Tibetobirmanische Sprachen

Heutige Verbreitung der tibetobirmanischen Sprachen.
Eine Hypothese über Ursprung und Verbreitung der Sinotibetische Sprachen. Rotes Oval ist die späte Cishan- und die frühe Yangshao-Kultur. Schwarzer Pfeil ist der vermutete Pfad der nicht-sinitischen Expansion. Nachdem die linguistisch vergleichende Methode auf die von Laurent Sagart im Jahr 2019 entwickelte Datenbank mit vergleichenden linguistischen Daten angewendet wurde, um Lautkorrespondenzen zu identifizieren und Kognaten zu ermitteln, werden phylogenetische Methoden verwendet, um Beziehungen zwischen diesen Sprachen abzuleiten und das Alter ihrer Herkunft und ihres Heimatlandes zu schätzen.[1]

Die tibetobirmanischen Sprachen stellen einen der beiden Hauptzweige der sinotibetischen Sprachfamilie dar, der andere Zweig sind die chinesischen oder sinitischen Sprachen. Die etwa 330 tibetobirmanischen Sprachen werden in Südchina, dem Himalayagebiet und Südostasien von zusammen knapp 70 Millionen Menschen gesprochen. (Demgegenüber haben die chinesischen Sprachen zusammen 1,3 Mrd. Sprecher.)

Die mit Abstand sprecherreichste tibetobirmanische Sprache ist das Birmanische mit ungefähr 35 Millionen Muttersprachlern und weiteren 15 Mio. Zweitsprechern in Birma.

Hauptsprachen

Folgende tibetobirmanische Sprachen haben mindestens eine Million Sprecher:

  • Birmanische Sprache (Burmesisch): 35 Mio. Sprecher; mit Zweitsprechern 50 Mio. / Myanmar (Birma)
  • Tibetisch: 6 Mio.; mit anderen tibetischen Dialekten über 8 Mio. Sprecher[2]
  • Yi (Yipho): 4,2 Mio. / Süd-China
  • Sgaw (Sgo): 2 Mio. / Birma: Karenstaat
  • Rakhain (Arakanesisch): 2 Mio. / Birma: Arakan
  • Meithei (Manipuri): 1,3 Mio. / Indien: Manipur, Assam, Nagaland
  • Pwo (Pho): 1,3 Mio. / Birma: Karenstaat
  • Tamang: 1,3 Mio. / Nepal: Kathmandu-Tal
  • Bai (Minchia): 1,3 Mio. / China: Yunnan
  • Yangbye: 1 Mio. / Birma

Der Artikel enthält im Anhang eine Tabelle mit allen tibetobirmanischen Sprachen, die mindestens 500.000 Sprecher haben. Der angegebene Weblink enthält sämtliche tibetobirmanische Sprachen mit Klassifikation und Sprecherzahl.

Klassifikation

Stand der Klassifikation

Die interne Klassifikation der etwa 330 tibetobirmanischen Sprachen kann heute keineswegs als gesichert gelten. Zwar hat sich die Forschung auf eine Reihe kleinerer genetischer Einheiten einigen können – darunter Tibetisch, Kiranti, Tani, Bodo-Koch, Karenisch, Jingpho-Sak, Kuki-Chin und Birmanisch –, jedoch konnte die Frage nach mittleren und größeren Untergruppen, die diese kleineren Einheiten zusammenfassen, bisher nicht konsensfähig geklärt werden. Die Gründe sind fehlende Detailforschungen, Grammatiken und Lexika bei vielen tibetobirmanischen Einzelsprachen, intensive wechselseitige areale Beeinflussungen, die die genetischen Zusammenhänge verdunkeln, und die große Anzahl der zu vergleichenden Sprachen.

Während Matisoff 2003 die Zusammenfassung recht großer Einheiten „wagt“, tendiert van Driem 2001 zum anderen Extrem: er gliedert das Tibetobirmanische in viele kleine Untergruppen und macht nur vage Angaben über umfassendere Verwandtschaftsverhältnisse. Einen mittleren Weg geht Thurgood 2003. Die Darstellung des vorliegenden Artikels basiert – was die Zwischeneinheiten angeht – vor allem auf Thurgood, für die Detailgliederung auf dem umfangreichen Werk van Driem 2001, in dem sämtliche inzwischen bekannten tibetobirmanischen Sprachen und ihre engeren Verwandtschaftsverhältnisse behandelt werden. Insgesamt ergibt sich eine relativ kleinteilige Gliederung des Tibetobirmanischen in genetisch gesicherte Einheiten.

