Stundenbuch

Die Verkündigung aus dem Stundenbuch des Herzogs von Berry
Stundenbuch von Reynegom

Das Stundenbuch, auch Horarium (lateinisch horarium „Uhr“), französisch Livre d’heures [livr ˈdœr], war ein im Aufbau dem Brevier der römisch-katholischen Kirche nachempfundenes Gebet- und Andachtsbuch für das Stundengebet. Stundenbücher waren zunächst für Laien bestimmt, später auch für Kleriker. Sie kamen Mitte des 13. Jahrhunderts in England auf und verdrängten den Psalter aus seiner beherrschenden Rolle als Gebetbuch. Im Spätmittelalter waren sie in Kreisen des reichen, lesekundigen Adels und Stadtadels das private Andachtsbuch par excellence. Der Buchtyp erlebte seine verbreitungsmäßige und künstlerische Blütezeit im späten 14. und im 15. Jahrhundert in Frankreich und Flandern – davon zeugt die noch heute bekannte Bezeichnung Livre d’heures. Später kamen sie über die Niederlande auch in das deutschsprachige Gebiet.

Inhalt und Gestaltung von Stundenbüchern

Stundenbücher waren meist aufwendig mit Buchschmuck versehen. Einzelne Exemplare gehören zu den prachtvollsten jemals hergestellten illustrierten Handschriften. Am berühmtesten und künstlerisch wertvollsten dürften die Stundenbücher des Herzogs von Berry (1340–1416) sein, darunter die Très riches heures (Chantilly, Mus. Condé, Ms. 65), die schon bei den Zeitgenossen als ein Nonplusultra bibliophiler Kostbarkeit galten.

Kernstücke der Stundenbücher bildeten ein marianisches Offizium und das Totenoffizium. Die Bezeichnung Stundenbuch leitet sich ab von den darin enthaltenen, zu bestimmten Stunden zu betenden Tagzeiten. Ursprünglich beginnend um Mitternacht mit der Matutin, welche aus praktischen Gründen im Laufe der Jahre mit den Laudes um drei Uhr morgens zusammengefasst wurde, betete man im dreistündigen Rhythmus ab sechs Uhr morgens Prim, Terz, die Sext, die Non, die Vesper und die Komplet. In Stundenbüchern fanden sich auch Cisiojanus-Merkverse, die bei der Datierung der beweglichen Feste des Kirchenjahres halfen.

Mit dem Beginn der Neuzeit wurden Stundenbücher weiterhin in der Tradition handschriftlich gefertigter Bücher unter Zuhilfenahme des Buchdrucks aufwendig produziert. Glanzvolle und berühmte Beispiele für die Kunst, gedruckte Stundenbücher den bis dahin üblichen handschriftlichen Manuskripten zum Verwechseln ähnlich zu machen, sind u. a. das Horarium secundum usum Romanae curiae von Adriaen van Liesfelt mit Holzstöcken des Druckers Gerard Leeu, das am 22. Juni 1494 in Antwerpen erschien, oder das von Lucantonio Giunta in Venedig am 4. Mai 1506 verlegte Stundenbuch Officium Beatae Mariae Virginis secundum consuetudinem romane curie.

Die grösste Privatsammlung von Stundenbüchern hat der Antiquar Heribert Tenschert zusammengetragen.

