Tyrothricin

Strukturformel
Strukturformel von Tyrocidin A
Strukturformel der Komponente Tyrocidin A
Allgemeines
FreinameTyrothricin
Summenformelvgl. Tabelle
Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer1404-88-2
EG-Nummer215-771-0
ECHA-InfoCard100.014.337
PubChem452550
DrugBankDB13503
WikidataQ419421
Arzneistoffangaben
ATC-Code
Wirkstoffklasse

Antibiotika

Eigenschaften
Molare Massevgl. Tabelle
Sicherheitshinweise
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GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[1]
keine GHS-Piktogramme

H- und P-SätzeH: keine H-Sätze
P: keine P-Sätze
Toxikologische Daten

> 3000 mg·kg−1 (LD50Mausoral)[2]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Tyrothricin ist ein Gemisch verschiedener antibakteriell wirksamer linearer und cyclischer Polypeptide aus den Gruppen der Gramicidine und Tyrocidine. Sie werden endotoxinartig durch den anaeroben sporenbildenden Bacillus aneurinolyticus (Syn. Bacillus brevis) gebildet. Der Wirkungsbereich umfasst vorwiegend grampositive Bakterien, aber auch einige gramnegative Bakterien und verschiedene Pilzarten, wie beispielsweise Candida albicans.

Tyrothricin wird den Polypeptid-Antibiotika zugeordnet, der unter anderem auch Actinomycin, Bacitracin und die Polymyxine angehören.

Zusammensetzung

Tyrothricin enthält 50 bis 70 % Tyrocidine und 25 bis 50 % Gramicidine, die insgesamt mindestens 85 % des Wirkstoffs ausmachen.[3] Daneben kommen in kleinen Mengen weitere strukturverwandte Polypeptide vor.

Struktur der Tyrocidine in Tyrothricin
Grundgerüst
D-PheL-ProXYL-AsnL-GlnZL-ValL-OrnL-Leu
└────────────────────────────────────────────┘
TyrocidinSummenformelMolmasseCAS-Nr.XYZ
AC66H88N13O1312711481-70-5L-PheD-PheL-Tyr
BC68H89N14O131311865-28-1L-TrpD-PheL-Tyr
CC70H90N15O1313503252-29-7L-TrpD-TrpL-Tyr
DC72H91N16O12137319716-16-6L-TrpD-TrpL-Trp
EC66H88N13O12125519659-41-7L-PheD-PheL-Phe
Struktur der Gramicidine in Tyrothricin
Grundgerüst
HCO–XGlyL-AlaD-LeuL-AlaD-ValL-ValD-ValL-Trp–
D-LeuYD-LeuL-TrpD-LeuL-Trp-NH-CH2-CH2-OH
GramicidinSummenformelMolmasseXY
A1C99H140N20O171882L-ValL-Trp
A2C100H142N20O171896L-IleL-Trp
C1C97H139N19O181859 L-ValL-Tyr
C2C98H141N19O181873 L-IleL-Tyr

Wirkung

Bakteriostatische bzw.
bakterizide Wirkung gegen
Hemmdosis
in μg/ml
Staphylococcus aureus MSSA04
Staphylococcus aureus MRSA04
Staphylococcus haemolyticus04
Streptococcus pyogenes00,5
Streptococcus viridans01 – 5
Enterococcus faecalis02
Diplococcus pneumonia01
Corynebakterium spp.02
Clostridia00,1 – 10
Candida albicans16
Candida parapsilosis32

Tyrothricin ist ein antimikrobielles Polypeptid, das die Zellmembran verschiedener Mikroorganismen irreversibel schädigt.[4] Es ähnelt in seiner Wirkweise sehr den antimikrobiellen Peptiden (oder host defense peptides), wie sie aus Eukaryoten bekannt sind (z. B. Defensin und Cathelicidin). Aufgrund dieser Ähnlichkeit werden sie heute vermehrt auch dieser Gruppe zugeordnet (nicht-ribosomal synthetisierte antimikrobielle Polypeptide).[5]

