Urchristentum

Als Urchristentum oder Frühes Christentum bezeichnet die historische Forschung die Anfangszeit des Christentums seit dem öffentlichen Auftreten von Jesus von Nazaret (etwa 28 bis 30) bis maximal zur Abfassung der letzten Schriften des späteren Neuen Testaments (NT) und Trennung der Christen vom Judentum (Ende des ersten, Anfang des zweiten Jahrhunderts). Mit dem Gebrauch des Begriffs „Urchristentum“ verbindet sich neben der rein deskriptiven Epochenbezeichnung oft auch ein impliziter normativer Anspruch.

Bezeichnung

Der Ausdruck „Urchristentum“ findet sich erstmals ab etwa 1770 in deutschsprachiger Literatur der Aufklärung. Er beinhaltet ein Geschichtsbild, wonach das Ursprüngliche von späteren Verfremdungen frei gewesen und daher als normatives Ideal der folgenden Kirchengeschichte gegenüberzustellen sei. Trotz dieser Verfallstheorie wurde der Begriff in der historischen Forschung als Bezeichnung der Entstehungsepoche des Christentums akzeptiert. Um die darin enthaltene Wertung zu vermeiden, bevorzugen manche Historiker den Begriff „Frühchristentum“. Beide Begriffe werden jedoch synonym verwendet. Die genaue Abgrenzung der Epoche ist unabhängig vom verwendeten Begriff umstritten.[1]

Kritiker an Fehlentwicklungen der Kirchengeschichte greifen oft auf das Urchristentum und seine im NT gesammelten, als normatives Wort Gottes aufgefassten Schriften zurück. Viele christliche Konfessionen und Sekten beanspruchen die Kenntnis des Urchristentums für sich, um so ihren Wahrheitsanspruch gegenüber anderen christlichen Richtungen zu legitimieren.

Epochenabgrenzung

Das Wirken des Jesus von Nazaret wird meist als Voraussetzung, nicht Teil des Urchristentums eingeordnet, da Jesus ein Jude aus Galiläa war, der das Judentum reformieren wollte. Die Jesusbewegung war eine der „innerjüdischen Erneuerungsbewegungen“.[2][3] Der Glaube an Jesus Christus entstand erst nach Jesu Tod.[4] Da aus den ersten Nachfolgern Jesu die Gründer der Jerusalemer Urgemeinde und Autoren der ältesten NT-Texte (Bekenntnisformeln, Logienquelle, vormarkinischer Passionsbericht) hervorgingen, ist jedoch keine strenge Abgrenzung zum Auftreten Jesu möglich.

Oft wird die Epoche des Urchristentums mit der Entstehungszeit der NT-Schriften gleichgesetzt, auch aus dem Interesse, den NT-Kanon von der folgenden Kirchengeschichte abzuheben. Die Gleichsetzung ist problematisch, da einige urchristliche Schriften nicht in das NT aufgenommen wurden und die meisten Autoren der NT-Schriften schon zur zweiten oder dritten Generation der Christen gehörten. Daher versuchte man, das „Apostolische Zeitalter“ der Apostel vom „Frühkatholizismus“ späterer NT-Autoren zu unterscheiden. Jedoch verliefen die Übergänge zu kirchlichen Strukturen im Urchristentum fließend, so dass sich „Frühkatholizismus“ nicht als Epochenbezeichnung eignete. Oft wird das Urchristentum mit der Epoche gleichgesetzt, auf die die Apostelgeschichte des Lukas und die Pastoralbriefe zurückblicken und von der sie ihre eigene Zeit unterscheiden. Dann endet das Urchristentum um 100 und umfasst nicht die späteren NT-Schriften.[5] Als Endpunkt der Epoche gilt dann oft das ebenfalls um 100 entstandene Evangelium nach Johannes.[6]

Andere sehen die endgültige Trennung des Urchristentums vom Judentum als Epochengrenze an. Diese vollzog sich mit dem Bar-Kochba-Aufstand (135), in dessen Folge die Römer Jerusalem zerstörten und den Juden die Ansiedlung dort verboten. Damit hatte auch das Urchristentum sein bisheriges Zentrum verloren. Spätestens jetzt erkannten auch die Römer die Christen als eigene, vom Judentum verschiedene Religionsgruppe.[7]

