U-Verlagerung

(c) Bundesarchiv, Bild 146-1982-161-22 / CC-BY-SA 3.0
Deutscher Rüstungsbetrieb unter Tage, ca. 1942/1944
Zugang zur ehemaligen U-Verlagerung Kauz im 722 m langen Schee-Tunnel der Bahnstrecke Hattingen–Wuppertal

U-Verlagerung (Untertage-Verlagerung) bezeichnet eine Vielzahl von unter die Erdoberfläche verlagerten, deutschen Rüstungs-Produktionsanlagen während des Zweiten Weltkriegs.

Bauten

Nachdem die deutschen Rüstungsbetriebe Peenemünde durch die britische Operation Hydra stark beschädigt worden waren, beschloss die NS-Regierung die Verlagerung von kriegswichtigen Fabriken unter Tage. Vor allem in alten Bergwerken, Eisenbahntunneln oder in neu angelegten Stollen fanden die Betriebe Platz. Neben der dargestellten Verbindung Hattingen-Wuppertal war auch die nahegelegene Bahnstrecke Witten–Schwelm betroffen: Dort nutzte man den Silscheder Tunnel, den Klosterholztunnel, den Schwelmer Tunnel und den Linderhauser Tunnel mit den Tarnnamen „Buchfink“, „Goldammer“ und „Meise“ (Letzterer bezog sich aufgrund der parallelen Lage sowohl auf den Schwelmer als auch auf den Linderhauser Tunnel) für die Rüstung, in denen Zwangsarbeiter Waffen herstellen mussten. Der große Arbeitskräftebedarf in den U-Verlagerungen wurde durch Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge neu errichteter Konzentrationslager gedeckt. Das größte der eigens für die U-Verlagerung gebauten Lager war das KZ Mittelbau-Dora, dessen Häftlinge in der Stollenanlage im Kohnstein bei Nordhausen eingesetzt wurden. Die Zwangsarbeiter wurden unmenschlich behandelt, alleine in Mittelbau-Dora starben in eineinhalb Jahren 20.000 Menschen.

Insbesondere wurde die Herstellung synthetischen Benzins im sogenannten Geilenberg-Programm unter die Erde verlegt. Das Programm wurde nach Edmund Geilenberg, dem Generalkommissar für Sofortmaßnahmen beim Reichsministerium für Rüstung- und Kriegsproduktion benannt.

Unter der Regie des Jägerstabs wurde die deutsche Flugzeugindustrie dezentralisiert und in unterirdische Entwicklungs- und Produktionsanlagen verlegt. Hierzu gehörte auch der Rüstungsbunker mit dem Tarnnamen Weingut I bei Mühldorf am Inn.

Auch am Freienseener Tunnel in Hessen gab es eine zweite Röhre für ein derartiges Vorhaben. Ein Tarnname wurde nicht verwendet.

Nachwirkung

Durch eine (unterirdische) Westverlagerung von Rüstungsindustrien konnten viele im Osten des Reiches angesiedelten Betriebe der Roten Armee und der sowjetischen Besatzungszone entgehen und somit nach Kriegsende ihre Produktion in anderer Form weiterführen.[1] Der erwartete totale Zusammenbruch der attackierten Rüstungsbetriebe konnte von den Alliierten nicht erreicht werden. Ein wesentlicher Grund war, dass die Luftangriffe zwar starke Schäden an Gebäuden anrichteten, aber die Maschinen selbst wesentlich geringer beschädigt wurden. Sie konnten daher oft geborgen und verlagert werden.[2] Das Überdauern der Maschinen war eine wichtige Voraussetzung für das in der Nachkriegszeit einsetzende Wirtschaftswunder.[2]

Galerie

Das heutige Innere der ehemaligen U-Verlagerung Kauz. Erkennbar ist eine Reihe von mittlerweile wieder abgetrennten Stahlträgern, mit deren Hilfe eine Kranbahn mit einer Laufkatze in den Tunnel eingezogen wurde.

