Sven Schütte

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Sven Schütte in Köln, 2012

Sven Schütte (* 1953) ist ein deutscher Mittelalterarchäologe, Bau- und Kunsthistoriker sowie ehemaliger Leiter am Amt für Archäologische Bodendenkmalpflege der Stadt Köln.

Leben

Bereits als Schüler arbeitete Schütte seit 1969 am Niedersächsischen Landesmuseum Hannover und seit 1972 in der ehrenamtlichen Bodendenkmalpflege. Er war 1974 der erfolgreichste Teilnehmer des Wettbewerbs Jugend forscht als Bundessieger Geo- und Raumwissenschaft und mit dem Sonderpreis der Deutschen Forschungsgemeinschaft für eine interdisziplinäre Forschungsarbeit ausgezeichnet. Er studierte als Gasthörer vor dem Abitur seit 1972 in Hannover bei Klaus Raddatz und danach von 1974 bis 1979 Ur- und Frühgeschichte, Klassische Archäologie, Ethnologie und Bodenkunde an der Universität Göttingen. Seit 1973 publizierte Schütte, unter anderem in den Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte. 1979 erwarb er den Magister Artium (M.A.) und wurde wissenschaftlicher Mitarbeiter des Städtischen Museums Göttingen als Stadtarchäologe. Bereits seit 1975 führte er Ausgrabungen der Altstadt Göttingens durch.

Stadtarchäologe in Göttingen

Nach dem Inkrafttreten des Niedersächsischen Denkmalschutzgesetzes wurde die Stadtarchäologie in Göttingen als Untere Denkmalschutzbehörde für Archäologie verselbständigt und erhielt 1985 ein eigenes Dienstgebäude. Schütte begründete damit die Göttinger Stadtarchäologie und war vom 1. April 1979 an der erste Kommunalarchäologe in Niedersachsen. Er publizierte zahlreiche Aufsätze zur Göttinger Stadtarchäologie und zu Grabungen im Zusammenhang mit profanen und kirchlichen Bauten Göttingens. Schütte begann in der Stadt erstmals mit systematischen multidisziplinären Untersuchungen nach dem Vorbild der Schweizer „Monumentenarchäologie“, die nicht zwischen Untergrund und aufgehendem Bauwerk unterscheidet. Er nahm erste systematische dendrochronologische Untersuchungen an mittelalterlichen Häusern, dem Alten Rathaus und fast allen Göttinger Stadtkirchen vor. Methodisch legte er die Grundlagen einer verstetigten und systematischen Stadtforschung und initiierte erstmals eine flächendeckende Zusammenarbeit mit der Schriftquellenforschung. Schütte begründete die Schriftenreihe der heutigen „Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit“[1]. Er legte die Ergebnisse in über 80 Einzelbeiträgen nieder.

1990 wurde er an der Universität Hamburg mit einer Arbeit zum mittelalterlichen Kunsthandwerk und zur Baugeschichte der Marktkirche St. Johannis bei Günter Fehring promoviert.

Wirken in Köln und Aachen

Von 1990 an übernahm Schütte während 35 Semestern Lehraufträge an der Universität zu Köln. Daneben erhielt er Lehraufträge von der Universität Göttingen.

Im November 1991 wurde Schütte Leiter am Amt für Archäologische Bodendenkmalpflege der Stadt Köln. Nach seinem Weggang aus Göttingen wurde seine dortige Dienststelle, die Untere Denkmalschutzbehörde, dem Bauamt der Stadt untergeordnet und verlor an Bedeutung.[2] Das Kölner Amt für Archäologische Bodendenkmalpflege wurde nach der Entlassung Hiltrud Kiers aus den Ämtern der Generaldirektorin der Kölner Museen und der Leiterin der Kölner Bodendenkmalpflege, die mit dem Amtsantritt Kiers (1990) aus dem Römisch-Germanischen Museum gelöst und in eine eigenständige Behörde umgewandelt worden war, im August 1994 wieder Teil des Römisch-Germanischen Museums.

Von 1996 bis 2003 war Schütte am Kölnischen Stadtmuseum in der Abteilung für Sachkultur des Mittelalters tätig.

Seit den 1990er Jahren veröffentlichte er zahlreiche Aufsätze zur Kölner Stadtgeschichte, oft in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit Marianne Gechter. Nach 1995 wurde weder das von ihm begonnene Projekt eines historischen Kellerkatasters noch die Schriftenreihe zur Kölner Bodendenkmalpflege („Archäologie in Köln“) weitergeführt. Die Neuordnung des Archivs der Bodendenkmalpflege nach amtlichem Flurverzeichnis NRW wurde rückgängig gemacht.