Quellen

Das Wissen über das Urchristentum stammt fast ausschließlich aus Schriften von Urchristen, die von ihren Missions- und Verkündigungsabsichten geprägt sind und später in die normative Sammlung des NT überführt wurden: vor allem aus den Paulusbriefen, den drei synoptischen Evangelien und der Apostelgeschichte des Lukas. Dieses um 100 entstandene Geschichtswerk ist eine Hauptquelle für die nach Jesu Tod gegründete Jerusalemer Urgemeinde bis zum Apostelkonzil (um 48) und für die Missionsreisen des Paulus bis zu seinem Wirken in Rom (um 60). Sie beschreibt die Konflikte zwischen Judenchristen und Heidenchristen und ihre Konflikte mit anderen Gruppen des Judentums im Römischen Reich, als die ecclesia Jesu Christi sich noch als Teil des Judentums verstand. Sie repräsentiert die Sicht eines Schülers des Paulus von Tarsus, der dessen Völkermission im ganzen östlichen Mittelmeerraum bejahte und mit seiner Schrift in Europa ausdehnen wollte.[8]

Die frühkatholischen Briefe, das später entstandene Johannesevangelium und die Offenbarung des Johannes spiegeln bereits ein Stadium, als das Imperium Romanum das Christentum als Teil des beherrschten Judentums und andere verfolgte (siehe Christenverfolgungen im Römischen Reich).

Das NT wurde durch die Kanonbildung im zweiten Jahrhundert zur Urkunde des Christentums. Es beansprucht und behielt bis heute normativen Charakter für die meisten christlichen Richtungen der Folgezeit. Jedoch sind von keiner NT-Schrift außer den echten Paulusbriefen Autor und Umstände der Abfassung zweifelsfrei bekannt. Die historischen Daten lassen sich meist nur indirekt aus diesen Schriften selber vermuten.

Hinzu kommen wenige außerbiblische frühchristliche Schriften, darunter die Apokryphen. Gemeinsam geben sie Aufschluss über die innere und äußere Entwicklung dieser neuen Religion in der Spätantike. Zu den urchristlichen Schriften außerhalb des NT gehören die Werke der „Apostolischen Väter“, die fließend in die Patristik übergehen:

Eine wichtige Quelle ist die Kirchengeschichte des Eusebius von Caesarea (324), der Schriften diverser Autoren, die zum Teil verlorengegangen sind, von unterschiedlichem Wert zitiert, darunter die Notizen des Hegesippus (ca. 180) sowie Notizen über die Entstehung der Evangelien bei Papias von Hierapolis (um 150).

Für ganze Phasen und Regionen des Urchristentums fehlen jedoch Quellen, etwa für die Jerusalemer Urgemeinde vom Apostelkonzil bis zur Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70 und für die Ausbreitung des Urchristentums in Nordafrika.[5]

Zeitrahmen und Datierungen

Das NT zeigt – anders als andere zeitgenössische Quellen – kein Interesse an exakten Zeitangaben. Als einziges Fixdatum nennt es das 15. Regierungsjahr des Kaisers Tiberius, in dem Johannes der Täufer auftrat, nach außerbiblischen Angaben das Jahr 28 (Lk 3,1 ). Der Todestag Jesu war laut NT der Vortag eines Sabbat während eines Pessachfestes: für die Synoptiker am Hauptfesttag nach dem Sederabend, also dem 15. Nisan im jüdischen Kalender, für das Johannesevangelium dagegen am Freitag vor dem Sabbatfest, am 14. Nisan. Nach kalendarischen und astronomischen Berechnungen fiel der 15. Nisan in den Jahren 31 und 34, der 14. Nisan dagegen 30 und 33 auf einen Freitag. Viele Forscher halten die johanneische Chronologie heute für „historisch glaubwürdiger“.[9] Die meisten Theologen halten 30 für das passendere Todesjahr, weil Paulus zwischen 32 und 35 Christ wurde, womit sich 33 überschnitte.[10] Demnach gingen der Bildung der Urgemeinde zwei bis fünf Jahre einer Wanderschaft Jesu mit seinen Jüngern in Galiläa und Judäa voraus.

Judäa und Galiläa in der Zeit von Jesus, 1. Jahrhundert n. Chr.

Diese kurze irdische Wirksamkeit Jesu zählt man gewöhnlich noch nicht zum Urchristentum, sondern zu seinen Entstehungsbedingungen.

