Walter Kolneder

Walter Kolneder (* 1. Juli 1910 in Wels; † 30. Januar 1994 in Karlsruhe) war ein österreichischer Musikwissenschaftler und Bratschist.

Leben und Wirken

Kolneder wurde 1910 in Oberösterreich geboren. Von 1925 bis 1935 studierte er Musik bei Bernhard Paumgartner (Dirigieren), Theodor Müller (Violine) und Friedrich Frischenschlager (Komposition) am Mozarteum in Salzburg. Außerdem besuchte er einen Meisterkurs für Bratsche bei Max Strub und war Mitglied des Mozarteumorchesters (1929–1936). Privat studierte er von 1927 bis 1929 Komposition bei Johann Nepomuk David in Wels. 1934/35 begann er ein musikwissenschaftliches Studium an der Universität Wien. 1936 wurde er Abteilungsleiter am Konservatorium des Musikvereins für die Steiermark und 1939 Dozent an der Staatlichen Hochschule für Musikerziehung in Graz-Eggenberg sowie Abteilungsleiter am Steirischen Landeskonservatorium. Am 27. Mai 1938 beantragte er die Aufnahme in die NSDAP und wurde rückwirkend zum 1. Mai aufgenommen (Mitgliedsnummer 6.353.576).[1][2]

In der Nachkriegszeit war er zunächst als Dirigent in Wels tätig. Von 1947 bis 1953 war er stellvertretender Solobratschist am städtischen Orchester in Innsbruck. Er setzte seine Studien bei Wilhelm Fischer an der Universität Innsbruck fort und wurde 1949 mit der Dissertation Die vokale Mehrstimmigkeit in der Volksmusik der österreichischen Alpenländer zum Dr. phil. promoviert.

Kolneder war von 1953 bis 1959 Direktor des Konservatoriums der Stadt Luxemburg. 1956 habilitierte er sich für das Fach Musikwissenschaften mit einer Arbeit über Antonio Vivaldi an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken, wo er Privatdozent wurde. Von 1959 bis 1965 war er Leiter der Akademie der Tonkunst in Darmstadt. Ab 1960 lehrte er auch in Gießen. Zwischen 1966 und 1972 war er Rektor der Hochschule für Musik Karlsruhe. An der Universität Karlsruhe wurde er 1966 außerplanmäßiger Professor für Musikwissenschaften und begründete das Institut für Musikwissenschaft. 1974 wurde er emeritiert.

Er beschäftigte sich mit der Geschichte und dem Repertoire des Violinspiels. Er veröffentlichte Studien zu Antonio Vivaldi und Anton Webern. Außerdem gab er die Gesamtausgabe der Instrumentalmusik Tomaso Albinonis heraus. Darüber hinaus widmete er sich der österreichischen Volksmusik. Ferner gab er barocke Instrumentalmusik des 17. und 18. Jahrhunderts sowie deren Bearbeitungen heraus.

