Sudetendeutscher Widerstand gegen den Nationalsozialismus
Gegen die nationalsozialistische Herrschaft gab es auch einen Sudetendeutschen Widerstand.
Geschichte
Leopold Grünwald, Autor mehrerer Werke über das Sudetenland, die Tschechoslowakei und den Widerstand gegen den Nationalsozialismus,[1] berichtet, dass nach der Eingliederung des Sudetenlandes in das Deutsche Reich zehntausende deutsche Antifaschisten ins Landesinnere Böhmens und Mährens geflohen seien, um von dort aus den Widerstand fortzusetzen. Jedoch wurden die meisten von ihnen von den tschechischen Behörden wieder zurückgeschickt und damit der Verfolgung durch die Nationalsozialisten ausgeliefert. Rund 7.000 sudetendeutschen Antifaschisten gelang die Flucht in die Emigration. Die Aufnahmeländer der Flüchtlinge waren vor allem Großbritannien und Schweden. Viele von ihnen wurden staatenlos.
Im Oktober 1938 wurden von den im Land verbliebenen sudetendeutschen Antifaschisten etwa 10.000 in Gefängnisse und KZs eingeliefert, bis Ende des Jahres waren es etwa 20.000. Der größte Teil von ihnen bestand aus Mitgliedern der DSAP, der KPTsch und den freien Gewerkschaften. Ebenso wurde aber auch der Flügel der SdP, der sich nicht zum Nationalsozialismus bekannte, ausgeschaltet, seine Anhänger verfolgt.
Widerstandsgruppen
Laut Grünwald gab es etwa 185 Widerstandsgruppen. In den sudetendeutschen Ballungszentren verfügten sie über ein dichtes Netz von Ortsgruppen. Im Bezirk Karlsbad war die Gruppe „Meerwald“ mit 15 bis 20 Ortszellen aktiv; im Bezirk Tetschen-Bodenbach und Bezirk Teplitz-Schönau arbeiteten weit verzweigte Widerstandsgruppen unter verschiedenen Tarnungen. Die größte und erfolgreichste Widerstandsgruppe war die Gruppe „Waltro“. Ihr Operationsgebiet war Nordböhmen. Sie versorgte viele geflüchtete sowjetische Kriegsgefangene und verübte zahlreiche Sabotageakte auf Rüstungsbetriebe und auf Bahnlinien.[2] Aber auch im bewaffneten Kampf waren sudetendeutsche Antifaschisten, zum Teil gemeinsam mit Sowjetbürgern, aktiv. In Nordböhmen (Isergebirge) war der Widerstand so groß, dass die Wehrmacht im Jahr 1944 eine Sondereinheit zur Partisanenbekämpfung entsandte, um Herr der Lage zu bleiben. Von Anfang 1944 bis Mai 1945 erreichte der Kampf seinen Höhepunkt.
Zu bekannten Figuren des Widerstandes gehören Herbert Löwit, Fritz-Bedřich Dědek und Otto Seidl (* 1913), Maria Günzl, Herta Lindner, Lorenz Knorr, sowie Rudolf Parschik. Auch in der deutschen Minderheit in der Slowakei gab es einen erheblichen Widerstand.
Aufarbeitung
Im bisherigen Geschichtsbild wurden die Sudetendeutschen oft nur als „Fünfte Kolonne Hitlers“ wahrgenommen. In einer Erklärung vom 24. August 2005 brachte die tschechische Regierung ihre Anerkennung gegenüber den sudetendeutschen Widerstandskämpfern und Verfolgten des Naziregimes zum Ausdruck. Gleichfalls äußerte die Regierung Tschechiens ihr Bedauern, dass ihnen nach dem Krieg die verdiente Anerkennung nicht zuteilgeworden ist. Anstelle dessen wurden sie in Widerspruch zur damals gültigen rechtlichen Regelung im Zusammenhang mit den in der Nachkriegs-Tschechoslowakei gegen die sog. feindliche Bevölkerung durchgesetzten Maßnahmen geahndet. Gegenüber den durch die Nachkriegsmaßnahmen geschädigten aktiven NS-Gegnern entschuldigte sich die Regierung der Tschechischen Republik.
Seit 2006 betreibt das Institut für Zeitgeschichte an der Tschechischen Akademie der Wissenschaften in Zusammenarbeit mit dem Museum der Stadt Ústí nad Labem und dem Nationalarchiv in Prag im Auftrag der Tschechischen Regierung ein Forschungsprogramm, mit dessen Ergebnissen „die immer noch hartnäckig in der ČR [Tschechische Republik, Anm.] und in der Welt verbreitete Vorstellung von den der totalen ‚Heim-ins-Reich‘-Propaganda verfallenen Sudetendeutschen widerlegt“ werde.[3] Selbsterklärte Aufgabe des Projektes ist es, die Geschichte der NS-Gegner aus den Reihen der einstigen Bürger der Tschechoslowakischen Republik, das Erbe aus deren Leben und ihren Beitrag im Kampf für die europäische Demokratie zu erfassen und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ein Kenner der Materie, Leopold Grünwald, benennt eine relativ große Zahl der Opfer (mehrere Tausend), die hingerichtet und in KZ inhaftiert wurden.[4]
Literatur
- Tomas Okurka (Ed.) Zapomenutí Hrdinové. Vergessene Helden. Deutsche NS-Gegner in den böhmischen Ländern. Deutsch / Tschechisch. Ústi nad Labem 2008, 2008, ISBN 978-80-8647-518-9.
- Otfrid Pustejovsky. Christlicher Widerstand gegen die NS-Herrschaft in den Böhmischen Ländern: eine Bestandsaufnahme zu den Verhältnissen im Sudetenland und dem Protektorat Böhmen und Mähren. Münster 2009, ISBN 978-3-8258-1703-9.
- Lorenz Knorr Antifaschistischer Widerstand in West-Böhmen. Faschismus in Deutschland – Münchner Abkommen – Benes-Dekrete. Selbstverlag, Frankfurt am Main 2006.
- Lorenz Knorr. Gegen Hitler und Henlein antifaschistischer Widerstand unter den Sudeten und in der Wehrmacht. Köln 2008, ISBN 978-3-89438-390-9.
- Zdeňka Kokošková. Schicksale der vergessenen Helden: Geschichten der deutschen Antifaschisten aus der ČSR. Prag 2008, ISBN 978-80-86712-68-0.
- Alena Wagnerová und Stefan Dölling. Helden der Hoffnung: die anderen Deutschen aus den Sudeten, 1935-1989. Berlin 2008, ISBN 978-3-351-02657-8.
- Barbora Čermáková und David Weber. Sie blieben der Tschechoslowakei treu: biographische Interviews mit deutschen Antifaschisten. Praha 2008, ISBN 978-80-7285-102-7.
- Leopold Grünwald: Sudetendeutscher Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Für Frieden, Freiheit, Recht. Benediktbeuern 1986, ISBN 3-926303-00-X.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Vergleiche die Angaben im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- ↑ Benes-Dekrete – Diskussion (Memento vom 23. Oktober 2018 im Internet Archive)
- ↑ "„Vergessene Helden“: Sudetendeutscher Widerstand gegen das NS-Regime – ein tschechisches Forschungsprojekt", online (archiviert) auf: ackermann-gemeinde.de/...
- ↑ Leopold Grünwald: Der Sudetendeutsche Widerstand gegen Hitler (1938-1945), in: Leopold Grünwald (Hrsg.): Sudetendeutsche - Opfeer und Täter, Verletzungen des Selbstbestimmungsrechtes und ihre Folgen 1918-1982, Junius Verlag, Wien 1983.