Seine folgende Geschichte fällt in die Regierungszeit der römischen Kaiser Tiberius und Claudius sowie ihrer Statthalter Felix und Festus in Judäa und des Prokonsuls Gallio in Korinth, die das NT nennt. Anhand dieser und weiterer Hinweise lassen sich einige Daten ungefähr bestimmen:

  • Um 32 wurde der hellenistische Christ Stephanus in Jerusalem hingerichtet und ein Teil der Urgemeinde nach Samaria vertrieben.
  • Zwischen 32 und 35 erfuhr Paulus seine Berufung. Zwei volle Jahre später besuchte er erstmals die Jerusalemer Urgemeinde (Gal 1,11–18 ).
  • Um 44 ließ Herodes Agrippa I. den Zebedaiden Jakobus hinrichten (Apg 12,2 ).
  • Zwischen 44 und 48 fand das Apostelkonzil statt (Gal 2,1 ; Apg 15 ).
  • Um 49 vertrieb Kaiser Claudius mit den Juden auch eine christliche Gemeinde aus Rom (Suetonnotiz in Verbindung mit Apg 18,2).
  • Danach bereiste Paulus seine Gemeinden in Griechenland und hielt sich ab 50 in Korinth auf, wo er um 52 dem Prokonsul Gallio vorgeführt wurde (Apg 18,12 ).
  • Zwischen 52 und 56 befand er sich in Ephesus.
  • Um 56 wurde er in Jerusalem gefangen genommen, zwei Jahre lang in Cäsarea Philippi, danach in Rom nochmals zwei Jahre inhaftiert (um 60).

Hinzu kommen außerbiblische Datenangaben:

Der Ursprung: Die Auferstehungserfahrungen

Ein exaktes Entstehungsdatum des Christentums lässt sich nicht angeben. Für manche Neutestamentler begann es mit der ersten Jüngerberufung Jesu am See Genezareth, für viele beim ersten Mal, als ein Jünger Jesus den „Messias“ (griechisch „Christos“) nannte (Mk 8,29 ). Andere weisen darauf hin, dass Simon Petrus dieses Messiasbekenntnis noch ganz wie die damaligen Zeloten als irdische Befreiung von Fremdherrschaft aufgefasst habe (Lk 24,21 ). Das Christentum habe erst nachösterlich mit der Gründung der Urgemeinde begonnen. Früher wurde seine Entstehung noch später, nämlich mit dem Apostelkonzil angesetzt, das die Völkermission des Paulus von Tarsus genehmigte und damit erst die Trennung einer innerjüdischen Christussekte vom Judentum einleitete und ermöglichte.

Die Entwicklung zwischen diesen Einzelstationen war fließend. Die entscheidende Zäsur waren die beiden Grunddaten des urchristlichen Glaubens, die die ältesten Credoformeln des NT stets zusammen nennen und die die vier kanonischen Evangelien erzählerisch breit ausführen: Tod[11] und Auferweckung Jesu.

Seine Kreuzigung war für seine ersten Nachfolger, die sich von ihm eine innergeschichtliche Befreiung erhofft hatten (Lk 24,21 ), eine Katastrophe. Denn sie waren allesamt Juden, für die diese Todesart ein Gottesurteil über Jesu Anspruch, Gottes Reich zu bringen, bedeutete: Ein toter Messias ohne messianisches Zeitalter universellen Friedens galt als endgültig gescheiterter Messias, seine Gegner hatten demnach recht behalten. Dies, wie auch die Gefahr, als Anhänger eines vermeintlichen Zelotenführers mit ihm hingerichtet zu werden, macht ihre Flucht bei Jesu Festnahme plausibel (Mk 14,50 ). Obwohl die Texte dies nicht ausdrücklich feststellen, ist ihre Rückkehr in ihre Heimat Galiläa spätestens nach Jesu Grablegung wahrscheinlich. Damit war die Gemeinschaft, die Jesus unter ihnen gestiftet hatte, beendet.