Interne Gliederung

Auf Grund der angeführten aktuellen Forschungslage lässt sich die folgende interne Gliederung des Tibetobirmanischen begründen, wenn auch noch nicht über alle Untereinheiten ein vollständiger Konsens erzielt wurde:

Interne Gliederung des Tibetobirmanischen

Statistische und geographische Daten

Die folgende Tabelle gibt eine statistische und geographische Übersicht über die Untereinheiten des Tibetobirmanischen. Die Daten beruhen auf dem unten angegebenen Weblink „Klassifikation der sinotibetischen Sprachen“. Die Anzahl der Sprachen ist deutlich niedriger als in Ethnologue, da Ethnologue – entgegen der mehrheitlichen Forschungsmeinung – viele Dialekte zu eigenständigen Sprachen erklärt. Die hier verwendeten Daten (Anzahl der Sprachen, Sprecherzahlen) basieren vor allem auf der detaillierten Darstellung in van Driem 2001.

Die Untereinheiten des Tibetobirmanischen
mit Anzahl der Sprachen und Sprecher und ihren Hauptverbreitungsgebieten

SpracheinheitAlternat. NameAnzahl
Sprachen
Anzahl
Sprecher
Hauptverbreitungsgebiet
TIBETOBIRMANISCH 33268 Mio.Himalaya, Süd-China, Südostasien
BodischTibetisch i.w.S.648 Mio.Tibet, Nord-Indien, Pakistan, Nepal, Bhutan
Tibetisch 516 Mio.Tibet, Nord-Indien, Pakistan, Nepal, Bhutan
Tamang-Ghale 91,2 Mio.Nepal
Tshangla 1150 Tsd.Bhutan
TakpaMoinba180 Tsd.Indien: Westspitze Arunachal / Tibet
Dhimal-Toto 235 Tsd.Nepal: Terai, Indien: West-Bengali
Westhimalayisch 14110 Tsd.Nord-Indien: Kumaon, Lahul, Kinnaur; West-Tibet
MahakirantiHimalayisch402,2 Mio.Nepal
Kiranti 32500 Tsd.Nepal (südl. des Mount-Everest-Massivs)
Magar-Chepang 5700 Tsd.Zentral-Nepal
Newari-Thangmi 3950 Tsd.Nepal: Kathmandu-Tal / Gorkha District
LepchaRong150 Tsd.Indien: Sikkim, Darjeeling; auch Nepal, Bhutan
Dura 1Nepal: Lamjung District
Nord-AssamBrahmaputranisch32850Indien: Arunachal Pradesh, Assam; Bhutan
TaniAbor-Miri-Dafla24800 Tsd.Indien: Zentral-Arunachal-Pradesh
Khowa-SulungKho-Bwa410 Tsd.Indien: Westl. Arunachal Pradesh
Idu-DigaruNord-Mishmi230 Tsd.Indien: Arunachal Pradesh (Lohit District)
MijuischSüd-Mishmi25 Tsd.Indien: Arunachal Pradesh (Lohit District)
Hrusisch 37 Tsd.Grenzgebiet Indien (Arunachal Pradesh) – Bhutan
Bodo-Konyak-Jingpho 273,4 Mio.Nordost-Indien, Nepal, Birma, Südchina
Bodo-KochBarisch112,3 Mio.Nordost-Indien: Assam
KonyakNord-Naga7300 Tsd.Indien: Arunachal Pradesh; Nagaland
Jingpho-SakKachin-Luisch9800 Tsd.Bangladesh, Nordostindien, Nord-Birma, Süd-China
Kuki-Chin-Naga 715,2 Mio.Nordost-Indien: Nagaland, Manipur, Assam, Arunachal
Mizo-Kuki-Chin 412,3 Mio.Nordost-Indien, Bangladesh, Birma
Ao 9300 Tsd.Nordost-Indien: Nagaland
Angami-Pochuri 9430 Tsd.Nordost-Indien: Nagaland
Zeme 7150 Tsd.Nordost-Indien: Nagaland, Manipur
Thangkul 3150 Tsd.Nordost-Indien: Nagaland, Manipur
MeitheiManipuri11,3 Mio.Nordost-Indien: Manipur, Nagaland, Assam
KarbiMikir1500 Tsd.Nordostindien: Assam, Arunachal Pradesh
Qiang-Gyalrong 15500 Tsd.Süd-China: Sichuan
Tangut-QiangXixia-Qiang10250 Tsd.Süd-China: Sichuan
GyalrongrGyalrong5250 Tsd.Süd-China: Sichuan
NungischDulong4150 Tsd.Süd-China, Nord-Birma
Tujia 1200 Tsd.Süd-China: Hunan, Hubei, Guizhou
BaiMinchia1900 Tsd.Süd-China: Yunnan
NaxiMoso1280 Tsd.Süd-China: Yunnan, Sichuan
Karenisch 154,5 Mio.Birma, Thailand
Lolo-Birmanisch 4043 Mio.Birma, Laos, Süd-China, Vietnam
LoloYipho277 Mio.Süd-China, Birma, Laos, Vietnam
Birmanisch 1336 Mio.Birma, Süd-China
Mru 140 Tsd.Bangladesh: Chittagong; Birma: Arakan
Pyu 1ehemals Nord-Birma

