Technische Formspuren

Von Skifahrern erzeugte Spuren im Schnee (Simplonpass 2019)
Land-Rover-Spuren im Sand (Namib)

Als Technische Formspuren werden Formveränderungen an einem Objekt bezeichnet, die durch einen Spurensetzer verursacht wurden. Aus der formmäßigen Beschaffenheit der Spur können in der Kriminalistik Schlussfolgerungen gezogen werden.[1] Die Lehre der technischen Formspuren wird auch als Trassologie bezeichnet.[2]

Technische Formspuren in kriminalistischen Spurenbereichen

Eindruckspuren

Schuheindruckspur

Eindruckspuren entstehen durch Materialverdrängung am Spurenträger, der weicher ist als das spurenverursachende Objekt (z. B. Schuh oder Reifenabdruck in weicher Erde oder alle Arten von Werkzeugen).

Abdruckspuren

Abdruckspuren entstehen durch Materialverlust (negativer Abdruck) oder durch Materialauftrag (positiver Abdruck). Der Spurenträger ist meist glatt und hart. Unter Materialverlust versteht man bspw. die Abtragung einer Staub-, Öl- oder Farbschicht vom Fußboden; unter Materialauftrag den Auftrag einer Fremdschicht (Blut, Schweiß, Reifengummi usw.) auf dem Spurenträger. Eine Abdruckspur ist in der Kriminalistik oder der Unfallforschung eine Spur, bei der ein Gegenstand oder Mensch den Spurenträger durch direkten Kontakt verändert hat. Oft besteht die Veränderung in Zurückbleiben von Rückständen, zum Beispiel Schweiß und Talg beim Fingerabdruck oder Gummi bei einer Reifenspur.

Gleitspuren

Gleitspuren bilden sich, wenn ein härterer Gegenstand über einen weicheren Gegenstand gleitet (Materialverdrängung oder Materialverlust). Wichtige Gleitspuren sind: Kratzspuren, Rillenspuren, Schartenspuren – also überwiegend Spuren vom oder am Werkzeug.

Ziehspuren

Ziehspuren entstehen bei der fabrikationsmäßigen Herstellung von Gegenständen (meist Metall oder Glas). Im Schmelzzustand werden individuelle Merkmale, z. B. Abnutzungserscheinungen der Düsen, auf das Produkt übertragen; nach der Aushärtung bleiben sie über eine längere Strecke relativ gleichmäßig erhalten. Sie lassen insbesondere erkennen, welche getrennten Teile einer fortlaufenden Produktion zusammengehört haben (z. B. Draht, Glasscheibe, Metallstäbe).

Schnittspuren

Schnittspuren entstehen durch die Übertragung individueller Merkmale des Schneidwerkzeuges auf den beschnittenen oder abgeschnittenen Spurenträger. Die Merkmale können bereits bei der Herstellung oder erst durch Bearbeitung und Abnutzung entstanden sein. Ob sie sich übertragen, hängt weitgehend vom Material des Spurenträgers ab. Schnittspuren: Messer, Schere, Beil, Axt, Bolzenschneider; Kneifspuren: Zange

Bohrspuren

Bohrspuren entstehen bei der Verwendung eines Bohrers, auch Bohr-Einsatz genannt. Das in der Regel härtere Werkzeug oder Werkzeugteil erzeugt kreisrunde Löcher in einem in der Regel weicherem Material durch Zerspanen. Das entstehende Loch wird Bohrung genannt. Sowohl in dem Bohrloch, als auch auf den Bohrspänen, zeichnen sich individuelle Merkmale des Bohrwerkzeuges als Eindruckspuren ab.[3]

Sägespuren

Sägespuren entstehen beim Trennen oder Einkerben von Holz, Naturstein, Metall, Kunststoff und anderen festen Materialien durch die Verwendung einer Säge als Werkzeug. Die Säge ist ein zerspanendes Werkzeug, das infolge der kontinuierlichen Bewegungen der Sägezähne (beispielsweise der Kreissäge) oder diskontinuierliche Bewegungen einer Handsäge (wie Fuchsschwanz) das weichere Material auftrennt und zerlegt. An der Nut bzw. Trennfuge des Materials, als auch an den Sägespänen zeichnen sich individuelle Merkmale des Sägewerkzeuges ab.

