Tengu
Tengu (japanisch 天狗, kana てんぐ) ist der Name eines japanischen Fabelwesens, das den Yōkai (Ungeheuer) zugeordnet wird.
Hintergrund
Beim japanischen Namen Tengu handelt es sich um die sinojapanische Lesung der chinesischen Bezeichnung chinesisch 天狗, Pinyin tiāngŏu, wörtlich Himmelshund. In chinesischen Quellen ist dies ein hundeähnliches Wesen, oft in Verbindung mit einer Sternschnuppe oder einem Kometen dargestellt. Es verfolgt die Sonne und den Mond, frisst sie gelegentlich auf und verursacht so eine Verfinsterung des Himmels. Alten Quellen zufolge kommt es manchmal vom Himmel unter Donner herab, verursacht Kriege und anderes Unheil[1]. In Japan findet man die Schriftzeichen erstmals in dem 720 kompilierten Geschichtswerk Nihon Shoki. Auch hier erscheint ein Komet, auf den Hungersnot und Kriegswirren folgen.[2] Als japanische Lesung der Zeichen wird jedoch die Form Amakitsune (wörtl. „Himmelsfuchs“) gegeben, die den in Japan mit magischen Fähigkeiten ausgestatteten Fuchs einführt.[3] Seit dem Ende des 10. Jahrhunderts ist der Name Tengu in Erzählungen (Utsubo Monogatari, Genji Monogatari usw.) wie auch in Wörterbüchern nachweisbar.
Ein zweiter Traditionsstrang beginnt mit dem mythischen Vogelmenschen Garuḍa (japanisch 迦楼羅, Romaji Karura; kana ガルダ, Romaji Garuda) des Hinduismus. Dieser entwickelte sich im Buddhismus zu einer der Gruppe der acht Deva gehörenden Schutzgottheit. Diese gelangte über China nach Japan (chin.迦樓羅 / 迦楼罗, Jiālóuluó, jap. Karura). Die älteste japanische Karura-Plastik steht im Kōfuku-Tempel in Nara. Sie zeigt einen menschlichen Körper mit Vogelkopf in einer chinesischen Rüstung der Tang-Zeit.
Entwicklung in Japan
Die frühe Ausformung der japanischen Vorstellungen ist nicht geklärt. Wahrscheinlich vermischten sich buddhistische Elemente mit Vorstellungen des einheimischen Shintō. Abbildungen wie die „Tengu-Bildrolle“ (Tengu sōshi emaki) aus dem 13. Jahrhundert verknüpfen die Figur des Tengu mit (dekadenten) buddhistischen Mönchen. Seit dem 14. Jahrhundert verbreitete sich eine menschliche Figur mit Krähengesicht/-kopf und Flügeln in der Tracht der Yamabushi-Bergasketen des Shugendō, einschließlich des Tokin auf der Stirn. Bisweilen findet man auch Figuren, die – wahrscheinlich von Karura-Plastiken beeinflusst – chinesische Rüstungen tragen. In der Hand halten die japanischen Tengu Schwerter, Pilgerstäbe, Schriftrollen, Gebetsketten oder aber Fächer aus Federn, mit denen sie heftige Winde verursachen können. Im letztgenannten Fall entfallen oft die Flügel.
Volkstümlichen Vorstellungen zufolge schlüpfen Tengu aus Eiern. Ihre Haut hat eine tiefrote Farbe. Anstelle von Haaren wachsen ihnen Federn am Hals, auf der Schulter und auf dem Armrücken, und alle Extremitäten enden in Vogelklauen. Sie leben in kleinen Gruppen in den Bergen und zeigen sich Menschen eher selten. An der Spitze ihrer Hierarchie steht ihr König Sōjōbō. Niedere Formen wie der „Krähen-Tengu“ (Karasu-Tengu, 烏天狗, 鴉天狗) oder der „Baumblatt-Tengu“ (Konoha-Tengu, 木の葉天狗) sind in der Regel den „Groß-Tengu“ (Dai-Tengu, auch Ō-Tengu, 大天狗) untergeordnet.
In der während der Edo-Zeit durch den Mönch Tainin verfassten Schrift Tengu meigi kō (天狗名義考) findet sich eine Reihe von überregional bekannter Tengu, die als Gottheit verehrt werden. Sie sind häufig mit einem bestimmten Berg, aber auch mit Feuer oder mit Bishamon, im Buddhismus der Wächter der nördlichen Himmelsrichtung, verbunden[4]:
- Sōjōbō (僧正坊) auf dem Berg Kurama bei Kyōto
- Tarōbō (太郎坊) auf dem Berg Atago im Norden von Kyōto
- Jirōbō (二郎坊) im Hira-Gebirge westlich des Biwa-Sees
- Sanjakubō (三尺坊) auf dem Berg Akiha (Präfektur Shizuoka)
- Ryūhōbō (笠鋒坊) auf dem Berg Kōmyō (Präfektur Niigata)
- Buzenbō (豊前坊) auf dem Berg Hiko an der Grenze der Präfekturen Fukuoka und Oita
- Hōkibō (伯耆坊) auf dem Berg Daisen (Präfektur Tottori)
- Sankibō (三鬼坊) auf der Schrein-Insel Itsukushima
- Zenkibō (前鬼坊) auf dem Berg Ōmine (Präfektur Nara)
- Kōtenbō (高天坊) in Katsuragi (Präfektur Nara)
- Tsukuba-hōin (筑波法印) in der historischen Provinz Hitachi
- Daranibō (陀羅尼坊) auf dem Berg Fuji
- Naigubu (内供奉) auf dem Berg Takao (Hachioji)
- Sagamibō (相模坊) in Shiramine (Präfektur Ishikawa)
- Saburō (三郎) auf dem Berg Iizuna (Präfektur Nagano)
- Ajari (阿闍梨) in der historischen Provinz Higo
Ursprünglich wurden die Tengu gefürchtet, weshalb man sie mit Opfergaben zu besänftigen suchte. Sie lösten Besessenheit aus, attackierten und entführten Mönche und Kinder, waren aggressiv und waffengewandt. Minamoto no Yoshitsune soll vom Tengu Sōjōbō die Schwertkunst erlernt haben. Mit der frühen Neuzeit gewannen humoristische Aspekte an Gewicht. So mancher Tengu treibt nun allerlei Schabernack. Auch wandelte sich der Schnabel vielerorts in eine lange Nase mit den entsprechenden sexuellen Konnotationen. Wegen ihrer, aus japanischer Sicht, langen Nasen wurden in der späten Edo-Zeit auch Europäer gelegentlich als Tengu dargestellt.
