Terence Davies (Regisseur)

Terence Davies (* 10. November 1945 in Liverpool; † 7. Oktober 2023 in Mistley, Essex) war ein britischer Filmregisseur, Drehbuchautor und Schauspieler. Obwohl sein teilweise autobiografisches Werk seit den 1970er-Jahren nur rund ein Dutzend Filme umfasst, galt er vielen Kritikern als einer der größten britischen Filmemacher seiner Zeit.[1][2]

Leben

Terence Davies wurde 1945 als jüngstes von zehn Kindern in eine katholische Arbeiterfamilie in Liverpool geboren. Er verließ die Schule mit 16 Jahren und arbeitete zunächst ein Jahrzehnt als ungelernter Büroangestellter[3], ehe er eine Ausbildung an der Schauspielschule in Coventry begann. Hier schrieb er ein kurzes Drehbuch und überzeugte das BFI Production Board, ihm Fördergelder für die Verfilmung des Drehbuchs zu geben: Sein erster Kurzfilm Children (1976) setzte seiner tragischen Kindheit, die durch seinen tyrannischen Vater und dessen frühen Tod geprägt war, ein filmisches Denkmal.[4] Autobiografische Themen waren auch dominierend in den beiden weiteren Kurzfilmen Madonna and Child (1980) und Death and Transfiguration (1983), die gemeinsam mit seinem Debütfilm 1984 als eine Trilogie (die sogenannte „Terence Davies Triology“) zusammengefasst wurden.

Unterdessen schloss Davies seine Regieausbildung an der National Film School ab. Regieunterricht nahm er bei Alexander Mackendrick, dessen Ealing-Studios-Komödien zu seinen Lieblingsfilmen zählten.[5][6] 1988 erschien sein erster Spielfilm Entfernte Stimmen – Stilleben in den Kinos, mit dem er erneut ein Familienporträt unter Berücksichtigung autobiografischer Erlebnisse schuf. Der Film erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter einen von drei vergebenen FIPRESCI-Preisen bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes 1988. 1992 lieferte Davies mit Am Ende eines langen Tages eine Art Fortsetzung seines Spielfilmdebüts, die das Erwachsenwerden eines ihm nachempfundenen Jugendlichen beschreibt und ebenfalls in Cannes gezeigt wurde. Nach diesem Film erklärte Davies die Behandlung autobiografischer Themen bei seinen Filmen für beendet.

Anschließend widmete sich Davies vor allem Romanverfilmungen, so Die Neonbibel (1995) nach einem Werk von John Kennedy Toole und Haus Bellomont (2000) nach dem Roman von Edith Wharton Das Haus der Freude. Letzterer brachte ihm einige Auszeichnungen und Nominierungen sowohl für Regie wie auch für das Drehbuch ein. Trotz des Erfolges von Haus Bellomont fand Davies kaum Finanzierungsmöglichkeiten für seine weiteren Projekte. 2008 hatte er ein Comeback mit dem Dokumentarfilm Of Time and City, der seine Heimatstadt Liverpool im Zeitraum der Mitte des 20. Jahrhunderts im Stile einer Collage zeigte und an seine frühen autobiografischen Filme anknüpft. 2011 kam das Melodram The Deep Blue Sea mit Rachel Weisz und Tom Hiddleston in die Kinos, das die Affäre einer verheirateten Frau in den 1950er-Jahren schildert. Im Jahr 2015 erschien der Film Sunset Song, der auf einem gleichnamigen berühmten schottischen Roman basiert. Im folgenden Jahr verfilmte er das Leben der Dichterin Emily Dickinson als A Quiet Passion mit Cynthia Nixon in der Titelrolle, 2021 folgte mit Benediction über Siegfried Sassoon eine weitere Filmbiografie über einen Dichter.