Die Primärzweige des Tibetobirmanischen sind halbfett gedruckt, dahinter folgen jeweils die Untereinheiten.

Der Artikel Sinotibetische Sprachen enthält eine ausführliche Diskussion über die Gültigkeit der hier dargestellten und weiterer von der Forschung vorgeschlagener Untereinheiten des Tibetobirmanischen.

Sprachliche Charakteristik des Tibetobirmanischen

Das Tibetobirmanische bildet innerhalb des Sinotibetischen eine genetische Einheit. Die tibetobirmanischen Proto-Formen konnten in großem Umfang rekonstruiert werden (Matisoff 2003). Das gemeinsame lexikalische Material ist äußerst umfangreich und wird durch die Erforschung weiterer Sprachen zunehmend zuverlässiger (siehe die Tabelle der Wortgleichungen). Neben dem lexikalischen Material gibt es genügend phonologische und grammatische Gemeinsamkeiten, die die genetische Einheit des Tibetobirmanischen absichern.

Silbenstruktur und Phoneme

Das Proto-Tibetobirmanische war – wie das Proto-Sinotibetische – eine durchgehend monosyllabische Sprache. Seine Silbenstruktur lässt sich als

(K)-(K)-K(G)V(K)-(s)     (K Konsonant, V Vokal, G Gleitlaut /l,r,j,w/)

rekonstruieren (potentielle Slots sind durch (.) gekennzeichnet). Die ersten beiden Konsonanten sind ursprünglich bedeutungsrelevante „Präfixe“, die eigentliche Wurzel hat die Form K(G)V(K), der Schlusskonsonant muss aus der Gruppe /p,t,k,s,m,n,ŋ,l,r,w,j/ stammen, vokalischer Auslaut ist selten. Der Vokal kann kurz oder lang sein, die Länge ist phonemisch. Zwischen den Präfixkonsonanten und dem Initialkonsonant kann ein schwacher Vokal /ə/ stehen (ein sogenanntes Schwa). Diese ursprüngliche Silbenstruktur ist im klassischen Tibetisch und einigen modernen westtibetischen Sprachen und im Gyalrong belegt (die deswegen für die Rekonstruktion besonders wichtig sind), weniger vollständig im Jingpho und Mizo. Die komplexen Initialcluster sind in vielen Sprachen reduziert worden. Diese Strukturvereinfachung führte offensichtlich häufig zur Ausbildung differenzierender Töne.

Nach Benedict 1972 und Matisoff 2003 bestand das Konsonanteninventar des Proto-Tibetobirmanischen – das vor allem für die Initialkonsonanten der Wurzel im vollen Umfang genutzt wurde – aus folgenden Phonemen:

p, t, k; b, d, g; ts, dz; s, z, h; m, n, ŋ; l, r, w, j.