Von 1999 bis 2003 führte Schütte Forschungen am Thron Karls des Großen im Auftrag des Aachener Domkapitels durch, zunächst im Rahmen des Ausstellungsprojekts „Könige in Aachen – Geschichte und Mythos, 2000“.[3]

Von 2006 bis 2013 war Schütte Leiter des Projekts der Archäologischen Zone und des Jüdischen Museums in Köln. Von 2007 bis 2013 grub er mit seinem Team nahezu 90 % des jüdischen Viertels und Teile des Prätoriums aus. Es handelt sich um die einzige gründliche Untersuchung eines derartigen Stadtquartiers in Europa. Die Ergebnisse stellte Schütte international wirksam in Publikationen und Vorträgen dar.[4] Ein besonderes Verdienst bildet die Untersuchung von rund 300.000 Schieferfragmenten[5], bei denen ein Bestand von fast 200 einzigartigen Texten und Bildern aus der Zeit vor 1349 zutage trat, darunter der bislang älteste in Deutschland aufgefundene literarische Text in jiddischer Sprache.[6]

Vor allem an den Kosten der Grabungen wurde in Köln Kritik geübt, die unter anderem über die örtliche Presse ausgetragen wurde. Dies führte zu mehr als 100 negativen Berichten in Kölner Zeitungen, während die überregionale Presse positiv berichtete.[7] Schütte setzte sich den Angriffen mit juristischen Mitteln zur Wehr und wurde 2013 auf Betreiben des Oberbürgermeisters und des Landschaftsverbandes Rheinland von der Projektleitung entbunden.[8] Auslöser der Abberufung war ein Bericht in der israelischen Tageszeitung Haaretz, in der Schütte Kritikern „latenten Antisemitismus“ vorwarf.[9][10][11] Ersatzweise wurde Schütte bis zu seiner Pensionierung 2019 mit der „wissenschaftlichen Ausarbeitung“ der archäologischen Funde beim U-Bahn-Bau am Kölner Heumarkt betraut.

Schütte führte mit seinen Mitarbeitern zahlreiche wichtige Untersuchungen durch, insbesondere zur Stadttopographie Kölns seit den Anfängen mit einer Neudatierung von Teilen des sogenannten Ubier­monuments auf das Jahr der Varusschlacht 11 n. Chr.[12]; Klärung von Fragen zum Übergang zwischen Antike und Mittelalter; Untersuchungen an wichtigen frühen Kirchenbauten (z. B. St. Gereon, St. Kunibert, St. Pantaleon, St. Maria im Kapitol); zur mittelalterlichen Bautentopographie (Albansviertel, Lyskirchen in Köln); zu einem möglichen frühen Erdbeben in Köln[13]; zum römischen Abwassersystem Kölns; zur Forschungsgeschichte der Kölner Archäologie.

2020 wurde Schütte in das Tutorialprogramm der Historians of Netherlandish Art aufgenommen.[14]

Ehrungen

  • 1977 Bundessieger „Jugend forscht“ im Bereich Geo- und Raumwissenschaften und Sonderpreis der Deutschen Forschungsgemeinschaft für eine Interdisziplinäre Forschungsarbeit[15]

Schriften (Auswahl)

  • Funde der Vorrömischen Eisenzeit und der Römischen Kaiserzeit aus Helstorf, Kreis Neustadt am Rübenberge. Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte 42, 1973.
  • mit Heinz Kirchhoff (Hrsg.): Muttergottheiten und Fruchtbarkeitsidole von der Steinzeit bis zur Gegenwart. Sammlung Heinz Kirchhoff. Eine Ausstellung der Universität und des Städtischen Museums Göttingen vom 3.12.1978–14.1.1979. Göttingen 1979.
  • 5 Jahre Stadtarchäologie – Das neue Bild des alten Göttingen. Stadt Göttingen 1984 (Hrsg. Stadt Göttingen 1984).
  • mit Klaus Grote: Stadt und Landkreis Göttingen. (= Führer zu archäologischen Denkmälern in Deutschland Band 17), Theiss, Stuttgart 1988. ISBN 978-3806205442.
  • Handwerk in kirchlicher Abhängigkeit um 1300. Beiträge zur Baugeschichte, Archäologie und Kulturgeschichte einer Werkstatt auf der Pfarrparzelle und der zugehörigen Marktkirche St. Johannis in Göttingen. Dissertation, Hamburg 1990.
  • mit Marianne Gechter: Ursprung und Voraussetzungen des Kölner Rathauses. Stadtspuren Bd. 26, Köln 2000, S. 69–195, ISBN 3-7616-1391-1.
  • Die frühe Entwicklung der hochmittelalterlichen Gründungsstadt – Mythos und Erkenntnis. In: Die vermessene Stadt. Mittelalterliche Stadtplanung zwischen Mythos und Befund. Mitteilungsblatt der Deutschen Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters 2003. ISSN 1619-1439.
  • Forschungen zum Aachener Thron. In: Domkapitel Aachen (Hrsg.): Europäische Vereinigung der Dombaumeister, Dombaumeistertagung 2009, S. 177–190.
  • Peter Paul Rubens’ Die Madonna Moretus. Katalog Domschatzkammer Aachen 2000.
  • mit S. Schreiber, K.-G. Hinzen, K.-G., S. K. Reamer: Interdisciplinary Studies in the Archaeological Zone Cologne (Germany). 31th ESC General Assembly, Hersonissos, Greece.
  • Fouilles récentes dans le quartier juif médiéval de Cologne. In: P. Salmona, L. Segal (Hrsg.): L’archeologie du Judaisme en France et en Europe. 2011, S. 93–101, ISBN 978-2-7071-6694-4.
  • mit Marianne Gechter (Hrsg.): Köln: Archäologische Zone/Jüdisches Museum. Von der Ausgrabung zum Museum – Kölner Archäologie zwischen Rathaus und Praetorium. Ergebnisse und Materialien 2006–2012. Stadt Köln, Archäologische Zone, Köln 2012. ISBN 978-3-9812541-1-2.

