Therapeutische Wirksamkeit

In der Medizin ist die therapeutische Wirksamkeit, meist kurz Wirksamkeit genannt, das Vermögen einer therapeutischen Maßnahme, den Verlauf einer Krankheit günstig zu beeinflussen.[1] Der allgemeinere Begriff medizinische Wirksamkeit kann sich auch auf präventive Maßnahmen beziehen, die einer Krankheit vorbeugen sollen, zum Beispiel auf Impfungen (Impfstoffwirksamkeit). Die Begriffe werden ferner verwendet, wenn es um eine zweifelhafte gesundheitliche Wirkung von Stoffen oder Maßnahmen geht, die normalerweise nicht als Therapeutika gelten, etwa bei Functional Food.[2][3]

Der Begriff klinische Wirksamkeit bezieht sich insbesondere auf die Wirksamkeit, die in klinischen Studien unter genau definierten und kontrollierten Bedingungen gemessen wird.[4] Die spätere „Alltagswirksamkeit“ im realen Behandlungsalltag[4] kann geringer sein, zum Beispiel weil dann einige Patienten ihre Medikamente nicht so zuverlässig einnehmen wie in klinischen Studien.

Anstelle von Wirksamkeit wird jeweils auch das Fremdwort Effektivität verwendet (therapeutische Effektivität – medizinische Effektivität – klinische Effektivität). In der Tiermedizin spricht man ebenfalls von therapeutischer Wirksamkeit[5] und klinischer Wirksamkeit.[6]

Beurteilung der Wirksamkeit

Methodik

Zur Bestimmung der Wirksamkeit sind klinische Studien an größeren Gruppen nötig. Dabei werden zwei oder mehr Patientengruppen miteinander verglichen. Eine Gruppe erhält die Behandlung, die getestet werden soll. Eine Kontrollgruppe erhält in der Regel entweder die bisherige Standardbehandlung oder ein Placebo. Meistens handelt es sich um Doppelblindstudien. Wenn die Zahl der Patienten groß genug ist, können auch Phänomene wie Spontanheilung die Studienergebnisse kaum beeinflussen.

Bedeutung

Arzneimittel ohne erfolgreichen Wirksamkeitsnachweis erhalten keine Arzneimittelzulassung. Dieser kann nur durch genehmigte klinische Studien mit von den Arzneimittelbehörden akzeptierten Wirksamkeitskriterien geführt werden.

Zahlreiche alternativmedizinische Strömungen und auch Behandlungen im Rahmen der „Schulmedizin“ nehmen für sich eine Wirksamkeit in Anspruch, ohne dass diese durch qualitativ hochwertige Studien nachgewiesen wurde. So wiesen zwei von wissenschaftlichen Medizinern und Homöopathen gemeinsam geplante und durchgeführte Studien eine lediglich in etwa dem Placebo vergleichbare Wirkung der homöopathischen Mittel nach.[7]

Grenzen der Beurteilung der Wirksamkeit

Die in klinischen Studien gemessene Wirksamkeit ist eine statistische Aussage, die sich auf einzelne Patienten nur im Sinne einer Wahrscheinlichkeit anwenden lässt. Eine allgemein als wirksam geltende Therapie kann im Einzelfall versagen, auch wenn sie regelrecht angewandt wurde. Auch Nebenwirkungen treten bei individuellen Patienten unterschiedlich in Erscheinung.

Gesetzliche Kriterien und Leitlinien

Vom Gesetzgeber wird verlangt, dass sich der einzelne Arzt in seinen Entscheidungen am vorhandenen medizinischen Wissen orientiert. Als Stand der Wissenschaft wird dieses gesicherte Wissen in den entsprechenden Zeitschriften veröffentlicht oder auf Fortbildungsveranstaltungen vermittelt.

Inzwischen wurden durch die evidenzbasierte Medizin Leitlinien erarbeitet, denen ein verantwortungsbewusster Arzt folgen kann. Da das Wissen in der Medizin in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen hat, muss er in der Lage sein, die Qualität einer vorgelegten Studie zu beurteilen, um die „Spreu vom Weizen“ zu trennen. Er muss zumindest in der Lage sein, sich auf das Wissen anerkannter Fachleute zu verlassen.

