Transfinite Arithmetik

Die transfinite Arithmetik ist die Arithmetik der Ordinalzahlen. Die arithmetischen Operationen zwischen Ordinalzahlen kann man mittels transfiniter Rekursion als stetige Fortsetzung der finiten Rechenoperationen einführen oder durch geeignete Mengenkompositionen, so dass ihre Einschränkung auf den endlichen Ordinalzahlen der üblichen Arithmetik bei den natürlichen Zahlen entspricht. Die Addition und die Multiplikation von Ordinalzahlen ist von Cantor (1897) durch Komposition eingeführt worden, das Potenzieren dagegen funktional mittels Grenzübergang.[1] Die erste ausführliche und systematische Studie über transfinite Arithmetik stammt von Ernst Jacobsthal („Über den Aufbau der transfiniten Arithmetik“, Math. Ann., 1909). Sie zeigt, dass beide Methoden – die funktionale und die Kompositionsmethode – zu denselben Rechenoperationen führen.

Addition

Falls eine von zwei Ordinalzahlen die leere Menge ist, dann ist ihre Summe gleich der anderen Ordinalzahl. Um die Summe zweier nichtleerer Ordinalzahlen und zu definieren, geht man so vor: Man benennt die Elemente von so um, dass und die umbenannte Menge disjunkt sind, und „schreibt links neben “, d. h. man vereinigt mit und definiert die Ordnung so, dass innerhalb von und jeweils die vorige Ordnung gilt und jedes Element von kleiner ist als jedes Element von .[2][3] Auf diese Weise wird die neue Menge wohlgeordnet und ist ordnungsisomorph zu einer eindeutig bestimmten Ordinalzahl, die man mit bezeichnet. Diese Addition ist assoziativ und verallgemeinert die Addition natürlicher Zahlen.

Die erste transfinite Ordinalzahl ist die geordnete Menge aller natürlichen Zahlen, man bezeichnet sie mit . Veranschaulichen wir uns die Summe : Wir schreiben die zweite Kopie als , dann haben wir

Diese Menge ist nicht , denn in ist die die einzige Zahl ohne unmittelbaren Vorgänger, und hat zwei Elemente ohne unmittelbaren Vorgänger ( und ). Die Menge sieht so aus:

Wir haben also . Dagegen ist

ungleich , denn ist das größte Element von , aber hat kein größtes. Also ist die Addition nicht kommutativ.[4] Man kann die Summe von zwei Ordinalzahlen und funktional folgendermaßen definieren, wobei beide Definitionen in ZF äquivalent sind:

  • falls , dann sei ,
  • falls isoliert ist und der Vorgänger von ist, dann sei ,
  • falls eine Limeszahl ist, dann sei .

Die Addition ist monoton. Das heißt: und . Falls , dann existiert eine eindeutig bestimmte Ordinalzahl , so dass . Man bezeichnet sie mit: .[5] Seien und zwei Ordinalzahlen. Falls die Gleichung eine Lösung hat, dann hat sie im Falle unendlich viele Lösungen und im Falle genau eine. Hat überhaupt Lösungen, dann versteht man unter die kleinste unter ihnen. In diesem Sinne gilt für jede isolierte Zahl : . Jede transfinite Ordinalzahl lässt sich auf genau eine Weise als Summe von einer Limeszahl und einer endlichen Ordinalzahl darstellen. Eine Ordinalzahl heißt Rest von , falls es eine Ordinalzahl gibt, so dass . Jede Ordinalzahl hat endlich viele Reste.[6]

Multiplikation

Um zwei Ordinalzahlen und zu multiplizieren, schreibt man hin und ersetzt jedes Element von durch eine andere Kopie von .[7] Das Ergebnis ist eine wohlgeordnete Menge, die isomorph zu genau einer Ordinalzahl ist, die man mit bezeichnet.[8] Auch diese Verknüpfung ist assoziativ und verallgemeinert die Multiplikation der natürlichen Zahlen.

Die Ordinalzahl ω·2 sieht so aus:

Man erkennt, dass ω·2 = ω + ω ist. Dagegen sieht 2·ω so aus:

und nach Umbenennen sehen wir, dass 2·ω = ω ist. Also ist auch die Multiplikation von Ordinalzahlen nicht kommutativ.

Eines der Distributivgesetze gilt für Ordinalzahlen: . Das kann man direkt aus den Definitionen ablesen. Jedoch gilt das andere Distributivgesetz nicht allgemein, denn z. B. ist (1+1)ω = 2·ω = ω, aber 1·ω + 1·ω = ω + ω.