Weblinks

Commons: Sven Schütte – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit – Über die Zeitschrift auf uni-heidelberg.de
  2. Stadt Göttingen – Bürgerservice: Dienstleistungen, Archäologie auf goettingen.de
  3. Mario Kramp (Hrsg.): Krönungen. Könige in Aachen – Geschichte und Mythos. 2 Bände. Eine Ausstellung des Vereins Aachener Krönungsgeschichte e. V. in Zusammenarbeit mit der Stadt Aachen, dem Domkapitel Aachen und der RWTH-Aachen. Im Krönungssaal des Aachener Rathauses, in der Domschatzkammer und im Aachener Dom vom 11.6.-3.10. 2000 aus Anlass der 1200-Jahrfeier der Krönung Karls des Großen.
  4. Alex Weisler: German city banks future on unearthing Jewish past, In: The Jerusalem Post, 8. August 2011 (englisch)
  5. Mittelalterliche Schiefertafeln aus Köln auf uni-frankfurt.de
  6. Erika Timm: Ein neu entdeckter literarischer Text in hebräischen Lettern aus der Zeit vor 1349. Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur, Bd. 142, H. 4 (2013), S. 417–443.
  7. Dieter Bartetzko: Wann, wenn nicht jetzt, wer, wenn nicht ihr? Auf: faz.net vom 20. August 2012
  8. Presseerklärung der Stadt Köln vom 10. April 2013 zur Abberufung Dr. Sven Schüttes vom Posten der Leitung der Archäologischen Zone und Einleitung eines Disziplinarverfahrens, abgerufen am 23. Februar 2017.
  9. Oberbürgermeister entlässt Projektleiter der Archäologischen Zone wegen Kritik an Grabungsgegnern. Auf: juedische-allgemeine.de vom 16. April 2013.
  10. Archeological Dig in Cologne Unearths Ancient Jewish History – and Exposes Layers of Prejudice. Auf: haaretz.com vom 6. April 2013.
  11. Archäologische Zone: Sven Schütte soll versetzt werden. Auf: ksta.de vom 10. April 2013.
  12. Stadtspuren: Ursprung und Voraussetzungen des Kölner Rathauses. Stadtspuren Bd. 26, Köln 2000, S. 69–195, ISBN 3-7616-1391-1.
  13. Schreiber, S., Hinzen, K.G., Fleischer, C., Schütte, S. (2012): Excavation parallel laser scanning of a Medieval cesspit in the archaeological zone cologne, Germany. Journal of Computing and Cultural Heritage; und differenzierend: Hinzen, KG., Schreiber, S., Fleischer, C. et al.: Archeoseismic study of damage in Roman and Medieval structures in the center of Cologne, Germany. J. Seismol 17, S. 399–424 (2013). doi:10.1007/s10950-012-9327-2
  14. Historians of Netherlandish Art (Website)/
  15. https://www.jugend-forscht.de/projektdatenbank/untersuchung-organischer-reste-und-anthropogener-taetigkeitsspuren-als-archaeologische-quellen.html

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Pressekonferenz der Stadt Köln mit dem Archäologen Sven Schütte zur Entdeckung des Bodens des spätantiken Statthalterpalastes in Köln bei Grabungen zur archäologischen Zone. Im Zuge der Arbeiten zur archäologischen Zone / Jüdisches Museum ist bei Grabungsarbeiten an der nördlichen Seite der Renaissancelaube des historischen Rathauses von Köln zur Vorbereitung des Baus des neuen Museums der Boden des spätantiken Statthalterpalastes entdeckt worden. Hinter der Frontmauer zum Rhein ist in zwei Metern Tiefe der Fußboden der sogenannten „Porticus“ des Palastes aus dem vierten Jahrhundert entdeckt worden.