Tiangong

Tiangong (chinesisch 天宮 / 天宫, Pinyin Tiāngōng – „Himmelspalast“)[1] ist eine Serie von Raumlaboren im Rahmen des bemannten Raumfahrtprogramms der Volksrepublik China, bei denen das zunächst von Zhang Bainan,[2] seit 2016 von Zhu Congpeng (朱枞鹏, * 1963) geleitete Raumlaborsystem zuständig ist.[3][4] Am 29. September 2011 wurde Tiangong 1 gestartet, Tiangong 2 folgte am 15. September 2016. Die Erfahrungen mündeten in den Aufbau einer modularen Raumstation mit dem Start des Kernmoduls Tianhe am 29. April 2021.

Vorbereitung

Bei dem im März 1986 gestarteten Nationalen Programm zur Entwicklung von Hochtechnologie, wegen des Datums auch „Programm 863“ genannt, war in Sektion 863-205 der Bau einer Raumstation vorgesehen. Zum damaligen Zeitpunkt war das jenseits der technischen Möglichkeiten Chinas, aber man befasste sich bereits mit theoretischen Vorarbeiten und der Ausarbeitung von Konzepten, die am 21. September 1992 in das Bemannte Raumfahrtprogramm der Volksrepublik China mündeten, wegen des Datums auch „Projekt 921“ genannt. Während des Planungsprozesses hatte man sich 1991 darauf geeinigt, vor einer ständig besetzten Raumstation zum Zwecke der Technologieerprobung ein kurzzeitig bewohntes Raumlabor zu starten. Der deutschen Öffentlichkeit wurde bei der Expo 2000 in Hannover ein Modell gezeigt, das mit der späteren Realität allerdings nur wenig zu tun hatte.[5]

Die Steuerung von Raumflugkörpern erfolgt üblicherweise durch kleine Lageregelungstriebwerke. Der amerikanische Space Shuttle besaß zum Beispiel 44 solcher Triebwerke verschiedener Schubkraft. Für den Regelbetrieb einer Raumstation, die jahrelang um die Erde kreist und dabei ständig äußeren Einflüssen wie der Bremswirkung der Thermosphäre, dem Strahlungsdruck der Sonne und dem Gravitationsfeld der Erde ausgesetzt ist, wären derartige Triebwerke durch den hohen Treibstoffverbrauch jedoch viel zu teuer und ineffizient. Daher greift man bei großen Raumflugkörpern auf sogenannte Momentenkreisel zurück, bei denen ein kardanisch aufgehängtes Schwungrad ständig rotiert. Für eine Änderung der Fluglage wird der Winkel der Drehachse verstellt. Das dabei auftretende Reaktionsmoment dreht den Raumflugkörper, schneller und gleichzeitig schonender als mit chemischen Triebwerken.

Dies ist eine Schlüsseltechnologie für den Betrieb einer Raumstation, über die damals nur Russland und die USA verfügten. 1998 wurde das Forschungsinstitut 502 (Steuersysteme und Antriebstechnik) der Chinesischen Akademie für Weltraumtechnologie beauftragt, ein entsprechendes System für das erste Raumlabor zu entwickeln. Nach mehreren Jahren hatte man schließlich einen Momentenkreisel mit einem Drehimpuls von 200 Nms fertiggestellt, von dem sechs Exemplare im Raumlabor eingebaut wurden, um eine Steuerung des mit angekoppeltem Shenzhou-Raumschiff 16,3 t schweren Komplexes um alle drei Drehachsen zu ermöglichen.[6]

Tiangong 1

Zeichnung von Tiangong 1 (links) mit angedocktem Shenzhou-Raumschiff (rechts)

Tiangong 1 wurde am 29. September 2011 mit einer Trägerrakete vom Typ Langer Marsch 2F/T gestartet, die eine größere Nutzlastverkleidung besitzt als die für bemannte Raumflüge verwendete Rakete derselben Serie. Am 3. November dockte das unbemannte Raumschiff Shenzhou 8 an. Dies war das erste Kopplungsmanöver der chinesischen Raumfahrt. Am 14. November koppelte Shenzhou 8 ab und erneut an, bevor das Raumschiff die Raumstation am 16. November endgültig verließ.