Das neutrale Element der Addition ist die 0, das neutrale Element der Multiplikation ist die 1. Keine Ordinalzahl außer 0 hat ein Negatives (ein additiv inverses Element), also bilden die Ordinalzahlen mit der Addition keine Gruppe und erst recht keinen Ring. Die funktionale Definition der Multiplikation lautet:

  • falls , dann sei ,
  • für jede Ordinalzahl sei ,
  • falls eine Limeszahl ist, dann sei .

Es gelten die Monotoniegesetze:[9]

Für je zwei Ordinalzahlen und gilt .[9] Falls , dann heißt Linksteiler von und Rechtsteiler.[10] Man sagt auch, dass rechtsseitiges Vielfaches von und linksseitiges Vielfaches von ist. Die Limeszahlen sind die linksseitigen Vielfachen von .[10] Jede Ordinalzahl hat endlich viele Rechtsteiler und nur dann endlich viele Linksteiler, wenn sie keine Limeszahl ist.[10] Mengen aus positiven Ordinalzahlen haben einen größten gemeinsamen Rechtsteiler, einen größten gemeinsamen Linksteiler und ein kleinstes linksseitiges gemeinsames Vielfaches. Ein rechtsseitiges gemeinsames Vielfaches ist nicht immer vorhanden. Gegenbeispiel ist .[10] Für zwei Ordinalzahlen und existieren eindeutig bestimmte Ordinalzahlen und , so dass .

Allgemeine Summe

Sei ein Netz aus Ordinalzahlen mit der Ordinalzahl als Indexmenge. seien die Ordnungsrelationen der Kopien für . Die allgemeine Summe aller wird wie folgt definiert:

Die Multiplikation ist also ein Spezialfall der allgemeinen Summe:

Für jedes Ordinalzahlnetz existiert genau eine Funktion: mit den folgenden drei Eigenschaften:

  • für jede Ordinalzahl
  • für jede Limeszahl

Dem Wert entspricht genau die allgemeine Summe von .

Allgemeines Produkt

Für ein Ordinalzahlnetz sei

wobei

die Bezeichnung für die kanonische Projektion ist. Man definiere in die Relation:

Das allgemeine Produkt aller Elemente von wird durch

definiert. Das allgemeine Produkt besteht also aus Tupeln der Länge , die antilexikografisch geordnet sind und nur endlich viele positive Komponenten besitzen. Für jedes Ordinalzahlnetz existiert genau eine Funktion: mit den folgenden vier Eigenschaften:

  • für jede Ordinalzahl
  • für Limeszahl , falls
  • für Limeszahl , falls

Dem Wert entspricht genau das allgemeine Produkt von

Die Folge

ist ein Beispiel für eine antilexikografische Ordnung und stellt laut der Definition eine zu ordnungsisomorphe Menge dar. Es gilt also und ! , was nicht überraschend ist, weil ja ! .

Potenzieren

Die Potenzen sind Spezialfälle von allgemeinen Produkten:

Beispiel

Man kann eine zu ordnungsisomorphe Menge konstruieren, indem man (gemäß Produktdefinition) Folgen aus natürlichen Zahlen mit endlicher Anzahl von positiven Elementen betrachtet:

und diese antilexikografisch ordnet:

Eigenschaften

Für Ordinalzahlen gilt:

  • .

Für zwei Ordinalzahlen und gilt . Aus folgt . Für zwei Ordinalzahlen und existieren eindeutig bestimmte Ordinalzahlen: – genannt Logarithmus von zur Basis , positives und , so dass (Logarithmus-Satz). Die Potenzregel aus der finiten Arithmetik ist in das Unendliche nicht übertragbar:

Cantorsche Normalform

Für zwei Ordinalzahlen und existieren endlich viele eindeutig bestimmte und , so dass

.