Eine seit 2019 geplante Verfilmung von Stefan Zweigs Romanfragment Rausch der Verwandlung konnte Davies nicht mehr verwirklichen.[7] Er starb im Oktober 2023 nach kurzer Krankheit im Alter von 77 Jahren in seinem Zuhause, einem Cottage in dem Dorf Mistley in Essex.[8][9][10]

Themen und Stil

Berühmt wurde Terence Davies vor allem durch seine autobiografischen Filme: In diesen setzte er sich mit seinem psychopathischen Vater und dessen häuslicher Gewalt[11], dem strengen Katholizismus seiner Familie und seiner Homosexualität, die bei ihm Scham- und Angstgefühle auslöste, auseinander.[12][13] Die schwierige Jugend in Liverpool prägte sein Leben – Davies wurde Atheist, fühlte sich in seiner Sexualität aber nie wohl und lebte zölibatär. Gleichwohl sind seine Filme trotz Kritik aber keine einfachen „Abrechnungen“ mit den konservativen Lebensverhältnissen seiner Jugend, denn seine Filme beschwören gleichzeitig eine Zeit von „größeren Melodien, weniger Lärm und besserer Diktion[14] sowie ein aktives Gemeinschaftsleben der damaligen Arbeiterklasse herauf. Gerade diese Ambiguität der Darstellung des Großbritanniens der 1950er-Jahre machte seine Filme diskussionswürdig.[15]

Zugleich waren diese autobiografischen Filme auch Reflexionen über Zeit und die menschliche Erinnerung im Allgemeinen.[16] Diese Filme sind nicht streng chronologisch erzählt, oft reiht sich beispielsweise eine Szene nach einer Assoziation aus einer vorherigen Szene an diese. Davies arbeitet dabei auch viel mit Geräuschen, so kommen Volkslieder, klassische Kompositionen und Jazzmusik sowie Ausschnitte aus klassischen Hollywood-Filmen in seinen in den 1950er-Jahren spielenden Filmen ständig vor – so wirken die Filme des Lyrikliebhabers Davies beinahe wie Ton- und Bildgedichte. Häufig kommentieren diese popkulturellen Einspielungen das Leben der Familien in seinen Filmen.

Nach The Long Day Closes wandte sich Terence Davies (mit der Ausnahme von Of Time and City) von den autobiografischen Filmstoffen ab.[17] Er folgten Literaturverfilmungen und er verfilmte Werke von John Kennedy Toole (The Neon Bible), Edith Wharton (The House of Mirth), Terence Rattigan (The Deep Blue Sea) und Lewis Grassic Gibbon (Sunset Song). Oft stehen in seinen Filmen seit The Neon Bible starke Frauenfiguren im Vordergrund, die sich gegen die einengenden Konventionen ihrer Zeit stellen.[18] Seine letzten Filme über die Dichter Emily Dickinson und Siegfried Sassoon stellten Außenseiterleben dar, mit denen er sich identizieren konnte.[19]

Der Filmprofessor Robert Shail nannte Davies in seinem Werk British Film Directors: A Critical Guide einen der „talentiertesten britischen Regisseure der letzten 30 Jahre“ und schrieb:

„Sein Ansatz des Filmemachens ist das cineastische Äquivalent zum Magischen Realismus der Literatur, in dem eine lebhafte Wiedererschaffung der alltäglichen Welt mit Träumen und Erinnerungen angereichert wird, um eine Form des Hyperrealismus zu produzieren, die sowohl die Außenwelt als auch die Innenwelt des Filmemachers reflektiert.“

Robert Shail[20]

Filmografie

Bei allen Filmen als Regisseur und Drehbuchautor:

  • 1984: Trilogie eines Lebens (The Terence Davies Trilogy); Zusammenstellung der Kurzfilme:
    • 1976: Children
    • 1980: Madonna and Child
    • 1983: Death and Transfiguration
  • 1988: Entfernte Stimmen – Stilleben (Distant Voices, Still Lives)
  • 1992: Am Ende eines langen Tages (The Long Day Closes)
  • 1995: Die Neonbibel (The Neon Bible)
  • 2000: Haus Bellomont (The House of Mirth)
  • 2008: Of Time and the City (Dokumentarfilm)
  • 2011: The Deep Blue Sea
  • 2015: Sunset Song
  • 2016: A Quiet Passion – Das Leben der Emily Dickinson (A Quiet Passion)
  • 2021: But Why? (Kurzfilm)
  • 2021: Benediction
  • 2023: Passing Time (Kurzfilm)[21]