Bald darauf kam es dennoch in der Hauptstadt Judäas, die als Tempelstadt zugleich Kultzentrum des gesamten Judentums war, zur Verkündigung durch die Anhänger, Jesus sei der von Gott zur Rettung aller Menschen auferweckte Kyrios Christus (Apg 2,36). Urchristen glaubten nach dem NT, dass Jesus selbst diesen Glauben an ihn bewirkte, indem er sich seinen Jüngern nach seinem Tod als (von Gott) „Auferweckter“ offenbart habe. Darauf beziehen sich die ältesten Credoformeln des NT, die nur diese eine Aussage variabel formulieren:

„Er ist auferstanden am dritten Tag nach der Schrift …“ (1 Kor 15,4 )
„Der Kyrios ist wirklich auferstanden und dem Simon erschienen …“ (Lk 24,34 )
„Er ist auferstanden, er ist nicht hier.“ (Mk 16,6 )

Auferstehung“ bzw. „Auferweckung“ meint im jüdischen Kontext kein geistiges Weiterleben nach dem Tod, sondern eine radikale, leibhafte Neuschöpfung des Toten; zudem macht ihnen ihre strikt monotheistische Religion es unmöglich, einen Menschen oder Messias als Gott zu verehren; die ganze Torah handelt von diesem Hauptthema.

Mit geistigem Weiterleben nach dem Tod ist im Christentum aber nicht ein Weiterleben im Tod gemeint. Im Apostolischen Glaubensbekenntnis wird eindeutig gesagt: „Auferstehung des Fleisches“. Also wird eine Auferstehung geglaubt, die auch eine Neuschöpfung ist.

Eine leibhafte Begegnung bzw. Visionen mit Jesus nach dessen Tod hatten nach urchristlichen Erzählungen auch Jakobus, Jesu Bruder, der ihm zu Lebzeiten nicht gefolgt war, und erbitterte Gegner der Urchristen wie Paulus, der weder sein Auftreten noch seinen Tod erlebt hatte. Zudem erstrecken sich Berichte über Begegnungen mit dem auferstandenen Jesus über einen längeren Zeitraum: Paulus berichtet von „500 Brüdern“, die ihn gesehen hätten und von denen einige noch lebten, so dass er sie den Korinthern um 55 als befragbare Augenzeugen präsentierte (1 Kor 15,6 ).

Solche Begegnungen hatten Christen wie Skeptiker und auch mehrere Menschen gemeinsam zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten. Daher vermuten viele Historiker hinter den Epiphanien reale Erscheinungen, nicht bloße Halluzinationen. Wem der auferstandene Jesus zuerst erschienen sein soll, ist nach den NT-Berichten jedoch nicht eindeutig. Nach der von Paulus überlieferten Augenzeugenliste der Urgemeinde erschien er zuerst dem Simon Petrus, danach den versammelten Jüngern (1 Kor 15,5–6 ). Nach Joh 20,11–18  erschien er zuerst der Maria Magdalena; nach Lk 24,13–35  zwei unbekannten Jüngern. Keines der später entstandenen Evangelien erzählt von den von Paulus genannten 500 weiteren Zeugen des Auferstandenen. Der als spätere Redaktion angesehene Schluss des Markusevangeliums (Mk 16,9–20 ) bringt die vorliegenden Berichte in eine Abfolge, die der Zeugenliste von 1 Kor 15 widerspricht.

In jedem Fall spielten Petrus und einige der Frauen aus Galiläa eine wichtige Rolle dabei, die übrigen Anhänger wieder zusammenzurufen und nach Jerusalem zurückzuholen, um dort eine christliche Gemeinde zu gründen. Deren Leiter sollen nach der lukanischen Darstellung mit dem Kreis der zwölf Erstberufenen identisch gewesen sein. Ihre Autorität führen alle Evangelien auf eine gemeinsame Begegnung mit dem Auferstandenen zurück, bei der die Jünger ihren universalen Missionsauftrag erhalten haben sollen. Wo diese stattfand, ist ebenfalls widersprüchlich überliefert (Mt/Mk: in Galiläa; Lk/Jh: in Jerusalem).

Der Passionsbericht

Die Auferstehungserfahrung war der Kern- und Ausgangspunkt der apostolischen Botschaft von Jesus Christus: Sie konfrontierte Jesu Anhänger zunächst mit der Frage nach dem Sinn seines gewaltsamen Todes und eröffnete ihnen eine neue Perspektive, diesen zu deuten. Mithilfe der Erinnerung an Jesu Eigenverkündigung wurde seine Kreuzigung als stellvertretender Sühnetod, als ultimative Übernahme des Endgerichts Gottes und gnädige Einladung zur Umkehr gedeutet. Deshalb sind Kreuz und Auferstehung (Auferweckung) in allen urchristlichen Glaubensbekenntnissen eng miteinander verbunden. Sie bilden den gemeinsamen Hauptinhalt der nachösterlichen Verkündigung.