Bruch- oder Rissspuren

Bruch- oder Rissspuren entstehen durch Brechen oder Abreißen von Materialteilen, wie Papieren, Klebebändern, aber auch Metallteilen. Die dabei entstehenden Passspuren lassen teilweise Rückschlüsse auf die Art und Reihenfolge der auftreffenden Kräfte zu.

Passspuren

Passspuren lassen erkennen, welche Einzelteile eines Gegenstandes zusammengehört haben, z. B. Glasscherben, Klebeband, abgebrochene Messerklinge. Infolge von Kraft- und Gewalteinwirkung zerbrechen Teile oder zerreißen willkürlich und nicht reproduzierbar. Diese Teile können entsprechend dem Material aneinandergelegt oder eingepasst werden.

Schriften

Handschriften lassen Rückschlüsse auf den Schrifturheber zu. Die mehrstufige Methode bestimmt Eindruckscharaktere einer Schrift nach dem Bewegungsbild (impulsiv, kraftvoll, fahrig, dynamisch, gestört), Formbild (bizarr, originell, aufgeblasen, rund, stilisiert), Raumbild (weitmaschig, zerrissen, verworren, klar) und Strichbild (farbig, warm, trocken, kräftig, plastisch). Weiterhin dienen zur Ermittlung von Ganzheitsmerkmalen einer Schrift das Verhältnis von Bewegung und Formung, Versteifungsgrad (Spannung einer Schrift), Rhythmus, Eigenartsgrad, Einheitlichkeit. Es werden zwanzig Einzelmerkmale erfasst, die teils messbar, schätzbar oder beschreibbar sind (langsam oder eilig, unverbunden oder verbunden, klein oder groß, mager oder voll).[3]

Komplex Schusswaffen

Durch den Gebrauch von Schusswaffen entstehen an den Waffen und Munitionsteilen (Geschoss, Hülse) eine Vielzahl von individuellen Spuren. In erster Linie ist zu prüfen, ob sichergestellte Munitionsteile aus einer bestimmten Schusswaffe verfeuert worden sind (sogenannte Verfeuerungsnachweise). Weitere Untersuchungsfelder sind unter anderem die rechtliche Bewertung von Waffen in Bezug auf das Waffenrecht, Bewertung verbotener Gegenstände, Ursachenfeststellungen von Waffendefekten mit Hinweisen auf Gefährdungs- und Verletzungsgefahren, Feststellung von Abzugsgewichten, Energiemessungen und Schussrichtungsbestimmungen.[4]

Autogene Formspuren

Autogene Formspuren entstehen vorwiegend durch schwerkraftmäßige Verformung des spurenbildenden Materials, z. B. Rinnspuren, Tropfspuren.

Andere Formspuren

Andere Formspuren entstehen beispielsweise durch Hitze, Druckwellen usw.

Technische Formspuren in kriminalistischen Spurenarten

Reifenspur

Diese technischen Formspuren stellen sich in der polizeilichen Praxis grundsätzlich in folgenden Spurenarten dar:[5]

  1. Werkzeugspuren
  2. Schuhspuren
  3. Handschuhspuren
  4. Fahrzeugspuren (einschließlich Reifenspuren)
  5. Passspuren
  6. Spuren in Schlössern
  7. Fußspuren
  8. Spuren durch den Gebrauch von Schusswaffen
  9. Unfallspuren, Unfallrekonstruktionen nach schweren Verkehrsunfällen
  10. entfernte Prägungen, wie z. B. Fahrgestellnummern von Kraftfahrzeugen, die durch mechanisch-chemische Verfahren wieder sichtbar gemacht werden.

