Spiegelprinzipal

Die unteren Pfeifen sind spiegelbildlich angebracht und hängen mit dem Kopf nach unten (Marienstiftskirche Lich)

Das Spiegelprinzipal ist ein doppelt besetztes Prinzipalregister einer Orgel, das spiegelbildlich im Prospekt angebracht ist.

Geschichte

Aufeinandergelötete Pfeifenfüße, im Rückpositiv in den Ecktürmen, im Hauptwerk in Flachfeldern (Middelburg, Chorkirche)

Bereits in der Spätgotik wurden Prinzipalregister mehrfach besetzt. Besonders um 1480 bis etwa 1520 begegnen doppelte Prinzipale in spätgotischen Orgelwerken.[1] Früheste Beispiele finden sich in der Zwoller Liebfrauenbasilika (1447 Meister Vastart und 1454 Jacob van Bilsteyn) und in der Abtei Middelburg (1480 Peter Gerritsz).[2] Das Spiegelprinzipal begegnet erstmals im spätgotischen Orgelbau in Brabant. Die Bauweise erfuhr in der Renaissance und im Frühbarock ihren Höhepunkt und war Ausdruck einer meisterschaftlichen Handwerkskunst. Das Spiegelprinzipal kam für den Diskantbereich zum Einsatz und trat nicht selten zusammen mit ziselierten und bossierten Prospektpfeifen auf. Im Brabanter Orgelbau wurden die Pfeifenfüße des Spiegelprinzipals zusammengelötet, so auch im Rückpositiv der großen Orgel von St. Johannis, Lüneburg, die Hendrik Niehoff im Jahr 1553 schuf.[3]

Da im Zeitalter des Klassizismus und vor allem in der Romantik der Flächenprospekt Einzug hielt, verschwand diese alte Technik. Erst bei neueren Orgeln werden Spiegelfelder vor allem wieder von Orgelbauern eingesetzt, die dem historischen Orgelbau verpflichtet sind.

Bauweise

Das Spiegelprinzipal wird in der Regel in den Flachfeldern, seltener in Pfeifentürmen eingesetzt. Die Einzelpfeife wird wie das herkömmliche Prinzipal gebaut, aber im Diskantbereich zweifach besetzt. Ein Pfeifenpaar derselben Tonhöhe wird jeweils spiegelbildlich montiert. Für die Befestigung der nach unten hängenden Pfeife gibt es zwei verschiedene Bauweisen. Wird ein Pfeifenstock eingesetzt, ruht die eine Pfeife wie gewöhnlich aufrecht auf dem Stock, während die hängende Pfeife von unten gegen ein (beledertes) Loch an der Unterseite des Pfeifenstocks gedrückt wird. Sie wird durch einen aufgelöteten Bügel an der Rückseite, der an einem Stift auf einer Leiste befestigt wird, vor dem Herausfallen geschützt. Alternativ wird auf den Pfeifenstock verzichtet und werden die Pfeifenfüße zusammengelötet. Die Windzufuhr erfolgt dann über Bleiröhrchen (sogenannte „Kondukte“).[4]

