VII. Zivilsenat des Reichsgerichts

Der VII. Zivilsenat des Reichsgerichts war ein Spruchkörper des Reichsgerichts. Es handelte sich um einen von insgesamt fünf bis neun Senaten, die sich mit Zivilsachen befassten. Errichtet wurde er am 1. Mai 1899,[1] weil mit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs zum 1. Januar 1900 das Bayerische Oberste Landesgericht nicht länger die bayerische Revisionsinstanz in Zivilsachen war. Mit dem neuen Senat sollten dieser neue Geschäftsanfall aufgefangen werden.[2] Als der 6. Zivilsenat zwischenzeitlich am 1. Dezember 1923 aufgelöst wurde, rückte der bisherige VII. Zivilsenat am 1. Januar 1924 auf und firmierte als VI. Zivilsenat. Da der IV. Zivilsenat des Reichsgerichts überlastet war, bearbeitete hilfsweise der 5. Strafsenat ab dem 16. September 1926 teilweise dessen Geschäftsanfall als VII. Zivilsenat. Wiedererrichtet wurde der VII. Zivilsenat in seinem vorigen Geschäftsumfang am 15. Juni 1927.[3]

Geschäftsverteilung 1900/04

„Dem VII. Zivilsenat sind zugewiesen:

1. Sofern es sich um die Anwendung des vom Jahre 1900 ab geltenden Rechts handelt, aus dem ganzen Reiche, andernfalls mit Ausnahme der unter III Ziff. 3 bezeichneten Bezirke, vorbehaltlich der besonderen Bestimmung bei b, die Rechtsstreitigkeiten über:
a) Ansprüche aus Enteignungen auf Grund von Reichs- und Landesgesetzen (einschließlich des Preuß. Ortsstraßengesetzes vom 2. Juli 1875 sowie auch des § 75 Einl. zum Preuß. AllLR, soweit es sich um dingliche Rechte handelt),
b) bergrechtliche und wasserrechtliche Verhältnisse, soweit nicht V. Ziff. 2 zutrifft,
c) Jagd- und Fischereirechte nebst Pachtverträgen hierüber und Wildschadenersatz,
d) Ansprüche aus Versicherungsverhältnissen, mit Ausnahme der unter I. Ziff. 3 fallenden Sachen, sofern die Klage vor dem Jahre 1900 eingereicht ist,
e) Anfechtungsklagen von Rechtsgeschäften eines Schuldners zum Nachteil seiner Gläubiger im Konkurs (KO §§ 29-42 nebst § 196) und außerhalb desselben (Anfechtungsgesetz vom 21. Juli 1879) einschließlich von behaupteter Simulation,
f) Vergleiche (BGB § 779), Schiedsverträge und Schiedssprüche (ZPO §§ 1025ff. nebst § 274 Abs. 2 Ziff. 3) sowie auch Zwangsvollstreckungen, außer in unbewegliches Vermögen,
g) Steuern und Stempel auf Grund von Reichs- und Landesgesetzen.
2. Sofern es sich um die Anwendung des vom Jahre 1900 ab geltenden Rechts handelt, ferner aus dem ganzen Reiche:
a) die Rechtsstreitigkeiten über Werkverdinge (BGB §§ 631ff.),
b) die Rechtsstreitigkeiten über Dienstbarkeiten (einschließlich von Notwegen), Reallasten und sonstige dingliche Rechte an fremden Grundstücken, außer den unter V Ziff. 1 aufgeführten, nebst Rechtsgeschäften hierüber,
c) alle Rechtssachen, für welche in zweiter Instanz das Oberlandeskulturgericht in Berlin zuständig ist; andernfalls nur die unter IV Ziff. 2 aufgeführten Bezirken.
3. Sofern es sich nicht um die Anwendung des vom Jahre 1900 ab geltenden Rechts handelt, aus dem Oberlandesgerichtsbezirken Breslau, Hamm, Naumburg (mit Ausnahme der thüringischen und anhaltischen Landesteile) und Posen die Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche aus Kauf und Tausch von beweglichen Sachen und Forderungen mit Ausnahme von Wertpapieren.“

1904: der Senat hat

– abgegeben an den V. Zivilsenat die Rechtsstreitigkeiten über bergrechtliche Verhältnisse, VII. Ziff. I b,
– und übernommen
a) vom I. Zivilsenat die unter I Ziff. 5 bezeichneten Rechtsstreitigkeiten mit Ausnahme derjenigen über Wertpapiere,
b) vom II. Zivilsenat die unter II. Ziff. 1 a und c bezeichneten Rechtsstreitigkeiten und
c) vom III. Zivilsenat die Rechtsstreitigkeiten über Versicherungsverhältnisse, III. Ziff. 2, soweit sie ihm noch nicht zugewiesen waren.

