Tianwen-4

Tianwen-4 (chinesisch 天問四號 / 天问四号, Pinyin Tiānwèn Sìhào – „Himmelsfrage 4“) ist eine geplante Mission der Nationalen Raumfahrtbehörde Chinas zur Erforschung des Jupiter und vor allem seines vierten Mondes Kallisto,[1] der äußeren Planeten und der Heliopause. Das Projekt wurde in einer ersten Version am 4. Mai 2020 öffentlich vorgestellt. Es steht unter der wissenschaftlichen Leitung der Fakultät für Erd- und Weltraumwissenschaften der Universität Peking (Zong Qiugang) in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Monderkundungs- und Raumfahrtprojekte der Nationalen Raumfahrtbehörde Chinas (Zhang Rongqiao),[2] der Fakultät für Erd- und Weltraumwissenschaften der Chinesischen Universität für Wissenschaft und Technik, Hefei (Wang Yuming)[3] und dem Nationalen Zentrum für Weltraumwissenschaften (Wang Chi).[4] Zwischen 2029 und 2032 gibt es ein Startfenster für die Mission,[5] zunächst ist der Start für 2030 vorgesehen.[1]

Geschichte

Am Nationalen Zentrum für Weltraumwissenschaften der Chinesischen Akademie der Wissenschaften beschäftigte man sich seit 2018 mit Konzepten für eine Erkundung des Jupitersystems und weiterer Planeten, vor allem des Uranus.[6] Später konzentrierte man sich zunächst auf den Jupiter und seinen vierten Mond Kallisto. Am 4. Mai 2020 stellten Wang Chi, der Direktor des Nationalen Zentrums für Weltraumwissenschaften, Zong Qiugang (宗秋刚, * 1965), der Leiter des Instituts für Weltraumphysik und angewandte Technologie (空间物理与应用技术研究所) an der Fakultät für Erd- und Weltraumwissenschaften der Universität Peking,[7] und Wang Yuming (汪毓明, * 1976),[8] der Leiter der Forschungsgruppe für Sonnenphysik (日地空间物理探测与研究团队) an der Fakultät für Erd- und Weltraumwissenschaften der Chinesischen Universität für Wissenschaft und Technik, Hefei,[9] auf der Hauptversammlung der European Geosciences Union zusammen mit weiteren Wissenschaftlern das verfeinerte Konzept vor.[10]

Wang Chi und Zong Qiugang hatten neben der Jupitermission seit 2018 ein Projekt zur Erkundung der Heliopause und des nahen interstellaren Raums vorangetrieben, das in englischsprachigen Publikationen unter den Bezeichnungen Interstellar Heliosphere Probes oder Interstellar Heliospheric Probes bzw. IHPs sowie Interstellar Express diskutiert wurde. Als die Nationale Raumfahrtbehörde Chinas nun nach dem erfolgreichen Start der Marssonde Tianwen-1 am 23. Juli 2020 eine Liste mit Projekten für die 2021 beginnende zweite Förderrunde für Nationale wissenschaftlich-technische Großprojekte zusammenstellte (ein Fünfzehnjahresplan),[11] kombinierte sie Elemente aus der nach einem Astronomen aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. zunächst „Gan De“ genannten Jupitermission mit Elementen aus der Heliopausenmission. Nach einer Erkundung von Jupiter und Kallisto sollte die Sonde in die Tiefen des Weltalls weiterfliegen.[12]

Im weiteren Verlauf entschloss man sich, die Sonde ähnlich wie bei Tianwen-1 in mehrere Komponenten aufzuteilen, die zunächst gemeinsam zum Jupiter fliegen und sich dann aufteilen sollten: eine Sonde würde das Jupitersystem erkunden, die andere nach dem Voyager-Prinzip am Uranus vorbei in den interstellaren Raum vordringen. Damit hatte man der Mission eine gewisse Redundanz gegeben. Selbst wenn eine Teilsonde versagen sollte, könnte die andere ihrer eigenen Mission weiter nachgehen. Im Oktober 2021 stellte Zhang Rongqiao von der Nationalen Raumfahrtbehörde das erweiterte Konzept, so wie es am 8. September 2021 in das Planetenerkundungsprogramm aufgenommen worden war, auf einer Tagung zur Tiefraum-Erkundung in Shenzhen vor.[13] Alle Missionen des Planetenerkundungsprogramms tragen nach einem Gedicht von Qu Yuan (340–278 v. Chr.) die Bezeichnung „Tianwen“ („Fragen betreffs des Himmels“), mit einer nach dem vorgesehenen Startdatum fortlaufenden Nummer. Am 24. April 2022 erhielt die Jupiter-Uranus-Mission anlässlich des chinesischen Tags der Raumfahrt den Namen „Tianwen-4“.[2]