Als Initialkonsonant der Wortwurzel fanden diese Phoneme in einzelnen Gruppen folgende reguläre Lautentsprechungen:

Tibetobirm.Tibet.JingphoBirman.GaroMizo
*pp(h)p(h), bp(h)p(h), bp(h)
*tt(h)t(h), dt(h)t(h), dt(h)
*kk(h)k(h), gk(h)k(h), gk(h)
*bbb, p(h)pb, p(h)b
*ddd, t(h)td, t(h)d
*ggg, k(h)kg, k(h)k
*tsts(h)ts, dzts(h)s, ts(h)s
*dzdzdz, tststs(h)f
*ssssthth
*zzzssf
*hhøhøh
*mmmmmm
*nnnnnn
ŋŋŋŋŋ
*llllrl
*rrrrrr
*wøwwww
*jjjjts, dsz

Die alternativen Entsprechungen sind in der Regel sekundär, Aspiration kann unter bestimmten Bedingungen auftreten, sie ist nicht phonemisch. Basis der obigen Tabelle ist Benedict 1972, wo für diese Lautentsprechungen geeignete Wortgleichungen aufgeführt werden.

Das tibetobirmanische Vokalsystem wurde als /a, o, u, i, e/ rekonstruiert. Vokale können in der Protosprache in der Silbenmitte und im Silbenauslaut erscheinen, nicht am Silbenanfang. Allerdings sind andere Vokale als /a/ im Silbenauslaut der Protosprache sehr selten zu finden. Dagegen sind Endungen auf /-Vw/ und /-Vj/ besonders häufig.

Derivationsmorphologie

Eine klassische relationale Morphologie (also eine systematische morphologische Veränderung der Nomina und Verben mit Kategorien wie Kasus, Numerus, Tempus-Aspekt, Person, Diathese u. a.) hat es nach einhelliger Meinung der Forschung in der Protosprache nicht gegeben. Die heute bei den tibetobirmanischen Sprachen feststellbare relationale Morphologie der Nomina und Verben ist als Innovation zu betrachten, die auf areale Einflüsse benachbarter Sprachen oder auf die Wirkung von Substraten zurückzuführen ist. Infolge sehr unterschiedlicher Einflüsse konnten sich sehr verschiedene morphologische Typen herausbilden.

Mit Sicherheit lassen sich aber Elemente einer Derivationsmorphologie für das Proto-Tibetobirmanische rekonstruieren, deren Reflexe in vielen tibetobirmanischen Sprachen nachzuweisen sind. Dabei handelt es sich um konsonantische Präfixe und Suffixe sowie Anlautalternationen, die die Bedeutung von Verben, aber auch von Nomina modifizieren. Die Existenz gemeinsamer Derivationsaffixe und Anlautalternationen mit identischer oder ähnlicher semantischer Wirkung in fast allen Gruppen des Tibetobirmanischen ist ein starkes Indiz für seine genetische Einheit.

s-Präfix

Das s-Präfix hat eine kausative und denominative Funktion, der ursprünglich eine allgemeinere „direktive“ Bedeutung zu Grunde liegt. Beispiele:

  • Klass. Tibetisch grib „Schatten“, sgrib- „beschatten, verdunkeln“ (denominativ)
  • Klass. Tibetisch gril „Rolle“, sgril- „zusammenrollen“ (denominativ)
  • Klass. Tibetisch riŋ- „lang sein“, sriŋ- „verlängern“ (kausativ)
  • Jingpho lot „frei sein“, slot „freilassen“ (kausativ)
  • Jingpho dam „sich verlaufen“, sɘdam „in die Irre führen“ (kausativ)
  • Lepcha nak „gerade sein“, njak < *snak „gerade machen“ (kausativ, Metathese sK > Kj)

In anderen tibetobirmanische Sprachen (z. B. Birmanisch, Lahu, Lolo-Sprachen) ging das s-Präfix verloren, hat aber Veränderungen des Initialkonsonanten oder tonale Differenzierungen bewirkt. Bei schwachen Initialkonsonanten kann aber auch in diesen Sprachen noch ein s-Präfix erkennbar sein, zum Beispiel

  • Birmanisch ʔip „schlafen“, sip „einschläfern“
  • Birmanisch waŋ „betreten“, swaŋ „hineinbringen“

Anlautalternierung

In nahezu allen tibetobirmanischen Sprachen gibt es Paare semantisch verwandter Wörter, die sich lautlich nur darin unterscheiden, dass der Anlautkonsonant stimmlos oder stimmhaft ist. Die stimmlose Variante hat dann in der Regel eine transitive, die stimmhafte eine intransitive Bedeutung. Es gibt die Theorie, dass die Anlautveränderung durch ein ursprüngliches *h-Präfix – einen nicht-syllabischen, pharyngalen Gleitlaut – bewirkt worden sei (Pulleyblank 2000).

