Ursula (Erzählung)

Ursula ist eine Erzählung von Gottfried Keller. Sie erschien im Rahmen der Züricher Novellen 1877.

Inhalt

Der Reisläufer Hansli Gyr kehrt 1523 aus der Lombardei in seine Heimat am Zürichsee zurück und muss zu seinem Schrecken feststellen, dass das sektiererische Wesen des Täufertums hier um sich gegriffen und auch das Nachbarsmädchen Ursula völlig verändert hat, das er schon seit langem heiraten will. So bietet ihm Ursula gleich bei seiner Rückkehr ihre Liebe an, als ob es einer ordentlichen Eheschließung und Hochzeit gar nicht mehr bedürfe. Im Hause von Ursulas Vater, des Bauern Enoch Schnurrenberger, der ebenfalls dem neuen Glauben anhängt, treffen sich dessen Freunde und werden in ihren schwärmerischen Reden vom kurz bevorstehenden Reich Gottes auf Erden vorgestellt, in denen sie heftig gegen die neue Zürcher Obrigkeit und ihr Haupt, den Reformator Huldrych Zwingli, losziehen. Hans Gyr zieht daraus nur einen Schluss: Dass er sich informieren muss, was Zwingli in Zürich macht, den er als Feldprediger in der Schlacht bei Marignano kennen und schätzen gelernt hat. Er wird zum Parteigänger Zwinglis, der zwar den Reislauf bekämpft, seine Reformation aber mit Waffengewalt zu verteidigen und durchzusetzen bereit ist. Als die Täufer verhaftet und in Zürich eingesperrt werden, verhilft ihnen Hans Gyr zur Flucht, weil ihm die verwirrte Ursula, die ihn zuletzt nicht mehr erkannte, sondern für den Engel Gabriel hielt, leidtut. Später nimmt er am ersten Müsserkrieg teil und versucht, Zucht und Ordnung bei den Zürcher Knechten aufrechtzuerhalten, weshalb sie ihn in ein Gasthaus locken und betrunken machen. Der Anblick der schönen Freska, die ihn bedient, betört ihn, er folgt ihr ins Innere des Hauses – aber dort entdeckt er einen Ring an ihrem Finger, der demjenigen gleicht, den er einst Ursula übergestreift und den sie zurückgewiesen hat. Freska sagt ihm, sie sei fest an einen Mann vergeben, der als Bandit gelebt hat und als Auftragsmörder im Gefängnis sitzt. Reuig erinnert sich Hans Gyr an Ursula: Freska hält einem Banditen die Treue, er aber wollte ein Mädchen vergessen, das nichts weiter als religiös verwirrt war! Er kehrt nach Hause zurück, wo große Unruhe herrscht: Zwischen den reformierten und den altgläubigen Kantonen kommt es zum Kappeler Krieg. Als Ursula hört, dass ihr Verlobter zurück ist und Männer für den Feldzug anwirbt, fällt die Verwirrung von ihr ab, sie rüstet sich mit Proviant aus, zieht dem Heerzug nach und verbirgt sich zwischen den Wurzeln einer alten Buche im Wald. Durch diesen Wald bricht die Hauptmacht der Katholischen hindurch und besiegt die Zürcher Streitmacht vollständig. Zwinglis Tod wird beschrieben, Hans Gyr ist, rückwärts schreitend im Kampf, in einen Graben gefallen und liegt betäubt an seinem Grund. Dort spürt Ursula ihn auf und rettet ihn mit Hilfe zweier katholischer Männer, die helfen, ihn in ein Kloster zu bringen. Hans Gyr und Ursula Schnurrenberger werden ein Paar, und „gegen zweihundert Jahre“ hausten ihre „Nachkommen auf dem gut bestellten Hofe, welcher der Gyrenhof benannt wurde.“

Hintergründe

Mit Ursula hat Keller seiner Heimatstadt, die ihn zu ihrem Staatsschreiber gemacht und dadurch seine ständige materielle Not behoben hatte, ein Denkmal gesetzt, in dem er sich klar für die staatstragende Zürcher Reformation Zwinglis ausspricht und die Täufer zwar als liebenswürdige Originale, zugleich aber auch als Verwirrte darstellt. In weiten Teilen referiert die Erzählung historische Fakten aus dem Müsser- und dem Zweiten Kappelerkrieg, erwähnt den Bildersturm des Jahres 1525 und führt auf diese Weise gut in eine Epoche ein, die für das heutige Zürich grundlegend wurde. Auch die Festsetzung zahlreicher Täufer im Ketzerturm sowie deren rätselhafte Befreiung, im Volksglauben durch einen Engel, ist historisch. Trotz der teilweise didaktischen Zielrichtung des Textes leuchtet Kellers poetisches Können immer wieder auf, so in den grotesk verstiegenen Bekehrungsreden der Täufer, aber auch bereits in der tiefgründigen Einleitung:

Wenn die Religionen sich wenden, so ist es, wie wenn die Berge sich auftun; zwischen den großen Zauberschlangen, Golddrachen und Kristallgeistern des menschlichen Gemütes, die ans Licht steigen, fahren alle häßlichen Tatzelwürmer und das Heer der Ratten und Mäuse hervor. So war es zur ersten Reformationszeit auch in den nordöstlichen Teilen der Schweiz...

- oder wenn er Zwinglis Tod auf dem Schlachtfeld alle hässlichen Begleiterscheinungen ignorierend so beschreibt:

Er hatte nicht geschlagen, sondern war nur mannhaft bei den Seinigen im Gliede gestanden, um zu dulden, was ihnen bestimmt war. Er war mehrmals gesunken, als die Flucht begonnen, und hatte sich wieder erhoben, bis ein Schlag auf und durch den Helm ihn an und auf der Mutter Erde festgehalten. Die sinkende Sonne glänzte ihm in das noch feste und friedliche Antlitz; sie schien ihm zu bezeugen, daß er schließlich nun doch recht getan und sein Amt als ein Held verwaltet habe. Wie die große goldene Welthostie des gereinigten Abendmahles schwebte das Gestirn einen letzten Augenblick über der Erde und lockte das Auge des darniederliegenden Mannes an den Himmel hinüber.

Quellen

Keller schöpfte für den historischen Anteil der Novelle vor allem aus zwei Quellen:

  • Melchior Schuler: Thaten und Sitten der Eidgenossen. 2. Band, Friedrich Schulthess, Zürich 1838, darin vor allem das Kapitel „Die Wiedertäufer“ S. 64 ff
  • Johann Caspar Mörikofer: Ulrich Zwingli nach den urkundlichen Quellen. S. Hirzel, Leipzig, 1867/69

Film

  • Ursula wurde 1978 von Egon Günther in einer Koproduktion von DDR-Fernsehen und Schweizer Fernsehen mit Matthias Habich als Zwingli verfilmt. Aufgrund seiner sexuellen Freizügigkeit und seines unorthodoxen Umgangs mit Kirche und Reformation geriet der Film in beiden Ländern zum Skandal und beendete Günthers Karriere in der DDR.

Weblinks