Sportphilosophie

Sportphilosophie ist ein Teilbereich der Sportwissenschaft und fasst verschiedene philosophische Forschungsrichtungen zusammen, die sich mit dem Thema Sport auseinandersetzen und dessen Wesen, Funktion und Besonderheiten untersuchen. Hierzu gehört Sportforschung aus ontologischer, historisch-materialistischer, sozialkritischer, handlungsanalytischer und strukturell-ethnologischer Perspektive. Dabei gibt es verschiedene Überschneidungen mit anderen Teilbereichen der Sportwissenschaft, vor allem der Sportsoziologie, Sportpsychologie und Sportethik.

Ursprung und Sinn von Sport

Die Sportphilosophie sucht u. a. auch nach dem Ursprung und dem Sinn von Sport. Sport hat seinen Ursprung in der Evolution des Lebens, als sich die Fähigkeit entwickelte, die eigene Bewegung willentlich zu steuern. Heute erfüllt Sport die folgenden Funktionen, die ihm zugleich seinen Sinn geben:

  • im Spitzensport
    • der Allgemeinheit Vorbilder für die Erbringung von Spitzenleistungen und Resilienz bei Rückschlägen zu präsentieren, die nicht nur im Bereich Sport inspirierend sein können
    • durch die Erfolge, und sogar durch Misserfolge, von einzelnen Sportlern und Vereinen aus der eigenen Region oder Nation eine Identifikation zu stärken
    • durch Berichterstattung über Sportereignisse die Bekanntheit einer Region über diese hinaus zu fördern
    • physiologische und neurologische Erkenntnisse zu fördern, die im Spitzensport besonders auffällig werden können (z. B. bei den Zusammenhängen von Erfolgen und Misserfolgen und der Ausschüttung von Botenstoffen)

Die Grundlagenforschung beschränkt sich dabei nicht nur auf physiologische Erkenntnisse, sondern umfasst auch psychologische. Beispielsweise erforscht Geir Jordet von der Universität Oslo Drucksituationen anhand von Elfmeterschießen in Fußball-Welt- und Europameisterschaften. Seine Statistiken belegen, dass nur 62 Prozent der Elfmeterschützen treffen, wenn ihr Fehlschuss zu einer Niederlage ihrer Mannschaft führt, während ein Siegtreffer in 92 Prozent der Fälle verwandelt werden kann.[1]

  • im Breitensport
    • durch Bewegung die körperliche Fitness der Bevölkerung zu verbessern und Krankheiten vorzubeugen
    • die Integration von Zugewanderten durch gemeinsame Sporterlebnisse zu fördern
    • Erfolgserlebnisse/Selbstwirksamkeitserlebnisse zu schaffen, die sich auch auf andere Bereiche motivierend auswirken können
    • besonders bei Mannschaftssportarten und im Kampfsport den fairen Umgang zu trainieren

Damit liegt der Sinn des Sports nicht im Siegen an sich, sondern in den darüber hinaus gehenden Effekten. Die Beschäftigung mit Sportphilosophie hilft dem Sportler bei der Verarbeitung von Niederlagen. Das wichtigste globale Sportereignis für Sportler mit Behinderungen, die Paralympics zeigen, dass trotz erheblicher Beeinträchtigungen auch Spitzenleistungen möglich sind. Sie geben damit Leistungsanreize für Menschen mit Behinderungen die über den sportlichen Bereich hinauswirken können.

Chancengerechtigkeit

Auch bei der Zulassung von Sportlern mit Prothesen bei Wettbewerben für nicht behinderte Sportler bestehen sportphilosophische Fragestellungen hinsichtlich der Berücksichtigung möglicher Vor- und Nachteile von Prothesen. Einerseits soll die Inklusion von Sportlern mit Behinderungen gefördert werden. Andererseits bestehen ethische Konflikte, wenn die Zulassung von Vorteil verschaffenden Prothesen Anreize gibt körperliche Einschränkungen herbeizuführen. Öffentliche Diskussionen hierzu wurden bei dem südafrikanischen Sprinter und Olympiateilnehmer Oscar Pistorius und dem deutschen Sportler Markus Rehm geführt. Sportphilosophische Fragen stellen sich auch in Fällen wo Spitzensportlerinnen bei Schwangerschaften Nachteile bei bestehenden Sponsoringverträgen hinnehmen müssen[2] oder ob von intersexuellen Sportlerinnen die medikamentelle Herabsenkung ihres Testosteronspiegels verlangt werden kann, damit sie bei Frauenwettbewerben zugelassen werden können.[3] Letzteres hat der Internationale Sportgerichtshof im Jahr 2019 von der intersexuellen 800-Meter-Läuferin Caster Semenya verlangt. Bestimmte ethnische Zugehörigkeiten scheinen für manche Sportarten Vorteile mit sich zu bringen.[4] Gerade Weltmeisterschaften und Olympische Spiele zeigen, dass diese Unterschiede nicht so groß sein können, dass eine andere ethnische Abstammung Siege unmöglich macht.

