Umweltmigration

Umweltmigration ist eine Ortsveränderung von Personen oder Gruppen, die in entscheidendem Maße durch Umweltveränderungen motiviert ist. Umweltmigranten sind Personen oder Gruppen, die vorwiegend aufgrund plötzlicher oder fortschreitender, ihr Leben oder ihre Lebensbedingungen gefährdender Veränderungen der Umwelt gezwungen oder veranlasst sind, ihren gewohnten Wohnort zu verlassen, sich dazu entscheiden, anderswo nach einer besseren Zukunft zu suchen. Hierzu gehören auch Umweltflüchtlinge, die aufgrund plötzlicher Umweltveränderungen, z. B. Naturkatastrophen, gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen.

Oft sind es die Umweltveränderungen nicht allein, sondern im Verbund mit politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die Menschen veranlassen, am anderen Ort eine nachhaltige Existenzgrundlage aufzubauen. Die Migration kann vorübergehend oder dauerhaft sein, im eigenen Land stattfinden oder ins Ausland führen.[1] Aufgrund der methodisch vielfältigen Sachlage reicht die Spannbreite der wissenschaftlichen Schätzungen für globale umweltbedingte Migration bis zum Jahr 2050 von 25 Millionen bis zu 1 Milliarde betroffener Personen. Rund 80 % der weltweiten Migration verläuft nicht grenzüberschreitend, sondern innerhalb von Ländern (Binnenmigration).[2] Von 2008 bis 2016 mussten durchschnittlich etwa 22,3 Millionen Menschen pro Jahr wegen plötzlich einsetzender Extremereignisse, wie beispielsweise Überflutungen, Stürme, Busch- und Waldbrände, als Binnenvertriebene ihren angestammten Wohnort temporär oder dauerhaft verlassen.[3] Berichte des Internal Displacement Monitoring Center (IDMC) über die Interne Vertreibung zeigen, dass die Anzahl der Menschen (vor allem in Asien), die 2019 bzw. 2020 ihre Heimat wegen extremen Wetterereignissen verlassen mussten um zu überleben, von 23,9 auf 30 Millionen angestiegen ist, davon 13 bzw. 14,6 Millionen wegen Stürmen (davon 11,9 bzw. 13,6 Millionen wegen Hurrikans, Taifunen und Zyklonen), 10 bzw. 14 Millionen wegen Hochwasser und 0,5 bzw. 1,2 Millionen wegen Wald- und Buschbränden.[4][5] Eine Analyse des Institute for Economics and Peace aus dem Jahre 2020 führte zur Prognose, dass bis 2050 über eine Milliarde Menschen in 31 Ländern leben, in denen die Widerstandsfähigkeit des Landes den Auswirkungen ökologischer Ereignisse wahrscheinlich nicht ausreichend standhält und zur massenhaften Migration der Bevölkerung führt.[6]

Ursachen der Umweltmigration

Umweltveränderungen können langsam oder plötzlich auftreten. In beiden Fällen können durch diese Veränderungen Menschen ihre Existenzgrundlage (Wohnung, Nahrung, Arbeit, …) verlieren. Oft führen die Umweltfaktoren nicht allein zur Entscheidung über Migration oder Flucht, sondern sie wirken im Verbund mit politischen, wirtschaftlichen (Arbeitsmigration), demografischen und sozialen Faktoren. Die Entscheidung, zu gehen oder zu fliehen ist auch durch die persönliche oder familiäre Haushaltslage und das Persönlichkeitsprofil geprägt. Sowohl die Entscheidung, zu fliehen (z. B. als Reaktion auf Katastrophen) als auch zu bleiben (aufgrund von Armut oder Krankheit) kann erzwungen sein. Im letztgenannten Fall der erzwungenen Immobilität spricht man auch von „eingeschlossenen Bevölkerungen“ (trapped populations)[1] Diesen durch Umweltveränderung besonders gefährdeten Menschen ist erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen.[7]

Langsame Umweltveränderungen: Klimawandel

Der Klimawandel bewirkt langsame Veränderungen, die erst im Vergleich mehrerer Jahrzehnte messbar sind und deshalb oft von Menschen nicht unmittelbar als klimabedingt wahrgenommen werden:

Diese langsamen Prozesse führen zu Ausfällen in der Landwirtschaft und damit in der Nahrungsproduktion – eine Ursache von Hunger.

