Toast Hawaii
Toast Hawaii oder Hawaii-Toast ist ein mit Schinken, Ananas und Käse belegter, überbackener Toast, der in Westdeutschland in den 1950er Jahren populär wurde.
Zubereitung
Zur Zubereitung wird ein leicht geröstetes Toastbrot gebuttert, mit je einer Scheibe Kochschinken oder rohem Schinken, Ananas und Käse (üblicherweise Schmelzkäse) belegt und überbacken. Verbreitet ist es auch, auf den fertigen Toast eine Cocktailkirsche, Preiselbeeren oder Ähnliches zu setzen oder ihn mit etwas süßem Paprikapulver zu würzen. Ähnlich werden auch andere Gerichte nach „Hawaii-Art“ mit Ananas und Käse zubereitet, zum Beispiel Pizza Hawaii oder Steak Hawaii. Als Vorzüge werden geringer Einsatz an Material und Vorbereitungszeit genannt.[1]
Entstehung
Die Erfindung des Toast Hawaii wird allgemein dem Fernsehkoch Clemens Wilmenrod zugeschrieben, der ihn 1955 in Deutschland erstmals vorstellte. Vermutlich übernahm Wilmenrod das Rezept jedoch von seinem Konkurrenten und Lehrer Hans Karl Adam.[2]
Laut der Historikerin Petra Foede handelt es sich möglicherweise um eine Variante des in den USA verbreiteten Grilled Spamwich, die leicht an deutsche Verhältnisse angepasst wurde. Dessen Rezept verwendet statt Kochschinken Spam (Frühstücksfleisch) und statt einer Käsescheibe geriebenen Käse, unterscheidet sich sonst aber nicht.[3] Veröffentlicht wurde das Rezept zuerst 1939 in dem Rezeptheft Hormel invites you to dine des Spam-Herstellers Hormel. Spam war jedoch – anders als Kochschinken – nicht im deutschen Einzelhandel erhältlich.[4] Der Publizist Jürgen Ahrens sieht einen Vorläufer des Toast Hawaii im französischen Croque Monsieur.[5]
Später entstand eine große Zahl von Variationen; der Fernsehkoch Tim Mälzer präsentierte in den 2010er Jahren eine „moderne“ Variante mit Schwarzbrot, Serrano-Schinken und Manchego-Käse,[6] auch Johann Lafer schuf eine Variante.[7]
Krebsrisiko
Aufgrund der Zusammenstellung der Zutaten besitzen der Toast Hawaii und ähnlich zusammengesetzte Gerichte das Potenzial zur Bildung von krebserregenden Nitrosaminen aus Nitriten im Pökelsalz des Schinkens und den Aminosäuren des Käses im sauren Milieu der Ananas.[8] Untersuchungen des Fachbereichs Lebensmitteltechnologie an der Technischen Fachhochschule Berlin ergaben jedoch keinen erhöhten Gehalt an Nitrosaminen.[9]
Verbreitung
Bis in die 1970er Jahre gehörte der Toast Hawaii zum wöchentlichen Speiseplan vieler Familien und wurde in den 1980er Jahren beliebtes Gericht in Kneipen, für Partykeller und Kegelbahnen.[6] Inzwischen, so Marin Trenk 2015, werde in Deutschland mit einem Ananas-Gericht allerdings hauptsächlich Pizza Hawaii in Verbindung gebracht.[10] Anders als diese global verbreitete Speise sei aber der Toast Hawaii ein rein deutsches Phänomen geblieben, so die n-tv-Journalistin Heidi Driesner. Etwa zehn Jahre nach seiner Einführung hielt der Toast Hawaii auch in der Küche der DDR Einzug, blieb dort aber auf Restaurants beschränkt. Dagegen war dort in der Alltagsküche die Karlsbader Schnitte beliebt, die auf Ananas verzichtete und statt dem – in Läden kaum angebotenen – Kochschinken Jagdwurst oder Hackbraten verwendet.[1] In Österreich gehörte der Toast Hawaii in den 1950er Jahren zu den Markern der Amerikanisierung, mehr noch aber das Hawaii-Schnitzel.[11] In der Schweiz ist das Gericht ebenfalls seit den 1950er Jahren bekannt; der Kulturjournalist Daniel Di Falco nennt das Restaurant des Flughafens Zürich-Kloten als eines der ersten, das um 1960 das Gericht in der Schweiz servierte.[12] Es gilt dort laut St. Galler Tagblatt inzwischen als „Proletentoast“[13] und zählte 2013 zu den zehn meistgegoogelten Rezepten.[14]