Diesen Kontrast gibt es jedoch nicht im Tibetischen.[3] Sowohl intransitive wie auch transitive Verbwurzeln können einen stimmhaften oder einen stimmlosen Anlaut haben, gelegentlich gibt es auch alte stimmlos-stimmhafte intransitive Paare, z. B. sowohl gang als auch ḥkheng, khengs „vollwerden, s. füllen“. Das transitive Gegenstück ist entweder ḥgengs, bkang, dgang, khengs (zu gang) oder skong, bskangs, bskang, skongs (zu kheng, khengs).

Beispiele:

  • Bahing kuk „beugen“, guk „gebeugt sein“
  • Bodo pheŋ „gerade machen“, beŋ „gerade sein“

n-Suffix

Das n-Suffix (auch in der Variante /-m/, im Tibetischen häufig auch /-d/) hat primär eine nominalisierende, manchmal auch eine kollektivierende Funktion. Beispiele:

  • Klass. Tibetisch rgyu „s. bewegen“, rgyun „Zusammenhang, Serie, Andauer, Strom“
  • Klass. Tibetisch gci „urinieren“, gcin „Urin“
  • Klass. Tibetisch rku „stehlen“, rkun-ma „Dieb, Diebstahl“ (Nominalisierung unterstützt durch die Endung -ma)
  • Klass. Tibetisch nye „nah (sein)“, gnyen „Verwandter“
  • Lepcha zo „essen“, azom „Essen“ (Nominalisierung unterstützt durch anlautendes /a-/)
  • Lepcha bu „tragen“, abun „Fahrzeug“
  • Proto-Tibetobirmanisch *rmi „Person“, *rmin „Volk“ (kollektivierend)

s-Suffix

Auch das s-Suffix hatte im Tibetischen mehrere Funktionen, die aber nicht mehr produktiv sind

  1. resultativ bzw. vergangenheitsbildend bei Adjektivalen und Verben
    z.B. che „groß werden“, ches „groß geworden sein“
  2. als Kollektivbilder (ähnlich dem dt. Ge- in Gebirge), insbesondere noch in Komposita bis ins Alttibetische bewahrt
    z.B. rnam „Einheit, Teil“ > rnams als Pluralmorphem,[4] sku „(höfl.) Körper, Person“ + srung „schützen“ > skusrungs „(Kollektiv der) Leibgarde“ eine militärische Spezialeinheit[5]

Weitere Derivationssuffixe

Außer den genannten gibt es noch andere für das Tibetobirmanische postulierte Derivationssuffixe, z. B. /-t/, /-j/ und /-k/. Für keines dieser Suffixe lässt sich aber bisher eine befriedigende Funktionsbeschreibung angeben, die zumindest in einigen Einheiten des Sinotibetischen gültig wäre. Für weitere Details wird auf LaPolla (in Thurgood 2003) und Matisoff 2003 verwiesen.

Gemeinsamer Wortschatz

Die folgenden Wortgleichungen zeigen besonders deutlich die genetische Verwandtschaft der tibetobirmanischen Sprachen. Sie basieren auf Peiros-Starostin 1996, Matisoff 2003 und der unten angegebenen Internet-Datenbank Starostins. Für die Wortauswahl wird die Liste der „stabilen Etymologien“ von Dolgopolsky und einige Wörter aus der Swadesh-Liste zugrunde gelegt, wodurch Lehnwörter und Lautmalereien weitgehend ausgeschlossen sind. Jede Wortgleichung hat Vertreter aus bis zu fünf Sprachen bzw. Spracheinheiten: Klassisches Tibetisch, Klassisches Birmanisch, Jingpho (Kachin), Mizo (Lushai), Lepcha, Proto-Kiranti (Rekonstruktion Starostin) und Proto-Tibetobirmanisch (Matisoff 2003). Die Transkription erfolgt ebenfalls nach Matisoff und der zugrunde gelegten Datenbank.