Als Folge des Klimawandels kann auch das Risiko von Hitzetod in vielen Regionen der Erde steigen. Er kann durch hohe Lufttemperaturen, besonders bei hoher Luftfeuchtigkeit, ausgelöst werden, sodass die Kapazität der Thermoregulation des menschlichen Körpers überstiegen wird. Gegenwärtig sind rund 30 % der Weltbevölkerung Klimabedingungen ausgesetzt, bei denen die Mortalitätsrate durch Hitze an mindestens 20 Tagen im Jahr erhöht ist. Im Jahr 2100 wird dieser Anteil auf rund 48 % geschätzt, falls eine drastische Senkung der Treibhausgasemissionen gelingt, anderenfalls werden etwa 74 % der Weltbevölkerung betroffen sein. In Äquatornähe werden dann diese Hitzezustände fast das ganze Jahr über anhalten und damit diese Regionen praktisch (d. h. ohne aufwändige Kältetechnik) unbewohnbar sein. Menschen, die diesen Aufwand nicht zu finanzieren in der Lage sind, werden auswandern müssen.[8]

Neben dem Klimawandel gibt es auch andere Ursachen für langsame Umweltveränderungen und somit Umweltmigration, z. B. tektonische Hebungen und Senkungen. Die Häufigkeit für Umweltmigration durch diese Ursachen ist im Vergleich zur Verursachung durch Klimawandel jedoch viel geringer.[3]

Plötzliche Umweltereignisse

Plötzliche Klima- und Umweltereignisse (Katastrophen) sind von Menschen unmittelbar erfahrbar. Deshalb wird ihnen in Medien oft eine größere Aufmerksamkeit gewidment:

Diese plötzlich auftretenden Prozesse führen zur Zerstörung von Häusern, Ernten und Infrastruktur.

Analyse des Einflusses von Klimawandel auf Migration

Nur in Extremfällen ist die klimabedingte Migration monokausal. So ist in flachen Inselstaaten durch klimabedingten Meeresspiegelanstieg bei Verbleib der Inselbevölkerung im eigenen Land sogar die physische Existenz gefährdet. Meistens ist jedoch die Entscheidung zum Verlassen des angestammten Lebensmittelspunkts multikausal und der Zusammenhang von Klimaveränderung und Migration komplex. Die empirische Forschung der Risikoanalyse des Klimawandels über Sektoren und internationale Grenzen hinweg bedient sich mathematischer Modelle und steht noch am Anfang.[9] Erste empirische Befunde gibt es zur Kausalkette vom Klimawandel über Dürre und Hitzewellen gefolgt von einer Verstärkung ethnischer, politischer und militärischer Konflikte bis hin zu Flucht und Vertreibung.[10] Dieser Zusammenhang wurde insbesondere für den Bürgerkrieg in Syrien seit 2011 nachgewiesen.[11] Mittels Koinzidenzanalyse konnte auf der Datengrundlage von 50 Ländern mit der stärksten Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen (Gini-Koeffizient) und von 50 Ländern mit der stärksten ethnischen Fraktionierung über die Jahre 1980 bis 2010 ein signifikanter Zusammenhang mit militärischen Konflikten nachgewiesen werden.[12]

Unter dem Begriff „Loss and Damage“ werden klimabedingte Verluste und Schäden abgeschätzt, um daraus im Rahmen internationaler Klimaverhandlungen und nationaler sowie internationaler Klimaschutzpolitik Maßnahmen (Klimaschutz, Anpassung an die globale Erwärmung – einschließlich der Unterstützung bei saisonaler oder vorübergehender Migration[13] oder – als letzte Option – bei geplanter Umsiedlung, Klimafinanzierung einschließlich einer Klimaversicherung) nach dem Verursacherprinzip abzuleiten.[14]

Eine Metastudie, in der 30 Studien zum Thema analysiert wurden, offenbart einige wichtige Muster der umweltbedingten Migration:[15] Die Umweltmigration ist in landwirtschaftlich geprägten Ländern mit mittlerem Einkommen am stärksten ausgeprägt; sie ist geringfügig schwächer in Ländern mit niedrigem Einkommen, in denen die Bevölkerung häufig nicht über die für die Abwanderung erforderlichen Mittel verfügt. Künftig besonders anfällig für Migrationsbewegungen sind Bevölkerungen in Lateinamerika und der Karibik, in mehreren Ländern Afrikas südlich der Sahara, insbesondere in der Sahelzone und in Ostafrika, sowie in West-, Süd- und Südostasien.

Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Professur für Wetter- und Klimarisiken der ETH Zürich berechnete das Risiko für überflutungsbedingte Vertreibungen pro Grad globaler Erwärmung.[16] Danach ist das Risiko im weltweiten Durchschnitt bis Ende des Jahrhunderts gegenüber dem Jahr 2010 um über 50 % erhöht für den Fall, dass die Bevölkerungszahl auf dem heutigen Stand stabilisiert werden könnte. Bleibt dagegen die Bevölkerung auf dem heutigen Wachstumskurs, steigt dieser Wert um bis zu 110 % unter der Voraussetzung, dass die Welt das Pariser Klimaziel einer globalen Erwärmung von höchstens zwei Grad Celsius einhalten kann. Wenn sich der Klimawandel weniger stark bremsen lässt und die Schere zwischen Reich und Arm weiter auseinandergeht wurde ein Anstieg des Vertreibungsrisiko durch Überschwemmungen um bis zu 350 % berechnet.

Formen der Migration als Reaktion auf Umweltveränderung

Menschen reagieren verschieden auf Umweltveränderung:

  • aktiv oder reaktiv (je nach Vorbereitung)
  • „freiwillig“ oder erzwungen
  • kurzfristig, periodisch oder dauerhaft

Periodische und kurzfristige Mobilität ist seit Menschengedenken eine Form der Reaktion auf Umweltveränderung, beispielsweise von Hirten und Herden als Antwort auf Regen- und Trockenzeiten, zur Vermeidung von Überweidung oder auch von Saisonarbeitern bei der Weinernte. Die saisonale Migration als Reaktion auf schlechte Ernten kann sich aber auch zu einer dauerhaften Migration ausweiten, wenn Ernten ganz ausbleiben oder Dürre dauerhaft wird[17]

Die Migration vom Land in die Städte (Landflucht) stellt den größten Anteil der Bevölkerungsbewegungen dar. Dabei ist das Tempo der Urbanisierung in Niedriglohnländern der südlichen Hemisphäre besonders hoch. Treibende Kraft ist dabei die Hoffnung auf bessere Lebensqualität, höhere Einkommen, Bildung, Gesundheitsfürsorge und Sicherheit vor allem von Menschen, deren Lebensgrundlagen von der Landwirtschaft abhängen und somit vom Klimawandel besonders betroffen sind. Jedoch sind gerade große Küstenstädte (z. B. Südamerikas) vom zu erwartenden Anstieg des Meeresspiegels und andere große Städte (z. B. in Südafrika und Asien) von zunehmender Wasserknappheit bedroht, weil Gletscher abschmelzen und als Wasserreservoir immer weniger zur Verfügung stehen.[18]

Politische Instabilität durch Umweltveränderung

Die Auswirkungen des Klimawandels auf kriegerische Konflikte und damit auf Migrationsbewegungen wurden beispielhaft für die Länder Sudan, Syrien, Burkina Faso und die Marshallinseln im Zentralpazifik beschrieben.[19]

Der US-amerikanische Journalist Todd Miller berichtet mit Bezug auf das Internal Displacement Monitoring Center, dass eine Person aufgrund von Umweltkatastrophen viel häufiger gezwungen ist, sich zu bewegen als durch Krieg.[20][21]

"Der Klimawandel wird Deutschland vor allem indirekt betreffen, etwa durch Instabilitäten im internationalen Raum."[22] Deutschland will seine Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat in den Jahren 2019 und 2020 zur Bekämpfung von Klima- und Fragilitätsrisiken nutzen und hatte deshalb 2019 zur internationalen „Berlin Climate and Security Conference“ nach Berlin eingeladen, die eine Handlungsaufruf (Call for Action) an den UN-Sicherheitsrat gerichtet hat.[23]

