Steuerfindungsrecht

Unter Steuerfindungsrecht wird in der Finanzwissenschaft die Steuerhoheit von Gebietskörperschaften verstanden, neue Steuerarten einführen zu dürfen.

Allgemeines

Eines der Grundprinzipien der Finanzverfassung besteht darin, dem Gesetzgeber von Einfachgesetzen kein Steuerfindungsrecht zuzubilligen, um so eine Überbelastung der Steuerpflichtigen durch Steuern zu verhindern (Art. 106 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 GG). In Art. 106 GG ist abschließend die Steuerverteilung in einem geschlossenen System des Finanzausgleichs nach Art. 107 GG vorgeschrieben.[1]

In Art. 106 Abs. 1 und 2 GG sind ausdrücklich bestimmte klassische Steuerarten vorgegeben, so dass sich die Rechtsfrage stellt, ob der einfache Gesetzgeber darüber hinaus neuartige Steuerarten schaffen darf, ob ihm also ein Steuerfindungsrecht zusteht.[2]

Voraussetzungen

Neue Steuerarten sind dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zufolge auf ihre Kongruenz mit den aus hergebrachter Sicht typusprägenden Merkmalen der Einzelsteuerbegriffe der Art. 105 GG und Art. 106 GG zu prüfen.[3] Innerhalb der durch Art. 105 GG und Art. 106 GG vorgegebenen Typusbegriffe steht es dem Gesetzgeber offen, neue Steuern zu „erfinden“ und bestehende Steuergesetze zu verändern.[4] Änderungen bestehender Steuergesetze oder die Erschließung neuer Steuerquellen sind unter dem Blickpunkt der Zuständigkeitsverteilung zumindest so lange nicht zu beanstanden, wie sie sich im Rahmen der herkömmlichen Merkmale der jeweiligen Steuern halten.[5] Jenseits der in Art. 105 und Art. 106 GG vorgegebenen Typusbegriffe dürfen keine weiteren Steuern erhoben werden.[6]

In Art. 106 Abs. 6 GG wird ein gewisser Spielraum zur Steuerfindung bei Aufwand- und Verbrauchsteuern zugelassen, weil diese Begriffe auslegbar sind. Das BVerfG definiert Aufwandsteuern als Steuern auf die Einkommensverwendung für den persönlichen Lebensbedarf, in der die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zum Ausdruck kommt.[7] Bei der Verbrauchsteuer handelt es sich im Regelfall um eine indirekte Steuer, die beim Hersteller erhoben wird und auf eine Steuerüberwälzung auf den (End-)Verbraucher angelegt ist.[8] Der Typusbegriff der Verbrauchsteuer erfordert zudem den Verbrauch eines Gutes des ständigen Bedarfs, ferner knüpfen Verbrauchsteuern regelmäßig an den Übergang des Verbrauchsgutes aus einem steuerlichen Nexus in den steuerlich nicht gebundenen allgemeinen Wirtschaftsverkehr an.[9]

Bund

Im Dezember 2010 führte der Bund die Luftverkehrsteuer als neue Bundessteuer ein, die das BVerfG im November 2014 als verfassungsgemäß einstufte.[10]

Die vom Bund zwiwschen 2011 und 2016 erhobene Kernbrennstoffsteuer war keine Verbrauchsteuer und durfte nicht erhoben werden.[11] Im Fall der Kernbrennstoffsteuer hat das BVerfG entschieden, dass dem einfachen Gesetzgeber kein Steuerfindungsrecht zusteht.[12]

Länder

Durch die von der Bundesregierung vorgeschlagene und umgesetzte Fassung des Art. 105 Abs. 2 GG wird das Steuererfindungsrecht der Länder nicht beseitigt. Der Bund kann jedoch, wenn eine von den Ländern erfundene Steuer wegen der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse notwendigerweise bundeseinheitlich geregelt werden muss, das konkurrierende Gesetzgebungsrecht wahrnehmen.

Gemeinden

Das kommunale Steuerfindungsrecht für Verbrauch- und Aufwandsteuern beruht lediglich auf einer Delegation der entsprechenden Steuergesetzgebungshoheit der Länder gemäß Art. 105 Abs. 2a GG.[13] Die Delegation erfolgt aufgrund der Kommunalabgabengesetze der Länder.