Von diesem Kristallisationskern aus wurde offenbar bald auch das vorherige Leben Jesu auf die zentralen Heilsdaten, seinen Tod und seine Auferstehung, hin nacherzählt. So entstand wohl schon im ersten Jahrzehnt der vormarkinische Passionsbericht in Jerusalem, den der erste Evangelist in sein Markusevangelium einbaute. Es gilt als das älteste der vier Evangelien des NT, das ihnen ihre Grundstruktur vorgab.

Urchristliche Gemeinden in Galiläa und Syrien

Parallel dazu müssen in Galiläa ebenfalls sehr früh christliche Gemeinden entstanden sein. So fand man in Kafarnaum eine frühchristliche Pilgerstätte. Sie wird mit dem ehemaligen Wohnhaus des Petrus identifiziert, wo sich die ersten Jesusanhänger trafen. Nach Mk 16,7  fanden Jüngerbegegnungen mit dem Auferweckten in Galiläa statt; dies bestätigt Mt 28,16–20  und Joh 21 .

Galiläische Jesusanhänger sammelten auch Reden, Streitgespräche und Gleichnisse, die Jesu zugeschrieben wurden. Diese Sammlung wurde erst mündlich, dann schriftlich tradiert und später als gemeinsame Logienquelle in das Matthäus- und Lukasevangelium aufgenommen.

In Damaskus existierte nach Gal 1,17  und Apg 9,2 ff.  bereits vor der Berufung des Paulus (um 32–35) eine christliche Gemeinde. Angenommen wird, dass diese wahrscheinlich von in Jerusalem verfolgten Anhängern des Urchristen Stephanus gegründet worden war.

Der Missionsauftrag

Die Aufgabe der Jünger und Apostel war es nun, nicht nur die Lehren des Wanderpredigers aus Nazaret, sondern auch die „frohe Botschaft“ (Evangelium) von seiner Auferstehung zu verkünden. Die erste Gemeinde, die sich diesem Auftrag zur Mission verpflichtet sah, war jene Jerusalemer Urgemeinde. Hier bildeten die sogenannten „Säulen“ Petrus, Jakobus und Johannes (Gal 2,9 ; Mk 5,37  und andere) das Zentrum der jüdischen Bewegung. Ihr erster Sprecher wurde Petrus, der später vermutlich von Jakobus abgelöst wurde. Petrus könnte dann über Syrien nach Kleinasien gelangt sein, wo in Antiochia eine weitere große Gemeinde entstanden war, und schließlich nach Rom, wo vermutlich schon in den 40er Jahren eine Urchristengemeinde entstanden war, an die auch Paulus seinen Römerbrief adressierte.

Der Missionsauftrag wurde zunächst unter den Juden ausgeführt und später auf die Heiden ausgeweitet.

Sowohl in der Jerusalemer Urgemeinde als auch den hinzukommenden Gemeinden und Zirkeln war die Erwartung der Wiederkunft (Parusie) Jesu als Messias bestimmend, die jedoch keine Grundlage in der jüdischen Schrift hat, da seine Anhänger ihn immer noch als christlichen Messias sahen. Auch bestanden alle frühen Gemeinden aus Judenchristen und qualifiziert konvertierten, beschnittenen Nichtjuden und waren Teil des Judentums, wie die Beachtung der Mitzwot und der Tempeldienst der Jerusalemer Urchristen veranschaulichen. Daneben gab es aber auch Griechisch sprechende Urchristen, die sogenannten Hellenisten, die sich kritisch zum Tempel äußerten und wohl nicht zuletzt deshalb von den jüdischen Machthabern verfolgt wurden. Selbst innerhalb der urchristlichen Gemeinde bekamen sie wirtschaftliche Probleme, da sie keinen Zugang hatten zur Armenversorgung des Tempels: Dies war der Hintergrund der Wahl der sieben Diakone (Apg 6 ).

