Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle

Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle ist ein im Oktober 2014 im Heyne Verlag erschienenes Sachbuch der deutschen Journalisten Heribert Schwan und Tilman Jens über Helmut Kohl.

Inhalt

Das in der Erstauflage etwas über 250 Seiten lange Sachbuch gliedert sich in drei Kapitel plus Vorwort und Anhang.

Im ersten Kapitel „‚Das hast du fein gemacht, Volksschriftsteller!‘ – Meine 600 Stunden mit Helmut Kohl“ schildert Heribert Schwan auf 46 Seiten den zeitlichen und inhaltlichen Ablauf der 105 Interviews, die er zwischen März 2001 und Oktober 2002 mit Kohl geführt und auf 200 Kassetten mit einer Laufzeit von 630 Stunden aufgenommen hat, um auf dieser Basis dessen Biographie zu schreiben.

Im zweiten, mit 160 Seiten umfangreichsten Kapitel „Komm, wir heben einen Schatz!“ fügt Tilman Jens zahlreiche Zitate Kohls in einen eigenen Fließtext ein, um zehn Themenbereiche darzustellen. Dazu gehören u. a. Kohls Selbstbild (II.2) sowie seine Parteifreunde (II.3) und politischen Gegner (II.4), seine Ehefrau Hannelore und sein Verhältnis zu den Bundespräsidenten (II.7).

Das abschließende dritte Kapitel mit einem Umfang von 16 Seiten hat wieder Schwan verfasst. Unter dem Titel „Das Vermächtnis des Alten – eine kleine Verneigung zum Schluss“ ist es ein Resümee.

Rezeption

Schon in der Einleitung seiner Rezension in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung stellt Rainer Blasius die Vermutung an, dass das Buch „das Zeug zum Bestseller“ habe. Er stützt seine Annahme auf der Kombination einer „geschickten Vermarktung“, „der Empörung über die verletzte Privatsphäre des Altkanzlers“ und letztlich auch der Inhalte, die viel von dem preisgäben, „was der breiten Öffentlichkeit bisher aber verborgen geblieben“ sei. Das Buch liefere viel Zeitkolorit und auch scharfe Urteile u. a. über Rita Süssmuth, Norbert Blüm und Angela Merkel, was Blasius mit den entsprechenden Zitatpassagen belegt. Die Zitate-Auslese ergänze die bisherigen Kohl-Darstellungen „um lebhafte Szenen“, denen man „die Authentizität nicht absprechen“ könne. Herausgekommen sei „ein Sittenbild der Politik“; die große Tonband-Überlieferung gehöre „nicht in einen Oggersheimer Hobbykeller, sondern in die Obhut eines ordentlichen und für die Forschung offenen Archivs“.[1]

Auf Spiegel Online bezeichnet der Publizist Jakob Augstein das Sachbuch, das Einblicke in das Denken Kohls gebe, als „unverzichtbares Dokument“ – allein das Urteil des Altkanzlers zur Genese der deutschen Einheit sei das Buch wert. Augstein geht in seiner Rezension auch auf den Rechtsstreit ein, da das Autorenduo Schwan/Jens die Kohl-Protokolle gegen den erklärten Willen Kohls veröffentlicht hatte. Richter und Anwälte sollten unter sich ausmachen, „ob Schwan das Recht hatte, aus der Quellen zu zitieren“. Gerechtfertigt sei die Veröffentlichung „auf jeden Fall“.[2]

Auch der Welt-Rezensent Ulrich Clauß hebt die Bedeutung einer ungefilterten Einsichtnahme hervor: Die „drastischen Einlassungen“ Kohls seien „sicherlich eine gute Quelle für eine Geschichtsschreibung, die weder unter dem Zorn wegen entzogenen Vertrauens noch unter der Befangenheit allzu großer Nähe“ leide. Auch ohne „historisch wirklich Neues [...] zu bieten“, böten sie „reichlich Farbiges aus Jahrzehnten bundesdeutscher Machtperspektive“.[3]

Für Weltwoche-Chefredakteur Roger Köppel steht die Verletzung der Privatsphäre von Helmut Kohl in „keinem Verhältnis zum aufgedeckten Problem“. Der frühere Stern-Chefredakteur Michael Maier lehnt die in Deutschland verbreitete Form der Autorisierung von Interviews grundsätzlich ab. Journalismus verkomme so „zu einer PR-Nummer“. Auch Journalistik-Professor Frank Überall fordert mit Blick auf das Buch das Ende der Autorisierungen von Interviews. Schwäbische Zeitung-Chefredakteur Hendrik Groth sieht in den Veröffentlichungen keinen Erkenntnisgewinn. taz-Chefredakteurin Ines Pohl würde Recherchen nicht verwenden, wenn man seinem Gesprächspartner zugesichert hat, sie nicht zu veröffentlichen. „Die Zeitgeschichte ist wichtiger als die Zusage eines Journalisten, Vertraulichkeit zu wahren“, erklärt Bernd Ziesemer, früherer Chefredakteur vom Handelsblatt. Express-Chefredakteur Carsten Fiedler betrachtet den Wortbruch der Autoren als ein „moralisches Dilemma“.[4]