Bekannte Stundenbücher

AbbildungGebräuchlicher NameDatierungLokalisierungKünstlerAuftraggeberSignaturVollständige Handschrift im Bild
Stundenbuch Grey-FitzPayn1300–1308England, MidlandsCambridge, Fitzwilliam Museum, ms. 242
Stundenbuch der Jeanne d’Evreux1325–1328Frankreich, ParisJean PucelleJohanna von EvreuxNew York, Metropolitan Museum of Art, The Cloisters
Stundenbuch von Saint-Omerum 1330Frankreich, ArrasMarguerite de BeaujeuLondon, British Library, Add. ms. 36684
Stundenbuch der Johanna von Navarraum 1336–1340Frankreich, ParisJean Le NoirParis, Bibliothèque nationale, Ms. nouv. acq. lat. 3145
sog. Psalter der Bonne von Luxemburg1348/49Frankreich, ParisJean le NoirBonne von LuxemburgNew York, Metropolitan Museum of Art, The Cloisters, Inv. 69–86
Stundenbuch Philipps des Kühnen1370Frankreich, ParisPhilipp der KühneCambridge, Fitzwilliam Museum, ms. 3-1954
Petites Heures des Herzogs Jean de Berry1372–1390 (in mehreren Etappen)Frankreich, ParisJean le Noir, Jacquemart de Hesdin; Brüder von Limburg (eine Miniatur)Jean de BerryParis, Bibliothèque nationale, Ms. lat. 18014
Très Belles Heures de Notre-Dame des Jean de Berryum 1380, ca. 1404–1409, um 1412Frankreich, Paris, BourgesMeister des Paraments von Narbonne, Meister Johannes’ des Täufers, Heilig-Geist-Meister, Brüder von LimburgJean de BerryParis, Bibliothèque nationale, Ms. nouv. acq. lat. 3093
Turin-Mailänder Stundenbuch1380/90–1420Niederlande, Flandern; Frankreich, Paris, BourgesMeister des Paraments von Narbonne, Meister G (evtl. Jan van Eyck), Meister Johannes’ des Täufers, Barthélemy d’Eyck, Hubert van EyckJean de BerryTurin, Museo Civico d'Arte Antica, Ms. 47
Stundenbuch des Giangaleazzo Viscontium 1388, vollendet nach 1428Italien, Lombardei (Mailand)Giovannino de’ Grassi, Luchino Belbello da Pavia u. a.Gian Galeazzo ViscontiFlorenz, Biblioteca Nazionale, Banco Rari 397
Beaufort-Stundenbuchum 1400–1410England oder südliche NiederlandeMeister der Beaufort-Heiligen, Hermann ScheerreLondon, British Library, Royal, Ms. 2 A.XVIII
Très Belles Heures de Notre-Damefrühes 15. JahrhundertFrankreich, ParisAndré BeauneveuBrüssel, Bibliothèque Royale, ms. 11060-1
Stundenbuch des Jean de Boucicautum 1405–1410Frankreich, ParisBoucicaut-MeisterJean II. Le Maingre, Marschall von BoucicautParis, Musée Jacquemart-André, Ms. 2
Stundenbuch des Johann ohne Furchtum 1406–1415Flandern, GentJohann Ohnefurcht, Herzog von BurgundBibliothèque Nationale, Paris, ms. lat. nouv. acq. 3055
Très Riches Heures des Jean de Berry1410/1416FrankreichBrüder LimburgJean de BerryChantilly, Musée Condé, Ms. 65
Stundenbuch der Maria d’Harcourt1415deutsch-holländisches Grenzland, GeldernBruder Helmich de Leev, Kloster Marienborn.Maria d’Harcourt, Herzogin von GeldernWien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 1908 und Staatsbibliothek zu BerlinStiftung Preußischer Kulturbesitz, ms. germ. quart. 42
Stundenbuch der Isabella Stuart1417–1418Frankreich, AngersRohan-MeisterJolanthe von AragónCambridge, Fitzwilliam Museum, ms. 62
Rohan-Stundenbuchum 1430/35FrankreichRohan-MeisterParis, Bibliothèque nationale, Ms. lat. 9471Gallica: Rohan-Meister
Stundenbuch der Katharina von Kleveum 1440Niederlande, UtrechtMeister der Katharina von KleveKatharina von KleveNew York, Pierpont Morgan Library, M 917 und 945