Das Apostelkonzil

Gegen den anfänglichen Widerstand konservativer judenchristlicher Kreise in der Jerusalemer Urgemeinde wurde im Verlauf eines Apostelkonzils (zwischen 44 und 49) vereinbart, dass die von der antiochenischen Gemeinde ausgehende Heidenmission als Konsens des Urchristentums akzeptiert wurde. Beginnend mit der Bekehrung von Diaspora-Juden (Gal 2,9 ) und römisch-griechischen Heiden, gewannen überwiegend heidenchristliche Gemeinden außerhalb Palästinas wie Antiochia in der urchristlichen Sekte an Zahl und Bedeutung. Paulus und seine Helfer prägten die Theologie dieser neuen Gemeinden. Die neue paulinische Theologie wurde im gesamten Mittelmeerraum verbreitet. Im Rückblick ist so die Entstehung einer neuen Weltreligion eingeleitet worden. Eine totale Loslösung der urchristlichen Sekte aus dem Judentum und die Abwendung des neutestamentlichen Glaubens von den religiösen Traditionen und Lehren des Judentums – die jetzt vollzogen war – hatte der hellenisierte Jude und römische Bürger Paulus, als Hauptvertreter der Heidenmission und Stifter des Auferstehungsmythus Jesu, anfänglich jedoch ausgeschlossen (Röm 9–11 ).

Das Ende der Urgemeinde

Schon 62 mit dem Tod des Jakobus des Gerechten und nur rund 30 Jahre nach Jesu Tod verlor die judenchristlich geprägte Jerusalemer Urgemeinde ihre Führungsrolle im Urchristentum. Am jüdischen Aufstand von 66 verweigerten auch die Jerusalemer Christen die Beteiligung. Bei dem weiteren Aufstand Simon Bar Kochbas (132) musste die Urgemeinde deshalb in das ostjordanische Pella fliehen. Mit dem Scheitern dieses letzten jüdischen Aufstandsversuchs 135 war auch ihre Existenz beendet. Die von ihr beeinflussten Gemeinden in Syrien und im Ostjordanland galten einigen der maßgebenden Kirchenväter im 2. Jahrhundert bereits als „Häresie“ des Christentums. Spätestens mit der Entstehung des Islams gingen die letzten Reste des nahöstlichen Judenchristentums unter.

Herausbildung kirchlicher Ämter

Um so sichtbarer wurden die kleinen (heiden)christlichen Gemeinden.[12] Von ihren Problemen und Streitigkeiten berichten die kanonisierten wie auch die nicht kanonisierten Briefe der ersten Christen. Paulus selbst schrieb mit die ersten dieser Briefe, die schon auf die Zeit von 50 bis 64 datieren. Bischof Clemens von Rom, der 99 den Märtyrertod starb, schrieb mit die ersten Briefe, die nicht mehr in das Neue Testament aufgenommen wurden. Innerhalb dieser Zeitspanne verschwanden dann auch zunehmend die Apostel, Propheten und Evangelisten (1. Clem 37,3) als Würdenträger und Autoritäten. Und auch wenn Clemens noch forderte: „Haltet euch an die Heiligen“ (1. Clem 46,2), wurde bereits von Paulus vor sogenannten „falschen Heiligen“ gewarnt (vgl. Eph 7,1 ; Apg 15,1 ).

Die Praxis der brüderlichen Belehrung (Mt 18,15–18 ) verschob sich so auf die „Erstlinge“, die Erstgetauften einer Gemeinde, und schließlich die ersten sich herausbildenden Ämter: Episkopen (= Vorsteher, Bischöfe) (vgl. Eph 4,1 ), Presbyter und Diakone ersetzten die charismatischen Ämter und konsolidierten die weiterhin autonomen Gemeinden. Dabei war in dem Versuch, die Einmaligkeit Jesu in der irdischen Hierarchie abzubilden, jeweils nur ein Bischof vorzufinden. Diesem monarchanischen Bischof unterstanden zur Hilfe bei der Liturgie die (oft an der Zahl der Apostel orientierten: zwölf) Presbyter. Presbyter war hier noch ein Ehrenamt und wurde erst später mit eigenen pfarrähnlichen Verpflichtungen versehen. Die praktischen Arbeiten oblagen dann den Diakonen, von denen eine bestimmte Anzahl nicht bezeugt ist.