Sport und politische Funktionen

Strittig diskutiert wird, ob Sport unpolitisch sein soll oder sein kann. Zum einen wird darauf verwiesen, dass Politik die Aushandlung, Abmachung, Festlegung und Basis gemeinsamer Regeln und Werte habe, deshalb stark wertebestimmt sei und auf Frieden und Gleichwertigkeit aller Menschen beruhe.[5] So habe Sport seine Bedeutung als gesamtgesellschaftliches, transnationales und identitätsstiftendes Projekt[6] Zum anderen wird aber problematisiert, dass der Sport diesen Absichten nicht immer voll gerecht würde. Als historische Beispiele globaler Sportereignisse, die von diktatorischen Regimen instrumentalisiert wurden, werden die Olympischen Spiele von 1936 in Berlin und die Fußballweltmeisterschaft von 1978 in Argentinien genannt. Heutige Beispiele kritisieren aus diesen Gründen die Vergabe der Fußballweltmeisterschaft von 2018 nach Russland, der Fußballweltmeisterschaft 2022 nach Katar und der Olympischen Spiele im Jahr 2022 nach Peking und auch von einzelnen Spielen der Fußballeuropameisterschaft von 2020 (wegen der Coronakrise im Jahr 2021 durchgeführt) nach Ungarn, wegen der homophoben Politik der ungarischen Regierung. Bei der Fußballweltmeisterschaft stand auch die Verwendung der Regenbogenfarbe als Symbol für sexuelle Diversität als Fanflaggen und Kapitänsbinden in der Diskussion. Zum einen wurde betont, dass damit die gleichen Werte vertreten würden, wie sie dem Sport zugeschrieben würden, zum anderen wurde sie als unzulässiges politisches Symbol aufgefasst. Nachdem ungarische Ordner Regenbogenfarben niederländischen Fans abgenommen hatte, stellte die UEFA klar, dass sie die Regenbogenfahne für unpolitisch halte und diese im Einklang mit der Equal Game Kampagne stünde.

Selbst in demokratischen Staaten werden von Nationalmannschaften getragene Mannschaftssportarten unterschiedlich bewertet. Die von dem im Jahr 1990 von dem gerade wiedervereinigten Deutschland gewonnene Fußballweltmeisterschaft gilt als Musterbeispiel eines die gemeinsame Identität stiftenden Impulses. Dagegen wird vereinzelt von Politikern der Grünen nach Herkunft zusammengesetzte Nationalmannschaften kritisiert, da nationale Gemeinschaftsgefühle gefährlich seien.[7] Dagegen betont der Tennisspieler Alexander Zverev, dass man als Medaillengewinner bei Olympia nicht nur für sich, sondern auch für sein Land spiele, weshalb ihm ein Olympiasieg mehr bedeute als ein Sieg in Wimbledon.[8]

Sonstige sportphilosophische Fragen

Zu den sportphilosophischen Fragen gehören auch Bekleidungsge- und verbote, beispielsweise ob im Frauen-Beachvolleyball kurze Bikinihöschen vorgeschrieben werden dürfen oder mehr Wahlfreiheit gegeben werden soll.[9] Dabei kommt es darauf an abzuwägen, ob die Gründe für bestimmte Bekleidungsvorschriften gewichtig genug sind, die Wahlfreiheit einzuschränken. Ethische Erwägungen, die dem Tierwohl dienen, wurden bei den Olympischen Spielen in Tokio für das Reglement des Modernen Fünfkampfs diskutiert, bei dem den Reitern die Pferde zugelost wurden, was als Quelle der Überforderung für die Pferde angesehen wird.[10] Eine sportethische Dimension hat auch die Diskussion, ob im Fußball Maßnahmen ergriffen werden sollen, die Zahl von Kopfbällen zu reduzieren, auf Erwachsene zu beschränken oder sogar ganz zu verbieten, weil Studien eine Relation von Kopfballhäufigkeit und Demenzrisiko feststellen. Auch Mixed-Martial-Arts-Kämpfe werden wegen der hohen akuten Verletzungsgefahr und möglicher Spätfolgen kritisch diskutiert.

Literatur

  • Henning Eichberg: Do we need an existential philosophy of the railway? Why then a philosophy of sport? In: Sport, Ethics and Philosophy 8(2014), 1, 77 – 84
  • Volker Caysa: Sportphilosophie; Reclam Leipzig, 1997, ISBN 9783379015783
  • Interview mit Prof. Dr. Joachim Bauer, "Unbewusste Siegeshemmungen" – Wirkung des Hirns im Sport, FAZ online, 7. März 2013
  • Herbert Haag (Hrsg.): Sportphilosophie – Ein Handbuch, Schorndorf 1996
  • Henning Eichberg: Bodily Democracy – Towards a Philosophy of Sport for All. London und New York: Routledge 2010
  • Elk Franke: Sportphilosophie in Deutschland nach 1945 (verfügbar als PDF-Datei)
  • Volker Caysa: Körperutopien. Eine philosophische Anthropologie des Sports.; Campus Verlag Frankfurt am Main/New York, 2003, ISBN 9783825812027

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Cedric Voigt, Wieso England im Elfmeterschießen gegen Italien das Nachsehen hatte, Spiegel online, 12. Juli 2021
  2. Michael Reinsch, Frauen unter Laufzwang, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. Mai 2019
  3. Evi Simeon, Was sind eigentlich Frauen?, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. Mai 2019
  4. https://www.focus.de/sport/mehrsport/jagd-auf-weltrekorde-warum-schwarze-weissen-davonlaufen_id_2534291.html
  5. Gunter Gebauer, zitiert von Jan Sternberg in: Politik spielt immer mit in: sonntag - Das Wochendendmagazin Ihrer Tageszeitung, Lübecker Nachrichten 4./5. Juli 2021.
  6. Timm Beichelt, zitiert von Jan Sternberg in: Politik spielt immer mit in: sonntag - Das Wochendendmagazin Ihrer Tageszeitung, Lübecker Nachrichten 4./5. Juli 2021.
  7. Jamila Schäfer, Bundessprecherin der Grünen Jugend, Spiegel online, 13. Juni 2016
  8. zitiert in: Lübecker Nachrichten, 31. Juli 2021
  9. Lübecker Nachrichten, 22. Juli 2021, Seite 20
  10. Lübecker Nachrichten, 7. August 2021, Seite 20