U-Verlagerung
U-Verlagerung (Untertage-Verlagerung) bezeichnet eine Vielzahl von unter die Erdoberfläche verlagerten, deutschen Rüstungs-Produktionsanlagen während des Zweiten Weltkriegs.
Bauten
Nachdem die deutschen Rüstungsbetriebe Peenemünde durch die britische Operation Hydra stark beschädigt worden waren, beschloss die NS-Regierung die Verlagerung von kriegswichtigen Fabriken unter Tage. Vor allem in alten Bergwerken, Eisenbahntunneln oder in neu angelegten Stollen fanden die Betriebe Platz. Neben der dargestellten Verbindung Hattingen-Wuppertal war auch die nahegelegene Bahnstrecke Witten–Schwelm betroffen: Dort nutzte man den Silscheder Tunnel, den Klosterholztunnel, den Schwelmer Tunnel und den Linderhauser Tunnel mit den Tarnnamen „Buchfink“, „Goldammer“ und „Meise“ (Letzterer bezog sich aufgrund der parallelen Lage sowohl auf den Schwelmer als auch auf den Linderhauser Tunnel) für die Rüstung, in denen Zwangsarbeiter Waffen herstellen mussten. Der große Arbeitskräftebedarf in den U-Verlagerungen wurde durch Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge neu errichteter Konzentrationslager gedeckt. Das größte der eigens für die U-Verlagerung gebauten Lager war das KZ Mittelbau-Dora, dessen Häftlinge in der Stollenanlage im Kohnstein bei Nordhausen eingesetzt wurden. Die Zwangsarbeiter wurden unmenschlich behandelt, alleine in Mittelbau-Dora starben in eineinhalb Jahren 20.000 Menschen.
Insbesondere wurde die Herstellung synthetischen Benzins im sogenannten Geilenberg-Programm unter die Erde verlegt. Das Programm wurde nach Edmund Geilenberg, dem Generalkommissar für Sofortmaßnahmen beim Reichsministerium für Rüstung- und Kriegsproduktion benannt.
Unter der Regie des Jägerstabs wurde die deutsche Flugzeugindustrie dezentralisiert und in unterirdische Entwicklungs- und Produktionsanlagen verlegt. Hierzu gehörte auch der Rüstungsbunker mit dem Tarnnamen Weingut I bei Mühldorf am Inn.
Auch am Freienseener Tunnel in Hessen gab es eine zweite Röhre für ein derartiges Vorhaben. Ein Tarnname wurde nicht verwendet.
Nachwirkung
Durch eine (unterirdische) Westverlagerung von Rüstungsindustrien konnten viele im Osten des Reiches angesiedelten Betriebe der Roten Armee und der sowjetischen Besatzungszone entgehen und somit nach Kriegsende ihre Produktion in anderer Form weiterführen.[1] Der erwartete totale Zusammenbruch der attackierten Rüstungsbetriebe konnte von den Alliierten nicht erreicht werden. Ein wesentlicher Grund war, dass die Luftangriffe zwar starke Schäden an Gebäuden anrichteten, aber die Maschinen selbst wesentlich geringer beschädigt wurden. Sie konnten daher oft geborgen und verlagert werden.[2] Das Überdauern der Maschinen war eine wichtige Voraussetzung für das in der Nachkriegszeit einsetzende Wirtschaftswunder.[2]
Galerie
- Reste abgetrennter Stahlträger
- Eine Nebenkammer in der U-Verlagerung Kauz
- Maschinenhalle Dachs I ⊙ Porta Westfalica
- Treppenhaus in den Röhrenwerken Stöhr 1 ⊙ Porta Westfalica
- Stollen von Schwalbe I im Hönnetal
- Mittelbau Dora bei Nordhausen
Siehe auch
Literatur
- Henry Hatt: Deckname Steinbock II. BoD, Norderstedt 2014, ISBN 978-3-8423-7510-9.
- Hans Walther Wichert (Hrsg.): Decknamenverzeichnis deutscher unterirdischer Bauten, Ubootbunker, Ölanlagen, chemischer Anlagen und WiFo-Anlagen des zweiten Weltkrieges. 2. Auflage. Schulte, Marsberg 1999, ISBN 3-9803271-4-0.