Die Herausarbeitung von Hierarchie und Gemeindestruktur erwies sich als umso notwendiger, als sich die Erwartung vom nahen Ende der Welt und der Wiederkunft Christi (Parusie), von denen die Jünger noch geprägt schienen, nicht erfüllte. Die Phase der sogenannten „Parusieverzögerung“ wurde nun aber nicht als Ende der eschatologischen Perspektive gesehen, sondern als verlängerte Zeit für die Vorbereitungen verstanden. Die gepflegten Werte sollten dies in „Tat und Wahrheit“ belegen (1 Joh 3,18 ): Der Dienst an der und für die Gemeinde wurde hervorgehoben sowie auch die Gastfreundschaft, das Beten und Fasten. Das Liebesmahl (Joh 13,34 ) und der Liebesdienst (Agape) gewannen so erweiterte Bedeutung.

Gerade in dieser Kombination von asketischen Vorschriften, die sich auf die Christen selbst bezogen und auch vor deren eigenem Tod (Martyrium) nicht brachen, und der praktischen Nächstenliebe, die sich am Dienst an den Armen, Kranken und Verlassenen, den Witwen und Waisen und den Sklaven vollzog, bereiteten sich nicht nur die Anhänger der neuen Religion auf das nahe Ende vor, sondern diese Gemeinschaft gewann auch nach außen enorme Anziehungskraft. Schon Paulus hatte dies im Ansatz erkannt und daher für die Anfänge einer lokalen Mission nicht die größeren Städte selbst, sondern deren arme Vororte bevorzugt.

Als die Christenverfolgungen unter Domitian (81–96) die Mission erschwerten, konnte sich die organisierte Kirche insgesamt behaupten, ihren Zusammenhalt festigen und ihre Mitgliedschaft sogar vergrößern. Die verfolgten und getöteten Christen wurden als Märtyrer (Blutzeugen) Christi anerkannt und verehrt, deren Bekennertod ihnen Rettung im Endgericht versprach. Dies erhöhte die Attraktivität des jungen Christentums.

Erster heidnischer Autor, der sich mit den Christen befasste,[13] ohne sie sogleich zu verdammen, war der Philosoph und Arzt Galenos, der die Christen weniger als Religionsgemeinschaft denn als in der Nähe der Stoa zu verortende philosophische Schule ansah.[14]