Beispiele

JahrOrtKircheBildOrgelbauerManualeRegisterAnmerkungen
1479MiddelburgOnze-Lieve-Vrouwe Abdij, ChorkirchePeter GerritszII/P5ursprünglich in der Utrechter Nicolaïkerk; beide Manuale bedienen ein Blockwerk (VII–XVIII im Hauptwerk; IV–VIII im Oberwerk);[5]
1551–1553LüneburgSt. Johannis, große Orgel
Hendrik Niehoff/Jasper JohansenIII/P26Orgeln von St. Johannis (Lüneburg)
1557BrouwershavenGrote of Sint-Nicolaaskerk
Hendrik Niehoff?II/PZuschreibung[6]
1556–1563AbcoudeKatholische Kirche
Hendrik NiehoffII/P18Spiegelprinzipal in den Spitztürmen des Rückpositivs[7]
1614ButzbachMarkuskirche
Georg WagnerII/Phistorischer Prospekt → Orgel[8]
1618’s-HertogenboschSt.-Johannes-Kathedrale
Florentius HocqueIII/P35
1621–1624LichMarienstiftskirche LichGeorg WagnerII/P20historischer Prospekt → Orgeln[9]
1628/1638–1643LeidenPieterskerk
Jacob Jansz/Jan Jacobs Lin, Galtus Germer van HagerbeerIII/P35
1638–1645AlkmaarLaurenskerk
Galtus Germer und Jacobus van HagerbeerIII/P40
1732BerchumEv. KircheunbekanntII/P12historischer Prospekt mit Spiegelprinzipal → Orgel der Berchumer Kirche
um 1740Kempten (Allgäu)Kloster HeiligkreuzunbekanntI/P12
1960–1961AurichLambertikirche, HauptorgelAhrend & BrunzemaII/P252023 erweitert auf III/29 → Orgel
1967NortheimCorviniuskirche
Rudolf JankeIII/P29Spiegelprinzipal im Rückpositiv
1982Bellaire (Texas)Presbyterian Church
Rudolf JankeII/P17
1982Kristiansand (Norwegen)Ev.-luth. Freikirche
Rudolf JankeII/P17baugleich mit Jankes Instrument in Bellaire
1987MünsterSt.-Paulus-Dom
Johannes Klais OrgelbauIV/P74Orgeln des St.-Paulus-Doms
2000LeicesterSt Joseph’s R C ChurchLammermuirII/P15[10]
2003StiepelDorfkirche StiepelHarm Dieder KirschnerII/P15Spiegelprinzipal im Prospekt hinter den Bass- und Tenortürmen[11]
2012DitzingenNeuapostolische KircheWiedenmannII/P10[12]

Literatur

  • Franz Bösken, Hermann Fischer: Quellen und Forschungen zur Orgelgeschichte des Mittelrheins. Bd. 3: Ehemalige Provinz Oberhessen (= Beiträge zur Mittelrheinischen Musikgeschichte 29,1. Teil 1 (A–L)). Schott, Mainz 1988, ISBN 3-7957-1330-7.
  • Maarten Albert Vente: Die Brabanter Orgel. Zur Geschichte der Orgelkunst in Belgien und Holland im Zeitalter der Gotik und der Renaissance. H. J. Paris, Amsterdam 1963.

Einzelnachweise

  1. Hans Klotz: Das Buch von der Orgel. 9. Auflage. Bärenreiter, Kassel 1979, ISBN 3-7618-0080-0, S. 90.
  2. Roland Eberlein: Orgelregister. Ihre Namen und ihre Geschichte. 3. Auflage. Siebenquart, Köln 2016, ISBN 978-3-941224-00-1, S. 482.
  3. Harald Vogel, Günter Lade, Nicola Borger-Keweloh: Orgeln in Niedersachsen. Hauschild, Bremen 1997, ISBN 3-931785-50-5, S. 105.
  4. New Lammermuir Organ for St. Joseph's R.C.Church Leicester (englisch), abgerufen am 15. Mai 2019.
  5. Disposition der Rekonstruktion im Orgelpark, abgerufen am 15. Mai 2019 (PDF-Datei; 52 kB).
  6. Vente: Die Brabanter Orgel. 1963, S. 91.
  7. Vente: Die Brabanter Orgel. 1963, S. 187.
  8. Bösken, Fischer: Quellen und Forschungen zur Orgelgeschichte des Mittelrheins. Bd. 3. 1988, S. 215.
  9. Bösken, Fischer: Quellen und Forschungen zur Orgelgeschichte des Mittelrheins. Bd. 3. 1988, S. 616.
  10. Orgel in Leicester, abgerufen am 15. Mai 2019.
  11. kirchenmusik-westfalen.de: Neue Orgel in der Stiepeler Dorfkirche, S. 10 (PDF-Datei; 3,19 MB), abgerufen am 15. Mai 2019.
  12. orgel-information.de: Die Orgel der Neuapostolischen Kirche Ditzingen, abgerufen am 15. Mai 2019.

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