Tickle Toe

Tickle Toe (auch Tickle-Toe) ist ein Jazz-Titel von Lester Young. Die Komposition, die bei Bregman Vocco & Conn Inc veröffentlicht wurde, nahm der Tenorsaxophonist erstmals am 19. März 1940 mit den Count Basie Orchestra auf. Lester Young bezeichnete sie als seine beste Komposition.[1]

Entstehung und erste Aufnahme

Der Titel Tickle Toe war benannt nach einem Tänzer in Kansas City.[2] Das Stück ist in Moll gehalten und wird up tempo gespielt.[3] Tickle Toe ist ein typisches Head Arrangement[4]; nach Ansicht von Phil Schaap übernahm Lester Young die zweite sechstaktige Improvisationspassage von Bix Beiderbecke aus dem zweiten Take von When (komponiert von Walter Donaldson), das Beiderbecke mit dem Paul Whiteman Orchestra am 12. März 1928 aufgenommen hatte, und arbeitete damit den Schlussteil seiner Komposition Tickle Toe aus.[5] Martin Williams ist der Meinung, dass Young den Titel Duke Ellingtons Nummer Jig Walk von 1925 entlehnte, mit einer melodischen Linie in Achtelnoten.[6]

Tickle Toe gehörte Anfang 1940 zum Bandrepertoire des Basie-Orchesters, das es u. a. auch bei ihren Auftritten in Boston spielte, wo erste Rundfunkmitschnitte entstanden.[7] Am 19. März nahm das Orchester den Titel für Columbia Records im Studio auf; der Arrangeur war Andy Gibson.[8]

Weitere Aufnahmen und Bearbeitungen

Lester Young spielte den Titel 1941 mit einer eigenen kurzlebigen Formation, nachdem er die Basie-Band Ende 1940 verlassen hatte, auf dem WNYC American Music Festival. Mit „Prez“ spielten Shad Collins (Trompete), Nick Fenton (Bass), John Collins (Gitarre) und Harold Doc West (Schlagzeug).[9] Dabei brach Young mit der traditionellen Abfolge von Thema-Solo-Thema; Tickle Toe und das ebenfalls gespielte Taxi War Dance beginnen mit Soli und enden mit Band-Riffs.[10]

Weitere Aufnahmen von Tickle Toe wurden zunächst 1950 von Zoot Sims und in Europa von Kristian Bergheim ebenfalls 1950 mit einer norwegischen All-Star-Bigband eingespielt. Zu einem im Jazz populären Standard wurde der Titel in den folgenden Jahren u. a. durch die Versionen von Benny Carter, Bob Cooper, Johnny Griffin/Eddie Lockjaw Davis (Tough Tenors 1960), Illinois Jacquet, Quincy Jones, Lee Konitz/Richie Kamuca, Gene Krupa, Marian McPartland[11], Butch Miles/Howard Alden, Art Pepper, Howard Rumsey, Cy Touff/Sandy Mosse, Allan Vaché/Harry Allen, Warren Vaché/Alan Barnes, Art Van Damme/Johnny Smith, Frank Wess, Bob Wilber und Thilo Wolf.[12]

Der Diskograf Tom Lord listet 138 Versionen des Titels.[13] Les Double Six nahmen 1961 im Arrangement von Mimi Perrin eine Vokalversion von Tickle Toe auf; Jon Hendricks sang ihn 1958 in Begleitung der Basie-Band, erschienen auf dem Album V.I.P.-Jazz 22 von Lambert, Hendricks & Ross (Roulette Records).

Charlie Parker übernahm im November 1940 bei Jay McShann Passagen aus der Young-Komposition in eine Version der Spencer Williams Nummer I’ve Found a New Baby von 1926.[14] Die timbral Lightness der Aufnahme beeinflusste in den späten 1940er-Jahren den West Coast Jazz[15] der Trompeter Kenny Dorham lehnte seinen Titel Scandia Skies (1963) an die Lester-Young-Komposition an.[16]

Woody Allen verwandte die Originalaufnahme im Soundtrack seines Films Stardust Memories´(1980).[17] In Robert Altmans Dokumentarfilm Jazz ’34 wird der Song von Joshua Redman (in der Rolle von Lester Young) gespielt.