Tibetobirmanische Wortgleichungen

BedeutungKlass.
Tibet.
Klass.
Birman.
Jingpho
(Kachin)
Mizo
(Lushai)
LepchaProto-
Kiranti
Proto-
Tibeto-
Birman.
Zungelcehlja leili *lja
Augemig < dmyigmjakmjiʔmitmik*mik*mik
Herzsnyinghnac niŋ *niŋ*niŋ
Ohrrna-nahnaknanjor*nɘ*na
Nasesnahuanaʔhua *nɘ*na:r
Fuß o. Ä.rkaŋkraŋkraŋkeŋkaŋ *kaŋ
Hand o. Ä.laglak lakljok*lak*lak
Blutkhragswij, swesàithi(t)vi*hi*s-hjwɘy
Onkelakhu'uhgu'uku*ku*khu
Lausshig ciʔhrik *srik*(s)r(j)ik
Hundkhyilhwijgui'ui *khlɘ*kwej
Sonne, Tagnyi(n)nijʃa-nininji*nɘj*nɘj
Steinrdoba nluŋluŋluŋ*luŋ*luŋ
Flusschubo, gtsangpo, klungluaijluilui  *lwij
Hauskhyim'imʃe-kum'inkhjum*kim*jim, *jum
Namemingmiŋmjiŋhmiŋ *miŋ*miŋ
tötengsodsatgɘsatthat *set*sat
totshimhaŋmaŋmaŋmak *maŋ
langringmopaŋ pak  *pak, *paŋ
kurzthungtauŋhge-dun tan*toŋ*twan
zweignyis ŋihninji*ni(k)*ni(j)
ichngaŋaŋaiŋei  *ŋa
dukhyodnaŋnaŋnaŋ  *naŋ

Sprachen mit mindestens 500.000 Sprechern

Die folgende Tabelle enthält alle tibetobirmanischen Sprachen mit mindestens 500.000 Sprechern. Angegeben sind die Sprecherzahlen, die Klassifikation und geographische Verbreitung dieser Sprachen. Diese Daten basieren auf dem unten angegebenen Weblink.

Die tibetobirmanische Sprachen mit mindestens 500.000 Sprechern

SpracheAltern.
Name
SprecherKlassifizierungHauptverbreitungsgebiet
BurmesischBirmanisch35 Mio.Lolo-BirmanischMyanmar (Birma); mit Zweitsprecher 50 Mio.
YiYipho4,2 Mio.Lolo-BirmanischSüd-China
TibetischÜ-Tsang2 Mio.TibetischZentral- und Westtibet; mit Amdo und Khams 4,5 Mio.
SgawSgo2 Mio.KarenischBirma: Karenstaat
KhamsKhams-Tibetisch1,5 Mio.TibetischTibet: Kham
MeitheiManipuri1,3 Mio.ManipuriIndien: Manipur, Assam, Nagaland
PwoPho1,3 Mio.KarenischBirma: Karenstaat
RakhainArakanesisch1 Mio.Lolo-BirmanischBirma: Arakan
Tamang 1 Mio.Tamang-GhaleNepal: Kathmandu-Tal
BaiMin Chia900 Tsd.ungeklärtChina: Yunnan
YangbyeYanbe800 Tsd.Lolo-BirmanischBirma
AmdoAmdo-Tibetisch800 Tsd.TibetischTibet: Amdo
KokborokTripuri770 Tsd.Bodo-KochIndien: Assam
NewariNepal Bhasa700 Tsd.Newari-ThangmiNepal: Kathmandu-Tal
HaniHaw700 Tsd.Lolo-BirmanischSüd-China, Birma, Laos, Vietnam
GaroMande650 Tsd.Bodo-KochIndien: Assam
JingphoKachin650 Tsd.KachinBangladesh, Nordost-Indien, Nord-Birma, Süd-China
LisuLisaw650 Tsd.Lolo-BirmanischSüd-China, Birma, Laos
BodoBara, Mech600 Tsd.Bodo-KochIndien: Assam
Pa'oTaunghtu600 Tsd.KarenischBirma: Thaung
MagarKham-Magar500 Tsd.Magar-ChepangNepal: mittlerer Westen
MizoLushai500 Tsd.Mizo-Kuki-ChinNordostindien, Birma
KarbiMikir500 Tsd.Kuki-Chin-NagaNordostindien: Assam, Arunachal Pradesh
AkhaIkaw500 Tsd.Lolo-BirmanischSüd-China, Birma, Laos, Vietnam