Untersuchungsmethoden von Technischen Formspuren

Die Untersuchung der Spuren erfolgt unter Zuhilfenahme einer Vielzahl optischer Hilfsmittel wie Lupe, Boreskop, Messmikroskop, Stereomikroskop, Stereovergleichsmikroskop und der Anwendung von umfangreichen theoretischen und praktischen Kenntnissen auf den Gebieten der kriminaltechnischen Spurensuche und -sicherung, der Werkstoff- und Fertigungskunde, Mess- und Prüftechnik sowie der allgemeinen Mechanik und Optik.

Beim Vergleich von Werkzeugspuren wird tatrelevantes Spurenmaterial unter einem Vergleichsmikroskop gegenübergestellt. Das Stereobild wird über die adaptierte Videokamera digitalisiert und für weitere Bearbeitungen (Archivierung, Gutachtenerstellung etc.) auf dem Computer bereitgestellt. Diese Arbeitsweise wird auch bei der Untersuchung von Profilschließzylindern und Passspuren angewandt.

Für eine Vergleichsuntersuchung ist das "Legen" bzw. Anfertigen von "Vergleichsspuren" unerlässlich. Dabei werden nach der Spurenanalyse unter Beachtung der möglichen Begehungsweise und der Nutzung der Erfahrung der Sachverständigen in den verschiedensten Medien

  • Vergleichsabdrücke (mit Schuhen, Handschuhen, Reifen) und
  • Vergleichsscharten und -eindrücke (mit Werkzeugen) gefertigt.

Anschließend erfolgt eine Gegenüberstellung der "Tatspur" und der "Vergleichsspur". Ursächlicher Ausgangspunkt für die Möglichkeit eines Vergleiches überhaupt sind u. a. produktionsbedingte Besonderheiten bei der Herstellung der Spurenverursacher (Schuhe, Reifen, Handschuhe, Werkzeuge) und die Tatsache, dass diese Gegenstände im Verlaufe ihres Gebrauchs individuelle Besonderheiten durch mechanische und thermische Einwirkungen sowie Verschleiß erhalten, die auf den Spurenträger übertragen werden können. Bei übereinstimmenden Besonderheiten von Tatspur und Vergleichsspur kann in den meisten Fällen der Spurenverursacher der entsprechenden Spur konkret zugeordnet werden (z. B. Werkzeuge, Schuhe usw.). Die bildliche Darstellung von Untersuchungsergebnissen bei Schuh-, Handschuh- und Reifenspuren im Sachverständigengutachten erfolgt mittels Originalfotogrammen und Vergleichsabdrücken.

Technische Formspuren in kriminalistischen Sammlungen

Schuhspurendatenbanken

Bei den deutschen Landeskriminalämtern werden rechnergestützte Schuhspurendatenbanken geführt, die den Abgleich eingehender Spuren und Täterschuhe mit hier einliegenden offenen Schuhspuren erlauben. Zu diesem Zwecke werden über verschiedene Eingabegeräte (Flachbettscanner, Handscanner, Scankamera, Videokamera) die Spuren in die vorhandenen Programme der Datenbank eingelesen und mit einem Datensatz verknüpft. Die genau definierte Verformelung von Schuhprofilierungen ermöglicht einen Recherchemodus, der gleichartige Spurenmuster zusammenfasst und bildlich darstellt. Nach einer Grobanalyse können im Programm Messungen durchgeführt werden. Im Falle einer möglichen Spurenübereinstimmung erfolgen anschließend weitere Untersuchungen an den betreffenden Originalspuren.

Passspurensammlungen

Passspurenvergleiche werden häufig nach dem Auffinden von abgebrochenen Werkzeugteilen an Tatorten sowie Kfz-Teilen an Unfallorten durchgeführt. Hier ist die Tatsache, dass unter Kraft- und Gewalteinwirkung Teile willkürlich und nicht reproduzierbar zerbrechen oder zerreißen, Ausgangspunkt für die Aussage des Sachverständigen. Voraussetzung ist dabei die Feststellung von Vergleichswerkzeugen und weiteren Kfz-Teilen.

