizze Der "Wandernde Kessel" des XXIV. Panzerkorps - https://www.ifz-muenchen.de/archiv/zs/zs-0275.pdf
  9. Ernst Piper: 27. Januar 1945: Die Rote Armee befreit Auschwitz (Memento desOriginals vom 2. Februar 2017 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/publikative.org
  10. Rolf Hinze: Die 19. Panzer-Division, S. 161
  11. Wolfgang Paul: Der Endkampf um Deutschland, Wilhelm Heyne Verlag, München 1978, S. 47. ISBN 3-453-00835-9.
  12. Barr: Panzerkrieg, Kaiser Verlag 2000, S. 163.
  13. Janine Fubel: Evakuierungs‑ und Kriegsschauplatz Mark Brandenburg. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift. Band 81, Nr. 1, 6. Mai 2022, S. 179, doi:10.1515/mgzs-2022-0007.
  14. Rolf Hinze: Die 19. Panzer-Division, S. 161
  15. Janine Fubel: Evakuierungs‑ und Kriegsschauplatz Mark Brandenburg. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift. Band 81, Nr. 1, 6. Mai 2022, S. 183, doi:10.1515/mgzs-2022-0007.
  16. Führer-Lagebesprechungen, Bruchstück 24, 27. Januar 1945., Wilmot, 670.
  17. Janine Fubel: Evakuierungs‑ und Kriegsschauplatz Mark Brandenburg. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift. Band 81, Nr. 1, 6. Mai 2022, S. 183–185, doi:10.1515/mgzs-2022-0007.
  18. Janine Fubel: Evakuierungs‑ und Kriegsschauplatz Mark Brandenburg. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift. Band 81, Nr. 1, 6. Mai 2022, S. 193–195, doi:10.1515/mgzs-2022-0007.
  19. Janine Fubel: Evakuierungs‑ und Kriegsschauplatz Mark Brandenburg. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift. Band 81, Nr. 1, 6. Mai 2022, S. 187, doi:10.1515/mgzs-2022-0007.
  20. Janine Fubel: Evakuierungs‑ und Kriegsschauplatz Mark Brandenburg. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift. Band 81, Nr. 1, 6. Mai 2022, S. 185, doi:10.1515/mgzs-2022-0007.
  21. Janine Fubel: Evakuierungs‑ und Kriegsschauplatz Mark Brandenburg. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift. Band 81, Nr. 1, 6. Mai 2022, S. 186, doi:10.1515/mgzs-2022-0007.
  22. Tony Le Tissier: Durchbruch an der Oder, Augsburg 1997, S. 61 f.
  23. Erich Kuby: Die Russen in Berlin 1945, Scherz Verlag, München 1965, S. 24.
  24. Janine Fubel: Evakuierungs‑ und Kriegsschauplatz Mark Brandenburg. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift. Band 81, Nr. 1, 6. Mai 2022, S. 189, doi:10.1515/mgzs-2022-0007.
  25. G. F. Krivošeev (Hrsg.): Soviet casualties and combat losses in the twentieth century. Greenhill Books, London 1997, S. 253 u. 263. ISBN 1-85367-280-7.

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Poland 1945/Germany 1945. The Soviet offensive to the Oder, January-March 1945.
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