Spitzbogen

Korridor mit Spitzbogengewölben, Marienburg in Malbork
Spitzbögen im Abas­siden­palast Qasr al-'Ashiq, 877–882, Samarra, Irak

Der Spitzbogen ist ein aus zwei Kreisen konstruierter Bogen mit Spitze. Er gilt in der Architektur als ein zentrales Element der Gotik. Erfunden wurde der Spitzbogen allerdings wohl in der islamischen Architektur und gelangte über das maurische Spanien und über die arabonormannische Architektur Siziliens ins christliche Abendland.

Konstruktion und Formen

Zweizentrige Spitzbögen von links nach rechts: normaler Spitzbogen, gedrückter Spitzbogen und überhöhter Spitzbogen (bzw. Lanzettbogen).

Ein Spitzbogen wird aus zwei Kreisen, bzw. deren Segmenten oder Kreisbögen, konstruiert.

  • Beim sogenannten normalen oder gleichseitigen Spitzbogen liegen die Kreismittelpunkte auf den Kämpfer-Punkten. Die Länge der Kreisradien entspricht der Bogenspannweite.
  • Beim gedrückten Spitzbogen liegen die Kreismittelpunkte zwischen den Kämpferpunkten. Die Länge der Kreisradien ist kleiner als die Bogenspannweite. Die Höhe des Scheitelpunktes über den Kämpfern ist geringer als beim normalen Spitzbogen. Es gibt auch gedrückte Rundbögen, aber die werden üblicherweise als Korbbogen bezeichnet.
  • Beim überhöhten Spitzbogen liegen die Kreismittelpunkte außerhalb der Kämpferpunkte. Die Länge der Kreisradien ist größer als die Bogenspannweite. Die Höhe des Scheitelpunktes über den Kämpfern ist größer als beim normalen Spitzbogen. Diese Bogenform wird auch Lanzettbogen genannt. Das zugrunde liegende englische lancet leitet sich von lance (Lanze) ab und spielt auf die Form einer Lanzenspitze an.[1]

In einer weiter gefassten Definition zählen auch Bögen, die aus mehr als zwei Kreisbögen konstruiert werden, zu den Spitzbögen, insbesondere

  • der vierzentrige Spitzbogen, in Europa am bekanntesten als Tudorbogen,
  • Klappbogen, beginnt an den Kämpfern mit einem Knick

daneben Bögen mit konvexen Elementen:

  • der ebenfalls vierzentrige Kielbogen (bzw. Eselsrücken),
  • der nur aus zwei oder mehr konvexen Elementen bestehende Vorhangbogen.[2]

Eine selten verwendete Bezeichnung für die Spitzbogen-Bauweise ist ogival (vgl. „Ogive“).[3]

Der Spitzbogen der Gotik

Gotisches Maßwerkfenster mit Spitzbogen

Allgemeines

Der Spitzbogen gilt als ein zentrales Element der Baukunst der Gotik. Der Begriff Spitzbogenstil findet sich auch als eine ältere Bezeichnung für die gotische Baukunst als solche.[4]

Erste Spitzbögen fanden sich bereits in der islamischen Architektur, insbesondere zur Zeit der Abbasiden.[5] In der Burgundischen Romanik, beim 1088 begonnenen Bau der dritten Abteikirche von Cluny verwendete man den Spitzbogen für Arkaden und Gewölbe, nicht aber für Portale und Fenster.[6] Viele Nachfolgebauten des 12. Jahrhunderts in Burgund folgen diesem Beispiel. In der gotischen Sakralarchitektur (St. Denis) wurden Spitzbögen seit der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts für Gewölbe und (mit teilweise zögerlichem Beginn) auch für Portale und Fenster verwendet.[7] Von Frankreich aus verbreitete sich diese Bogenform um 1200 nach Deutschland, wurde bis in das frühe 16. Jahrhundert hinein benutzt und Jahrhunderte später, in der Neogotik, wieder aufgegriffen.[7]

Lanzettfenster und Gruppenfenster

lLanzett-Zwillingsfenster

Eine Sonderform des Spitzbogenfensters ist das Lanzettfenster. Es handelt sich um ein schlankes Fenster mit einem überhöhten Spitzbogen (Lanzettbogen) als Abschluss. Das Lanzettfenster gilt, wie der Lanzettbogen, insbesondere als ein Element der englischen Frühgotik.[8] Dort wurde dieser Fenstertyp häufig in Gruppen verwendet.[9] Als Beispiele dafür werden ein einfaches Lanzettfenster in Witney in der Grafschaft Oxfordshire um 1220, ein Lanzett-Zwillingsfenster in Lincoln um 1250 und auch ein Lanzett-Drillingsfenster in Salisbury um 13. Jh. aufgeführt.[10] Bei einem Lanzett-Drillingsfenster überragt das mittlere der drei Fenster die beiden anderen.[11] Das Motiv des Lanzett-Drillingsfensters wird im Historismus wiederaufgenommen.