Siehe auch: Folgen der globalen Erwärmung#Kriege und gewaltsame Konflikte

Geschichte

In der Menschheitsgeschichte gibt es viele Beispiele für Wanderungen aufgrund von Umweltveränderungen. Hier nur einige Beispiele:

von Mesopotamien aufgrund von Dürre nach Europa vor ca. 50.000 Jahren
von Asien nach Nordamerika über die Beringbrücke, ermöglicht durch sinkenden Meeresspiegel während der Wisconsin-Kaltzeit vor ca. 20.000 Jahren
Völkerwanderung in Mitteleuropa im Zusammenhang mit Dürre und Entwaldung in den Jahren 300 bis 500
Erdbeben von Lissabon 1755 mit Flucht von Lissabon und Umgebung ins übrige Europa

Trotz der langen Geschichte der Umweltmigration nimmt sie im 21. Jahrhundert eine neue Quantität und Qualität an, wie der Generaldirektor der Internationalen Organisation für Migration formuliert:

„Gegenwärtig sind wir Zeugen menschlicher Mobilität in einem nie da gewesenen Ausmaß. Von den 7 Milliarden Menschen auf unserem Planeten befinden sich über 1 Milliarde innerhalb oder außerhalb ihres Landes auf Wanderung... Menschliche Migration steht seit jeher in Zusammenhang mit der Umwelt, doch das politische Bewusstsein für diesen Zusammenhang ist relativ neu. Wir wissen inzwischen, dass zu den Ursachen der gegenwärtigen Migrationskrise auch Phänomene wie Klimawandel und seine Folgen gehören, also Bodendegradation, häufigere und extremere unvermittelt auftretende Ereignisse, Wüstenbildung, Wasserknappheit und wiederkehrende Dürren. Wir wissen auch, dass zukünftig eine erhebliche Anzahl von Menschen vom Anstieg der Meeresspiegel, von Küstenerosion, Versauerung der Meere und Bodenversalzung betroffen sein werden und sie unter Umständen mit Migration darauf reagieren.... Die Internationale Organisation für Migration (IOM) ist davon überzeugt, dass Migration in Anbetracht der demografischen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Realität unausweichlich, für die Prosperität der Länder zugleich aber auch notwendig und sogar wünschenwert ist, vorausgesetzt, sie wird mit Bedacht gesteuert und findet unter Respektierung der Menschenrechte statt.“

William Lacy Swing: Hilfe für Umweltmigranten: ein neuer Imperativ. In: Atlas der Umweltmigration. oekom, München 2017, ISBN 978-3-86581-837-9, S. 10–11.

In einem Beitrag für den Fünfter Sachstandsbericht des IPCC wurde Migration als Anpassung an den Klimawandel untersucht.[2] Studien haben jedoch gezeigt, dass präventive Umweltmigration nur bedingt als Anpassung an drohende Umweltveränderungen wirkt.[24] Migration ist häufig nicht in der Lage, den Lebensstandard der Menschen nach der Umsiedlung zu erhalten oder zu verbessern. Oft sichert Umweltmigration lediglich das Überleben.

Rechtliche Lage und politisches Handeln

Global

Juristisch sind Umweltmigranten nicht definiert. Sie genießen auch keinen eigenen Rechtsstatus. Dies ist aufgrund der Vielfalt der ökologischen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Faktoren, die zur Umweltmigration führen, nahezu unmöglich. Humanitäre Hilfe und Katastrophenvorsorge sind notwendig für Menschen, die von plötzlichen Umweltereignissen betroffen sind oder derartigen Risiken ausgesetzt sind. Aber Umweltmigration wird in zunehmendem Maße – etwa seit dem Jahr 2010 – nicht nur als ein Problem und eine Tragödie, sondern auch als Herausforderung und Chance für politisches Handeln verstanden. Meilensteine auf dem Weg zum neuen Verständnis sind die UN-Klimakonferenz in Cancún 2010[25] und der Foresight-Report von 2011.[7] Der Foresight-Report behandelt mit Blick auf die kommenden 50 Jahre zukünftige Herausforderungen und Möglichkeiten der durch Umweltveränderungen bedingten Migration. Hier wird Umweltmigration als eine mögliche Klimaanpassungsstrategie von Menschen gesehen.