Bekannte Fälle

  • „Bürgschaftsurkunde“ (RGZ 61, 415; Urteil vom 27. Oktober 1905 zum Wirksamwerden einer schriftlichen Willenserklärung unter Anwesenden)[4]
  • Bonifatiusfall“ (RGZ 83, 233)
  • „Lagerhalter-Fall I“ (RGZ 135, 75, Urteil vom 5. Februar 1932 zum gleichstufigen mittelbaren Nebenbesitz)[5]
  • „Lagerhalter-Fall II“ (RGZ 138, 265; Urteil vom 11. November 1932 zum gleichstufigen mittelbaren Nebenbesitz)[6]
  • Gerichtsvollzieher als staatliches Organ (RGZ 156, 395; Urteil vom 21. Januar 1938)[7]

Besetzung

Farblegende:

  • Ruhestand vor dem 1. Juli 1919
  • Ruhestand vor dem 1. Oktober 1934
  • Ruhestand nach dem 1. Oktober 1934

Senatspräsidenten

Nr.NameErnennungSenatsaustrittEhrungen
1Wilhelm Maßmann (1837–1916)1. Mai 18991. Juni 1907Ruhestand
2Karl von Hassell (1841–1925)1. Juni 19071. April 1914Übertritt zum 6. Zivilsenat
3Caesar Predari (1853–)1. April 19141. Dezember 1923Ruhestand
4Otto Strecker (1862–)22. Mai 19241. Januar 1929Ruhestand
5Franz Mentzel (1864–1949)1. Januar 19291. April 1932
6Fritz Seyffarth (1872–1938)1. April 19321933Übertritt zum 4. Zivilsenats
7Wilhelm Kiesow (1881–1938)vor 1934vor 1934Übertritt zum 2. Zivilsenats
8Dieprand von Richthofen (1875–1946)1. Januar 193431. März 1942Ruhestand
9Hermann Günther (1882–1945)1. April 19421945

