Wöhlk-Reaktion

Die Wöhlk-Reaktion, auch Wöhlk-Test, auch Wöhlk-Malfatti-Reaktion, ist eine halbquantitative Nachweisreaktion für Lactose und Maltose, die durch Zugabe von Ammoniaklösung unter Erhitzen zu einem charakteristischen lachsroten Farbstoff führt.[1] Sie wurde benannt nach ihrem Entdecker Alfred Wöhlk, der sie im Jahr 1904 an der Pharmazeutischen Lehranstalt Kopenhagen beschrieb. 1905 wurde sie von dem Innsbrucker Urologie-Professor Hans Malfatti durch die Zugabe von wenigen Tropfen Kalilauge verbessert und bis in die 1960er Jahre in Arzt- und Krankenhauslaboren zur Differenzierung eines Schwangerschaftsdiabetes von der Lactosurie (Auftreten von Lactose bei der Urinuntersuchung, z. B. bei einem Milchstau) verwendet.[2] Im englischen Sprachgebiet wurde für denselben Zweck eine chemisch sehr ähnliche Variante verwendet, bei der die Ammoniaklösung durch eine alkalische Methylammoniumchlorid-Lösung ersetzt wird.[3] Nach ihrem Erfinder William Robert Fearon wird diese Variante „Fearon’s test on methylamine“[4] genannt und noch im Jahr 2000 in einem indischen Lehrbuch beschrieben.[5]

Anwendung

Obwohl die Wöhlk-Reaktion im modernen klinischen Labor aufgrund modernerer und besserer Nachweisverfahren (HPLC, GC, Laborschnelltest) obsolet ist, erfährt sie seit 2016 einen erneuten Aufschwung im Chemieunterricht, weil sie dort als halbquantitativer Nachweis für den sehr unterschiedlichen Lactosegehalt von Milchprodukten eingesetzt werden kann (siehe Abbildung).[6]

Je nach Lactosegehalt der Milchprodukte ergibt die Reaktion einen mehr oder weniger starken Rotton. Buttermilch wird dunkelrot. In Kefir und Joghurt wurde Lactose durch Mikroorganismen abgebaut, daher erscheinen sie weniger rot als Vollmilch. Lactosefreie Milch erscheint gelb, ebenso wie Lösungen von Fructose, Glucose, Galactose. Reine Lactoselösung erscheint lachsrot, Saccharoselösung bleibt farblos.
Wöhlk-Reaktion mit unterschiedlichen Milchprodukten und Zuckerlösungen

Auch am Ende eines schulischen Standardexperiments, der Stärkespaltung durch Speichel-Amylase, dient sie zum Nachweis des Disaccharids Maltose, das als Hauptprodukt anfällt, neben Glucose, Isomaltose und anderen zufälligen Resten der endohydrolytischen Spaltung.[7]

Durch systematische Untersuchungen wurde im Januar 2019 an der Europa-Universität Flensburg entdeckt, dass außer Ammoniak und Methylamin auch weitere Amine mit Lactose und anderen 1,4-verknüpften Disaccariden beim Erhitzen (60 °C) in stark alkalischer Lösung (pH 13) einen roten Farbstoff ergeben.[8]

Für die Anwendung im Chemieunterricht hat sich durch die vorgeschriebene Ersatzstoffprüfung gemäß RiSU die Verwendung von Hexamethylendiamin (IUPAC-Name: 1,6-Diaminohexan) als besonders günstig herausgestellt, zumal die Chemikalie durch einen weit verbreiteten Versuch zur Nylon-Herstellung ("Nylon-Seil-Trick[9]") in vielen Schulen bereits vorhanden ist[10]. Das 1,6-Diaminohexan-Verfahren kann somit als eine verbesserte Wöhlk-Probe bezeichnet werden, die den Nachweis von 1,4-verknüpften Disacchariden nicht nur im heißen Wasserbad (T = 60 °C, t = 10 min), sondern auch in der Inverter-Mikrowelle (400 W, t = 60 sec) ermöglicht.[11]

Durchführung

2 mL eines Milchprodukts oder einer zuckerhaltigen Lösung (ω = 0,1 % – 5 %) werden in ein Reagenzglas pipettiert. Sodann werden 2 mL Ammoniaklösung (ω = 10 %) und 3–5 Tropfen Kalilauge (c = 1 mol/L) hinzupipettiert. Das Reagenzglas wird vorsichtigt geschüttelt und im Abzug oder an gut gelüfteter Stelle in ein Wasserbad gegeben, das auf 65 °C aufgeheizt ist. Nach ca. 10 Minuten tritt eine erste Färbung ein, die nach ca. 25 Minuten ausgereift ist. Die Anwesenheit von Lactose (oder Maltose) wird durch eine lachsrote Färbung (Vis-Maximum bei 527 nm) angezeigt, reduzierende Monosaccharide (z. B. Fructose, Glucose, Galactose) werden gelb angezeigt. Nichtreduzierende Zucker (z. B. Saccharose) bleiben farblos. Die Reaktion benötigt einen pH-Wert von 13. Werden saure Produkte eingesetzt, so muss ggf. mehr Kalilauge hinzugetropft werden bzw. der pH-Wert vor Beginn der Reaktion geprüft werden.[1]

Die Anwendung von Ammoniak unterliegt im Schulunterricht gemäß RiSU einer Ersatzstoffprüfung: Das Ziel des Nachweises wird auch erreicht, wenn an Stelle von Ammoniaklösung eine alkalische Lösung von Methylammoniumchlorid (siehe Anleitung unter Fearon's Test) oder Hexamethylendiamin (siehe [11]) angewendet wird.