Neben den negativen Wirkungen von Migration für diejenigen, die zurückbleiben ("brain drain", "lost labour") und prekären Bedingungen, unter denen sich viele der Migrantinnen und Migranten im Zielgebiet wiederfinden, kommt die Migration auch als positiver Beitrag zur Klimaanpassung in den Blick, z. B. durch Verringerung der Gesamtbelastung von Haushalten in ländlichen Gebieten aufgrund von Familienangehörigen, die andernorts Saisonarbeit verrichten oder durch Rücküberweisungen eine Anpassung an Umweltveränderungen im Herkunftsland unterstützen.[26]

Die Wanderungen sind zu regeln, d. h. aus der Illegalität zu befreien, und so demokratisch zu lenken (Bürgerbeteiligung, Partizipation), dass sowohl die besonders verletzlichen Menschen als auch die besonders sensible Natur geschützt werden. Seitens der Vereinten Nationen wird dringend empfohlen, die Stärken der Migranten zu nutzen. Dies kann beispielsweise mit Anreizen zu Investitionen in den Herkunftsländern zum Schutz geschädigter Ökosysteme und lokalen Gemeinschaften erfolgen, wobei die Heimatüberweisungen der Migranten in ihre Herkunftsländern weniger für kurzfristige Konsumbedürfnisse, sondern nachhaltig genutzt werden.[17]

Im Oktober 2015 verabschiedeten 109 Staaten die Nansen-Schutzagenda („Agenda for the protection of cross-border displaced persons in the context of disasters and climate change“).[27][28] Diese Agenda enthält Maßnahmen aus den Bereichen Katastrophenvorsorge, Anpassung an den Klimawandel oder humanitäre Hilfe. Darauf aufbauend wurde im Mai 2016 die „Plattform zu Flucht vor Naturkatastrophen“ (Platform on Disaster Displacement) mit Sitz in Genf ins Leben gerufen.[29]

Auch die Präambel des 2015 von 196 Staaten verabschiedeten Klimavertrages von Paris verweist darauf, dass Staaten ihren Verpflichtungen gegenüber Migranten und anderen besonders verletzlichen Gruppen in der Folge des Klimawandels dringend nachkommen müssen.

Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen haben aufgrund ihrer New Yorker Erklärung von 2016 im Jahr 2017 einen Prozess gestartet, der Ende 2018 mit dem „Globaler Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“ abgeschlossen wurde.[30] Im Ergebnisdokuments für die UN-Konferenz in Marrakesch (Marokko) am 10. und 11. Dezember 2018 sind 23 Ziele für eine sichere, geordnete und reguläre Migration aufgeführt, mit der auch unsichere, chaotische, illegale und irreguläre Migration eingedämmt werden soll. Hier heißt es unter anderem (Punkte 2i und 5h): „Wir werden … Strategien zur Anpassung und zur Stärkung der Resilienz gegenüber plötzlichen und schleichenden Naturkatastrophen, den nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels und der Umweltzerstörung wie Wüstenbildung, Landverödung, Dürre und Anstieg des Meeresspiegels entwickeln, unter Berücksichtigung der möglichen Implikationen für Migration und in Anerkennung dessen, dass die Anpassung im Herkunftsland vorrangig ist.“ und „Wir werden...bei der Ermittlung, Entwicklung und Verstärkung von Lösungen für Migranten zusammenarbeiten, die aufgrund von schleichenden Naturkatastrophen, den nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels und Umweltzerstörung, beispielsweise Wüstenbildung, Landverödung, Dürren und Anstieg des Meeresspiegels, gezwungen sind, ihr Herkunftsland zu verlassen, einschließlich indem in Fällen, in denen eine Anpassung im Herkunftsland oder eine Rückkehr dorthin nicht möglich ist, Optionen für eine geplante Neuansiedlung und Visumerteilung konzipiert werden.“[31]

Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU) hat den auf Hans Joachim Schellnhuber zurückgehenden Vorschlag eines Klimapasses in einem im August 2018 veröffentlichten Politikpapier ausgebaut. „In Anlehnung an den Nansenpass soll dieses Dokument den von der Erderwärmung existenziell bedrohten Personen die Option bieten, Zugang zu und staatsbürgergleiche Rechte in weitgehend sicheren Ländern zu erhalten.“[3]

„Der Klimawandel gehört ganz oben auf die internationale Agenda. Klimaschutz muss zum neuen Imperativ der Außenpolitik werden. Denn bereits heute sind die sicherheitspolitischen Folgen des Klimawandels gravierend. Die Stabilität ganzer Weltregionen steht auf dem Spiel. Im Mittelmeerraum, im Nahen Osten und in Mittelamerika wird Wasser immer knapper. Landwirtschaft und Fischerei müssen sich auf sinkende Erträge einstellen. Wo die Lebensgrundlagen von Menschen bedroht sind, sind Konflikte vorgezeichnet. Flucht und Migration könnten sich in kaum beherrschbarer Weise verstärken.“[32] In diesem Sinne haben im Juni 2019 das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland und das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung den Berlin Call for Action – einen Handlungsaufruf an den UN-Sicherheitsrat initiiert.[23]

Flache Inselstaaten

Durch eine Kombination aus Meeresspiegelanstieg, Landerosion, von El Niño getriebene Dürre und Hitzewellen sowie Salzwasserintrusion in das Grundwasser könnten auf den Inseln im pazifischen und indischen Ozean sowie in der Karibik 1,2 bis 2,2 Millionen Menschen ihre angestammten Wohngebiete verlieren. Als klimabedingt besonders gefährdet gelten z. B. die Malediven (345.000 Einwohner), Kiribati (110.000 Einwohner), Marshallinseln[33] (53.000 Einwohner) und Tuvalu (11.000 Einwohner).[3] Die Allianz der kleinen Inselstaaten (Alliance of Small Island States – AOSIS) fordert deshalb die Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 °C.[34] Die Regierung von Kiribati drängt unter dem Motto „Migration mit Würde“ darauf, dass Industriestaaten ihrer Verantwortung für den Klimawandel durch Migrationsabkommen als Kompensation gerecht werden und legt wie andere Staaten Wert auf bessere lokale Ausbildung zur Ermöglichung von Arbeitsmigration.[35] Kiribati hat zudem auf Fidschi Land gekauft, so dass eine Umsiedlung der Bevölkerung möglich wäre.[36]