Der Lester-Young-Titel ist weder mit der gleichnamigen Rock-’n’-Roll-Nummer von Paul Gayten (1958)[18] noch mit The Tickle Toe (1917) von Otto Harbach und Louis Hirsch (1887–1924) aus dem Musical Going Up zu verwechseln.

Würdigung

Lewis Porter bezeichnete in seiner Lester-Young-Biografie Tickle Toe neben Lester Leaps In als „das wohl aufwendigste Thema, das er je aufgenommen hat“ („the most intricate theme he ever recorded“).[19] Für Darren Müller veranschaulichen sowohl Lester Leaps In (1939) und Tickle Toe „Youngs serpentinenhaft-melodische Sensibilität, was ungewöhnlich für die Swingära war, und die Tür für jüngere Spieler aufriss, um mit den Klischees des Bigband-Spiels zu brechen“.[20]

The Cambridge Music Guide geht auf Basies Beitrag in Tickle Toe ein und hebt sein „kraftvolles, im Boogie-Rhythmus gespielte“ Pianosolo hervor, „scharf wie funkelndes Glas, gebrochen von den explosiven Rufen der Blechbläser-Akkorde“.[21]

Diskographische Hinweise

Die beiden Radiomitschnitte des Titels vom 12. März bzw. vom 15. März 1944 erschienen auf der LP Historical Prez - Lester Young 1940-44; Die Originalaufnahme erschien als 78er bei Columbia (35521), mit der Gus Kahn/Ted-Fiorito-Nummer I Never Knew als B-Seite. In Großbritannien wurde die Schellackplatte bei Parlophone veröffentlicht (R 2759, in The 1940 Super Rhythm Style Series No. 119).

Literatur

  • Chuck Sher: The All-Jazz Real Book, Eb Version. AMA-Verlag, Sher Music Co., 2008, ISBN 9781883217358

Einzelnachweise

  1. Douglas Henry Daniels: Lester Leaps in, S. 219 ff.
  2. Sammy Price: What Do They Want?: A Jazz Autobiography, S. 31
  3. Tickle Toe
  4. Wolfgang Sandner, Reimer von Essen: Handbuch der Musik im 20. Jahrhundert - Band 9, Laaber-Verlag, 2005, Seite 32
  5. Phil Schaap: Little-Known Facts About Lester Young
  6. Martin Williams: The Jazz Tradition, S. 125
  7. Am 12. März 1940 ist Tickle Toe in einem Radiomitschnitt der Band aus dem Southland Theater Restaurant in Boston dokumentiert.
  8. Besetzung: Count Basie and His Orchestra: Buck Clayton (tp), Harry Sweets Edison, Ed Lewis, Al Kilian (tp), Dicky Wells, Vic Dickenson, Dan Minor (tb), Earle Warren (as), Lester Young, Buddy Tate (ts), Jack Washington (as, bar), Count Basie (p), Freddie Green (git), Walter Page (kb), Jo Jones (dr). Vgl. Bielefelder Katalog 2001.
  9. The Modernist Style of Lester Young
  10. Dave Gelly: Being Prez: The Life and Music of Lester Young, Tunbridge Wells 1984, S. 76
  11. Der bei der Session mitwirkende Bassist Bill Crow erinnerte sich später, dass Marian McPartland, die erst vor kurzem in die USA gekommen war, erkennbare Schwierigkeiten hatte, die Swing-Nummer zu spielen; vgl. Paul de Barros: Shall We Play That One Together?: The Life and Art of Jazz Piano Legend
  12. Tickle Toe bei Jazzstandards.com
  13. Tom Lord Jazz Discography online (abgerufen am 21. September 2013)
  14. Carl Woideck: Charlie Parker: His Music and Life, S. 89
  15. Musical Improvisation: Art, Education, and Society, herausgegeben von Gabriel Solis, Bruno Nettl, S. 31
  16. Dave Oliphant: Jazz Mavericks of the Lone Star State, S. 52
  17. http://www.imdb.com/name/nm0949818/
  18. http://www.discogs.com/Paul-Gayten-Windy-Tickle-Toe/release/1483180
  19. Lewis Porter: Lester Young, Twayne, Boston 1985, (überarbeitete Neuauflage University of Michigan Press 2005), S. 39.
  20. Darren Mueller in Jazz.com (Memento desOriginals vom 14. Oktober 2013 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.jazz.com
  21. Stanley Sadie, Alison Latham: The Cambridge Music Guide, 1990, Seite 518