Reaktionsmechanismus

Zum Mechanismus der Wöhlk-Reaktion und zur Struktur des roten Farbstoffs gibt es mittlerweile begründete Annahmen, die in Richtung eines Pyridiniumsalzes mit intramolekularer Ladungstrennung gehen.[12] Der betainartige Farbstoff ist nur im stark alkalischen Bereich stabil und lässt sich nicht mit bekannten Lösungsmitteln ausschütteln. Ketosen wie z. B. Lactulose und Fructose reagieren schneller als die analogen Aldosen Lactose und Glucose, weil diese erst noch eine Lobry-de-Bruyn-van-Ekenstein-Umlagerung durchführen müssen, um in den Reaktionsweg zum roten Farbstoff einzutreten. Immerhin weiß man nun, dass der lachsrote Farbstoff der Wöhlk-Reaktion ein Absorptionsmaximum bei 527 nm hat und auch mit anderen Zuckern entsteht, die analog Lactose und Maltose aufgebaut sind (z. B. Cellobiose, Maltotriose),[13] aber auch mit Glucose, wenn sie an der OH-Gruppe in Position 4 eine Schutzgruppe trägt.[14]

Einzelnachweise

  1. a b Ruppersberg, Klaus, Hain, Julia: Wie kann der Lactosegehalt von Milchprodukten im Schulexperiment sichtbar gemacht werden? Die Wiederentdeckung der Wöhlk-Reaktion für den Chemieunterricht. In: Chemie konkret – ChemKon. Band 23, Nr. 2, 2016, urn:nbn:de:0111-pedocs-145962.
  2. Hans Malfatti: Über den Nachweis von Milchzucker im Harne. In: Centralblatt für die Krankheiten der Harn- und Sexualorgane. Band 16, 1905, S. 68–71 (Textarchiv – Internet Archive).
  3. Klaus Ruppersberg: Dem Milchzucker auf der Spur – eine europäische Detektivgeschichte. In: Praxis der Naturwissenschaften – Chemie in der Schule : PdN. Band 65, Nr. 8. Aulis-Verlag, 2016, S. 30–33, urn:nbn:de:0111-pedocs-150938.
  4. W. R. Fearon: The detection of lactose and maltose by means of methylamine. In: Analyst. Band 67, Nr. 793, 1. Januar 1942, S. 130–132, doi:10.1039/AN9426700130.
  5. Kolhatkar, Arundhati A.: Medical laboratory science : theory and practice. Tata McGraw-Hill, New Delhi 2000, ISBN 0-07-463223-X, S. 1339.
  6. Klaus Ruppersberg, Julia Hain: Die Wiederentdeckung der Wöhlk-Probe. In: Chemie in unserer Zeit. Band 51, Nr. 2, April 2017, S. 106–111, doi:10.1002/ciuz.201600744.
  7. Klaus Ruppersberg: Stärkeverdauung durch Speichel – was kommt eigentlich dabei heraus? Ein einfacher Maltose-Nachweis am Ende der enzymatischen Hydrolyse von Amylose und die überraschende Anwesenheit von Glucose im Verhältnis 1:15. In: MNU Journal. Band 69, Nr. 5, 2016, urn:nbn:de:0111-pedocs-150973.
  8. Klaus Ruppersberg: Nachweis von Lactose (und Maltose) im Kontext Schule (Dissertation EUF Flensburg). In: Zentrale Hochschulbibliothek Flensburg. 1. November 2021, abgerufen am 2. Dezember 2021 (deutsch).
  9. Verband der Chemischen Industrie: Nylonseiltrick. Abgerufen am 2. Dezember 2021.
  10. Hanne Rautenstrauch, Klaus Ruppersberg, Wolfgang Proske: Chemiedidaktik: Welcher Zucker ist in der Probe. In: Nachrichten aus der Chemie. Band 70, Nr. 2, Februar 2022, ISSN 1439-9598, S. 15–20, doi:10.1002/nadc.20224116610 (wiley.com [abgerufen am 30. März 2022]).
  11. a b Ruppersberg, Klaus, Klemeyer, Horst: Lactose-Schnelltest: Wie kann man in 60 Sekunden Milchzucker nachweisen? 24. Februar 2021, doi:10.25656/01:21549 (pedocs.de [abgerufen am 5. Dezember 2021]).
  12. Klaus Ruppersberg, Stefanie Herzog, Manfred W. Kussler, Ilka Parchmann: How to visualize the different lactose content of dairy products by Fearon’s test and Woehlk test in classroom experiments and a new approach to the mechanisms and formulae of the mysterious red dyes. In: Chemistry Teacher International. De Gruyter, 17. Oktober 2019, ISSN 2569-3263, doi:10.1515/cti-2019-0008.
  13. Klaus Ruppersberg, Julia Hain, Petra Mischnick: Auf der Spur der roten Farbe: Ein historischer Lactose-Nachweis wiederentdeckt. In: CHEMKON. Band 24, Nr. 4, 2017, S. 302–308, doi:10.1002/ckon.201790012.
  14. Manfred W. Kussler, Klaus Ruppersberg: Der Farbstoff aus der Wöhlk‐Probe. In: Nachrichten aus der Chemie. Band 67, Nr. 2, Februar 2019, ISSN 1439-9598, S. 63–65, doi:10.1002/nadc.20194083855.

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Autor/Urheber: Klaus Ruppersberg, Lizenz: CC BY-SA 4.0
Lactosegehalt von Milchprodukten (Wöhlk-Reaktion)