Ulrich Bräker

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Ulrich Bräker ca. 1793
Geburtshaus
Hof Dreischlatt (Jugendzeit)
Wohnhaus auf der Hochsteig

Ulrich Bräker, genannt Der arme Mann aus dem Toggenburg, auch Näppis-Ueli, (* 22. Dezember 1735 im Weiler Näppis (Scheftenau), Gemeinde Wattwil, Toggenburg; † im September 1798, begraben am 11. September 1798 in Wattwil) war ein Schweizer Schriftsteller. Die ehemalige Grafschaft Toggenburg gehörte zu Bräkers Lebenszeit zur Fürstabtei St. Gallen.

Leben

Bräker kam 1735 als Sohn einfacher Bauern zur Welt. In seiner Jugend war er Bauernknecht und Salpetersieder. 1754 zog er mit seinen Eltern nach Wattwil. Zu Beginn des Siebenjährigen Krieges warb ihn 1756 ein preussischer Werbeoffizier mit List und Tücke als gemeinen Soldaten für das „Regiment Itzenplitz zu Fuß“ an. Desillusioniert vom Ergebnis seines Aufbruchs in die Fremde, desertierte Bräker noch im selben Jahr während der Schlacht bei Lobositz in Böhmen und kehrte nach Hause zurück.[1] Er heiratete Salome Ambühl (1735–1822)[2] und hatte sieben Kinder, von denen einige bereits im Kindesalter starben. Er verdiente seinen Lebensunterhalt als Kleinbauer und Baumwollfergger. Seit spätestens 1784 litt er an häufigen Kopfschmerzen („migrenie“).

Durch Lesen konnte er seinen Horizont erweitern, und er begann Tagebuchaufzeichnungen zu machen. Entdeckt wurde er von Johann Ludwig Ambühl, dem Wattwiler Schulmeister und Mitglied der Evangelischen Moralischen Gesellschaft im Toggenburg zu Lichtensteig, in die Bräker 1776 aufgenommen wurde. Bräker veröffentlichte in Ambühls Brieftasche aus den Alpen erste Texte. Dank der Bekanntschaft mit Hans Heinrich Füssli, Zürich, konnte er diese dann veröffentlichen. Er las auch Werke Shakespeares und verfasste Kommentare zu diesen.

Ulrich Bräkers Nachlass wird in der Kantonsbibliothek St. Gallen (Vadiana) und im Staatsarchiv des Kantons St. Gallen aufbewahrt.

Werk

Die Bedeutung des aufgeklärten Pietisten Bräker liegt vor allem darin, dass mit ihm jemand aus einer Volksschicht zu Wort kommt, von der es sonst keine eigenen Aufzeichnungen aus dieser Zeit gibt. Bekannt geworden ist vor allem der Bericht über seinen halbjährigen Dienst in der Armee Friedrichs des Grossen. Dieser prägte über eine lange Zeit das öffentlich wahrgenommene Bild der preussischen Armee und ihrer zahlreichen Söldnersoldaten. Bräker kann allerdings nicht nur als „Zeuge der Anklage“ wider den Zwang des preussischen Militärsystems im 18. Jahrhundert und als „Musterdeserteur“ gesehen, sondern auch als Zeuge der Wirksamkeit eines positiv zu bewertenden Korpsgeistes verstanden werden.[3] Die aufgefundenen und erst 2015 veröffentlichten Briefe zweier preussischer Regimentskameraden Bräkers erweitern wesentlich das verfüg- und auswertbare Quellenmaterial einfacher Musketiere aus dem Siebenjährigen Krieg.[4] Ihre Sorgen unterscheiden sich erheblich von denen des Soldaten aus der Schweiz. Sie lassen das Alltagsleben preussischer Bauernsoldaten erkennen und geben Hinweise auf die dörfliche Wirklichkeit während des Krieges.