Als Gemisch zweier aktiver Substanzgruppen wirkt Tyrothricin auf zwei Wegen auf die mikrobielle Zellwand:

  • Tyrocidine lagern sich in die Zellmembran von Mikroorganismen ein und zerstören damit deren Funktion. Der genaue Ort und Mechanismus sind bisher unbekannt.
  • Gramicidine bilden kationenselektive Kanäle in der Zellmembran, durch die monovalent geladene Kationen (wie z. B. Kalium, Natrium) die Membran passieren können. Hierbei wird unter anderem der Ionengradient zwischen Cytoplasma und extrazellulärem Medium aufgehoben.

Resistenzanalysen zeigen, dass Tyrothricin trotz des jahrzehntelangen Einsatzes eine ungebrochen hohe Wirksamkeit selbst gegen Staphylococcus aureus-Stämme mit multipler Antibiotikaresistenz (MRSA) zeigt.[6][7][8] Es bestehen zudem keine Kreuzresistenzen mit Polymyxin B und Colistin.

Der Grund dieser anhaltenden Wirksamkeit und ausbleibenden Resistenzentwicklung wird in dem direkten und doppelten Angriff auf die Zellmembran von Mikroorganismen vermutet. Um Resistenzen auszubilden, müssten Pathogene die Beschaffenheit und Zusammensetzung ihrer Zellmembranen ändern, ein komplizierter und (im Blick der Evolution) sehr aufwendiger Prozess.[7]

Aufgrund dieser gleichbleibend hohen Wirkung ist Tyrothricin mit seinen aktiven Bestandteilen Gramicidin und Tyrocidin in den letzten Jahren wieder verstärkt in den Blick der Forschung gelangt.[7][5]

In verschiedenen Experimenten wurden dabei auch andere Eigenschaften von Tyrothricin entdeckt, bspw. die Aktivierung des angeborenen unspezifischen Immunsystems oder die Hemmung der Ausschüttung des Tumornekrosefaktors TNF.[9]

Anwendung

Tyrothricin wird ausschließlich lokal eingesetzt. In diesem Zusammenhang wird das Antibiotikum in Form von Halstabletten bei Halsentzündungen und -schmerzen mit Schluckbeschwerden, bei Rachen- und Kehlkopfentzündungen sowie bei Entzündungen der Mundschleimhaut und des Zahnfleisches eingesetzt.[10] Das Peptid wird im Magen-Darm-Trakt zerstört, und es findet keine messbare Resorption bei lokaler Anwendung auf der Haut oder den Schleimhäuten statt.[11]

Darüber hinaus wird Tyrothricin zur lindernden Behandlung von kleinflächigen, oberflächlichen, wenig nässenden Wunden der Haut mit bakterieller Superinfektion mit Tyrothricin-empfindlichen Erregern, wie z. B. Riss-, Kratz-, Schürfwunden, eingesetzt.[12]

Nebenwirkungen

Bei lokalem Einsatz sind im Allgemeinen Überempfindlichkeitsreaktionen gegenüber dem Wirkstoff wie Brennen oder Jucken der Haut oder Schleimhaut beobachtet worden. Es liegen bislang keine Langzeitstudien über die Wirkung bei Schwangerschaft und Stillzeit vor.

Bei systemischer Aufnahme kann es zu starken nephro- und neurotoxischen Nebenwirkungen kommen.

Geschichte

Tyrosolvetten (Tyrosolvin-Pastillen) von Byk Gulden zur lokalen Behandlung bei Infektionen der Mundhöhle und des Rachens. Zusätzlich enthalten waren das antiseptisch wirkende Cetylpyridiniumchlorid und das Lokalanästhetikum Benzocain.