Für verfassungswidrig erklärt wurde eine in Kassel erhobene Verbrauchsteuer auf Einwegverpackungen, weil sie gegen das damalige Kooperationsprinzip des Abfallrechts verstieß.[14] Die Einführung einer von Essen geplanten Solariums- und Stehtischsteuer wurde 2017 durch das Innenministerium NRW untersagt.[15] Wie diese Urteile zeigen, ist das kommunale Steuerfindungsrecht begrenzt durch die Kommunalabgabengesetze der Länder und die kommunalen Steuersatzungen, die durch die Kommunalaufsicht zu genehmigen sind.[16] So darf z. B. im Freistaat Bayern landesrechtlich gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Kommunalabgabengesetz Bayern keine Getränkesteuer, Jagdsteuer, Speiseeissteuer und keine Vergnügungsteuer erhoben werden.

Die von Tübingen eingeführte Steuer auf Einwegverpackungen und Einweggeschirr (Verpackungsteuer) ist nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) rechtmäßig.[17] Die klagende Systemgastronomiekette McDonald’s hatte in der Vorinstanz noch obsiegt. Das BVerwG stellte klar, dass Speisen zum Mitnehmen „typischerweise“ sehr bald gegessen würden und damit meist im Gemeindegebiet blieben. Es handele sich also um eine örtliche Steuer im Sinne des Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG. Die Satzung stehe zudem nicht im Widerspruch zu den Abfallregeln des Bundes. Beide verfolgten exakt dasselbe Ziel – nämlich die Abfallvermeidung.

Wirtschaftliche Aspekte

Die Ausnutzung des Steuerfindungsrechts führt zu neuen Steuerarten (etwa Umweltsteuer), welche zu einer zusätzlichen Steuerlast der Wirtschaftssubjekte führen. Zudem beeinflussen neue Steuern den austarierten Finanzausgleich, so dass Umverteilungen die Folge sind. Andererseits würde das Festhalten an den statischen Steuerarten des Grundgesetzes die Steuerpolitik in ihrer Dynamik behindern. So können im Umweltrecht neue Steuern als Lenkungssteuern eingesetzt werden, indem externe Kosten der Nutzung von Umweltressourcen durch Steuern internalisiert werden könnten.[18]

Siehe auch

Literatur

  • Christian Flach: Kommunales Steuerfindungsrecht und Kommunalaufsicht. In: Europäische Hochschulschriften: Reihe 2, Rechtswissenschaft; Bd. 2421. Frankfurt am Main, 1998, ISBN 3-631-33400-1.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Robert F. Heller, Haushaltsgrundsätze für Bund, Länder und Gemeinden, 2010, S. 59
  2. Thomas Fetzer, Einführung in das Steuerrecht, 2019, S. 15
  3. BVerfGE 145, 171
  4. BVerfGE 31, 8, 19
  5. BVerfGE 31, 8, 19
  6. Paul Kirchhof/Gregor Kirchhof, Das Recht auf unentgeltliche Sicherheit, 2020, S. 47
  7. BVerfGE 114, 316, 334
  8. BVerfGE 145, 171
  9. BVerfGE 145, 171
  10. BVerfG, Urteil vom 5. November 2014, Az.: 1 BvF 3/11 = BVerfGE 137, 350
  11. BVerfGE 145, 171
  12. BVerfGE 145, 171
  13. Thorsten Franz, Gewinnerzielung durch kommunale Daseinsvorsorge, 2005, S. 401
  14. BVerfG, Urteil vom 7. Mai 1998, Az.: 2 BvR 1991/95B = BVerfGE 98, 106
  15. Wolfgang Kintscher: Land untersagt Stadt Essen Solariensteuer. (derwesten.de [abgerufen am 6. Januar 2017]).
  16. Springer Fachmedien Wiesbaden (Hrsg.), Kompakt-Lexikon Finanzwissenschaft, 2013, S. 87
  17. BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2023, Az.: 9 CN 1.22
  18. Thomas Fetzer, Einführung in das Steuerrecht, 2019, S. 27