Rezeption
Der Toast Hawaii gilt als Gegenstand der deutschen Kulturgeschichte. Die Süddeutsche Zeitung schrieb zum 60. Jahrestag, über wenige andere Gerichte sei so leidenschaftlich diskutiert worden wie über dieses polarisierende. In der Mischung aus „Provinz und zugleich … Extravaganz“ zeige sich der „Ausdruck eines Lebensgefühls ganzer Generationen“: Südfrüchte aus der Konserve hätten für deren Verfügbarkeit unabhängig vom Klima gestanden, das Toastbrot für Amerika, der Kochschinken für Bürgerlichkeit.[6] Der Toast Hawaii brachte einen „Hauch von Exotik“ in den Alltag und gehörte damit zum demonstrativen Konsum der Nachkriegszeit in Deutschland.[15] Laut der Journalistin Gudrun Rothaug habe das Gericht „auf wenigen Quadratzentimetern Weizenbrot die Sehnsüchte einer ganzen Epoche“ gebündelt: „Die verschwenderische Kombination aus Schinken und Käse demonstrierte den neu gewonnenen Wohlstand, Ananas und Cocktailkirschen drückten die Sehnsucht nach der weiten Welt aus.“[16] Laut der Historikerin Petra Foede steht das Gericht auch für die Abwendung von traditionellen Magenfüllern wie Eintopf oder Klößen,[2] während Ulrich Herbert darauf hinweist, dass die Essgewohnheiten der 1950er Jahre nicht von „modernen“ Gerichten wie diesem geprägt gewesen seien, sondern von „Brot, Wurst, Kartoffeln und Fleisch“.[17]
Der Medienwissenschaftler Gerd Hallenberger wies darauf hin, dass die Exotik auch als Kompensation verstanden werden konnte für den weiterhin spürbaren Mangel in der Nachkriegsküche sowie für die weiterhin unerschwinglichen Urlaubsreisen in ferne Länder. Der Toast Hawaii habe den – anfangs international isolierten – Bundesbürgern „ein Stück neuer Normalität“ und Anschluss an „die (kulinarische) Weltkultur“ gebracht, und zwar „durch Inkorporierung qua Verspeisen“. Das aus einfachen Zutaten bestehende Gericht habe durch die exotische Bezeichnung Südseeromantik vermittelt und auf eine Versöhnung der Besiegten mit der Siegermacht USA und ihrem freiheitlichen Lebensstil hingedeutet – und damit Sehnsuchtsräume erschlossen.[18]
Laut Josef Joffe wird das Gericht oft mit Spießbürgertum in Verbindung gebracht, stehe aber für einen „Meilenstein auf dem Weg in die Moderne und aus der Provinz“.[19] Auch in die Populärkultur fand der Toast Hawaii Eingang. Loriot spielte mit seiner „Kalbshaxe Florida“ satirisch auf diese Mode an, ebenso Gerhard Polt mit dem „Leberkäs Hawaii“. Ein Musical trägt den Namen des Toasts, und der NDR-Fernsehfilm Es liegt mir auf der Zunge über den Schöpfer behandelte 2009 auch dessen Kreation.[1] Der Musikproduzent Alexander Marcus erreichte mit dem Hawaii Toast Song, in dem er das Gericht besingt, 2014 mediale Aufmerksamkeit.[20] Der Song wurde beim Videoportal YouTube über sieben Millionen Mal aufgerufen.[21]
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ a b c Heidi Driesner: Vom „Fernwehkoch“ gestapelt": „Toast Hawaii“ wird 60. In: n-tv.de, 24. Januar 2015.
- ↑ a b Petra Foede: Kampf der Köche: Es gibt keinen Toast auf Hawaii. In: Frankfurter Rundschau, 4. Februar 2011.