Tyrothricin wurde 1939 von dem Franzosen René Jules Dubos bei Brutversuchen mit Bodenproben und Pneumokokken entdeckt[13] und aus Kulturfiltraten von Bacillus brevis isoliert. Die ersten Markennamen waren Tyrosolvin (von Byk Gulden) und Tyrocid (von Grünenthal).[14]

Handelsnamen

Monopräparate

Tyrosur (D)[15]

Kombinationspräparate

zahlreiche Generika (A, CH)

Einzelnachweise

  1. Datenblatt Tyrothricin from Bacillus aneurinolyticus (Bacillus brevis) bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 29. Mai 2011 (PDF).
  2. H. Sous, H. Keller, H. E. Kleine-Natrop, W. Krupe, W. Rothe, H. Muckter: [Experimental basis of the use of a tyrothricin-xanthocillin combination in local therapy of bacterial infections]. In: Arzneimittel-Forschung. Band 7, Nummer 2, Februar 1957, S. 98–103, PMID 13412586.
  3. European Pharmacopoeia. Edition 8.0, 2015, S. 3502.
  4. Theodor Dingermann u. a.: Pharmazeutische Biologie – Molekulare Grundlagen und klinische Anwendung. Springer Verlag, Frankfurt/ München 2002, ISBN 3-540-42844-5.
  5. a b B. M. Spathelf: Qualitative structure-activity relationships of the major tyrocidines, cyclic decapeptides from Bacillus aneurinolyticus. Dissertation. University of Stellenbosch, 2010, (Kapitel 1.4).
  6. M. Kretschmar, W. Witte, H. Hof: Bactericidal activity of tyrothricin against methicillin-resistant Staphylococcus aureus with reduced susceptibility to mupirocin. In: European journal of clinical microbiology & infectious diseases : official publication of the European Society of Clinical Microbiology. Band 15, Nummer 3, März 1996, S. 261–263. PMID 8740868.
  7. a b c M. A. Marques, D. M. Citron, C. C. Wang: Development of Tyrocidine A analogues with improved antibacterial activity. In: Bioorganic & Medicinal Chemistry. Band 15, Nummer 21, November 2007, S. 6667–6677, doi:10.1016/j.bmc.2007.08.007. PMID 17728134. PMC 2706120 (freier Volltext).
  8. M. Stauss-Grabo, S. Atiye, T. Le, M. Kretschmar: Decade-long use of the antimicrobial peptide combination tyrothricin does not pose a major risk of acquired resistance with gram-positive bacteria and Candida spp. In: Pharmazie. 69(11), Nov 2014, S. 838–841. PMID 25985581.
  9. M. Flügel: Kationische Peptide – mehr als Antibiotika. In: Deutsche Apotheker Zeitung. Nr. 48, 2013, S. 26.
  10. Beipackzettel Dorithricin Halstabletten (PDF; 1,8 MB).
  11. H. E. Voigt, G. Ehlers: Tyrothricin: Renaissance eines Lokalantibiotikums Teil I. In: Der Deutsche Dermatologe. 37(6), 1989, S. 647–650.
  12. Beipackzettel Tyrosur Gel (Memento vom 13. August 2015 im Internet Archive) (PDF; 112 kB).
  13. Alfons Metzner: Weltproblem Gesundheit. Imhausen International Company mbh, Lahr (Schwarzwald) 1961, S. 237.
  14. Karl Wurm, A. M. Walter: Infektionskrankheiten. In: Ludwig Heilmeyer (Hrsg.): Lehrbuch der Inneren Medizin. Springer-Verlag, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 9–223, hier: S. 54.
  15. ROTE LISTE 2017, Verlag Rote Liste Service GmbH, Frankfurt am Main, ISBN 978-3-946057-10-9, S. 224.

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Tyrosolvetten Tyrosolvin Pastillen.jpg
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Tyrosolvetten (Tyrosolvin Pastillen) von Byk Gulden, Zusammensetzung: 1 Pastille enthält: Tyrothricin 0,001; Cetylpyridiniumchlorid 0,001; Benzocain 0,005; Bindemittel und Geschmacksstoffe