Für Evokationen, Bitten usw. gibt es zwei Mantras: On aromaya tengu sumanki sowaka (オン・アロマヤ・テング・スマンキ・ソワカ) und On hirahira ken hirakennō sowaka (オン・ヒラヒラ・ケン・ヒラケンノウ・ソワカ).
Dank ihrer schillernden Natur, ihrer Wildheit und magischen Kräfte zählen Tengu unter vielerlei Namen heute auch zu den beliebten Figuren in Manga, Anime und Computerspielen.
Galerie
- Baumblatt-Tengu (Konoha-Tengu)
- Krähen-Tengu (Karasu-Tengu, späte Edo-Zeit)[6]
- Krähen-Tengu überwacht ein Wettschießen mit dem Kleinen Bogen. Aus: Yōkyū hidensho (Geheime Überlieferung des Kleinen Bogens), Druck 1687.
- Der US-Commodore Matthew Perry, der 1854 die Öffnung Japans durchsetzte
Literatur
- Roald Knutsen: Tengu – The shamanic and esoteric origins of japanese martial arts. Global Oriental, Kent 2011, ISBN 978-1-906876-22-7.
- Issai Chozan: Zen und Schwert in der Kunst des Kampfes. Das Tengu geijutsuron und der Wunderbare Weg der Katze. Angkor Verlag, Frankfurt 2007, ISBN 3-936018-47-2.
- Ulrich Pauly: Tengu. In: OAG-Notizen, Nr. 11, November 2009, S. 10–43 (Digitalisat).
- Alan E. Baklayan: Krieg der Bergdämonen – Auf den Spuren des Heiligen. Goldmann-Arkana Verlag, München 2009, ISBN 978-3-442-33845-0
- Reinhard Kammer: ZEN in der Kunst, das Schwert zu führen. Diskurs über die Kunst der Bergdämonen – Tengu-geijutsu-ron. Übersetzung aus dem Japanischen, O.W. Barth Verlag, Bern, München, Wien 1988, ISBN 3-502-64352-0.
Weblinks
- Bernhard Scheid: Tengu. In: Religion-in-Japan: Ein digitales Handbuch. Universität Wien, 2001, abgerufen am 9. April 2022.
- Mark Schumacher: Tengu – Japanese Buddhist and Shinto Slayer of Vanity (Yamabushi Tengu, Karasu Tengu). 31. August 2006
Einzelnachweise
- ↑ Shiji (Tianguan, 5), Han Shu (Tianwen zhi).
- ↑ Nihon Shoki, Kap. 23, Shōmei 9. Jahr.
- ↑ Das zwischen 1177 und 1181 kompilierte Wörterbuch Iroha jiruishō verwendete wohl deshalb für Tengu die Schriftzeichen Himmel und Fuchs (天狐).
- ↑ Mehr hierzu bei Pauly (2009), S. 40–42.
- ↑ Wahrscheinlich stand diese Plastik einst innerhalb des Tempelgeländes und wurde im Zuge der Trennung von Buddhismus und Shintō (Shinbutsu-Bunri) zu Beginn der Meiji-Zeit vor das Eingangsportal gesetzt.
- ↑ Die Maße (28×25×58cm) und Formatierung lassen erkennen, dass diese Holzplastik im Tragschrein (jap. oi) eines Bergasketen untergebracht war.
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Der Tengu Sōjōbō unterrichtet Minamoto no Yoshitsune in der Kunst des Schwertkampfes. Japanese Bildrolle, späte Edo Zeit (eigene Sammlung)
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Illustration eines Krähen-Tengu (Karasu-Tengu), der ein Schießen mit dem japanischen kleinen Bogen überwacht. Gedruckt in Yōkyu hidensho (Geheime Überlieferung des Kleinen Bogens), 1687. Privatsammlung.
This painting depicts Zhang the Immortal shooting a pebble bow at a heavenly dog. Because of the painting's association with the story of Lady Flower Stamen, a concubine of the first Song Emperor Tai Zu, it is often interpreted as a metaphor for fertility.
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Holzplastik des synchretistischen Akiha Sanjakubō Daigongen beime Hase-Tempel (Hasedera), Präfektur Nara Japan.
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Krähen-Tengu (Karasu-Tengu), späte Edo-Zeit (28x25x58cm, private Sammlung)
Ukiyoe print by Utagawa Kuniyoshi. The poem (substituting hentaigana and adding punctuation) reads, 競れば、長し短し、むつかしや。我慢の鼻の、を(置)き所なし Kurabureba, nagashi mijikashi, mutsukashiya. Gamanno hanano, okidokoro nashi and means something like, "If you compete, long or short, it's a problem. With a boast-worthy? nose, there's no place to put it."
Autor/Urheber:
unbekannt
, Lizenz: PD-alt-100Der amerikanische Commodore Matthew Perry, der mit seiner Gesandtschaft im 19. Jahrhundert die Öffnung Japans erzwang.