- ↑ „Grilled Spamwich. Cover slices of buttered toast with sliced Spam. Top with sections of canned pineapple; sprincle with grated cheese. Place under broiler until cheese melts.“ Hormel invites you to dine. Hormel Foods Corporation, Austin, Minnesota, 1939.
- ↑ Petra Foede: Entdeckt: Spamwich – das Vorbild für Toast Hawaii? (Memento vom 11. März 2012 im Internet Archive) In: Petrafoede.de, 23. Januar 2010.
- ↑ Jürgen Ahrens: Wie deutsch ist das denn?: Die populärsten Irrtümer über Deutschland und die Deutschen. Heyne, München 2013, Kapitel Toast Hawaii.
- ↑ a b c Michael Neudecker: 60 Jahre Toast Hawaii: Urlaub auf Brot. In: Süddeutsche Zeitung, 13. Dezember 2015.
- ↑ Matthias Stelte: Clemens Wilmenrod: Erfinder des Toast Hawaii. In: NDR.de, 16. Dezember 2008.
- ↑ Dagmar Wiechoczek: Giftige Stickstoffverbindungen in Lebensmitteln. In: Rüdiger Blume u. a.: Prof. Blumes Bildungsserver für Chemie. 6. Februar 2007.
- ↑ Udo Pollmer, Susanne Warmuth: Lexikon der populären Ernährungsirrtümer. Eichborn, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-8218-1615-5.
- ↑ Marin Trenk: Döner Hawaii. Unser globalisiertes Essen. Klett-Cotta, Stuttgart 2015, S. 78 (E-Book).
- ↑ Irene Bandhauer-Schöffmann, Ella Hornung: Von der Erbswurst zum Hawaiischnitzel. Geschlechtsspezifische Auswirkungen von Hungerkrise und Fresswelle. In: Thomas Albrich, Klaus Eisterer, Michael Gehler, Rolf Steininger (Hrsg.): Österreich in den Fünfzigern (= Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte. Band 11). Österreichischer Studien-Verlag, Innsbruck, Wien 1995, S. 11–34, hier S. 27 f.
- ↑ Daniel Di Falco: Toastbrote. In: Migros.ch; Adam und Eva im Sanddornbeerenparadies. In: Tages-Anzeiger, 10. Januar 2014.
- ↑ Annette Wirthlin: Ein Toast auf den Proletentoast. In: Tagblatt.ch, 27. Januar 2015.
- ↑ Was kocht die Schweiz? In: Migros Magazin, 23. Dezember 2013.
- ↑ Michael Jäckel: Einführung in die Konsumsoziologie: Fragestellungen – Kontroversen – Beispieltexte. VS Verlag, Wiesbaden 2004, S. 106.
- ↑ Gudrun Rothaug: Vom Toast Hawaii zum Döner. Essen in Deutschland. In: Utz Thimm, Karl-Heinz Wellmann (Hrsg.): In aller Munde. Ernährung heute. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-518-45602-4, S. 81.
- ↑ Ulrich Herbert: Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert. C. H. Beck, München 2014, ISBN 978-3-406-66051-1, S. 683.
- ↑ Gerd Hallenberger: Clemens Wilmenrod. Zeichen von Esskultur. In: montage/av. Zeitschrift für Theorie und Geschichte audiovisueller Kommunikation. Band 10, 2001, Nr. 2: Essen! Trinken! Feiern!, S. 123–129, hier S. 127 montage-av.de (PDF; 1,1 MB)
- ↑ Josef Joffe: Toast Hawaii. In: Michael Miersch, Henryk M. Broder, Josef Joffe, Dirk Maxeiner: Früher war alles besser: Ein rücksichtsloser Rückblick. Knaus, München 2010, S. 150 und S. 114 (Partykeller, Zitat).
- ↑ Antonia Bretschkow: Lust auf ein Toast Hawaii? In: Der Tagesspiegel, 16. Oktober 2014.
- ↑ Samir H. Köck: Nach dem Toast besingt er „Hundi“. In: Die Presse, 5. Oktober 2014.