Anbetung der Könige
Anbetung der Könige
Stundenbuch Philipps des Gutenvor 1454/1455FlandernJean Le TavernierPhilipp der GuteDen Haag, Koninklijke Bibliothek, ms. 76f./20
Stundenbuch von Peter II., Herzog der Bretagne1455–1457Frankreich, ParisPeter II., Herzog der BretagneParis, Bibliothèque nationale, ms. lat. 1159
Stundenbuch des Étienne Chevaliervor 1457FrankreichJean FouquetÉtienne ChevalierChantilly, Musée Condé; London, British Library, Add. 37421; New York, Metropolitan Museum; Paris, Bibliothèque nationale, n. a. lat. 1416; Paris, Louvre, Département des Arts graphiques, R. F. 1679, M. I. 1093; Paris, Musée Marmottan; Upton House, Lord Bearsted (National Trust)
Stundenbuch der Adelaide von Savoyenca. 1460–1465FrankreichMeister der Adelaide von SavoyenChantilly, Musée Condé, Ms. 76Initiale: Chantilly, Musée Condé, 0076
Schwarzes Stundenbuch von Karl dem Kühnen1466–1476FlandernMeister des Antonius von BurgundKarl der KühneWien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 1856
Stundenbuch der Sforza1466–1476MailandMeister des Sforza-GebetbuchesBona SforzaLondon, British Library, Add. ms. 34294 (Faksimile in der Universitätsbibliothek Klagenfurt, FA I 263450)
Stundenbuch der Margarete de Foix, Herzogin der Bretagne1470–1480FrankreichMargarete de Foix, Herzogin der BretagneLondon, Victoria and Albert Museum, Salting Collection Nr. 1222
Schwarzes Stundenbuchum 1475Niederlande, BrüggeWillem VrelantNew York, Morgan Library & Museum, M. 493
Stundenbuch der Maria von Burgundum 1477FlandernNicolas Spierinck und Liétard van LathemWien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 1857
Stundenbuch des Lorenzo de’ Medici1485FlorenzFrancesco RosselliLorenzo il MagnificoFlorenz, Biblioteca Medicea Laurenziana
Stundenbuch des Charles d'Angoulêmeum 1485FrankreichParis, Bibliothèque nationale de France, Département des manuscrits, Latin 1173 online-Ansicht
Stundenbuch des Markgrafen Christoph I. von Badenum 1500Frankreich, Paris (?)Markgraf Christoph I. von BadenKarlsruhe, Badische Landesbibliothek, Cod. Durlach 1 (Digitalisat)
Großes Stundenbuch der Anne de Bretagne1503–1508Frankreich, Tours oder ParisJean BourdichonAnne de Bretagne, Königin von FrankreichParis, Bibliothèque nationale Man. lat. 9474
Kleines Stundenbuch der Anne de Bretagneum 1498FrankreichUnbekannter MeisterAnne de Bretagne, Königin von FrankreichParis, Bibliothèque nationale Nouv. acq. lat. 3027
Fibel der Claude von Frankreich1500–1510FrankreichAnne de Bretagne, Königin von FrankreichFitzwilliam Museum, Cambridge, ms. 159
Gebetbuch Jakobs IV. von Schottland und seiner Gemahlin Margaret Tudor1503Wien, Österreichische Nationalbibliothek
Stundenbuch des Simon Vostreentstanden 1512[1]
Stundenbuch des Marcello Durazzo1524Francesco MarmittaMarcello DurazzoBiblioteca Civica Berio, Genua
Stundenbuch des Bénigne Serre1524unbekannter MeisterBénigne SerrePrivatbesitz
Stundenbuch des Kardinals Alessandro Farneseum 1546Giulio ClovioAlessandro FarneseNew York, Pierpont Morgan Library, M. 69
Rothschild-Stundenbuch1500 bis 1520FlandernunbekanntCodex Vindobonensis S. N. 2844; heute National Library of Australia
Horarium Latine – Dresdner Gebetbuchum 1470BrüggeMeister des Dresdner Gebetbuchesvermutlich Francesco Sassetti (1421–1490)Dresden, Sächsische Landesbibliothek -