Reichsgerichtsräte

Nr.NameSenatseintrittSenatsaustritt
1Richard Förtsch (1837–1916)1. Mai 18991. Juni 1902Ernennung zum Senatspräsidenten des 2. Zivilsenats
2Albert Georg Ferdinand Wandersleben (1835–1900)1. Mai 18996. Juli 1900Verstorben
3Karl von Hassell (1841–1925)1. Mai 18991. Juni 1907Ernennung zum Senatspräsidenten
4Eugen Meyn (1849–1926)1. Mai 18991. Juli 1910Ernennung zum Senatspräsidenten des 2. Zivilsenats
5Hermann von Bülow (1842–1906)1. Mai 189923. Oktober 1906Verstorben
6Günther von Bünau (1844–1899)1. Mai 189917. September 1899Verstorben
7August Robert Tändler (1850–1902)1. Mai 189921. März 1902Verstorben
8Christian von Kolb (1848–1924)1. Januar 19009. November 1909Ernennung zum Senatspräsidenten des 1. Strafsenat
9Karl Goecke (1844–1906)1. Oktober 19003. Dezember 1906Verstorben
10Caesar Predari (1853–)1. Juni 19021. April 1914Ernennung zum Senatspräsidenten
11Georg Hoffmann (1848–1919)1. Juni 190226. Januar 1903Übertritt zum 4. Zivilsenat
12Felix Specht (1850–)26. Januar 19031. Mai 1922Ruhestand
13Heinrich Adolf Berendes (1848–1932)4. April 190516. November 1905Übertritt zum 1. Zivilsenat
14Eduard Hermann Karl Ruffmann (1852–)22. Oktober 19061. November 1906Übertritt zum 2. Zivilsenat
15Moritz Kastan (1850–1917)1. Dezember 190612. Oktober 1917Verstorben
16Paul Hetzell (1851–1922)1. Januar 19071. April 1921Ruhestand
17Sigismund Ungewitter (1853–1925)1. Juni 19071. Oktober 1922Ruhestand
18Richard Paul Gustav Scholber (1852–)1. Juli 19091. März 1917Ruhestand
19Otto Strecker (1862–)25. November 1909 bzw. 1. Januar 192415. Dezember 1909 bzw. 22. Mai 1924Übertritt zum 3. Zivilsenat bzw. Ernennung zum Senatspräsidenten
20Hermann Schirmacher (1857–1925)28. April 191018. März 1925Verstorben
21Edmund Fuchs (1849–)1. Juli 19101. Mai 1919Ruhestand
22Joseph Riehl (1857–)16. September 1910 (Hilfsrichter)30. September 1911 (Hilfsrichter)Austritt
23Carl Wilhelm Niederstein (1864–1922)1. Mai 1912 (Hilfsrichter)15. November 1913 (Hilfsrichter)Übertritt zum 2. Zivilsenat
24Franz Arndts (1864–)15. April 19177. Mai 1917Übertritt zum 4. Zivilsenat
25Felix Czolbe (1863–)7. Mai 191715. Juli 1917Übertritt zum 3. Zivilsenat
26Franz Mentzel (1864–1949)1. Juli 19172. April 1928Ernennung zum Senatspräsidenten des 8. Zivilsenats und des 5. Strafsenat
27Ernst Schliewen (1867–)1. Januar 19181932
28August Becker (1864–)1. Januar 19191. Februar 1919Übertritt zum 5. Zivilsenat
29Hugo Salinger (1866–1942)1. Mai 1919 bzw. 15. Juli 19231. Januar 1920 bzw. Juni 1931Übertritt zum 5. Zivilsenat bzw. Ruhestand
30Hugo Hoerner (1851–)1. Januar 19201. Mai 1923Ruhestand
31Edmund Huyke (1864–1923)1. Januar 192115. Februar 1923Verstorben
32Rudolf Bewer (1855–1930)1. Januar 19221. Januar 1924Ruhestand
33Robert Teichmann (1867–1942)15. Juli 19233. Januar 1924Übertritt zum 3. Zivilsenat
34Dieprand von Richthofen (1875–1946)1. Dezember 19231. Januar 1934Ernennung zum Senatspräsidenten
35Otto Warneyer (1867–1941)3. Januar 19241. Juli 1934
36Maximilian Schwalb (1864–1943)16. September 19251932
37Hans Freiesleben (1871–1945)14. Mai 192819. September 1929Nach Lobe Übertritt zum 3. Zivilsenat
38Joseph Richard Metz (1865–1945)19. September 1929
39Ernst Stölzel (1867–)vor 19321932
40Richard Oesterheld (1880–)(1. Oktober 1931 Hilfsrichter), 1. September 1932 bzw. 19361933 bzw. 1945Übertritt zum 3. Strafsenat bzw. 6. Zivilsenat
41Hans Woldemar Schack (1878–1946)19331945
42Josef Eilles (1880–1966)16. Mai 1932[8]1945
43Krüger1933 bzw.19351933 bzw. 1935
44Franz Schleyer (1879–1939)15. Juli 19331939
45Reinhold Unger (1877–1946[9])1. Juli 193419451945 im 4. Zivilsenat
46Heinrich Frings (1885–1946)(Hilfsrichter 1. Juli 1934) 22. Januar 1935[8]19381939 im 2. Zivilsenat
47Heinrich Burmeister (1883–1946)1. Februar 193519381939 im 3. Zivilsenat
48Josef Balve (1883–1961)4. Mai 19371945
49Neumann1940 (Hilfsrichter)1942 (Hilfsrichter)

Literatur

  • Adolf Lobe: Fünfzig Jahre Reichsgericht am 1. Oktober 1929. Berlin 1929.

Einzelnachweise

  1. Verfügung des Reichsjustizamtes vom 19. April 1899, Bundesarchiv R 3002/81 Blatt 75, zit. nach: Kristina Möller: Die Rechtsprechung des Reichsgerichts in Zivilsachen. Eine Untersuchung der Zuständigkeit und Organisation des Reichsgerichts sowie seiner Rechtsprechung im 19. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung der Konkursanfechtung (= Rechts- und staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft N. F. 93). Paderborn 2001, S. 35.
  2. Deutsche Juristen-Zeitung, Jg. 3, 1898, S. 468.
  3. Beschluss des Präsidiums vom 1. Juni 1927, Bundesarchiv R 3002/81 Blatt 121–123, zit. nach: Möller, S. 35.
  4. RGZ 61, 415 (Memento vom 5. August 2012 im Webarchiv archive.today)
  5. RGZ 135, 75 (Memento vom 5. August 2012 im Webarchiv archive.today)
  6. RGZ 138, 265 (Memento vom 5. August 2012 im Webarchiv archive.today)
  7. RGZ 156, 395 (Memento vom 15. Mai 2003 im Internet Archive) (PDF)
  8. a b Handbuch der Justizverwaltung. Reichsjustizministerium, Berlin 1942, S. 27.
  9. Initiativgruppe Lager Mühlberg e. V. (Hrsg.): Totenbuch – Speziallager Nr. 1 des sowjetischen NKWD, Mühlberg/Elbe. Mühlberg/Elbe 2008, ISBN 978-3-00-026999-8, S. 193.

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Leipzig, Reichsgerichtsgebäude Zentralbild Sturm 23.1.1956 Leipzig: Das Georgi-Dimitroff-Museum (ehemaliges Reichsgericht)