Im Untersuchungsprozess werden diese Teile unter Beachtung der Morphologie des Materials "aneinander-" oder "eingepasst". Ist dies gelungen, ist bewiesen, dass die relevanten Teile ursprünglich ein einheitliches Ganzes bildeten. Die bildliche Darstellung des Untersuchungsergebnisses erfolgt wie bei den anderen Spurenarten entweder durch Fotos oder Videoprints.[6]

Werkzeugspurensammlungen

Untersuchungen von Werkzeug und Werkzeugspuren werden zwecks Identitätsnachweis durchgeführt. Es wird festgestellt, ob eine bestimmte Spur von einem bestimmten Werkzeug verursacht worden ist. Werkzeugspuren aus bisher unaufgeklärten Straftaten befinden sich bei den bundesdeutschen Landeskriminalämtern in Werkzeugspurensammlungen. Durch Vergleich dieser Tatspuren können Tatspurenzusammenhänge erkannt werden. Tatverdächtige Werkzeuge werden mit den Spuren der Werkzeugspurensammlung verglichen.

Ein weiterer Aufgabenbereich ist die Untersuchung von Sicherungseinrichtungen, Schloss und Schlüssel auf Manipulations- beziehungsweise Nachschließspuren sowie Spuren von Kopiervorgängen. Dazu gehört auch die Begutachtung elektronischer Schließsysteme und Wegfahrsperren. Der Bereich der Schloss- und Schlüsseltechnik erstreckt sich vom einfachen Vorhang- bis hin zum hochwertigen Tresorschloss.[7]

Zentraler Schusswaffenerkennungsdienst beim Bundeskriminalamt

Munitionsteile von sichergestellten Schusswaffen werden im Bundeskriminalamt mit den in der dortigen zentralen Tatmunitionssammlung einliegenden Munitionsteilen von unaufgeklärten Straftaten verglichen. Die Munitionssammlung, die zurzeit ca. 5.000 Hülsen und ca. 5.000 Geschosse enthält, dient dem Erkennen von Tatzusammenhängen und der Identifizierung von Tatwaffen. Bei sichergestellter verschossener Munition geht es um die Frage, ob die Tatwaffe bereits bei früheren Delikten verwendet wurde, daher sucht man bei der Tatmunitionsuntersuchung nach Individualspuren, quasi dem „Fingerabdruck“ der Waffe. Aus sichergestellten Waffen gewinnt man sogenannte Vergleichsmunition und vergleicht diese mit der Sammlung.

Literatur

  • Rolf Ackermann, Horst Clages, Holger Roll: Handbuch der Kriminalistik für Praxis und Ausbildung. 3. Auflage. Boorberg Verlag, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-415-03908-7.
  • Hans Walder: Kriminalistisches Denken. 7. Auflage. Kriminalistik Verlag, München 2006, ISBN 3-7832-0018-0.
  • Peter Pfefferli: Die Spur: Ratgeber für die spurenkundliche Praxis. 5. Auflage. Kriminalistik Verlag, München 2007, ISBN 978-3-7832-0031-7.
  • Horst Clages: Der rote Faden: Grundsätze der Kriminalpraxis. 11. Auflage. Kriminalistik Verlag, München 2004, ISBN 3-7832-0011-3.

Einzelnachweise

  1. Daschner: Beweislehre und Spurenkunde. VFH Kohlheck, Wiesbaden 1990, S. 34 ff.
  2. Ulf Steinert, Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg, Trassologie Technische Formspuren Online-PDF bei kriminalwissenschaft.de
  3. a b Die Methode der Graphologen. (Memento vom 7. Januar 2010 im Internet Archive) abgerufen am 3. Oktober 2009.
  4. Kriminalwissenschaft und - technik - Abteilung 3. (Memento vom 8. Juli 2009 im Internet Archive) abgerufen am 3. Oktober 2009.
  5. R. Schubert: Kriminalistik. Teil 1, Don Folio, Wiesbaden 1981.
  6. Werkzeug- und sonstige Formspuren. (Memento vom 31. Januar 2008 im Internet Archive) abgerufen am 3. Oktober 2009.
  7. Waffen und Formspurenuntersuchungen. abgerufen am 3. Oktober 2009.

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Schneespuren Simplon (2019)
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