Auszeichnungen

Dublin International Film Festival

  • 2022: Auszeichnung für das Beste Drehbuch (Benediction)[22]

British Independent Film Award

  • 2021: Nominierung für das Beste Drehbuch (Benediction)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. The Long Day Closes. Abgerufen am 7. März 2019 (englisch).
  2. Telegraph Film: The top 21 British directors of all time. In: The Telegraph. 25. April 2016, ISSN 0307-1235 (telegraph.co.uk [abgerufen am 21. Oktober 2019]).
  3. Ein Nachruf auf Terence Davies. Abgerufen am 13. Oktober 2023.
  4. ‘Being gay has ruined my life’. Abgerufen am 22. August 2019 (englisch).
  5. Terence Davies on Ealing. Abgerufen am 8. Oktober 2023 (englisch).
  6. Terence Davies on Ealing. Abgerufen am 8. Oktober 2023 (englisch).
  7. FFW fördert Zweig-Verfilmungen und Sargnagel-Dokumödie. Abgerufen am 15. Oktober 2019.
  8. Terence Davies, Master English Filmmaker, Dead at 77. In: indiewire.com. 7. Oktober 2023, abgerufen am 7. Oktober 2023 (englisch).
  9. Vanessa Thorpe, Vanessa Thorpe Arts, media correspondent: Terence Davies, award-winning film-maker, dies at 77. In: The Observer. 7. Oktober 2023, ISSN 0029-7712 (theguardian.com [abgerufen am 8. Oktober 2023]).
  10. Terence Davies obituary: farewell to a British master of poetic cinema. Abgerufen am 11. Oktober 2023 (englisch).
  11. Stuart Jeffries: Terence Davies: follow your hormones. In: The Guardian. 23. November 2011, ISSN 0261-3077 (theguardian.com [abgerufen am 22. August 2019]).
  12. Time and memory: The cinema of Terence Davies. Abgerufen am 22. August 2019 (britisches Englisch).
  13. Stuart Jeffries: Terence Davies: follow your hormones. In: The Guardian. 23. November 2011, ISSN 0261-3077 (theguardian.com [abgerufen am 22. August 2019]).
  14. ‘Being gay has ruined my life’. Abgerufen am 22. August 2019 (englisch).
  15. ‘Being gay has ruined my life’. Abgerufen am 22. August 2019 (englisch).
  16. Time and memory: The cinema of Terence Davies. Abgerufen am 22. August 2019 (britisches Englisch).
  17. Rüdiger Sturm: Die Gegenwart, ein fremdes Land. 12. September 2001 (welt.de [abgerufen am 22. August 2019]).
  18. Joanna Di Mattia: Davies, Terence. Abgerufen am 22. August 2019 (amerikanisches Englisch).
  19. Brent Lang: Terence Davies on His Siegfried Sassoon Biopic ‘Benediction’ and Why He Hates Jane Austen Films. In: Variety. 7. September 2021, abgerufen am 8. Oktober 2023 (amerikanisches Englisch).
  20. TSPDT – Terence Davies. Abgerufen am 21. Oktober 2019 (englisch).
  21. Nick Newman: Terence Davies on Bringing Poetry to Life, Directing His New Short, and Planning His Next Feature. 19. September 2023, abgerufen am 19. Oktober 2023 (amerikanisches Englisch).
  22. Davide Abbatescianni: ‘The Quiet Girl’ and ‘Vortex’ triumph at this year’s Virgin Media Dublin International Film Festival. In: cineuropa.org, 7. März 2022.