Staats- und Universitätsbibliothek, Mscr.Dresd.A.311

SLUB: Digitale Sammlungen

Nachwirkung

Der Holzschnitzer Frans Masereel hat 1919 den Bildroman Mein Stundenbuch veröffentlicht, mit dessen Titel er sich ausdrücklich auf die Tradition mittelalterlicher Stundenbücher bezieht, und damit einen stilbildenden Vorläufer des Comics und der Graphic Novel geschaffen.

Siehe auch

Literatur

  • John Harthan: Stundenbücher und ihre Eigentümer, Stundenbuch von Marschall Jean de Boucicaut, von Giangaleazzo Visconti, Maria von Geldern, Philipp dem Kühnen, Johann ohne Furcht, Philipp dem Guten, Karl dem Kühnen, Maria von Burgund, Isabella Stuart, Peter II., Margarete de Foix, Anne de Bretagne, Lorenzo dei Medici, dem Prächtigen. Deutsche Übersetzung Regine Klett. Herder Verlag, 1976, ISBN 3-451-17907-5.
  • Roger S. Wieck: Time Sanctified. The Book of Hours in Medieval Art and Life. Braziller, New York 1988, ISBN 0-8076-1189-1 (Ausstellung vom 23. April bis 17. Juli 1988, Walter Art Gallery, Baltimore, Md.)
Wiktionary: Stundenbuch – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Commons: Books of Hours – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Friedrich v. Zglinicki: Die Uroskopie in der bildenden Kunst. Eine kunst- und medizinhistorische Untersuchung über die Harnschau. Ernst Giebeler, Darmstadt 1982, ISBN 3-921956-24-2, S. 91 und 93.

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Hirtenverkündigung fol. 63v.
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Painting from Grandes heures de Rohan
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A procession is held in the middle of a medieval cemetery. Religious hold a coffin, surrounded by poor torchbearers on which is inscribed the monogram of Étienne Chevalier "EE" and mourners. The cemetery is surrounded by various medieval buildings. This miniature illustrated the beginning of the Office of the Dead.
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Miniatur: Isabella vor Maria mit dem Kinde
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Black Hours (18v/19r); New York, Pierpont Morgan Library, M. 493
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Porträt des Francesco Mazzola
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Margaret Tudor in Krönungskleidung im Gebet
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Segnender Christus innerhalb der Initiale D
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Seite mit Metallschnitt (Skelett und Narr) aus Les presentes heures a lusaige de Baieux. Paris, Simon Vostre um 1515
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Fronleichnamsprozession
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Jean Le Noir. Miniature from Hours of Jeanne de Navarre. 1336-40 Paris, Bibliothèque nationale de France.
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Jean Le Noir. Two Fools. Miniature from Psalter of Bonne of Luxemburg 1348-49 Metropolitan Museum, N-Y
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Verkündigung, Maria von Geldern in einem ummauerten Garten
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Text und Miniatur Flucht nach Ägypten
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Doppelseite aus dem Stundenbuch Christophs I., um 1500

Manuscript in the Badische Landesbibliothek, Karlsruhe

Codex Durlach 1, Bl. 95v-96r
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Très Petites Heures d'Anne de Bretagne. Annonciation. fol. 40v-41
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Miniatur Claude mit Schutzheiligen
Les Très Riches Heures du duc de Berry aout.jpg
Au premier plan, figure une scène de fauconnerie : le cortège à cheval part pour la chasse, précédé d'un fauconnier. Celui-ci tient dans la main droite le long bâton qui lui permettra de battre arbres et buissons pour faire s'envoler le gibier. Il porte deux oiseaux au poing et, à la ceinture, un leurre en forme d'oiseau que l'on garnissait de viande pour inciter les faucons à revenir. Le cortège est accompagné de chiens destinés à lever le gibier ou à rapporter celui qui aura été abattu. Sur leur cheval, trois personnages portent un oiseau, sans doute un épervier ou un faucon émerillon. Au second plan sont représentés les travaux agricoles du mois d'août. Un paysan fauche le champ, un deuxième réunit les épis en gerbes alors qu'un troisième les charge sur une charrette tirée par deux chevaux. À proximité, d'autres personnages se baignent dans une rivière — peut-être la Juine — ou se sèchent au soleil. À l'arrière-plan se dresse le château d'Étampes, que le duc de Berry avait acquis en 1400, à la mort de Louis d'Évreux, comte d'Étampes. Derrière les remparts, on distingue le donjon quadrangulaire et la tour Guinette, qui existe toujours.
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La vierge à un pupitre et l'ange Gabriel dans un bâtiment gothique. Dieu le père est présent hors du cadre en haut à gauche. La Miniature est entourées d'anges, d'ours et de cygnes portant en bas les armes du duc de Berry
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Heures de Jeanne d'Evreux; 15v/16r