Diese Darstellung ist unter dem Namen Cantorsche Polynomdarstellung (oder -adische Normalform) bekannt. Sie heißt für Cantorsche Normaldarstellung (oder Cantorsche Normalform). Man kann die Cantorsche Normaldarstellung rekursiv verwenden und die Ordinalzahlen genau so wie in ihrer Normalform darstellen. Wenn dieser Prozess nach endlich vielen Schritten in endlichen Ordinalzahlen endet, erhält man einen elementaren Ausdruck für , der aus , natürlichen Zahlen und Zeichen für Rechenoperationen besteht. Allerdings ist dies nicht für jede Ordinalzahl möglich. Noch allgemeiner: durch endlich viele Zeichen lassen sich nur abzählbar viele Ordinalzahlen darstellen – also nur ein „verschwindend kleiner“ Teil der gesamten Klasse .[11] Es existieren Ordinalzahlen , für die in ihrer Cantorschen Normaldarstellung gleich ist. In diesem Fall führt die Normaldarstellung also zu keiner Vereinfachung. Die kleinste solche Zahl bezeichnet man mit . Mit Hilfe der Cantorschen Normaldarstellung werden die Hessenbergschen natürlichen Operationen definiert.

Literatur

  • Ernst Jacobsthal: Über den Aufbau der transfiniten Arithmetik. In: Mathematische Annalen. 66, 1909, S. 145–194.
  • Dieter Klaua: Kardinal- und Ordinalzahlen. Teil 2. Vieweg, Braunschweig 1974, ISBN 3-528-06141-3[12]
  • Oliver Deiser: Einführung in die Mengenlehre. Springer, 2004, ISBN 978-3540204015.
  • Peter Komjath, Vilmos Totik: Problems and Theorems in Classical Set Theory. Springer, 2006, ISBN 978-0387302935.
  • Felix Hausdorff: Grundzüge der Mengenlehre. 1914. Chelsea Publishing Company, New York, 1949.
  • Heinz Bachmann: Transfinite Zahlen. Springer, 1967.
  • Dieter Klaua: Allgemeine Mengenlehre. Ein Fundament der Mathematik. Akademie-Verlag, Berlin 1964.
  • Herbert Enderton: Elements of Set Theory. Academic Press, New York 1977, ISBN 978-0122384400.
  • Kazimierz Kuratowski, Andrzej Mostowski: Set theory. North-Holland, 1968, ISBN 978-0720404708.
  • Wacław Sierpiński: Cardinal and ordinal numbers. 1965, ISBN 978-0900318023.

Siehe auch

Bemerkungen

  1. Cantor G.: Beiträge zur Begründung der transfiniten Mengenlehre. (Zweiter Artikel), Mathematische Annalen, 1897, 49, S. 207–246
  2. An dieser Stelle ist es angebracht zu erklären, was man unter Umbenennen der Elemente einer Ordinalzahl versteht und womit dieses Umbenennen überhaupt gerechtfertigt ist. Sei eine nichtleere Ordinalzahl. Für beliebiges Element von und beliebige Ordinalzahl wird mit die Menge bezeichnet. Hier ist wichtig, dass die Definition für geordnetes Paar nach Kuratowski verwendet wird. Damit ist garantiert, dass keine der Mengen eine Ordinalzahl ist. Die Menge wird als umbenannte Ordinalzahl oder Kopie bezeichnet. Die Wohlordnung in sei durch festgelegt. Ordinalzahlen sind ordnungsisomorph zu ihren Kopien. Keine Kopie ist Ordinalzahl und keine Ordinalzahl ist Element oder Untermenge einer Kopie. Alle Kopien einer Ordinalzahl und die Ordinalzahl selbst sind zueinander paarweise disjunkt.
  3. Es gilt also , wobei die Ordnungsrelation der wohlgeordneten Menge bezeichnet.
  4. Es ist sogar so, dass (s. Komjath, 2006, 8.17).
  5. In manchen Quellen wird die Bezeichnung verwendet, die wohl auf Cantor zurückgeht (s. Sierpinski, 1965, XIV., §4, Th. 2 und Kuratowski, Mostowski, 1968, VII., § 5.). Wir halten uns an die Bezeichnung , die man bei Jacobsthal, 1909, S. 166 sowie Hausdorff, 1914, Kap. V., § 2. und Bachmann, § 17.2 findet.
  6. s. Sierpinski, 1965, XIV., § 5.
  7. Dabei wird also jedes Element von durch ersetzt.
  8. In unseren Bezeichnungen ist also mit und . Man nennt eine solche Wohlordnung in einem kartesischen Produkt antilexikographisch.
  9. a b s. Bachmann, § 10.
  10. a b c d s. Bachmann, § 17.3, § 18. sowie Sierpinski, 1965, XIV., § 11–12. und Komjath, Totik, 2006, 9.2, 9.8–9 und Jacobsthal, 1909, S. 176–188
  11. s. auch: Königs Paradoxie
  12. Diesem Buch liegt ein spezielles Axiomensystem zugrunde.