Die erste Besatzung kam am 18. Juni 2012 mit Shenzhou 9 an Bord und nahm damit das erste chinesische Raumlabor in Betrieb. Am 24. Juni wurde auch hier eine Ab- und Wiederankopplung durchgeführt. Die drei Raumfahrer verließen Tiangong 1 am 27. Juni 2012.

Die zweite, ebenfalls dreiköpfige Besatzung koppelte am 13. Juni 2013 mit Shenzhou 10 an. Eine zwischenzeitliche Ab- und Wiederankopplung erfolgte am 23. Juni, die endgültige Abkopplung am 25. Juni 2013.

Im März 2016 ging der Funkkontakt mit Tiangong 1 verloren. Am 2. April 2018 gegen 00:15 Uhr UTC trat die Raumstation in die Erdatmosphäre ein. Soweit sie nicht durch Erhitzung an vorbeistreichender Luft verglühte, fielen ihre Überreste in den Südpazifik.

Tiangong 2

Das zweite Raumlabor Tiangong 2 sah seinem Vorgänger zwar äußerlich ähnlich, sein Lebenserhaltungssystem war jedoch stark überarbeitet worden und ermöglichte den einmonatigen Aufenthalt einer zweiköpfigen Besatzung. Außerdem war Tiangong 2 für eine Betankung durch ein Tianzhou-Frachtraumschiff ausgelegt.[7] Damit war dieses Labor bereits um wesentliche Faktoren für die Errichtung einer dauerhaften Raumstation erweitert. Der Start von Tiangong 2 erfolgte am 15. September 2016. Am 18. Oktober 2016 koppelte das Raumschiff Shenzhou 11 am Raumlabor an. Jing Haipeng und Chen Dong bildeten die erste und einzige Besatzung der Station und blieben bis zum 17. November 2016 an Bord.[8] Am 19. Juli 2019 wurde Tiangong 2 gezielt zum Absturz gebracht.

Chinesische Raumstation (vulgo „Tiangong“)

Als nachfolgendes Projekt wurde ab 29. April 2021 mit dem Start des Kernmoduls der Aufbau der Chinesischen Raumstation begonnen. Diese ist seit 5. Juni 2022 ständig mit Menschen besetzt.

Einzelnachweise

  1. Eintrag 天宫 im chinesisch-deutschen Online-Wörterbuch LEO, abgerufen am 16. September 2016.
  2. 新闻背景:中国载人航天工程八大系统. In: chinanews.com. 29. September 2011, abgerufen am 23. Januar 2021 (chinesisch).
  3. 朱枞鹏总设计师:对天宫二号发射很有信心. In: news.qq.com. 15. September 2016, abgerufen am 23. Januar 2021 (chinesisch).
  4. 空间实验室系统. In: cmse.gov.cn. Abgerufen am 23. Januar 2021 (chinesisch).
  5. Mark Wade: China in der Encyclopedia Astronautica (englisch)
  6. 23年造“神器”,让空间站“坐如钟、行如风”. In: cast.cn. 17. August 2022, abgerufen am 18. August 2022 (chinesisch).
  7. 我国打造“经济适用型”太空“别墅”. In: cnsa.gov.cn. 12. Mai 2021, abgerufen am 18. August 2022 (chinesisch).
  8. n-tv: Chinas "Shenzhou 11" schafft Rekordflug. n-tv.de, 18. November 2016, abgerufen am 23. April 2017.

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Drawing of Shenzhou docked to Tiangong-1. If you believe its inaccurate than start a topic in the discussion page. Drawing is based on this image