Die Aussagekraft medizinischer Studien wird von der evidenzbasierten Medizin hierarchisch geordnet. Am aussagekräftigsten sind dabei (in absteigender Reihenfolge)

  1. anerkannte und methodisch hochwertige klinische Studien in ihrer Zusammenschau
  2. einzelne ausreichend große, methodisch hochwertige klinische Studien (dabei handelt es sich oft um sogenannte randomisierte, kontrollierte Studien)
  3. wenigstens eine hochwertige Studie ohne Randomisierung
  4. methodisch hochwertige experimentelle Studien
  5. mehr als eine methodisch hochwertige nicht-experimentelle Studie
  6. Meinungen und Überzeugungen angesehener Autoritäten aufgrund deren klinischer Erfahrung (Expertenkommissionen)
  7. und am Schluss: eigene Anschauung und Erfahrung

Urteile und Beschlüsse

In der Vergangenheit war die Leistungspflicht der Krankenkassen bei der Anwendung von Behandlungsmethoden, deren therapeutische Wirksamkeit bisher nicht wissenschaftlich belegt wurde, mehrfach Inhalt höchstrichterlicher Rechtsprechung. Zu beachten ist dabei jedoch, dass sich die Gerichte in diesen Fällen ausdrücklich nicht mit der Wirksamkeit komplementärmedizinischer Methoden selbst befassten, sondern lediglich mit den Kriterien, die einen Anspruch auf Kostenerstattung durch die Krankenkassen bei der Behandlung nach Konzepten ohne nachgewiesene therapeutische Wirksamkeit begründen. Die nachfolgenden Urteile und Beschlüsse dürfen daher nicht als Wirksamkeitsnachweise für die teils umstrittenen Heilsysteme der Alternativ- bzw. Komplementärmedizin angesehen werden.

  • Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23. Juni 1993, Az. IV ZR 135/92:
    Der BHG erklärt die so genannte Wissenschaftsklausel für unwirksam. Diese Klausel schreibt vor, dass die Krankenversicherungen bei wissenschaftlich nicht anerkannten Methoden grundsätzlich nicht zur Übernahme der Behandlungskosten verpflichtet waren.[8]
  • Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10. Juli 1996, Az. IV ZR 133/95:
    Im Falle einer unheilbaren Krankheit (in dem dem Urteil zugrunde liegenden Fall handelte es sich um eine AIDS-Erkrankung) muss die private Krankenversicherung die Kosten für eine Behandlung auch dann übernehmen, wenn die „medizinische Richtigkeit“ der angewandten Behandlungsmethode nicht zweifelsfrei belegt ist, da jede Therapie einer unheilbaren Erkrankung zwangsläufig „Versuchscharakter“ habe.[9]
  • Urteil des Bundessozialgerichts vom 16. September 1997, Az. 1 RK 28/95:
    Versicherte haben grundsätzlich keinen Anspruch auf Kostenerstattung bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, solange diese nicht vom damaligen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (der Vorläuferinstitution des heutigen Gemeinsamen Bundesausschusses) als zweckmäßig anerkannt sind. In Einzelfällen kann jedoch ein Kostenerstattungsanspruch bestehen, wenn der Bundesausschuss nicht oder nicht zeitgerecht über die Anerkennung entschieden hat (sogenanntes Systemversagen).[10][11]
  • Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005, Az. 1 BvR 347/98 (sog. Nikolausurteil[12]):
    Nach einer Verfassungsbeschwerde eines an einer unheilbaren Krankheit leidenden Patienten, der sich in seiner terminalen Lebensphase befand, wurde das oben genannte Urteil des Bundessozialgerichts vom 16. September 1997, Az. 1 RK 28/95, wieder aufgehoben.[13] Im Leitsatz des Beschlusses heißt es:

„Es ist mit den Grundrechten […] nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Krankheit eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder eine spürbare Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.“

Bei den genannten Urteilen und Beschlüssen handelte es sich stets um Entscheidungen der Gerichte in konkreten Einzelfällen. Aus ihnen kann daher kein allgemeingültiger Anspruch auf Kostenerstattung durch die Krankenkassen bei der Anwendung komplementärmedizinischer Methoden und Konzepte abgeleitet werden.[12]

Therapeutische Breite

Die therapeutische Breite eines Arzneimittels ist ein Maß für den Abstand zwischen wirksamer Dosis und tödlicher Dosis. Dieser Abstand sollte möglichst groß sein. Die therapeutische Breite wird berechnet als das Verhältnis der mittleren letalen Dosis (Dosis, die bei 50 % der Probanden tödlich wirkt) zur mittleren Effektivdosis (Dosis, die bei 50 % der Probanden die erwünschte Wirksamkeit erzielt).[14]

Englische Bezeichnungen

Bei der Übertragung englischsprachiger medizinischer Literatur können sowohl efficacy als auch effectiveness und efficiency mit „Wirksamkeit“ übersetzt werden. Entsprechend können sowohl efficacious als auch effective und efficient mit „wirksam“ übersetzt werden.

