Villa Simon

Villa Simon

Die Villa Simon ist ein Gebäude in Hannover am Königsworther Platz im Stadtteil Calenberger Neustadt gelegen. Es wurde 1858–1860 als Wohnsitz von Eduard Simon, einem Rechtsanwalt jüdischer Herkunft, errichtet. In die im Stil der Neorenaissance errichtete Villa wurden während des Zweiten Weltkriegs jüdische Familien zwangseingewiesen. Das Gebäude überstand die Luftangriffe auf Hannover während des Krieges unbeschädigt. Heute sind hier Einrichtungen der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover untergebracht.

Architektur

Skizze der Villa Simon von Georg Ludwig Friedrich Laves, Straßenseite, rechts Aussichtsplattform, Wintergarten und Veranda

Bei der Villa Simon handelt es sich um einen zweigeschossigen Putzbau im Rundbogenstil und im Baustil der Neorenaissance nach einem Entwurf von Christian Heinrich Tramm. Der Wintergarten des Gebäudes weist in Richtung Königsworther Platz. Darüber befindet sich eine Aussichtsplattform mit Sicht auf die Herrenhäuser Allee und in Richtung auf das Schloss Herrenhausen. Das Villengebäude ist fast unverändert erhalten und steht unter Denkmalschutz. Im Inneren ist von der ehemaligen Einrichtung nichts mehr vorhanden.

Baugeschichte

Eduard Simon besaß in der damals noch selbständigen Ortschaft Königsworth vor dem Clevertor bei Hannover ein kleines Sommerhaus mit großem Garten am Königsworther Platz. Anstelle dieses Sommerhauses ließ sich Simon durch den Architekten Christian Heinrich Tramm 1858–1860 eine Villa im Stil der Neorenaissance errichten. Er bewohnte sie bis zu seinem Tode im Jahr 1867.

1895 erwarb Joseph Berliner, der Gründer der Deutschen Grammophon, die Villa für 153.000 Reichsmark.

Zeit des Nationalsozialismus

Stolpersteine für Martin und Betty Schlesinger vor der Villa Simon

Nach dem Tod ihrer Mutter Therese im August 1934 übernahm die Tochter Klara Berliner die Haushaltsführung der Villa, die sie nach dem Tod von Joseph Berliner im Mai 1938 zunächst allein bewohnte. Im September 1938 nahm sie ihre Cousine Irene Wild bei sich auf, im Oktober 1938 die Familien des ehemaligen Landgerichtsrats Martin Schlesinger und des Diplomingenieurs Leo Katz, sowie im darauffolgenden Monat Sophie Chassée, geb. de Leve, und deren Ehemann. Im Dezember 1938 nahm Klara Berliner ihre Tante Ella Berliner, geb. Stiel, und im März 1939 Carla Sara Wild in das Haus auf. Infolge des am 30. April 1939 erlassenen „Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden“ wurden nach dem 1. Juni 1939 vom Wohnungsamt der Stadt eine Reihe weiterer jüdischer Familien und Einzelpersonen zwangseingewiesen.

1941 beabsichtigte die Eigentümerin den Verkauf des Hauses. Die Stadt Hannover bot 95.000 Reichsmark, was den Einheitswert darstellte. Der Verkehrswert in Friedenszeiten lag etwa doppelt so hoch. Nach dem Verkauf zog Klara Berliner in ein jüdisches Altersheim in Hannover. 1943 wurde sie in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo sie ein halbes Jahr später verstarb. Nach dem Verkauf wies die Stadt die jüdischen Hausbewohner im Rahmen der „Aktion Lauterbacher[1] in ein Judenhaus in Hannover ein. 23 der ehemaligen Bewohner wurden noch 1941 in das Ghetto Riga deportiert.

Darunter befanden sich auch Martin Schlesinger (* 1900) und seine Frau Betty (* 1902). Ihre beiden Kinder hatten sie mit einem der letzten Kindertransporte am 22. August 1939 ins britische Liverpool geschickt. 2009 wurden für das Ehepaar im Beisein ihres inzwischen 79-jährigen Sohnes von Gunter Demnig Stolpersteine vor der Villa verlegt.[2]

Nachdem sich die Villa 1941 im Eigentum der Stadt Hannover befand, diente sie als Einrichtung für das Langemarckstudium. Das unterstrich den Einfluss der NSDAP auf die Universität.