Siehe auch

Quelle

  • Diana Ionesco, Daria Mokhnacheva, Francois Gemenne: Atlas der Umweltmigration. oekom, München 2017, ISBN 978-3-86581-837-9, S. 169.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b International Organization of Migration (IOM): Migration, Environment and Climate Change: Evidence for Policy (MECLEP) Glossary. Genf 2014 (iom.int [PDF; 352 kB]).
  2. a b Adger, W.N., J.M. Pulhin, J. Barnett, G.D. Dabelko, G.K. Hovelsrud, M. Levy, Ú. Oswald Spring, and C.H. Vogel: Human security. In: Field, C.B., V.R. Barros, D.J. Dokken, K.J. Mach, M.D. Mastrandrea, T.E. Bilir, M. Chatterjee, K.L. Ebi, Y.O. Estrada, R.C. Genova, B. Girma, E.S. Kissel, A.N. Levy, S. MacCracken, P.R. Mastrandrea, L.L. White (Hrsg.): Climate Change 2014: Impacts, Adaptation, and Vulnerability. Part A: Global and Sectoral Aspects. Contribution of Working Group II to the Fifth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge University Press, Cambridge, United Kingdom and New York, NY, USA 2014, S. 755–791.
  3. a b c d Politikpapier: Zeit-gerechte Klimapolitik: Vier Initiativen für Fairness. (PDF; 1,4 MB) Politikpapier Nr. 9. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, August 2018, abgerufen am 6. März 2021.
  4. Internal Displacement Monitoring Center (IDMC): Global report on internal displacement - GRID2020. (PDF; 19.4 MB) April 2020, abgerufen am 6. Juni 2021.
  5. Internal Displacement Monitoring Center (IDMC): Global report on internal displacement - GRID2021. (PDF; 18.7 MB) Internal displacement in a changing climate. 2021, abgerufen am 6. Juni 2021.
  6. Institute for Economics & Peace: Ecological Threat Register 2020. Understanding Ecological Threats, Resilience and Peace. Sydney September 2020 (95 S., visionofhumanity.org [PDF; 3,1 MB]).
  7. a b Foresight: Migration and Global Environmental Change. Final Project Report. Hrsg.: Government Office for Science. London 2011 (gov.uk [PDF; 6,1 MB]).
  8. Camilo Mora, Bénédicte Dousset, Iain R. Caldwell, Farrah E. Powell, Rollan C. Geronimo, Coral R. Bielecki, Chelsie W. W. Counsell, Bonnie S. Dietrich, Emily T. Johnston, Leo V. Louis, Matthew P. Lucas, Marie M. McKenzie, Alessandra G. Shea, Han Tseng, Thomas W. Giambelluca, Lisa R. Leon, Ed Hawkins & Clay Trauernicht: Global risk of deadly heat. In: Nature Climate Change. Band 7, 2017, S. 501–506.
  9. Andy J. Challinor, W. Neil Adger, Tim G. Benton, Declan Conway, Manoj Joshi, Dave Frame: Transmission of climate risks across sectors and borders (Review). In: Philos Trans A Math Phys Eng Sci. Band 376, Nr. 2121, 13. Juni 2018, S. pii: 20170301, doi:10.1098/rsta.2017.0301.
  10. Nina von Uexkull, Mihai Croicu, Hanne Fjelde, and Halvard Buhaug: Civil conflict sensitivity to growing-season drought. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. Band 113, Nr. 44, 1. November 2016, S. 12391–12396, doi:10.1073/pnas.1607542113.
  11. Kelley, C. P., Mohtadi, S., Cane, M. A., Seager, R. und Kushnir, Y.: Climate change in the Fertile Crescent and implications of the recent Syrian drought. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. Band 112, Nr. 11, 17. März 2015, S. 3241–3246, doi:10.1073/pnas.1421533112.
  12. Carl-Friedrich Schleussner, Jonathan F. Donges, Reik V. Donner, and Hans Joachim Schellnhuber: Armed-conflict risks enhanced by climate-related disasters in ethnically fractionalized countries. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. Band 113, Nr. 33, 16. August 2016, S. 9216–9221, doi:10.1073/pnas.1601611113.
  13. Alison Heslin, Natalie Delia Deckard, Robert Oakes, Arianna Montero-Colbert: Displacement and Resettlement: Understanding the Role of Climate Change in Contemporary Migration. In: Reinhard Mechler, Laurens M. Bouwer, Thomas Schinko, Swenja Surminski, JoAnne Linnerooth-Bayer (Hrsg.): Loss and Damage from Climate Change. Concepts, Methods and Policy Options. Springer, Cham 2018, ISBN 978-3-319-72025-8, S. 237–260, doi:10.1007/978-3-319-72026-5.
  14. Reinhard Mechler, Laurens M. Bouwer, Thomas Schinko, Swenja Surminski, JoAnne Linnerooth-Bayer: Loss and Damage from Climate Change. Concepts, Methods and Policy Options. Springer, Cham 2018, ISBN 978-3-319-72025-8, doi:10.1007/978-3-319-72026-5.