Literatur

  • Hartmut Leppin: Die frühen Christen: Von den Anfängen bis Konstantin. 2. Auflage, Beck, München 2019, ISBN 3-406-72510-4.
  • Markus Öhler: Geschichte des frühen Christentums. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2018, ISBN 978-3-8252-4737-9.
  • Udo Schnelle: Die ersten 100 Jahre des Christentums 30–130 n. Chr.: die Entstehungsgeschichte einer Weltreligion. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2015, ISBN 978-3-8252-4411-8.
  • Dietrich-Alex Koch: Geschichte des Urchristentums: Ein Lehrbuch. 2. Auflage, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2014, ISBN 3-525-52202-9.
  • Ulrich Volp: Idealisierung der Urkirche (ecclesia primitiva), in: Europäische Geschichte Online, hrsg. vom Institut für Europäische Geschichte (Mainz), 2011, Zugriff am 25. März 2021 (pdf).
  • Klaus Berger: Die Urchristen. Pattloch, München 2008, ISBN 978-3-629-02184-7.
  • Eduard Lohse: Das Urchristentum. Ein Rückblick auf die Anfänge. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008, ISBN 3-525-53382-9.
  • Hubert Frankemölle: Frühjudentum und Urchristentum: Vorgeschichte – Verlauf – Auswirkungen (4. Jahrhundert v. Chr. bis 4. Jahrhundert n. Chr.). Kohlhammer, Stuttgart 2006, ISBN 978-3-17-019528-8.
  • Klaus Berger: Theologiegeschichte des Urchristentums. Theologie des Neuen Testaments. Francke, Tübingen/Basel 1994, ISBN 3-7720-1752-5.
  • Gerd Theißen: Die Religion der ersten Christen – eine Theorie des Urchristentums. Christian Kaiser, Gütersloh 32003, ISBN 3-579-02623-2.
  • Eckhard J. Schnabel: Urchristliche Mission. R. Brockhaus, Wuppertal 2002, ISBN 978-3-417-29475-0.
  • Joachim Gnilka: Die frühen Christen. Ursprünge und Anfang der Kirche. Herder, Freiburg 1999, ISBN 3-451-27094-3. Francke, Tübingen-Basel 1994, ISBN 3-8252-8082-9, ISBN 3-7720-1752-5.
  • Walter Schmithals: Theologiegeschichte des Urchristentums – eine problemgeschichtliche Darstellung. Kohlhammer, Stuttgart 1994, ISBN 3-17-012965-1.
  • Stefan Alkier: Das Urchristentum: zur Geschichte und Theologie einer exegetischen Disziplin. Mohr, Tübingen 1993, ISBN 3-16-146057-X.
  • Jürgen Becker: Das Urchristentum als gegliederte Epoche. Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 1993, ISBN 3-460-04551-5.
  • François Vouga: Geschichte des frühen Christentums. Francke, Tübingen / Basel 1993, ISBN 3-8252-1733-7.
  • Hans Conzelmann: Geschichte des Urchristentums. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 61989, ISBN 3-525-51354-2.
  • Jürgen Becker (Hrsg.): Die Anfänge des Christentums. Alte Welt und neue Hoffnung. Kohlhammer, Stuttgart 1987, ISBN 3-17-001902-3.
  • Karl Martin Fischer: Das Urchristentum. Teil 1. Evangelische Verlagsanstalt, Berlin 1985, ISBN 3-374-00295-1.
  • Wilhelm Schneemelcher: Das Urchristentum. Kohlhammer, Stuttgart 1981, ISBN 3-17-007242-0.
  • Karl Baus: Von der Urgemeinde zur frühchristlichen Großkirche. (= Handbuch der Kirchengeschichte. Bd. I). Herder, Freiburg/Basel/Wien 1962 (4. Aufl. 1978; Sonderausgabe 1985, Ndr. 1999).
Wiktionary: Urchristentum – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Karl-Wilhelm Niebuhr: Grundinformation Neues Testament. Eine bibelkundlich-theologische Einführung. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2020, ISBN 3-8252-5376-7, S. 382
  2. Gerd Theißen: Studien zur Soziologie des Urchristentums. Mohr, Tübingen 1989, ISBN 3-16-145448-0, S. 36.
  3. siehe auch Täufersekten
  4. Hans Conzelmann: Geschichte des Urchristentums. 4. Auflage, Göttingen 1978, S. 1.
  5. a b Karl-Wilhelm Niebuhr: Grundinformation Neues Testament, Göttingen 2020, ISBN 978-3-8252-5376-9, S. 383
  6. Hans Conzelmann, Andreas Lindemann: Arbeitsbuch zum Neuen Testament. 14. Auflage, Stuttgart 2004, S. 373.
  7. Karl Martin Fischer: Das Urchristentum, Band 1/1. Evangelische Verlagsanstalt, 1985, S. 130.
  8. Udo Schnelle: Einleitung in das Neue Testament. 3. Auflage Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1999, S. 276–292.
  9. Michael Theobald: Das Herrenmahl im Neuen Testament, in: Theologische Quartalsschrift 183/2003, S. 261.
  10. Gerd Theißen, Annette Merz: Der historische Jesus, S. 152ff.
  11. „Zur Zeit des Kaisers Augustus predigte in Judäa, im heutigen Israel, Jesus von Nazareth. Für die jüdischen Priester war sein Evangelium (frohe Botschaft) eine Gotteslästerung. Sie sorgten dafür, dass Jesus zum Tode verurteilt wurde.“ Hagen Schneider in: Das Römische Weltreich – Christentum; S. 62; Entdecken und Verstehen – Arbeitshefte, Heft 1: Von der Urgeschichte bis zum Frühen Mittelalter; Cornelsen Verlag, 2007. Arbeitsheft zu: Entdecken und Verstehen – Grundschule Berlin und Brandenburg: 5./6. Schuljahr: Von der Urgeschichte bis zum Beginn des Mittelalters: Schülerbuch: Geschichtsbuch für Grundschulen; ebenda 2004.
  12. Rainer Gugl: Zum spannungsvollen Nebeneinander von griechischrömischer und christlicher Religiosität in antiken Haushalten. Protokolle zur Bibel 25 (2016) 97–118 ([1] auf protokollezurbibel.at)
  13. Vgl. Gary B. Ferngren: Galen and the Christians of Rome. In: Istoriya meditsiniy (History of Medicine). Band 2, 2015, S, 291–297.
  14. Ferdinand Peter Moog: Galen liest „Klassiker“ – Fragmente der schöngeistigen Literatur des Altertums im Werk des Pergameners. In: Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung. Band 36/37, 2017/2018 (2020), S. 7–24, hier: S. 19 (Jüdische und christliche Schriften).

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