Den Zweiten Weltkrieg überstand das Gebäude trotz der zahlreichen Bombenangriffe unbeschädigt. Nach dem Krieg befand es sich in einem verwahrlosten Zustand. Das Inventar der Villa, das einen großbürgerlichen Charakter aufwies, verschwand auf unbekannte Weise. Darunter befand sich ein Lothringer Schrank von 1770, den ein Kunsthändler dem Museum August Kestner verkaufte, wo er sich noch heute befindet.

Nachkriegszeit

Stadttafel an der Villa Simon zum Gedenken an die Familie des Unternehmers und Vorsitzenden der Synagogengemeinde, Joseph Berliner, darunter seine Tochter Klara und sein Bruder Emil Berliner.

Obwohl die Eigentumsverhältnisse in der Nachkriegszeit nicht eindeutig waren, wurde die Villa weiter genutzt. 1945 zog eine Thermometerfabrik ein, die der Universität einige Räume überließ. Darin waren Studenten und studentische Einrichtungen untergebracht. 1947 befand sich für ein halbes Jahr ein Büroraum der KPD im Gebäude, den die Partei bei der Universität angemietet hatte. Ab 1947 wurde die Villa hauptsächlich vom Geographischen Institut der Universität genutzt, das 1966 auszog.

Parallel zur weiteren Nutzung kam es bereits 1945 zu Rückgabeansprüchen an die Stadt Hannover. Ein ehemaliger Reichsbankinspektor jüdischer Herkunft, der nach seiner Deportation ins Ghetto Theresienstadt mit Klara Berliner zusammentraf, legte ein Testament vor. Darin wurde er als Erbe des Hauses genannt.

Endgültig wurden die Eigentumsverhältnisse erst 1950 geklärt, als Angehörige der Familie Berliner in den USA ihre Erbansprüche anmeldeten. Sie fochten das Testament an und ließen es für ungültig erklären. Die Familie Berliner erhielt das Haus 1952 von der Stadt Hannover zurück. Im gleichen Jahr veräußerte sie die Villa an das Land Niedersachsen, das es der Universität Hannover überließ. In einem 1956 durchgeführten Entschädigungsverfahren zahlte das Land Niedersachsen als Gebäudeeigentümerin Schadensersatz wegen Nutzungsausfalls an die Familie Berliner.

Ende der 1950er Jahre zog der Bildhauer Kurt Lehmann als Professor der Universität Hannover mit seinem Institut für Modellieren in die Villa ein. Ab 1958 hatte auch der Professor Kurt Sohns dort seinen Institutssitz. Als Zeichner und Maler unterrichtete er Architekturstudenten. Heute ist sie Sitz des Dezernats Forschung und EU-Hochschulbüro, Technologietransfer der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover.

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Commons: Villa Simon (Hannover) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Klaus Mlynek, Waldemar R. Röhrbein (Hrsg.): Stadtlexikon Hannover: Von den Anfängen bis zur Gegenwart, (ISBN 978-3-89993-662-9) Schlütersche Verlagsgesellschaft, Hannover 2009, S. 644
  2. Contact-Mail, Deutsch-englischer Newsletter des Fördervereins der Gedenkstätte Hannover-Ahlem, No: 3 vom 1. Januar 2010 (pdf; 1,7 MB)

Koordinaten: 52° 22′ 38,7″ N, 9° 43′ 24,9″ O

Auf dieser Seite verwendete Medien

Anonymer Fotograf PC 0769 Hannover. Am Königswortherplatz. Bildseite Pferdekutschen vor der Villa Simon in der Brühlstraße, Wohnitz der Familie Joseph Berliner, der mit seinem Bruder die Deutsche Grammophon gründete.jpg
Die Ansichtskarte mit der fortlaufenden Nummerierung 769 eines noch nicht identifierzierten Fotografen zeigt in einer Aufnahme um 1905 zwei Pferdekutschen vor der Villa Simon, dem damaligen Wohnsitz der Familie von Joseph Berliner, der wenige Jahre zuvor mit seinem Bruder Emil Berliner unter anderem die Deutsche Grammophon gegründet hatte. Möglicherweise lässt sich das Datum der Aufnahme noch genauer eingrenzen: Auf dem seinerzeit von Julius Trip gestalteten begrünten Schmuckplatz in der Mitte des Königsworther Platzes sind die beiden frisch gesetzten hohen Bäume noch mit Seilen befestigt - ein Forschungsthema für den Fachbereich Umwelt und Stadtgrün in Hannover. Vor der damaligen Kaserne der sogenannten "Königsulanen" am rechten Bildrand (das später als Arbeitsamt genutzte Gebäude wurde nach den Luftangriffen auf Hannover im Zweiten Weltkrieg ersetzt durch das Continental-Hochhaus) halten hier zum Zeitpunkt der Aufnahme zwei Straßenbahnen der Linien 1 und 2 ...
Villa Simon Laves.jpg
Autor/Urheber:

Georg Ludwig Friedrich Laves

, Lizenz: Bild-PD-alt

Skizze der Villa Simon

Josef Berliner, Stadttafel Hannover Nr. 119, Info Unternehmer, Vorsitzender Synagogengemeinde, Bruder Emil, Erfinder der Schallplatte, Ehefrau Therese, Tochter Klara enteignet, deportiert, Ghetto Theresienstadt.jpg
Autor/Urheber: Foto: Bernd Schwabe, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Die an der Villa Simon in Hannover neu angebrachte Stadttafel Nummer 119, nun zweisprachig:

„Hier wohnte Joseph Berliner / 22. Aug. 1858 - 23. Mai 1938 / Unternehmer. Mit seinem Bruder Emil, dem Erfinder der Schallplatte, errichtete er 1898 in Hannover die erste Schallplattenfabrik der Welt. 1895-1938 lebte er hier mit Frau Therese (gest. 1934) und Tochter Klara. 1921-1938 war er Vorsitzender der Synagogengemeinde. Klara Berliner wurde enteignet und am 16.3.1943 deportiert. Sie kam im Ghetto Theresienstadt um. Die Villa Simon war 1860 für Obergerichtsanwalt Eduard Simon gebaut worden. Architekt war Heinrich Christian Tramm.“

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Stolpersteine Hanover Villa Simon Dr. Martin Schlesinger Betty Braun 1941 Riga.jpg
Stolpersteine zum Gedenken an die Juden Dr. jur. Martin Schlesinger (* 28. Juni 1900 in Kattowitz; als † erklärt zum 31. Dezember 1945 in Riga) und seine Frau Betty Schlesinger, geborene Braun (* 3. August 1902 im damaligen Ostrowo; als † erklärt zum 31. Dezember 1945 in Riga) in Hannover vor der Villa Simon am Königsworther Platz, Brühlstraße 27 (damalige Hausnummer 7). Nach der sogenannten "Reichskristallnacht" rettete das Ehepaar Schlesinger ihre beiden Kinder, den damals 9jährigen Michael und seine 6 Jahre alte Schwester, vor schlimmeren Schicksal: Ohne - den verbotenen - Abschied am Bahnhof sandten die Eltern ihre Kinder mit einem der letzten Kindertransporte am 22. August 1939 ins britische Liverpool. Die Eltern aber wurden 1941 als staatenlos erklärt "gemäß § 2 der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25.11.1941 Reichsgesetzblatt 1 Seite 722" und ins lettische Riga deportiert. Das dortige Ghetto Riga war durch die Ermordung tausender lettischer Juden 1941 "freigemacht" worden für "Arbeitseinsätze" von Juden aus Deutschland. Das Ghetto wurde 1943 aufgelöst, die Überlebenden schrittweise in das Konzentrationslager Riga-Kaiserwald verbracht. Wie und wann das Ehepaar Schlesinger starb, konnte nie geklärt werden: Auf Antrag ihrer Kinder, die in England den Geburtsnamen der Mutter "Braun" angenommen und anglisiert hatten ("Brown"), erklärte das Amtsgericht Hannover am 29. März 1952 die Eltern rückwirkend zum 31. Dezember 1945, 24 Uhr, für tot. Erst 2009 konnte der schon 79jährige Sohn Michael seinen Eltern im Beisein von Dr. Peter Schulze und Gabriele und Frank Lehmberg von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft gedenken - anstelle der nicht vorhandenen Gräber nun vor den von Gunter Demnig verlegten Stolpersteinen am letzten gemeinsamen Wohnort der Familie.