Geplanter Missionsablauf

Eine aus mehreren Komponenten bestehende Sonde soll nach dem Start 2030 nach dem Start mit einer Trägerrakete vom Typ Langer Marsch 9 zunächst in Richtung Venus fliegen und dort mit einem Swing-by-Manöver beschleunigen. Dann fliegt die Sonde zurück zur Erde, wo sie mit zwei weiteren Swing-by-Manövern zusätzlich beschleunigt, um dann zum Jupiter zu fliegen.[13] Nach der Ankunft 2033 trennt sich die Sonde in zwei Teile, die sogenannte „Jupitersystem-Erkundungssonde“ (木星系探测器, englisch einst Jupiter Callisto Orbiter) und die „Planetensystem-Durchquerungssonde“ (行星穿越探测器, englisch einst Interstellar Heliospheric Probe). Die Jupitersystem-Sonde schwenkt zunächst in einen Orbit um den Jupiter selbst ein, um wissenschaftliche Untersuchungen des Planeten und seiner Monde durchzuführen. Nach einer gewissen Zeit verwandelt die Sonde unter Ausnutzung der Anziehungskraft von Ganymed, dem dritten und größten Mond des Jupiter-Systems, ihre Umlaufbahn in eine langgestreckte Ellipse, um schließlich von der Schwerkraft Kallistos, des vierten Jupitermonds, eingefangen zu werden. Nach mehreren Bahnkorrekturmanövern wird schließlich ein kreisförmiger Orbit von 500 km Höhe um Kallisto eingenommen.[5]

Die Planetensystem-Sonde fliegt unterdessen, nachdem sie mit einem Swing-by-Manöver die Schwerkraft des Jupiter zur Beschleunigung genutzt hat, weiter zum Uranus, wo sie 2049 zum 100. Geburtstag der Volksrepublik China ankommen soll. Dort soll eine Untersonde ausgesetzt werden, die in der Atmosphäre des Planeten langsam absteigen und Messungen von deren chemischer Zusammensetzung durchführen soll. Nach dem Vorbeiflug am Uranus soll die Sonde in den Randbereich des Sonnensystems und den nahen interstellaren Raum weiterfliegen.[13]

Technische Aspekte

Als Antrieb für die Sonde war im Oktober 2021 ein nuklear-elektrisches System geplant, bei dem ein kleiner Kernreaktor mit 10 kW Leistung in einer eigenen, abgeschirmten Einheit von der eigentlichen Sonde getrennt untergebracht und mit dieser nur durch eine ausfahrbare Gitterträgerkonstruktion verbunden wäre. Das Ganze hätte dann in etwa die Form einer Hantel bzw. eines Weberschiffchens.[14] Als Reaktor ist hier an einen schnellen Brüter gedacht,[15][16] der über Thermoelektrizität den Strom für einen Ionenantrieb erzeugt, ähnlich wie 1965 beim Snapshot-Satelliten der NASA. Ein Kernreaktor bietet nicht nur eine hohe Antriebsleistung, sondern es steht auch ausreichend Strom für den Betrieb der wissenschaftlichen Nutzlasten und die Datenübertragung zur Erde zur Verfügung. Ein solches System muss erst entwickelt und auf der Erde sowie im Orbit getestet werden.[17] Die Nationale Raumfahrtbehörde geht jedoch davon aus, dass es bis zum vorgesehenen Start 2030 zur Verfügung steht.[18] Ein Ionentriebwerk mit 5 kW, 200 mN Schub und 4000 s spezifischem Impuls ist seit dem 27. Dezember 2019 auf dem Technologieerprobungssatelliten Shijian 20 im Einsatz.[19]