Einzelnachweise

  1. Laurent Sagart, Guillaume Jacques, Yunfan Lai, Robin J. Ryder, Valentin Thouzeau: Dated language phylogenies shed light on the ancestry of Sino-Tibetan. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. Band 116, Nr. 21, 21. Mai 2019, ISSN 0027-8424, S. 10317–10322, doi:10.1073/pnas.1817972116, PMID 31061123 (pnas.org [abgerufen am 16. Oktober 2021]).
  2. Tibetic languages | About World Languages. Abgerufen am 22. November 2018 (amerikanisches Englisch).
  3. Christopher I. Beckwith. 1996. „The Morphological Argument for the Existence of Sino-Tibetan“. Pan-Asiatic Linguistics: Proceedings of the Fourth International Symposium on Languages and Linguistics, January 8-10, 1996, Vol. III. Bangkok: 812-826.
  4. Denwood, Philip 1986: “The Tibetan noun final -s” Linguistics of the Tibeto-Burman Area 9.1, pp. 97-101.
  5. Helga Uebach und Bettina Zeisler. 2008. rJe-blas, pha-los and other compounds with suffix -s in Old Tibetan Texts." In: Brigitte Huber, Marianne Volkart und Paul Widmer (Hrsg.) Chomolangma, Demawend und Kasbek. Festschrift für Roland Bielmeier zu seinem 65. Geburtstag, Band I: Chomolangma. Halle: International Institute for Tibetan and Buddhist Studies: 309-334.

Literatur

  • George van Driem: Languages of the Himalayas. Brill, Leiden [u.a.] 2001, ISBN 90-04-10390-2.
  • Paul K. Benedict: Sino-Tibetan. A Conspectus. University Press, Cambridge 1972, ISBN 0-521-08175-0.
  • Austin Hale: Research on Tibeto-Burman Languages. Mouton, Berlin [u.a.] 1982, ISBN 90-279-3379-0.
  • Thurgood, Graham & Randy J. LaPolla: The Sino-Tibetan Languages. Routledge, London [u.a.] 2003, ISBN 0-7007-1129-5.
  • James A. Matisoff: Handbook of Proto-Tibeto-Burman. University of California Press, Berkeley [u.a.] 2003, ISBN 0-520-09843-9. (kostenloser Volltext-Zugang der Homepage der UC Press)
  • Anju Saxena (Hrsg.): Himalayan Languages. Mouton de Gruyter, Berlin [u.a.] 2004, ISBN 3-11-017841-9.
  • Scott DeLancey: Sino-Tibetan Languages. In: Bernard Comrie (Hrsg.): The World's Major Languages. Oxford University Press, New York 1990, ISBN 0-19-520521-9.
  • S. Robert Ramsey: The Languages of China. Princeton University Press, Princeton N.J. 1987, ISBN 0-691-06694-9.

Siehe auch

Weblinks

Auf dieser Seite verwendete Medien

The origin and spread of the Sino-Tibetan language family.png
Autor/Urheber: Ksiom, Abooop, Lizenz: CC BY-SA 3.0
Despite its importance, many studies have not been conducted on the Sino-Tibetan languages, so there have been many questions and debates about the origin and spread route. So in 2019, Laurent Sagart and other researchers used the latest scientific techniques based on the newly developed database to derive the origin and spread route of the Sino-Tibetan languages.

1. Researchers develop a database of comparative linguistic data, and apply the linguistic comparative method to identify sound correspondences and establish cognates.

2. Researchers use phylogenetic methods to infer the relationships among these languages and estimate the age of their origin and homeland.

3. Reserchers concluded that Sino-Tibetan originated with north Chinese millet farmers around 7200 B.P. and suggest a link to the late Cishan and the early Yangshao cultures.

Red oval = "the late Cishan and the early Yangshao cultures"

Black arrow = "presumed pathways of non-Sinitic expansion"

Research papers: https://www.pnas.org/content/116/21/10317 (In particular, Fig. 1.)