  15. Roman Hoffmann, Anna Dimitrova, Raya Muttarak, Jesus Crespo Cuaresma,Jonas Peisker: A Meta-Analysis of Country-Level Studies on Environmental Change and Migration. In: Nature Climate Change. 14. September 2020, doi:10.1038/s41558-020-0898-6.
  16. Pui Man Kam, Gabriela Aznar-Siguan, Jacob Schewe, Leonardo Milano, Justin Ginnetti, Sven Willner, Jamie W. McCaughey, David N. Bresch: Global warming and population change both heighten future risk of human displacement due to river floods. In: Environmental Research Letters. Band 16, Nr. 4, 24. März 2021, doi:10.1088/1748-9326/abd26c.
  17. a b Monique Barbut: Das Potenzial ausschöpfen. In: Atlas der Umweltmigration. oekom, München 2017, ISBN 978-3-86581-837-9, S. 12.
  18. Alex De Sherbinin, Andrew Schiller, Alex Pulsipher: The vulnerability of global cities to climate hazards. In: Environment and Urbanization. Band 19, Nr. 1, 2007, S. 39–64.
  19. Kira Vinke, Hermann Vinke: Klima, Krieg, Frieden. In: Sven Plöger (Hrsg.): Zieht euch warm an, es wird heiss. Den Klimawandel verstehen und aus der Krise für die Welt von morgen lernen. 7. Auflage. Westend Verlag, Frankfurt/Main 2020, ISBN 978-3-86489-286-8, S. 212–217.
  20. Todd Miller: Storming the Wall. Climate Change, Migration, and Homeland Security. City Lights Publishers, San Francisco 2017, ISBN 978-0-87286-715-4.
  21. Todd Miller: One Planet: Climate change, migration, and border militarization. 9. Dezember 2018, abgerufen am 13. April 2020: „According to the Internal Displacement Monitoring Centre, a person is more likely to be displaced by environmental forces than by war.“
  22. Jochem Marotzke: Bloß keine Panik - auch beim Klima. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Nr. 13, 29. März 2020, S. 58.
  23. a b Improving the Climate for Peace. Berlin call for action. (pdf; 310 kb) 4. Juni 2019, abgerufen am 13. April 2020.
  24. Kira Vinke: Unsettling Settlements - Cities, Migrants, Climate Change. Rural-Urban Climate Migration as Effective Adaptation? (= Studien zur internationalen Umweltpolitik/ Studies on International Environmental Policy. Band 16). LIT Verlag, Münster 2019, ISBN 978-3-643-91130-8.
  25. Cancun Adaptation Framework 2010 (PDF; 246 kB)
  26. Emily Wright, Dennis Tänzler, Lukas Rüttinger, Susanne Melde, Andrea Milan, Alex Flavell: Migration, environment and climate change. In: Umweltbundesamt (Hrsg.): Texte. Band 79/2021, Mai 2021, ISSN 1862-4804 (umweltbundesamt.de [PDF; 1,1 MB; abgerufen am 16. Februar 2022]).
  27. Nansen-Schutzagenda für Menschen auf der Flucht vor Naturkatastrophen, Volume 1 (PDF, Anzahl Seiten 56, 6.0 MB, Englisch)
  28. Nansen-Schutzagenda für Menschen auf der Flucht vor Naturkatastrophen, Volume 2 (PDF, Anzahl Seiten 104, 2.4 MB, Englisch)
  29. Platform on Disaster Displacement, abgerufen 7. August 2018
  30. The Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration (GCM), abgerufen am 7. August 2018
  31. „Globaler Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“, A/CONF.231/3 auf www.un.org vom 30. Juli 2018
  32. Heiko Maas, Ottmar Edenhofer, Johan Rockström: Es ist eine globale Kraftanstrengung. Klimaschutz muss zum neuen Imperativ der Außenpolitik werden. Denn bereits heute sind die sicherheitspolitischen Folgen des Klimawandels gravierend. In: Zeit online. 4. Juni 2019 (zeit.de [abgerufen am 10. Januar 2020]).
  33. Alison Heslin: Climate Migration and Cultural Preservation: The Case of the Marshallese Diaspora. In: Reinhard Mechler, Laurens M. Bouwer, Thomas Schinko, Swenja Surminski, JoAnne Linnerooth-Bayer (Hrsg.): Loss and damage from climate change. Concepts, methods and policy options. Springer, Cham 2018, ISBN 978-3-319-72025-8, S. 383–391, doi:10.1007/978-3-319-72026-5.
  34. AOSIS: Urgency of Now Declaration of Action. 2017, abgerufen am 3. Dezember 2018.
  35. McNamara, K. E.: Cross-border migration with dignity in Kiribati. In: Forced Migration Review. Band 49, 2015, S. 62 ff.
  36. Walter Kälin: Klimaflüchtlinge oder Katastrophenvertriebene. In: German Review on the United Nations. Band 65, Nr. 5, 2017, S. 207–212.