Telemetrie, Bahnverfolgung und Steuerung

Im Zusammenhang mit dem Mond- und Marsprogramm hat China sein Tiefraumnetzwerk schon sehr gut ausgebaut. Insbesondere seit der Erweiterung der Tiefraumstation Kashgar zu einer 4×35-m-Gruppenantenne im Rahmen des Marsprogramms sind die Voraussetzungen gegeben, um auch Signale aus einer Entfernung von 100 AE, also 15 Milliarden Kilometern zu empfangen.[20] Als Frequenzband für die Übertragung der Nutzlastdaten zur Erde soll das Ka-Band verwendet werden, eventuell auch zusätzlich das X-Band, welches bei gleicher Sendeleistung nur relativ geringe Datenmengen übertragen kann, aber weniger anfällig für Störungen durch atmosphärische Einflüsse wie Wolken oder Regentropfen ist, was im sommerfeuchten Monsunklima Chinas ein wichtiger Faktor ist. Um die wissenschaftlichen Ziele erfüllen zu können, werden die Sonden mit einer Vielzahl von Geräten ausgestattet, die zu übermittelnde Daten produzieren: Magnetometer, Detektoren für energetisch neutrale Atome, anomale kosmische Strahlung und sonstige Partikel, Staub- und Plasma-Detektoren, Spektrometer und optische Kameras.[21] Die militärischen Tiefraumstation Kashgar, Giyamusi und Zapala sowie das 65-m-Tianma-Radioteleskop bei Shanghai verfügen bereits über die entsprechenden Empfänger.[22] Für Erkundungen in dem Bereich zwischen 100 und 200 AE wäre bei einer Empfindlichkeit der Empfänger von −157 dBm eine Parabolantenne von mindestens 80 m Durchmesser notwendig. Im Kreis Qitai, Provinz Xinjiang wird seit 2012 ein 110-m-Teleskop gebaut, das mit seinem Breitbandempfänger (150 MHz bis 115 GHz) für diesen Zweck geeignet wäre.[23][24]