Diese Begriffe werden mit Überschneidungen und nicht einheitlich verwendet[15] und bieten so Spielraum für Interpretationen. Sie werden tendenziell wie folgt verwendet:[16]

  • efficacy (Wirkungsvermögen) – die grundsätzliche Wirksamkeit
  • effectiveness (Effektivität) – das Ausmaß der Wirksamkeit
  • efficiency (Effizienz) – die Wirksamkeit im Verhältnis zu den Kosten oder zum Aufwand

Das DocCheck Flexikon nennt außerdem potency und differenziert die Begriffe wie folgt:[1]

  • efficacy – Wirkungsvermögen, meist die Wirksamkeit im Rahmen von kontrollierten, klinischen Studien
  • effectiveness – Effektivität in der routinemäßigen, alltäglichen Anwendung
  • efficiency – Wirksamkeit unter Kosten-Nutzen-Abwägung
  • potency – Wirkstärke im Sinne der Dosis-Wirkungs-Kurve, d. h. die Konzentration eines Wirkstoffes, die für einen bestimmten Effekt nötig ist

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Therapeutische Wirksamkeit im DocCheck Flexikon, Stand 25. Januar 2022.
  2. Medikamente im Test: Erhöhte Blutfette test.de, 1. Oktober 2022. Im Abschnitt Rezeptfreie Mittel ist mehrmals die Rede davon, dass eine therapeutische Wirksamkeit nicht oder nicht ausreichend nachgewiesen werden konnte.
  3. Nutraceutical im DocCheck Flexikon, Stand 25. August 2017. Zitat: „Die Bezeichnung suggeriert eine medizinische Wirksamkeit der so gelabelten Produkte. […] Meist sind diese Wirkungen jedoch nicht durch wissenschaftliche Studien belegt.“
  4. a b Klinische Wirksamkeit European Patients’ Academy on Therapeutic Innovation (EUPATI)
  5. Tierarzneimittelgesetz § 38 Abs. 2 Ziffer 1.
  6. Klinische Wirksamkeit und Verträglichkeit Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (zur Zulassung von Tierarzneimitteln).
  7. Aijing Shang, Karin Huwiler-Müntener, Linda Nartey, Peter Jüni, Stephan Dörig: Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? Comparative study of placebo-controlled trials of homoeopathy and allopathy. In: Lancet (London, England). Band 366, Nr. 9487, 2005, ISSN 1474-547X, S. 726–732, doi:10.1016/S0140-6736(05)67177-2, PMID 16125589.
  8. BGH, Urteil vom 23. Juni 1993, Az. IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83 = NJW 1993, 2369.
  9. BGH, Urteil vom 10. Juli 1996, Az. IV ZR 133/95, BGHZ 133, 208 = NJW 1996, 3074.
  10. BSG, Urteil vom 16. September 1997, Az. 1 RK 28/95, BSGE 81, 54 = NJW 1999, 1805.
  11. Deutscher Ärzteverlag GmbH, Redaktion Deutsches Ärzteblatt: Anspruch bei Außenseiter-Methoden: Verbindlichkeit der Entscheidungen des Bundesausschusses Ärzte/Krankenkassen - Dtsch Arztebl 1998; 95(33). (aerzteblatt.de [abgerufen am 5. Juni 2017]).
  12. a b Florian Steger: GTE Medizin. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011, ISBN 978-3-8252-3402-7, S. 64.
  13. BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005, Az. 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25.
  14. Therapeutische Breite im DocCheck Flexikon, Stand 7. Februar 2021.
  15. What is the difference between efficacy and effectiveness with respect to clinical trials? researchgate.net, 19. März 2015 (kontroverse Expertendiskussion zu den Begriffen).
  16. Jason Shafrin: Efficacy vs. Effectiveness vs. Efficiency healthcare-economist.com, 25. Januar 2016.