Versnovelle

Eine Versnovelle ist eine novellistische Erzählung in Versform. Versnovellen sind eine Form der Verserzählung vor allem des späten Mittelalters, bevor sich Prosa als Erzählform allgemein durchsetzte. Eng verwandt sind alle kleinepischen Literaturgattungen wie Märe, Bîspel, Legende, Exempel oder Fabel.

Als früheste Versnovellen im deutschen Sprachraum können Der arme Heinrich von Hartmann von Aue (um 1190) und die anonyme Erzählung Moriz von Craûn (um 1220/30) gelten. Spätere Beispiele sind der Meier Helmbrecht von Wernher dem Gartenaere, der im dritten Viertel des 13. Jahrhunderts entstand und die Kleinepik des Strickers oder Konrads von Würzburg. Eine bekannte Sammlung englischer Versnovellen des 14. Jahrhunderts sind Geoffrey Chaucers Canterbury Tales. Zu den italienischen Versnovellen gehört etwa Uberto e Philomena[1] im 15. Jahrhundert.

Nach Gero von Wilpert (Sachwörterbuch der Literatur) entwickelte sich die Versnovelle in der Neuzeit neben der vorherrschenden Kleinepik in Prosaform zu einer selbständigen Literaturgattung. Gepflegt wurde sie von Dichtern des Rokoko (Friedrich von Hagedorn, Christian Fürchtegott Gellert) sowie von deutschen Dichterinnen der Zeit. Auch die im späten 19. Jahrhundert einsetzende Gegenströmung zum Realismus bediente sich der Versnovelle als Ausdrucksform (Paul Heyse, Viktor von Scheffel, Carl Spitteler, Julius Wolff).

Siehe auch

Literatur

  • Mark Chinca (Hrsg.): Mittelalterliche Novellistik im europäischen Kontext. Kulturwissenschaftliche Perspektiven. Berlin 2006, ISBN 3-503-07963-7 (Beihefte zur Zeitschrift für deutsche Philologie. 13).
  • Ruth P. Dawson: Selbstzähmung und Misogynie: Frauen schreiben Verserzählungen im 18. Jahrhundert. In: Der Widerspenstigen Zähmung. Studien zur bezwungenen Weiblichkeit in der Literatur vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Hrsg. Monika Jonas und Sylvia Wallinger. Innsbruck 1986.
  • Klaus Grubmüller (Hrsg.): Novellistik des Mittelalters. Märendichtung. Frankfurt am Main 1996, ISBN 3-618-66230-0 (Bibliothek des Mittelalters. Band 23).
  • Klaus Grubmüller: Die Ordnung, der Witz und das Chaos. Eine Geschichte der europäischen Novellistik im Mittelalter: Fabliau – Märe – Novelle. Tübingen 2006, ISBN 3-484-64029-4.
  • Gero von Wilpert: Versnovelle. In: Sachwörterbuch der Literatur (= Kröners Taschenausgabe. Band 231). 8., verbesserte und erweiterte Auflage. Kröner, Stuttgart 2001, ISBN 3-520-23108-5.

Einzelnachweise

  1. Erhard Lommatzsch: Uberto e Philomena. Eine italienische Versnovelle des Quattrocento nach den Inkunabeln von Wolfenbüttel (1942) und Erlangen (1495–1496) (= Abhandlungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz. Jahrgang 1964, Nr. 6).