Die Lebensgeschichte und Natürliche Ebenteuer des Armen Mannes im Tockenburg ist die Autobiographie Bräkers. Sie wird als sein Hauptwerk angesehen. Das Originalmanuskript ist verloren gegangen, erhalten sind nur die Erstausgaben, erschienen bei Hans Heinrich Füssli, Zürich.

Rezeption

Ernst Wiechert gibt Bräkers Der arme Mann im Toggenburg in seinen Jeromin-Kindern, Band 2, Kapitel IV, eine Schlüsselstellung, als der Dorfschullehrer Stilling seinem Schützling Jons Jeromin wegen der Inflation nach dem Ersten Weltkrieg keine finanzielle Unterstützung mehr zukommen lassen kann und ihm als Letztes dieses Buch kauft: „Sieben Brote reichten für eine oder zwei Wochen, aber ein Buch könne für ein ganzes Leben reichen.“

Bräkers Beschäftigungen mit Shakespeare, eigener Theaterarbeit und Toggenburg tauchen kombiniert in Erich Kästners Gedicht Hamlets Geist auf, in dem es um eine aus dem Ruder laufende Hamlet-Aufführung am «Toggenburger Stadttheater» geht.

Werke

  • Lebensgeschichte und Natürliche Ebenteuer des Armen Mannes im Tockenburg. Hrsg.: Werner Günther. Reclam, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-15-002601-4.
  • Ein wort der vermahnung, An mich und die Meinigen Dass nichts besers sey den Gott förchten zu allezeiten, 1768–1771.
  • Raissonierendes Baurengespräch über das Bücherlesen, 1777.
  • Vermischte Lieder vor den Land-Mann, 1779.
  • Etwas über William Shakespeares Schauspiele, 1780.
  • Die Gerichtsnacht oder Was ihr wollt. Theaterstück, 1780.
  • Jauss, der Libens Ritter. Romanfragment, enthalten in den Tagebüchern, 1789/90.
  • Tagebuch des Armen Mannes […], Zürich 1792, online und PDF (9MB) bei google-books
  • Gesammelte Schriften: Andreas Bürgi, Christian Holliger, Claudia Holliger-Wiesmann, Heinz Graber, Alfred Messerli, Alois Stadler (Hrsg.): Ulrich Bräker. Sämtliche Schriften. C.H. Beck, München.

Zitate

  • „... zudem ist Toggenburg gar kein so rauhes land – es hat eben auch seine eigenen annehmlichkeiten – wie alle andern länder.“
  • „... o predigt doch nur von der Speisse, die eüer magen selbst verdaut hat.“
  • „in gesunden tagen, fählen einem hundertsieben sachen – und in kranken nur eine.“