Absatz

Das Sachbuch war bereits kurz nach Erscheinen ein Bestseller: Schon in der ersten Erscheinungswoche erreichte es Platz 2 auf der Bestsellerliste Hardcover Sachbücher des Magazins Buchreport, stieg nach fünf Wochen kurzzeitig auf Platz 1, hielt sich zwölf Wochen in den Top 10 und in der Bestsellerliste insgesamt 21 Wochen.[5] In den ersten zweieinhalb Jahren wurde das Buch 200.000-mal verkauft.[6]

Rechtsstreit

Noch vor der Veröffentlichung des Buchs im Oktober 2014 prüfte Helmut Kohl juristische Schritte, um die Verbreitung zu verhindern. Da der Verlag nach eigenem Bekunden keine Unterlassungsaufforderung erhielt, lieferte er das Buch planmäßig an die Buchhandlungen aus.[7] Einen ersten Versuch, die Verbreitung per einstweiliger Verfügung zu stoppen, lehnte das Landgericht Köln ab.[8]

Im November 2014 untersagte das Landgericht Köln dann die Verbreitung von über hundert Zitaten Kohls und damit auch des Buchs an sich. Dies schloss mit ein, dass das Autorenduo die entsprechenden Passagen beispielsweise bei Autorenlesungen nicht vortragen durfte. Der Abverkauf bereits ausgelieferter Bücher war davon nicht betroffen.[9]

Im Jahr 2016 dienten die 115 in Frage gestellten Zitate dazu, den „einstigen Ghostwriter Heribert Schwan, den Journalisten Tilman Jens und die Verlagsgruppe Random House (Heyne-Verlag) als Gesamtschuldner“ aufgrund einer umfangreichen Persönlichkeitsverletzung auf Schadenersatz in Höhe von mindestens fünf Millionen Euro zuzüglich fünf Prozent Zinsen zu verklagen.[10] Als im April 2017 vom Landgericht Köln das Urteil gefällt wurde, erhielt Kohl einen Anspruch auf 20 % dieser Summe bzw. auf eine Million Euro. Damit verbunden war aber auch, dass Kohl 80 % der Kosten des Rechtsstreits zu tragen hatte.[6] Nach Kohls Tod im Juni 2017 versuchte dessen Witwe Maike Kohl-Richter, die Auszahlung der Entschädigung an sich zu erwirken. Das Oberlandesgericht Köln wies ihre Klage jedoch ab, weil ein Anspruch auf Geldentschädigung nicht vererbbar sei. Diese Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln wurde am 29. November 2021 durch eine Entscheidung über die Revision seitens Maike Kohl-Richter durch den Bundesgerichtshof bestätigt, der keinen Grund sah, seine gefestigte Rechtsprechung diesbezüglich zu ändern.[11]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Rainer Blasius: Schwan hält sich längst für den besseren Kohl. In: FAZ.net. 10. Oktober 2014, abgerufen am 26. Dezember 2017.
  2. Jakob Augstein: S.P.O.N. – Im Zweifel links: In Kohls Kopf. In: Spiegel Online. 9. Oktober 2014, abgerufen am 26. Dezember 2017.
  3. Ulrich Clauß: Kohls Abrechnung: Unzensierte Protokolle des Alt-Kanzlers. In: welt.de. 5. Oktober 2014, abgerufen am 26. Dezember 2017.
  4. Bülend Ürük: Journalisten gespalten über Buch „Vermächtnis - Die Kohl-Protokolle“: Von „Wortbruch schadet Journalismus“ bis „Informationsbedürfnis der Bürger hat höheren Rang“. In: newsroom. 8. Oktober 2014 (newsroom.de [abgerufen am 7. Juni 2021]).
  5. Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle - buchreport. In: buchreport.de. Abgerufen am 18. Oktober 2017.
  6. a b Detlef Esslinger: Kohl-Protokolle – Dafür soll er zahlen. In: sueddeutsche.de. 27. April 2017, abgerufen am 26. Dezember 2017.
  7. ‚Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle‘: Heyne-Verlag liefert umstrittenes Kohl-Buch aus. In: rp-online.de. 6. Oktober 2014, abgerufen am 26. Dezember 2017.
  8. phw: Umstrittenes Vermächtnis-Buch: Kohl scheitert vorerst vor Gericht. In: Spiegel Online. 9. Oktober 2014, abgerufen am 26. Dezember 2017.
  9. Peter Kurz: „Kohl-Protokolle“: Das verbotene Buch und die Folgen. In: wz.de. 17. November 2014, abgerufen am 26. Dezember 2017.
  10. Bernd Dörries: Kohl kämpft um sein Vermächtnis. In: sueddeutsche.de. 3. März 2016, abgerufen am 26. Dezember 2017.
  11. Reiner Burger: Kohl-Richter unterliegt vor BGH. In: faz.net vom 29. November 2021.