Tahāra

Tahāra (arabisch طهارة, DMG ṭahāra) bedeutet im Islam das Konzept der „rituellen Reinheit“. Es ist grammatikalisch das Verbalnomen von طُهْر.

Die Bedeutung ist im Allgemeinen „Sauberkeit“ bzw. „Abwesenheit von Unreinheit“ (Nadschis). Der Begriff wird auch im Zusammenhang mit der Beschneidung des Mannes und in Ägypten und im Sudan zur Bezeichnung von Praktiken der Beschneidung weiblicher Genitalien[1] verwendet. In Iran und den sprachlich vom Persischen beeinflussten Gebieten ist der Begriff zusätzlich Synonym für die rituelle Waschung des Wudū'.

Die vielen Überlieferungen nach dem Propheten Mohammed, die langen Kapitel in den Werken in der islamischen Jurisprudenz und die mannigfaltigen Kontroversen unter den Rechtsgelehrten bis in die feinsten Details unterstreichen die Wichtigkeit des Themas „Reinheit“ im Islam.

Tahāra kann aus Sicht des Islams mit reinem Wasser erreicht werden, d. h., seine Farbe, sein Geruch und sein Geschmack sind unverändert. Man unterscheidet grundsätzlich zwischen zwei Formen der Reinheit:

Materielle Reinheit

Dies bezieht sich auf Gegenstände, die vermieden bzw. entfernt werden sollen, wie Schweinefleisch, Fäkalien, Blut, Kadaver usw., und die Art und Weise deren Entfernung.

Das Fortbestehen der materiellen Reinheit lässt sich anhand des Erhalts von Geschmack, Geruch und Farbe des betreffenden Objekts bestimmen.

Formale religiöse Reinheit

Sie betrifft allgemein die Vorbedingungen zur Ausführung der rituellen Taten und Pflichten. So kann man hier zwei Formen unterscheiden:

  • Die „kleine Unreinheit“, die durch Stuhlgang, Urinieren, Abgang von Darmgasen, Schlaf usw. entsteht. Sie kann durch den Wudu’ beseitigt werden.
  • Die „große Unreinheit“, die durch Menstruation, Wochenfluss, Geschlechtsverkehr usw. entsteht und mit dem Ghusl beseitigt wird.

Als Sonderform existiert das Tayammum, mit dem unter speziellen Bedingungen sowohl Ghusl als auch Wudu’ ersetzt werden können.

Bei der formalen religiösen Reinheit geht es im Gegensatz zur materiellen Reinheit nicht um Sauberkeit im Sinne der Hygiene, sondern vielmehr um rituelle Aspekte.

Eine weitere Besonderheit ist, dass für die formale religiöse Reinheit das Fassen einer Absicht obligatorisch ist, für die materielle Reinheit jedoch nicht. Die islamischen Rechtsschulen weichen in Teilaspekten der Tahāra teilweise deutlich voneinander ab.

Literatur

  • Kevin Reinhart: Impurity/No Danger. In: History of Religions. 30, 1990–1991, S. 1–24.
  • The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Brill, Leiden. Bd. 10, S. 99 (Tahara).
  • Marion Holmes Katz: Body of Text. The Emergence of the Sunni Law of Ritual Purity. State University of New York Press, 2002.
  • Ze’ev Maghen: Virtues of the Flesh. Purity and Passion in early Islamic Jurisprudence. Brill, Leiden/Boston 2004.
  • Richard Gauvain: Ritual Rewards. A Consideration of Three Recent Approaches to Sunni Ritual Purity Law. In: Islamic Law and Society. 12, 2005, S. 333–393.

Einzelnachweise

  1. Anna Kölling: Weibliche Genitalverstümmelung im Diskurs: exemplarische Analysen zu Erscheinungsformen, Begründungsmustern und Bekämpfungsstrategien. 1. Auflage. LIT Verlag, Münster 2008, ISBN 978-3-8258-1821-0, S. 8 In Google books; bzgl. Sudan siehe auch Ellen Gruenbaum: The female circumcisión controversy: an anthropological perspective. University of Pennsylvania Press 2001, ISBN 978-0-8122-1746-9, S. 4 In Google books