Literatur

  • Manfred Engel: Traumnotate in Dichter-Tagebüchern (Bräker, Keller, Schnitzler). In: Bernard Dieterle, Manfred Engel (Hrsg.): Writing the Dream / Écrire le rêve (= Cultural Dream Studies 1). Königshausen & Neumann, Würzburg 2017, S. 211–238.
  • Hermann Wartmann: Brägger, Ulrich. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 3, Duncker & Humblot, Leipzig 1876, S. 232.
  • Ernst Alther: Ueli Bräker und seine Familie. Vorfahren, Verwandtschaft, Versippung. In: Toggenburger Annalen, Band 12, 1985, S. 9–25.
  • Samuel Voellmy: Bräker, Ulrich. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 2, Duncker & Humblot, Berlin 1955, ISBN 3-428-00183-4, S. 506 (Digitalisat).
  • Georg Thürer: Bräker, Ulrich. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
  • Rosmarie Zeller: Bräkers geselliger Umgang mit Büchern. online bei google-books.
  • Alois Stadler, Wolfgang Göldi: Heriemini – welch eine Freyheit. Ulrich Bräker über „Himmel, Erde und Höll“. Zürich 1998, ISBN 3-280-02741-1.
  • Jürgen Kloosterhuis: Donner, Blitz und Bräker. Der Soldatendienst des ‚armen Mannes im Tockenburg‘ aus der Sicht des preußischen Militärsystems. In: Alfred Messerli, Adolf Muschg (Hrsg.): Schreibsucht. Autobiografische Schriften des Pietisten Ulrich Bräker (1725–1798). Göttingen 2004, S. 129–187.
  • Seybold Dietrich: Ulrich Bräker. In: Andreas Kotte (Hrsg.): Theaterlexikon der Schweiz. Band 1, Chronos, Zürich 2005, ISBN 3-0340-0715-9, S. 259 f.
  • Kathrin Hilber u. a. (Hrsg.): Sankt-Galler Geschichte 2003. St.Gallen 2003, ISBN 3-908048-43-5 (9 Bände).
  • Thomas Höhle: Literatur und Autoren zur Zeit der Aufklärung. In: W. Wunderlich (Hrsg.): St.Gallen. Geschichte einer literarischen Kultur. Konstanz 1999, ISBN 3-908701-06-6.
  • Alfred Messerli, Adolf Muschg (Hrsg.): Schreibsucht. Göttingen 2004, 10 Essays über Bräkers Werke, online bei google-books
  • Claudia Ulbrich: Schreibsucht? zu den Leidenschaften eines gelehrten Bauern. online bei google-books
  • Holger Böning: Ulrich Bräker, der arme Mann aus dem Toggenburg. Eine Biographie. 2. Auflage. Orell Füssli, Zürich 1998, ISBN 3-280-02455-2.
  • Dennis Barkmin: Ulrich Bräker: Ein Vorbild im Zeitalter der Globalisierung? Eine Analyse der ökonomischen Denk- und Handlungsmuster des Schweizer Verlegers unter Berücksichtigung der Religionssoziologie Max Webers. Zwischen Traditionalismus und Modernität. ibidem, 2009, ISBN 978-3-89821-974-7.

Weblinks

Commons: Ulrich Bräker – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Ulrich Bräker – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. Zur militärischen Einordnung vgl. Willy Pfister: Aargauer in fremden Kriegsdiensten. In: Beiträge zur Aargauergeschichte. 1980. Martin Küster: Ein Toggenburger in Berlin. In: Berlinische Monatsschrift (Luisenstädtischer Bildungsverein). Heft 8, 1998, ISSN 0944-5560, S. 4 (luise-berlin.de).
  2. Susanne Hoffmann: Selbsthilfe im Krankheitsfall bei Ulrich Bräker (1735–1798): Die kulturellen und sozialen Ressourcen des „armen Mannes im Tockenburg“ analysiert mit Pierre Bourdieus Kapitalkonzept. In: Würzburger medizinhistorische Mitteilungen, Band 25, 2006, S. 19–41, hier: S. 19.
  3. Jürgen Kloosterhuis: Donner, Blitz und Bräker. Der Soldatendienst des ‚armen Mannes im Tockenburg‘ aus der Sicht des preußischen Militärsystems. In: Alfred Messerli u Adolf Muschg (Hrsg.): Schreibsucht. Autobiografische Schriften des Pietisten Ulrich Bräker (1725–1798). Göttingen 2004, S. 170 u. 186
  4. Christian F. Zander: „einen Hund estemiert man beßer …“ Preußische Soldatenbriefe (1747–1758). In: Ders.: Fundstücke. Dokumente und Briefe einer preußischen Bauernfamilie (1747–1953). Hamburg 2015, S. 15–158.

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Haus, in dem Ulrich Bräker 1735 geboren wurde
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Hof bei Lichtensteig, wo Ulrich Bräker seine Jugendjahre verbrachte
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Wohnhaus Bräker im Hochsteig.jpg
Wohnhaus von Ulrich Bräker, Darstellung ca. 1794 (Wohnhaus Ulrich Bräkers, erbaut 1760/61, abgebrannt 1836)