- Klaus W. Müller, Willy Schilling: Deckname Lachs. Die Geschichte der unterirdischen Fertigung der Me 262 im Walpersberg bei Kahla 1944/45. 4. Auflage. Jung, Zella-Mehlis / Meiningen 2002, ISBN 3-930588-30-7.
- Frederic Gümmer: Die Rolle der Untertageverlagerung in der deutschen Rüstungsproduktion 1943–1945. GRIN-Verlag, München 2007, ISBN 978-3-638-92393-4.
- Horst Hassel, Horst Klötzer: Kein Düsenjägersprit aus Schwalbe 1. Zimmermann Druck + Verlag, Balve 2011, ISBN 978-3-89053-127-4.
Weblinks
- Untertageverlagerungen der Rüstungsindustrie im südlichen Niedersachsen, Thomas Krassmann (PDF; 397 kB)
- Website über U-Verlagerungen in Deutschland/Europäischen Ausland aber auch Altbergbau, eine wichtige Grundlage für U-Verlagerungen
- U-Verlagerungen in Reichsbahntunnels (Strecke Witten–Schwelm)
- U-Verlagerung der Messerschmitt AG „Cerusit“: in Oberammergau (Bayern) und „Ente“: in Eschenlohe (Bayern) auf der Webseite von Herbert Thiess
- Die OT-Rüstungsbauten unter der Oberbauleitung „Ringeltaube“
- Website Über- und Untertage
- Website U-Verlagerungen & Altbergbau: Zahlreiche U-Verlagerungen und deren Lost Places
- U-Verlagerungen auf LostAreas
- Playlist von Lostplace Produktions auf Youtube mit dem Thema U-Verlagerungen
- Unterirdische Rüstungsverlagerungen
- Geman History: Ausführliche Beschreibung von ausgewählten U Verlagerungen
Einzelnachweise
- ↑ Jens-Christian Wagner: Produktion des Todes – Das KZ Mittelbau-Dora. Hrsg.: Jens Christian Wagner. 1. Auflage. Wallstein, Göttingen 2001, ISBN 3-89244-439-0, S. 116–118.
- ↑ a b Perz, Bertrand: Das Projekt "Quarz": Der Bau einer unterirdischen Fabrik durch Häftlinge des KZ Melk für die Steyr-Daimler-Puch AG 1944–1945. 2. Auflage. Innsbruck 2014, ISBN 978-3-7065-4185-5, S. 140–173.
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(c) Bundesarchiv, Bild 146-1982-161-22 / CC-BY-SA 3.0
Autor/Urheber: Markus Schweiss, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Scheetunnel an der Bahnstrecke Wuppertal-Wichlinghausen–Hattingen, Nordportal im Stadtgebiet von Sprockhövel: links der zugemauerte Zugang zur Oströhre (ehemalige U-Verlagerung „Kauz“)
Autor/Urheber: Markus Schweiss, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Das Innere der ehemaligen U-Verlagerung „Kauz“ in der Oströhre des Scheetunnels an der Bahnstrecke Wuppertal-Wichlinghausen–Hattingen; Bereich wahrscheinlich in der Nähe des Nordportals (Stadtgebiet Sprockhövel)
(c) Jochen Bergmann, CC BY-SA 2.0 de
U-Verlagerung Dachs 1, Porta Westfalica, Maschinenhalle
Autor/Urheber: Markus Schweiss, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Scheetunnel (Oströhre); seitliche Kammer in der ehemaligen U-Verlagerung Kauz; Bereich wahrscheinlich in der Nähe des Nordportals (Stadtgebiet Sprockhövel)
Autor/Urheber: Ad.ac, Lizenz: CC0
Stollenanlage Schwalbe I im Hönnetal, Hemer-Deilinghofen
Autor/Urheber: sockenhorst, Lizenz: CC0
Mittelbau Dora, Besuchergalerie im rechten Hauptstollen mit ausbetoniertem Ausstellungsraum
Autor/Urheber: Markus Schweiss, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Scheetunnel (Oströhre); abgetrennter Stahlträger in der ehemaligen U-Verlagerung Kauz; Bereich wahrscheinlich in der Nähe des Nordportals (Stadtgebiet Sprockhövel)