Spitze Dreiecksschlüsse mit geraden Schenkeln

Wandöffnungen können oben auch in spitzen Dreiecken enden, deren Schenkel nicht gekrümmt sind. In der angelsächsischen Architektur gibt es Portale in dieser Form, die vor den ersten Spitzbögen Englands entstanden.

Andernorts wurden Fenster mit solchen Schlüssen als Vereinfachung von Spitzbögen errichtet. Besonders häufig findet sich das an gotischen Backsteintürmen Südfrankreichs.

Friese

Kreuzbogenfries in der Kirche San Sepolcro, 11. Jh., Bologna, Norditalien

Schon in Baustilen ohne regelmäßige Verwendung des Spitzbogens finden sich Kreuzbogenfriese, in denen Spitzbögen aus Teilen einander überschneidener Rundbögen gebildet werden.

Ein Spitzbogenfries ist eine in der Gotik entwickelte Friesornamentik aus kleinen Spitzbögen.

Literatur

  • Rudolf Wiegmann: Bemerkungen über die Schrift „In welchem Style sollen wir bauen?“ von Heinrich Hübsch. In: Kunstblatt 10, 1829, S. 173–174, 177–179 und 181–183.
  • Rudolf Wiegmann: Der Ritter Leo von Klenze und unsere Kunst. Schreiner, Düsseldorf 1839.
  • Rudolf Wiegmann: Gedanken über die Entwicklung eines zeitgemäßen nationalen Baustils. In: Allgemeine Bauzeitung. 1841, S. 207–214.[12]
  • Rudolf Wiegmann: Über den Ursprung des Spitzbogenstils. Mit einem Anhange, betreffend die Bildung eines Vereins für die Geschichte der mittelalterlichen Baukunst. Mit einer Lithografie. Julius Buddeus, Düsseldorf 1842 (erschien zuvor in der Allgemeinen Wiener Bauzeitung).
Commons: Spitzbögen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Satz nach Encyclopædia Britannica Online, Lemma lancet window, abgerufen am 17. November 2008
  2. Satz nach Günther Wasmuth (Hrsg.): Wasmuths Lexikon der Baukunst, Berlin, 1929–1932 (4 Bände), Lemma Spitzbogen
  3. Eintrag ogival bei Duden online, abgerufen am 24. März 2019
  4. Satz nach Günther Wasmuth (Hrsg.): Wasmuths Lexikon der Baukunst, Berlin, 1929–1932 (4 Bände), Lemma Spitzbogenstil
  5. ARD Tel Aviv: (Memento vom 20. Mai 2015 im Internet Archive) Richard C. Schneider
  6. Fritz Baumgart: DuMont's kleines Sachlexikon der Architektur, Köln, 1977, Lemma Spitzbogen
  7. a b Satz nach Hans-Joachim Kadatz: Wörterbuch der Architektur, Leipzig, 1988, Lemma Spitzbogen
  8. Satz nach Günther Wasmuth (Hrsg.): Wasmuths Lexikon der Baukunst, Berlin, 1929–1932 (4 Bände), Lemma Lanzettbogen
  9. Satz Hans Koepf, Günther Binding: Bildwörterbuch der Architektur (= Kröners Taschenausgabe. Band 194). 4., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2005, ISBN 3-520-19404-X, Lemma Lanzettfenster
  10. Wilfried Koch: Baustilkunde. Orbis-Verlag, München 1988, S. 196, 412
  11. siehe das aufgeführte Beispiel bei Wilfried Koch auf S. 412
  12. Georg Wilbertz:Stilsynthese und Sprachverwirrung. Theorie und Kritik des „neuen“ Stils im 19. Jahrhundert. (Memento desOriginals vom 6. Juni 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.semiotik.eu Seite 8–10. (PDF-Datei; 233 kB)

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Die Kirche wurde im 13. Jahrhundert das erste Mal urkundlich erwähnt. Durch den Einsturz des Turms im Jahre 1382 wurden auch der Chor und Teile des Langschiffs in Mitleidenschaft gezogen.

Der Grundstein zum mächtigen Westwerk der Kirche soll 1416 gelegt worden sein. Fertiggestellt war sie etwa im ausgehenden 15. Jahrhundert. Das Innere überrascht im Gegensatz zur Nikolaikirche durch das Fehlen zahlreicher Kunstschätze. Das, was an Altären und Gemälden im 16. Jahrhundert die Bilderstürmerei des Reformationszeitalters überstanden hatte, fiel schließlich französischen Besatzungstruppen im vorigen Jahrhundert zum Opfer. Die hatten aus der Kirche kurzerhand eine Kaserne und einen Stall mit Strohlager gemacht.
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