Siehe auch

Literatur

  • Henry Hatt: Deckname Steinbock II. BoD, Norderstedt 2014, ISBN 978-3-8423-7510-9.
  • Hans Walther Wichert (Hrsg.): Decknamenverzeichnis deutscher unterirdischer Bauten, Ubootbunker, Ölanlagen, chemischer Anlagen und WiFo-Anlagen des zweiten Weltkrieges. 2. Auflage. Schulte, Marsberg 1999, ISBN 3-9803271-4-0.
  • Klaus W. Müller, Willy Schilling: Deckname Lachs. Die Geschichte der unterirdischen Fertigung der Me 262 im Walpersberg bei Kahla 1944/45. 4. Auflage. Jung, Zella-Mehlis / Meiningen 2002, ISBN 3-930588-30-7.
  • Frederic Gümmer: Die Rolle der Untertageverlagerung in der deutschen Rüstungsproduktion 1943–1945. GRIN-Verlag, München 2007, ISBN 978-3-638-92393-4.
  • Horst Hassel, Horst Klötzer: Kein Düsenjägersprit aus Schwalbe 1. Zimmermann Druck + Verlag, Balve 2011, ISBN 978-3-89053-127-4.
Commons: U-Verlagerung – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Jens-Christian Wagner: Produktion des Todes – Das KZ Mittelbau-Dora. Hrsg.: Jens Christian Wagner. 1. Auflage. Wallstein, Göttingen 2001, ISBN 3-89244-439-0, S. 116–118.
  2. a b Perz, Bertrand: Das Projekt "Quarz": Der Bau einer unterirdischen Fabrik durch Häftlinge des KZ Melk für die Steyr-Daimler-Puch AG 1944–1945. 2. Auflage. Innsbruck 2014, ISBN 978-3-7065-4185-5, S. 140–173.

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Es folgt die historische Originalbeschreibung, die das Bundesarchiv aus dokumentarischen Gründen übernommen hat. Diese kann allerdings fehlerhaft, tendenziös, überholt oder politisch extrem sein.
Die Fertigung ist angelaufen. Hunderte von Maschinen haben in einem Saal des unterirdischen Betriebes Platz gefunden. Kein Alarm, keine Bombe kann die Arbeit stören. Die Anweisung des Reichsministers Speer, wichtige Fertigungszweige rechtszeitig unter die Erde zu verlagern, hat wesentlich dazu beigetragen, dass die deutsche Rüstung trotz des Bombenterrors stetig steigende Leistungen vollbringt.
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Scheetunnel an der Bahnstrecke Wuppertal-Wichlinghausen–Hattingen, Nordportal im Stadtgebiet von Sprockhövel: links der zugemauerte Zugang zur Oströhre (ehemalige U-Verlagerung „Kauz“)
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Das Innere der ehemaligen U-Verlagerung „Kauz“ in der Oströhre des Scheetunnels an der Bahnstrecke Wuppertal-Wichlinghausen–Hattingen; Bereich wahrscheinlich in der Nähe des Nordportals (Stadtgebiet Sprockhövel)
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U-Verlagerung Dachs 1, Porta Westfalica, Maschinenhalle
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Scheetunnel (Oströhre); seitliche Kammer in der ehemaligen U-Verlagerung Kauz; Bereich wahrscheinlich in der Nähe des Nordportals (Stadtgebiet Sprockhövel)
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U-Verlagerung Stöhr 1, Porta Westfalica,
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Stollenanlage Schwalbe I im Hönnetal, Hemer-Deilinghofen
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Mittelbau Dora, Besuchergalerie im rechten Hauptstollen mit ausbetoniertem Ausstellungsraum
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Scheetunnel (Oströhre); abgetrennter Stahlträger in der ehemaligen U-Verlagerung Kauz; Bereich wahrscheinlich in der Nähe des Nordportals (Stadtgebiet Sprockhövel)