Rolle im Nationalsozialismus

Unter Hermann von Schmeidel wurde das Grazer Konservatorium ab Mitte der 1930er-Jahre im Sinne einer nationalsozialistischen Ausrichtung personell und ideologisch umgestaltet. So hat nicht nur „der größte Teil der Musikerziehung der Hitlerjugend und des Bundes Deutscher Mädel am Konservatorium stattgefunden beziehungsweise von dort seinen Ausgang genommen“,[3] auch neue Lehrkräfte kamen verstärkt dann zum Zuge, wenn sie Anhänger der NS-Ideologie waren. Kolneder wurde 1936 ebenfalls „im Sinne einer nationalsozialistischen Musikerziehung [...] berufen“.[4] Eine zentraler Bestandteil bei dieser Neuausrichtung der Musikerziehung waren die sogenannten „offenen Singstunden“, im Prinzip Treffen von illegalen Nationalsozialisten.[5] Hier waren es „vor allem Ludwig Kelbetz, sein Bruder Friedrich Kelbetz und Walter Kolneder, die für die Offenen Singstunden verantwortlich zeichneten“.[6] Als NSDAP-Mitglied wurde Kolneder 1939 zudem auch an die von den Nationalsozialisten nach dem Anschluss Österreichs neugegründete Hochschule für Musikerziehung in Graz-Eggenberg geholt. In der für die NS-Zeit typischen Postenakkumulation, war er bereits 1938 Städtischer Musikbeauftragter für Graz geworden,[7] seine Position am Konservatorium, jetzt Landesmusikschule, behielt er bei. Nach 1945 konnte Kolneder ungebrochen seine Karriere fortsetzen.[8] Wie gut die NS-Seilschaften noch funktionierten, zeigt unter anderem, dass Kolneder mit dem Leiter des während der NS-Diktatur umgebauten Steirischen Musikschulwerks, Felix Oberborbeck, nach 1945 stets in Kontakt blieb. So finden sich Nachrichten zum beruflichen Werdegang Kolneders nicht nur in den von Oberborbeck bis in die 1970er-Jahre herausgegebenen „Eggenberger Chroniken“, die regelmäßig an ehemalige Studierende und Lehrkräfte der Hochschule für Musikerziehung Graz-Eggenberg verschickt wurden,[9] sondern auch mehrfach im Nachlass von Oberborbeck.[10]

Auszeichnungen

Werke

  • Aufführungspraxis bei Vivaldi. Ersterscheinung 1955, Neuauflage im Amadeus Verlag 1999, ISBN 3-905049-14-7.
  • Das Buch der Violine. Atlantis Musikbuch, ISBN 3-254-00147-8.
  • Antonio Vivaldi, Dokumente seines Lebens und Schaffens. Heinrichshofen, Wilhelmshaven, ISBN 3-7959-0273-8.
  • Die Kunst der Fuge. Mythen des 20. Jahrhunderts. Heinrichshofen, Wilhelmshaven 1977, ISBN 3-7959-0178-2.
  • Johann Sebastian Bach. Lebensbilder. Lübbe Verlag, ISBN 3-7857-0382-1.
  • Lübbes Bach-Lexikon (Bastei-Lübbe-Taschenbuch Band 61288), Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 1994, ISBN 3-404-61288-4.
  • Musikinstrumentenkunde Ein Studien- und Prüfungshelfer. Heinrichshofen, Wilhelmshaven, ISBN 3-7959-0159-6.
  • Geschichte der Musik. Ein Studien- und Prüfungshelfer. Heinrichshofen, Wilhelmshaven, ISBN 3-7959-0157-X.
  • Schule des Generalbassspiels. Teil I: Die Instrumentalmusik. Ersterscheinung 1983, Heinrichshofen, Wilhelmshaven, ISBN 3-7959-0332-7.
  • Singen nach Noten. Praktische Musiklehre für Chorsänger zum Erlernen des Vom-Blatt-Singens. (Hrsg. mit Karl Heinz Schmitt), Schott Verlag, 2 Bände, ISBN 3-7957-2556-9 und ISBN 3-7957-2557-7.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Bundesarchiv R 9361-IX KARTEI/22230189
  2. Fred K. Prieberg: Handbuch Deutsche Musiker 1933–1945, Kiel 2009, 2. Auflage, S. 4146f.
  3. Christa Brüstle (Hg): Musikerinnen in Graz und in der Steiermark, Graz 2020, S. 122.
  4. Mona Silli: Chronik des Johann-Joseph-Fux-Konservatoriums. Die musikgeschichtliche Entwicklung der Instrumentalmusikerziehung von 1815 bis zur Gegenwart. Dissertation, Graz 2009, S. 87.
  5. Brüstle, S. 144.
  6. Silli, S. 94.
  7. Prieberg, S. 4146.
  8. Helmut Brenner: Musik als Waffe? Theorie und Praxis der politischen Musikverwendung, dargestellt am Beispiel der Steiermark 1938-1945, Graz 1992, S. 254.
  9. Brenner, S. 240.
  10. Nachlass Felix Oberborbeck, abgerufen am 25. Oktober 2022.