Auf den Sonden selbst sollen Hochgewinnantennen mit einem Antennengewinn von mindestens 59 dB im Ka-Band und gegebenenfalls 46 dB im X-Band zum Einsatz kommen, die zwar präzise auf die Erde ausgerichtet werden müssen, aber eine relative hohe Datenübertragungsrate ermöglichen. Diese relativ hohe Datenrate ist wegen der großen Entfernungen absolut gesehen sehr niedrig: sie soll bei einer Entfernung von 100 AE rund 160 bit/s betragen. Empfangen kann die Sonde bei 100 AE mit 20 bit/s und bei 200 AE mit 10 bit/s. Zum Vergleich: Cassini sendete vom Saturn aus, das heißt in etwa 8 AE Entfernung, mit rund 50 kbit/s und empfing Steuersignale von der Erde mit 8 kbit/s. Stand 2019 waren in den chinesischen Tiefraumstationen Klystron-Sender mit einer Leistung von 10 kW installiert. Der Prototyp eines 50-kW-Senders für das X-Band wurde 2018 fertiggestellt und getestet. Zum Vergleich: einer der X-Band-Sender des amerikanischen Deep Space Network hat eine Sendeleistung von 500 kW.[25]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b 着陆火星?!天问一号还有几道难关需要闯. In: cnsa.gov.cn. 29. Oktober 2020, abgerufen am 14. November 2020 (chinesisch).
  2. a b 王金志: 五十多年发展未来可期!中国航天梦下一站在哪儿? In: xinhuanet.com. 25. April 2022, abgerufen am 26. April 2022 (chinesisch).
  3. 汪毓明. In: step.ustc.edu.cn. Abgerufen am 30. April 2022 (chinesisch).
  4. Wang Chi et al.: Gan De: Science Objectives and Mission Scenarios For China's Mission to the Jupiter System. In: copernicus.org. 3. Mai 2020, abgerufen am 27. April 2022 (englisch).
  5. a b 陈诗雨 et al.: 木星系探测及行星穿越任务轨迹初步设计. (PDF; 1,2 MB) In: jdse.bit.edu.cn. 11. Februar 2019, abgerufen am 31. März 2021 (chinesisch).
  6. Xu Lin et al.: China's Planning for Deep Space Exploration and Lunar Exploration before 2030. In: cjss.ac.cn. 15. September 2018, abgerufen am 30. April 2022 (englisch).
  7. 代小佩: 从放牛娃到北大教授 他捧起空间科学最高奖. In: people.cctv.com. 9. September 2019, abgerufen am 28. April 2022 (chinesisch).
  8. 汪毓明. (PDF; 75,4 KB) In: gradschool.ustc.edu.cn. 2, abgerufen am 30. April 2022 (chinesisch).
  9. 团队成员. In: step.ustc.edu.cn. Abgerufen am 30. April 2022 (chinesisch).
  10. Wang Chi et al.: Gan De: Science Objectives and Mission Scenarios For China's Mission to the Jupiter System. In: copernicus.org. 3. Mai 2020, abgerufen am 30. April 2022 (englisch).
  11. 王赤: 重磅!中国正在论证太阳系边际探测工程. In: huanlan.zhihu.com. 13. Juli 2021, abgerufen am 28. April 2022 (chinesisch).
  12. 着陆火星?!天问一号还有几道难关需要闯. In: cnsa.gov.cn. 29. Oktober 2020, abgerufen am 1. Mai 2022 (chinesisch).
  13. a b c Andrew Jones: China Space News Update #12. In: getrevue.co. 25. Oktober 2021, abgerufen am 26. Oktober 2021 (englisch).
  14. 工程科技论坛:深空探索科学技术与应用. In: ckcest.cn. 18. Oktober 2021, abgerufen am 26. Oktober 2021 (chinesisch). Ab 22:30.
  15. 王立鹏 et al.: 热管式空间快堆精细化燃耗计算分析. In: kns.cnki.net. Abgerufen am 30. November 2019 (chinesisch).
  16. 一种非能动高温热管快堆堆芯传热系统. In: patents.google.com. 5. April 2017, abgerufen am 30. November 2019 (chinesisch).
  17. 吴伟仁 et al.: 太阳系边际探测研究. (PDF; 4 MB) In: scis.scichina.com. 9. Januar 2019, abgerufen am 27. April 2022 (chinesisch).
  18. 李学磊: 国家航天局举办新闻发布会 介绍我国首次火星探测任务情况. In: gov.cn. 12. Juni 2021, abgerufen am 15. Juni 2021 (chinesisch).
  19. 一夜星辰: 我国510所研制的LIPS-300大功率离子推力器系统在实践20上完成全面验证. In: zhuanlan.zhihu.com. 23. April 2020, abgerufen am 13. Mai 2020 (chinesisch).
  20. 董光亮、李海涛 et al.: 中国深空测控系统建设与技术发展. In: jdse.bit.edu.cn. 5. März 2018, abgerufen am 1. Dezember 2019 (chinesisch).
  21. Andrew Jones: China Considers Voyager-like Mission to Interstellar Space. In: planetary.org. 19. November 2019, abgerufen am 2. Dezember 2019 (englisch).
  22. 李国利、吕炳宏: 我国首个海外深空测控站为“天问”探火提供测控支持. In: mod.gov.cn. 24. Juli 2020, abgerufen am 29. April 2021 (chinesisch).
  23. Wang Na: Plans for QTT — Overall Introduction. (PDF; 5,62 MB) In: science.nrao.edu. 18. Mai 2014, abgerufen am 1. Mai 2022 (englisch).
  24. Qitai Observatory. In: xao.ac.cn. Abgerufen am 1. Mai 2022 (englisch).
  25. Joseph Statman: Analysis of DSN Emitter High-Intensity Radiated Fields. (PDF; 1,08 MB) In: deepspace.jpl.nasa.gov. 14. April 2012, abgerufen am 1. Dezember 2019 (englisch). S. 16.